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Kennung: 4773

Lenzburg, 28. November 1883 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Barck, Anny

Inhalt

Schloß Lenzburg, November 83.


Hochverehrte Fräulein Bundesschwesterim Freundschaftsbund „Fidelitas“ (siehe unten).!

Besten Dank für Ihre freundlichen Wortevgl. Anny Barck an Wedekind, 18.11.1883., die mir Cousine SturmwindPseudonym von Wedekinds Cousine Minna von Greyerz im Freundschaftsbund „Fidelitas“ (siehe unten). letzten Samstag überbrachte, und für das „Erkenne Dich Selbstdeutsche Übersetzung des ‚Gnothi seauton‘ (griech.), der berühmten Inschrift des Appolontempels von Delphi.!“, das Sie mir darin zurufen. Es stand mir allerdings durchaus nicht zu, Minnas Schriftzüge zu kritisirenin Wedekinds Gedicht „Eine ästhetische Caffeevisite“ [vgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 27.10.1884].; aber wer den Balken im eigenen Auge nicht bemerkt, der entdeckt ja gewiß den Splitter in dem seines | Nächsten. Leider bin ich nun gezwungen, mein Schreiben mit Entschuldigung einzuleiten, so z. B. des ehrenvollen Auftrages wegen, den Sie mir zugedacht hatten, und dessen Erfüllung ich so nachlässig versäumte. Aber, wie sollte sich auch meine leichtfertige Muse an solch’ ernstes Thema wagen? – Nicht als ob mir die Ironie des Schicksals etwa fremd wäre. Ist es nicht Ironie zur Genüge, daß mich eben dann, wenn sie mir am willkommensten wäre, mein bischen Reimerei verläßt und sich statt dessen überall dort aufdrängt, wo sie nur Unheil und Ärgerniß anrichtet. So werden Sie mir vielleicht auch verzeihen, daß ich keines der in Ihrer werthen Gesellschaft erlebten Ereignisse besang. Welch herrliches Revier für einen geborenen Dichter! Aber uns Dilettanten besucht die hehre Göttin Poesie eben nur auf der Durchreise. + Unerwartet fällt sie ins Haus, fährt schon mit dem nächsten Zug weiter und läßt sich durch keine | Bitten zu längerem Verweilen bewegen. – Meine Beichte zu vollenden, will ich Ihnen gleich gestehen, daß auch MedeaFranz Grillparzers Trauerspiel „Medea“ (1821 uraufgefüht und veröffentlicht) ist der letzte Teil seiner Dramentrilogie „Das goldene Vließ“. und SapphoFranz Grillparzers fünfaktiges Trauerspiel Sappho wurde 1818 uraufgeführt und 1819 veröffentlicht. noch ungelesen sind. Doch wäre/ill/ +ich mich bei Nächstem daran machen, und nichts würde dem Vergnügen gleichkommen, mit Ihnen, mein verehrtes Fräulein, Gedanken und Empfindungen darüber zu tauschen. –

