Vergleichsansicht

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Kennung: 4884

Berlin, 11. Januar 1907 (Freitag), Briefkarte

Autor*in

  • Siegler, Ida von

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Sehr gehrterSchreibversehen, statt: geehrter. Herr Wedekind!

Eben kam Idinka ganz verweint nach HauseIda Orloff wohnte bei ihrer Mutter, der Hauptmannswitwe Ida Siegler von Eberswald (Thomasiusstraße 23, 1. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2307]. und sagte: Sie hätten sie roh genanntTilly Wedekind erinnerte sich an das Geschehen: „In Graz nahm sich meine Schwester Paula das Leben. Frank sagte mir schonend, daß sie gestorben sei. Die Zeitungen, die ihren Tod ausführlich erörterten, da es sich um eine Schwägerin von Wedekind handelte, wurden vor mir versteckt. [...] Da kam Iduschka zu Besuch. [...] Und nun sagte Iduschka, meine Schwester hätte sich das Leben genommen! Ich glaubte es nicht. ‚Doch‘, sagte Iduschka, ‚es hat ja in allen Zeitungen gestanden‘, und sie fing an, mir zu erklären, auf welche grauenvolle Art Paula es getan hatte. Da stürzte Frank aus seinem Zimmer und brüllte Iduschka an, was ihr denn einfalle, sie sei ein dummes, herzloses Wesen und sie solle augenblicklich verschwinden! Iduschka fing an zu heulen und lief weg.“ [Wedekind 1969, S. 101], das hat sie so furchtbar gekränkt, dass sie ganz und gar niedergeschlagen und trostlos ist, wir alle trösten sie damit sie sich beruhigen soll. Ich glaube doch, Sie müssten Idinka doch gut genug kennen und solche Rohheit bei ihr nicht vermuten. | Wir alle haben Ihre liebe Frau viel zu gern, als, dass wir ihr je was Unangenehmes sagen würden, vor einige TageSchreibversehen, statt: vor einigen Tagen. ‒ Pressenotizen über den Selbstmord von Wedekinds Schwägerin Paula Newes in Graz am 7.1.1907 standen seit dem 9.1.1907 in den Zeitungen (siehe unten). Wedekind hat die Nachricht von Heinrich Welti erfahren, wie er am 9.1.1907 notierte: „Abends kommt Welti, trinkt Thee mit uns und erzählt mir, als wir zum Haus hinaus sind, daß Paula Newes sich in Graz das Leben genommen.“ [Tb] haben wir die traurige Nachricht gelesenIn der Berliner Presse war zu lesen: „Die 24jährige Schwägerin Frank Wedekinds, Paula Newes-Graz durchschnitt sich, wie uns ein Privat-Telegramm meldet, in einem Anfall von Trübsinn den Hals mit einem Rasiermesser. Sie starb nach kurzer Zeit.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 14, 9.1.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (2)] Andernorts hieß es leicht abweichend: „Die Unglückliche verstarb auf der Stelle.“ [Selbstmord der Schwägerin Frank Wedekinds. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 9, 9.1.1907, Morgen-Ausgabe, 4. Beilag, S. (4)] und sofort waren wir alle einverstanden, ja nichts Tilly zu sagen, wesshalbSchreibversehen, statt: weshalb. Iduschka Ihnen Herr Wedekind auch schriebHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Ida Orloff an Wedekind, 9.1.1907. – Tilly Wedekind bezog das verschollene Schreiben dagegen auf das Geschehen, das in der vorliegenden Briefkarte thematisiert ist, als sie sich erinnerte, dass Ida Orloff „umgehend einen demütigen Brief schrieb, wie leid es ihr täte, und sie sähe ein, daß sie unüberlegt gehandelt habe.“ [Wedekind 1969, S. 102] damit sie weiss, wie und ob Sie es Ihrer l. Frau beigebracht haben. Idinka hätte auch heute keine Silbe gesagt, aber Tilly hatte selbst angefangen darüber zu sprechen da war nun Ida überzeugt, dass sie es weiss und erzählte mir, wie sie es gelesen. Wenn sie eben gefehlt hat, so war es Unüberlegtheit, (was ich ihr auch sagte) aber niemals Rohheit.

Herzlicher Gruss I. v. Siegler.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 11,5 x 9 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 11.1.1907 ist als Ankerdatum gesetzt – abgeleitet vom Inhalt der Briefkarte, der sich auf den Selbstmord von Tilly Wedekinds Schwester Paula Newes am 7.1.1907 in Graz bezieht, über den die Presse in Berlin ab dem 9.1.1907 berichtet hatte (siehe Erläuterungen).