Ach, Sie lächelten gewiß recht seltsam, als Sie zum ersten Mal von unserer abentheuerlichen VerbrüderungAm 14.10.1883 gründeten Minna von Greyerz (Sturmwind), Armin (Boreas) und Frank Wedekind (Zephyr) einen Freundschaftsbund, dem Mary Gaudard (Nordpol) und Anny Barck (Glanzpunkt) beitraten. Er erhielt den Namen „Fidelitas“ und einen Regenbogen als Erkennungszeichen. vernahmen! Aus Sturmwinds Beschreibung mögen Sie übrigens einen Begriff erhalten haben von der schwärmerischen Stimmung, die sich unser an jenem 14. OctoberabendSonntag, den 14.10.1883. bemächtigte. Ich schulde Ihnen noch meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit der Sie sofort auf den eigenthümlichen Plan eingingen. „Fidelitas“ wäre allerdings eine Bezeichnung nach meinem Geschmack. „Philadelphia(griech.) brüderliche (geschwisterliche) Liebe; in der geschichtsträchtigen nordamerikanischen Stadt Philadelphia, in der Wedekinds Namensgeber Benjamin Franklin wirkte, wurde unter anderem die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten proklamiert.“ kam mir selber etwas zu amerikanisch-marktschreierisch vor. Die stille Tiefe der | Fidelitas(lat.) Treue; Fidelitas ist auch der Wahlspruch des „Ordens der Treue“ des Großherzogtums Baden, der Heimat Anny Barcks. fehlt dem Worte vollständig. Es zeigte sich mir auch hierbei wieder die bedeutende Überlegenheit weiblichen Zartgefühls über alle Gelahrtheit der Männer, sobald es sich um ästhe/ä/tische Fragen handelt. – Als Bundeszeichen schlägt Sturmwind einen Regenbogen [Zeichnung] vor, der mich sofort an das Opfer NoahsNachdem Noah mit Menschen und Tieren die Sintflut in der Arche überlebte, errichtete er einen Altar, auf dem er Gott zum Dank ‚reine‘ Tiere opferte [vgl. Genesis 8, 1-22]. Daraufhin schließt Gott einen Bund mit Noah, seinen Nachkommen und den Tieren und wählt als Zeichen des Bundes den Regenbogen: „Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt, der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“ [Genesis 9, 13]. erinnerte und überhaupt als Sinnbild des aus trübseliger Wirklichkeit zum lichten Ätherreiche Poesie emporschmachtenden Geistes gelten könne/t/e. Dabei fällt mir soeben noch der Mondregenbogen aus Schillers Grütli-SceneSchreibversehen, statt: Rütli-Scene. Gemeint ist die Schauplatzbeschreibung in Schillers Drama „Wilhelm Tell“ (2. Aufzug, 2. Szene): „Eine Wiese von hohen Felsen und Wald umgeben. Auf den Felsen sind Steige, mit Geländern, auch Leitern, von denen man nachher die Landleute herabsteigen sieht. Im Hintergrund zeigt sich der See, über welchem anfangs ein Mondregenbogen zu sehen ist. Den Prospekt schließen hohe Berge, hinter welchen noch höhere Eisgebirge ragen. Es ist völlig Nacht auf der Scene, nur der See und die weißen Gletscher leuchten im Mondlicht.“ [Schillers sämmtliche Schriften, Bd. 14, S. 315] ein – eine neue Bestätigung der r/R/ichtigkeit unseres Zeichens. Bei Schillers „Wilhelm Tell“ denke ich just an eine Erörterung, die uns dereinst den Heimweg, den Berg hinunter, verkürzte. Sie zeigten sich erstaunt darüber, wie man nur den Thieren Vernunft beimessen könnte. Nun darf ich Sie vielleicht auf die erste Scene im Tell verweisen, wo | auf die positive Behauptung: „Die Thiere haben auch v/V/ernunftin Schillers Drama „Wilhelm Tell“ (1. Aufzug, 1. Szene, V57-61); nach einem Wortwechsel zwischen dem Hirten Kuoni und dem Fischer Ruodi über das Thema Vernunft spricht der Jäger Werni: „Das Thier hat auch Vernunft, / Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen, / Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn, / ’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet / Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.“ [Schillers sämmtliche Schriften, Bd. 14, S. 274]“ ein längeres Gespräch über diese Materie folgt. Sie mögen mir nun wol einwenden, daß Schiller hierbei einer überspannten poetischen Idee gehuldigt hat; aber wer irgend je mit Thieren umgegangen, der wird Ihnen gewiß seine Worte bestätigen. Nur fanatischen Theologen kann daran gelegen sein, solch’ exklusiv-eitele Ansichten zu fördern. –

Von Heine las ich indessen wieder verschiedene Sachen, so den Rabi von Bacharach, die Memoiren des Herrn von Schnabelewopsky, die Elementargeister und die florentinischen Nächte. Letztere sind stellenweise geradezu feenhaft. Stimmungsbilder finden sich darin, so weich, so zart, als wären sie aus lauterem Mondschein gewobenWedekind dürfte seine Worte in Anlehnung an einen Monolog des Titelhelden in Heines „Almansor. Eine Tragödie“ gewählt haben: „Mein todtes Rehlein! sanft will ich dich betten / Auf Rosen, Lilien, Veilchen, Hyazinthen / Aus goldnem Mondschein web’ ich eine Decke / Und deck’ dich zu. [...]“ [DHA, Bd. 5, S. 64 (V1665-1667)].. Daß der Dichter dazwischen auch wieder „das Liebste zu verhöhnen, sein Lied verführtZitat aus Hermann Kletkes Gedicht „Heinrich Heine“, das Anny Barck durch ihre Freundin Minna von Greyerz Wedekind hatte zukommen lassen [vgl. Anny Barck an Wedekind, 1.7.1883].“ | ist selbstverständlich. Nur schade, daß es so wenig gelesen wird. Ich mache natürlich lebhaft Sp/P/ropaganda für ihn. So gelang es mir erst kürzlich, einen jungen deutschen ApothekerAdolf Spilker aus Vilsen bei Hannover; nach einer Apothekerlehre in Nienburg war er als Provisor tätig, wohl zunächst in der Lenzburger Löwenapotheke der verwitweten Bertha Jahn, nach der Erkrankung seines Vaters ab 1.10.1884 in Oldenburg. Zum Sommersemester 1885 begann er ein Studium der Chemie in Berlin [vgl. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2, 1931, S. 398; Vinçon 2021, Bd. 2, S. 41; vgl. auch Korrespondenz Bertha Jahn]. für ihn zu begeistern, der nunmehr allabendlich seiner Principalin, der Frau Jahn aus den ReisebildernWedekind hatte in den Osterferien 1883 selbst Heines „Reisebilder“ gelesen [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 25.4.1883]. vorliest. Besagte Frau Jahn, die Se/i/e während Ihres Hierseins gewiß öfter haben erwähnen hören, ist die erste ältere Dame, von der ich vernehme, daß ihr Ha/e/ine gefällt. Über den jungen Apot+/h/eker mit Namen Spilger werden Sie ohne Zweifel noch genug von Cousine Sturmwind zu hören bekommen. Sie hat m/nä/mlich letzten Sonntagden 25.11.1883. nicht wenig mit ihm getanzt. Denn es trug sich zu, daß die ganze erwachsene Jugend Lenzburgs von einer Familie HünerwadelDie verschwägerten Familien Fritz und Sophie Klara Hünerwadel-Bertschinger sowie Wilhelm und Emma Bertha Schwarz-Bertschinger dürften den Ball ausgerichtet haben, von dem Frank Wedekinds Vater berichtete: Dieser Ball „nur für junge Leute [...] von welchem Bebi erst heute früh nach 3 Uhr heimkam“ sei „gemeinschaftlich von Fritz Hünerwadels und Wilhelm Schwarzes und im Hause der erstren“ veranstaltet worden [Friedrich Wilhelm Wedekind an Armin Wedekind, 21.-28.11.1883 in: Familienarchiv Wedekind, Leichlingen; EFFW (Kopie)]. zu einem Tanzabend eingeladen wurde. Man amüsirte | sich göttlich. Minna wird Ihnen übrigens wol bereits ausführlich darüber berichtet haben. Ich aber melde Ihnen noch ein Mal meinen besten Dank für Ihre einstigen Unterweisungen in Contretänzenanlässlich des Turnerballs in Lenzburg am 24.7.1883 – Kontertänze; „ursprünglich englischer Tanz (Anglaise), der sich seit Anfang des 18. Jahrh. in Frankreich und dann auch in Deutschland eingebürgert hat du mit mancherlei Veränderungen einer der beliebtesten Gesellschaftstänze geworden ist, aber ohne eigentliche Ausführung der Pas jetzt nur noch gegangen wird. Er wird von vier, sechs und mehr Paaren getanzt, die in einer Reihe oder im Viereck aufgestellt sind, und besteht aus der Aufeinanderfolge von fünf oder sechs Teilen oder Hauptfiguren: Pantaon, Été, Poule, Trenis, Pastourelle und Finale. Die Musik dazu ist teils im 2/4-, teils im 6/8-Takt gesetzt und besteht aus achttaktigen Reprisen von munterm Charakter. Der Name K. bezieht sich auf die Eigentümlichkeit desselben, daß die Paare gegeneinander tanzen und nicht, wie bei den Rundtänzen, hintereinander her; die Ableitung von Country-dance („Bauerntanz“) ist falsch.“ [Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage. Bd. 10, 1888, S. 44], die bei dieser Gelegenheit herrliche Früchte trugen. –
Jüngster Zeit machte ich die angenehme Bekanntschaft eines sehr interessanten Pessimisten, natürlich nur vermittelst seiner Werke. Hieronymus Lorm, der, lahm und blindHeinrich Landesmann, wie der österreichische Dichter und Schriftsteller Hieronymus Lorm mit bürgerlichem Namen hieß, erlitt in jugendlichem Alter eine schwere Krankheit, die zum zunehmenden Verlust seiner Sehkraft führte – 1881 war er vollends erblindet –, zu Taubheit und einer Lähmung. Infolgedessen musste er die angestrebte Karriere als Pianist frühzeitig aufgeben, woraufhin er sich insbesondere der Philosophie und Literatur zuwandte [vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd. 4, Nr. 20, 1969, S. 428f.]., sich sammt seiner Familie erhalten muß, hat gewiß Grund genug zum Weltschmerz. In seinen Gedichten voll Poesie, aber auch voll Philosophie findet sich trotz seines Unglücks dennoch durchaus nichts von dem wilden Entrüstungspessimismus eines Byron. Doch auch Geibels seichter Salonweltschmerz liegt ihm sehr fern. Man sieht seine Seele kämpfen und, wenn auch voll Mäßigung, dennoch unerschrocken mit der Weltordnung rechten. | Dabei sieht der Poet frei und offen der letzten Consequenz seiner Ansichten ins Antlitz. Das Glück in der Ruhe des Nichtseins bildet den Grundgedanken all’ seiner manigfaltigen Lieder, die den erschütterndsten Eindruck beim denkenden Leser zurücklassen. Lorms Novellensammlung „Am Kamin“ bietet ein getreues Bild heutiger so+/c/ialer Verhältnisse. Die Form derselben ist wie die seiner Gedichte, vollendet und glänzend. Aber der Stoff selbst trägt die Schuld in sich, daß die Mehrzahl der Erzählungen das Gefühl untilgbarer Unzufriedenheit in mir zurückließ. Trotzdem bin ich überzeugt, daß auch Sie ihn werden lieben lernen, den blinden Sänger, sobald Sie die vollen Schmerzensklänge seiner Laute vernehmen.