  • Schreibort

    Berlin
    11. Januar 1907 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 189
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Ida von Siegler an Frank Wedekind, 11.1.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

03.09.2024 14:12
Kennung: 4884

Berlin, 11. Januar 1907 (Freitag), Briefkarte

Autor*in

  • Siegler, Ida von

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Sehr gehrterSchreibversehen, statt: geehrter. Herr Wedekind!

Eben kam Idinka ganz verweint nach HauseIda Orloff wohnte bei ihrer Mutter, der Hauptmannswitwe Ida Siegler von Eberswald (Thomasiusstraße 23, 1. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2307]. und sagte: Sie hätten sie roh genanntTilly Wedekind erinnerte sich an das Geschehen: „In Graz nahm sich meine Schwester Paula das Leben. Frank sagte mir schonend, daß sie gestorben sei. Die Zeitungen, die ihren Tod ausführlich erörterten, da es sich um eine Schwägerin von Wedekind handelte, wurden vor mir versteckt. [...] Da kam Iduschka zu Besuch. [...] Und nun sagte Iduschka, meine Schwester hätte sich das Leben genommen! Ich glaubte es nicht. ‚Doch‘, sagte Iduschka, ‚es hat ja in allen Zeitungen gestanden‘, und sie fing an, mir zu erklären, auf welche grauenvolle Art Paula es getan hatte. Da stürzte Frank aus seinem Zimmer und brüllte Iduschka an, was ihr denn einfalle, sie sei ein dummes, herzloses Wesen und sie solle augenblicklich verschwinden! Iduschka fing an zu heulen und lief weg.“ [Wedekind 1969, S. 101], das hat sie so furchtbar gekränkt, dass sie ganz und gar niedergeschlagen und trostlos ist, wir alle trösten sie damit sie sich beruhigen soll. Ich glaube doch, Sie müssten Idinka doch gut genug kennen und solche Rohheit bei ihr nicht vermuten. | Wir alle haben Ihre liebe Frau viel zu gern, als, dass wir ihr je was Unangenehmes sagen würden, vor einige TageSchreibversehen, statt: vor einigen Tagen. ‒ Pressenotizen über den Selbstmord von Wedekinds Schwägerin Paula Newes in Graz am 7.1.1907 standen seit dem 9.1.1907 in den Zeitungen (siehe unten). Wedekind hat die Nachricht von Heinrich Welti erfahren, wie er am 9.1.1907 notierte: „Abends kommt Welti, trinkt Thee mit uns und erzählt mir, als wir zum Haus hinaus sind, daß Paula Newes sich in Graz das Leben genommen.“ [Tb] haben wir die traurige Nachricht gelesenIn der Berliner Presse war zu lesen: „Die 24jährige Schwägerin Frank Wedekinds, Paula Newes-Graz durchschnitt sich, wie uns ein Privat-Telegramm meldet, in einem Anfall von Trübsinn den Hals mit einem Rasiermesser. Sie starb nach kurzer Zeit.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 14, 9.1.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (2)] Andernorts hieß es leicht abweichend: „Die Unglückliche verstarb auf der Stelle.“ [Selbstmord der Schwägerin Frank Wedekinds. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 9, 9.1.1907, Morgen-Ausgabe, 4. Beilag, S. (4)] und sofort waren wir alle einverstanden, ja nichts Tilly zu sagen, wesshalbSchreibversehen, statt: weshalb. Iduschka Ihnen Herr Wedekind auch schriebHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Ida Orloff an Wedekind, 9.1.1907. – Tilly Wedekind bezog das verschollene Schreiben dagegen auf das Geschehen, das in der vorliegenden Briefkarte thematisiert ist, als sie sich erinnerte, dass Ida Orloff „umgehend einen demütigen Brief schrieb, wie leid es ihr täte, und sie sähe ein, daß sie unüberlegt gehandelt habe.“ [Wedekind 1969, S. 102] damit sie weiss, wie und ob Sie es Ihrer l. Frau beigebracht haben. Idinka hätte auch heute keine Silbe gesagt, aber Tilly hatte selbst angefangen darüber zu sprechen da war nun Ida überzeugt, dass sie es weiss und erzählte mir, wie sie es gelesen. Wenn sie eben gefehlt hat, so war es Unüberlegtheit, (was ich ihr auch sagte) aber niemals Rohheit.

Herzlicher Gruss I. v. Siegler.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 11,5 x 9 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 11.1.1907 ist als Ankerdatum gesetzt – abgeleitet vom Inhalt der Briefkarte, der sich auf den Selbstmord von Tilly Wedekinds Schwester Paula Newes am 7.1.1907 in Graz bezieht, über den die Presse in Berlin ab dem 9.1.1907 berichtet hatte (siehe Erläuterungen).

  • Schreibort

    Berlin
    11. Januar 1907 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 189
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Ida von Siegler an Frank Wedekind, 11.1.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

03.09.2024 14:12