Wolff’s „Rattenfänger von Hameln[“] mundete mir nicht besonders und erinnerte mich zu sehr theils an Scheffels Trompeter, theils an Lenaus | Faust. Finden Sie nicht auch, daß die vielen Thierstimmen darin zuweilen manirrirtSchreibversehen, statt: manirirt – unnatürlich, gekünstelt. sind und aus dem Kunstwerk ein Machwerk machen.

Einen zauberhaften Genuß hingegen verschaffte mir Andersens Bilderbuch. O, wie himmelweit sind diese Bilder verschieden von dem, was wir gewöhnlich unter Mondscheinscenen verstehen! Etwas aber schien mir zu fehlen bei all’ dem Unglück, was wir sonst doch gewöhnlich meistens in seinem Gefolge finden. Ich meine die Religion. Sie würde lindernden Balsam träufeln auf’ all die brennenden Wunden, die der Dichter uns aufdeckt. –

Lenzburgs Neuigkeiten haben Sie nun wol alle schon von Minna erfahren. In 8 Tagenam 9.12.1883 [vgl. Minna von Greyerz an Frank Wedekind. Lenzburg, 10.12.1883]. wird CäcilienfestDer Musikverein Lenzburg, 1865 aus Gesangsverein (gemischtem Chor) und Musikgesellschaft (dem 1832 gegründeten Orchester) Lenzburg hervorgegangen, sollte einmal im Jahr „am Tag der heiligen Cäcilia (22. November) eine größere musikalische Veranstaltung mit einem nachfolgenden frugalen Abendessen“ veranstalten, ein Fest, das in der Folge oft einige Tage nach dem Gedenktag gefeiert wurde. Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen wurde am Sonntag, den 26.11.1882, (Händel „Alexanderfest“ für Soli, Chor und Orchester; Beethoven „5. Sinfonie in c-Moll) groß gefeiert [Ernst Wilhelm: 150 Jahre Musikverein 1832-1982, in: Lenzburger Neujahrsblätter, Jg. 53, 1982, S. 7f.], im Jahr 1888 fand am Mittwoch, den 25.11., eine Aufführung des Musikvereins Lenzburg zur Feier des Cäcilientages statt [vgl. Argovia. Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau, Bd. 20, 1889. S. 176, Nr. 343]. sein und heute a/A/bend ist Singstunde, in die ich mei/Ma/ma zu begleiten pflege. Dort werd’ ich auch Minna | treffen, und wenn sie vernimmt, daß dieser Brief noch nicht abgesandt ist, so setzt es eine Moralpredigt. Somit will ich denn hier schließen. Sollte ich Sie gelangweilt haben, so thut es mir herzlich leid. Ich werde mich zu bessern suchen.

Tausend Grüße habe ich Ihnen zu melden von Papa und Mama, von Cousine Sturmwind und all’ meinen Geschwistern, und verabschiede mich mit tiefstem Compliment und bester Empfehlung.
Ihr ergebenster Bundesbruder
Franklin Wedekind,
a/g Cephyr.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 10 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. 2 Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. 1 Einzelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten 5, 9, 13 hat Wedekind in Tinte mit den römischen Ziffern („II“, „III“, „IV“) versehen, mit Bleistift sind die Einzelseiten von 1 bis 10 durchnummeriert. Alles hier nicht wiedergegeben. Auf Seite 1 hat Anny Barck über die 2. Briefzeile bei „Cousine Sturmwind“ notiert: „meine Schweizer Freundin“.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.11.1883 (ein Mittwoch) ist als Ankerdatum gesetzt – ausgehend von der Briefinformation, dass Wedekind am Abend zur Singstunde gehen wolle, die (wie im Sommer 1884) mittwochs stattgefunden haben dürfte [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 9.7.1884]. In der Nacht zum Freitag benachrichtigte Wedekind seine Cousine, dass er den vorliegenden Brief an Anny Barck „vollendet“ habe [vgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 30.11.1883].

  • Schreibort

    Lenzburg
    28. November 1883 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Freiburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
S. 35-39
Briefnummer:
Nr. 8
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Mappe 6, Schachtel 11, Autographen
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Anny Barck, 28.11.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

10.09.2024 00:46
Kennung: 4773

Lenzburg, 28. November 1883 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Barck, Anny
 
 

Inhalt

Schloß Lenzburg, November 83.


Hochverehrte Fräulein Bundesschwesterim Freundschaftsbund „Fidelitas“ (siehe unten).!

Besten Dank für Ihre freundlichen Wortevgl. Anny Barck an Wedekind, 18.11.1883., die mir Cousine SturmwindPseudonym von Wedekinds Cousine Minna von Greyerz im Freundschaftsbund „Fidelitas“ (siehe unten). letzten Samstag überbrachte, und für das „Erkenne Dich Selbstdeutsche Übersetzung des ‚Gnothi seauton‘ (griech.), der berühmten Inschrift des Appolontempels von Delphi.!“, das Sie mir darin zurufen. Es stand mir allerdings durchaus nicht zu, Minnas Schriftzüge zu kritisirenin Wedekinds Gedicht „Eine ästhetische Caffeevisite“ [vgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 27.10.1884].; aber wer den Balken im eigenen Auge nicht bemerkt, der entdeckt ja gewiß den Splitter in dem seines | Nächsten. Leider bin ich nun gezwungen, mein Schreiben mit Entschuldigung einzuleiten, so z. B. des ehrenvollen Auftrages wegen, den Sie mir zugedacht hatten, und dessen Erfüllung ich so nachlässig versäumte. Aber, wie sollte sich auch meine leichtfertige Muse an solch’ ernstes Thema wagen? – Nicht als ob mir die Ironie des Schicksals etwa fremd wäre. Ist es nicht Ironie zur Genüge, daß mich eben dann, wenn sie mir am willkommensten wäre, mein bischen Reimerei verläßt und sich statt dessen überall dort aufdrängt, wo sie nur Unheil und Ärgerniß anrichtet. So werden Sie mir vielleicht auch verzeihen, daß ich keines der in Ihrer werthen Gesellschaft erlebten Ereignisse besang. Welch herrliches Revier für einen geborenen Dichter! Aber uns Dilettanten besucht die hehre Göttin Poesie eben nur auf der Durchreise. + Unerwartet fällt sie ins Haus, fährt schon mit dem nächsten Zug weiter und läßt sich durch keine | Bitten zu längerem Verweilen bewegen. – Meine Beichte zu vollenden, will ich Ihnen gleich gestehen, daß auch MedeaFranz Grillparzers Trauerspiel „Medea“ (1821 uraufgefüht und veröffentlicht) ist der letzte Teil seiner Dramentrilogie „Das goldene Vließ“. und SapphoFranz Grillparzers fünfaktiges Trauerspiel Sappho wurde 1818 uraufgeführt und 1819 veröffentlicht. noch ungelesen sind. Doch wäre/ill/ +ich mich bei Nächstem daran machen, und nichts würde dem Vergnügen gleichkommen, mit Ihnen, mein verehrtes Fräulein, Gedanken und Empfindungen darüber zu tauschen. –

Ach, Sie lächelten gewiß recht seltsam, als Sie zum ersten Mal von unserer abentheuerlichen VerbrüderungAm 14.10.1883 gründeten Minna von Greyerz (Sturmwind), Armin (Boreas) und Frank Wedekind (Zephyr) einen Freundschaftsbund, dem Mary Gaudard (Nordpol) und Anny Barck (Glanzpunkt) beitraten. Er erhielt den Namen „Fidelitas“ und einen Regenbogen als Erkennungszeichen. vernahmen! Aus Sturmwinds Beschreibung mögen Sie übrigens einen Begriff erhalten haben von der schwärmerischen Stimmung, die sich unser an jenem 14. OctoberabendSonntag, den 14.10.1883. bemächtigte. Ich schulde Ihnen noch meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit der Sie sofort auf den eigenthümlichen Plan eingingen. „Fidelitas“ wäre allerdings eine Bezeichnung nach meinem Geschmack. „Philadelphia(griech.) brüderliche (geschwisterliche) Liebe; in der geschichtsträchtigen nordamerikanischen Stadt Philadelphia, in der Wedekinds Namensgeber Benjamin Franklin wirkte, wurde unter anderem die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten proklamiert.“ kam mir selber etwas zu amerikanisch-marktschreierisch vor. Die stille Tiefe der | Fidelitas(lat.) Treue; Fidelitas ist auch der Wahlspruch des „Ordens der Treue“ des Großherzogtums Baden, der Heimat Anny Barcks. fehlt dem Worte vollständig. Es zeigte sich mir auch hierbei wieder die bedeutende Überlegenheit weiblichen Zartgefühls über alle Gelahrtheit der Männer, sobald es sich um ästhe/ä/tische Fragen handelt. – Als Bundeszeichen schlägt Sturmwind einen Regenbogen [Zeichnung] vor, der mich sofort an das Opfer NoahsNachdem Noah mit Menschen und Tieren die Sintflut in der Arche überlebte, errichtete er einen Altar, auf dem er Gott zum Dank ‚reine‘ Tiere opferte [vgl. Genesis 8, 1-22]. Daraufhin schließt Gott einen Bund mit Noah, seinen Nachkommen und den Tieren und wählt als Zeichen des Bundes den Regenbogen: „Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt, der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“ [Genesis 9, 13]. erinnerte und überhaupt als Sinnbild des aus trübseliger Wirklichkeit zum lichten Ätherreiche Poesie emporschmachtenden Geistes gelten könne/t/e. Dabei fällt mir soeben noch der Mondregenbogen aus Schillers Grütli-SceneSchreibversehen, statt: Rütli-Scene. Gemeint ist die Schauplatzbeschreibung in Schillers Drama „Wilhelm Tell“ (2. Aufzug, 2. Szene): „Eine Wiese von hohen Felsen und Wald umgeben. Auf den Felsen sind Steige, mit Geländern, auch Leitern, von denen man nachher die Landleute herabsteigen sieht. Im Hintergrund zeigt sich der See, über welchem anfangs ein Mondregenbogen zu sehen ist. Den Prospekt schließen hohe Berge, hinter welchen noch höhere Eisgebirge ragen. Es ist völlig Nacht auf der Scene, nur der See und die weißen Gletscher leuchten im Mondlicht.“ [Schillers sämmtliche Schriften, Bd. 14, S. 315] ein – eine neue Bestätigung der r/R/ichtigkeit unseres Zeichens. Bei Schillers „Wilhelm Tell“ denke ich just an eine Erörterung, die uns dereinst den Heimweg, den Berg hinunter, verkürzte. Sie zeigten sich erstaunt darüber, wie man nur den Thieren Vernunft beimessen könnte. Nun darf ich Sie vielleicht auf die erste Scene im Tell verweisen, wo | auf die positive Behauptung: „Die Thiere haben auch v/V/ernunftin Schillers Drama „Wilhelm Tell“ (1. Aufzug, 1. Szene, V57-61); nach einem Wortwechsel zwischen dem Hirten Kuoni und dem Fischer Ruodi über das Thema Vernunft spricht der Jäger Werni: „Das Thier hat auch Vernunft, / Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen, / Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn, / ’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet / Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.“ [Schillers sämmtliche Schriften, Bd. 14, S. 274]“ ein längeres Gespräch über diese Materie folgt. Sie mögen mir nun wol einwenden, daß Schiller hierbei einer überspannten poetischen Idee gehuldigt hat; aber wer irgend je mit Thieren umgegangen, der wird Ihnen gewiß seine Worte bestätigen. Nur fanatischen Theologen kann daran gelegen sein, solch’ exklusiv-eitele Ansichten zu fördern. –

Von Heine las ich indessen wieder verschiedene Sachen, so den Rabi von Bacharach, die Memoiren des Herrn von Schnabelewopsky, die Elementargeister und die florentinischen Nächte. Letztere sind stellenweise geradezu feenhaft. Stimmungsbilder finden sich darin, so weich, so zart, als wären sie aus lauterem Mondschein gewobenWedekind dürfte seine Worte in Anlehnung an einen Monolog des Titelhelden in Heines „Almansor. Eine Tragödie“ gewählt haben: „Mein todtes Rehlein! sanft will ich dich betten / Auf Rosen, Lilien, Veilchen, Hyazinthen / Aus goldnem Mondschein web’ ich eine Decke / Und deck’ dich zu. [...]“ [DHA, Bd. 5, S. 64 (V1665-1667)].. Daß der Dichter dazwischen auch wieder „das Liebste zu verhöhnen, sein Lied verführtZitat aus Hermann Kletkes Gedicht „Heinrich Heine“, das Anny Barck durch ihre Freundin Minna von Greyerz Wedekind hatte zukommen lassen [vgl. Anny Barck an Wedekind, 1.7.1883].“ | ist selbstverständlich. Nur schade, daß es so wenig gelesen wird. Ich mache natürlich lebhaft Sp/P/ropaganda für ihn. So gelang es mir erst kürzlich, einen jungen deutschen ApothekerAdolf Spilker aus Vilsen bei Hannover; nach einer Apothekerlehre in Nienburg war er als Provisor tätig, wohl zunächst in der Lenzburger Löwenapotheke der verwitweten Bertha Jahn, nach der Erkrankung seines Vaters ab 1.10.1884 in Oldenburg. Zum Sommersemester 1885 begann er ein Studium der Chemie in Berlin [vgl. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2, 1931, S. 398; Vinçon 2021, Bd. 2, S. 41; vgl. auch Korrespondenz Bertha Jahn]. für ihn zu begeistern, der nunmehr allabendlich seiner Principalin, der Frau Jahn aus den ReisebildernWedekind hatte in den Osterferien 1883 selbst Heines „Reisebilder“ gelesen [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 25.4.1883]. vorliest. Besagte Frau Jahn, die Se/i/e während Ihres Hierseins gewiß öfter haben erwähnen hören, ist die erste ältere Dame, von der ich vernehme, daß ihr Ha/e/ine gefällt. Über den jungen Apot+/h/eker mit Namen Spilger werden Sie ohne Zweifel noch genug von Cousine Sturmwind zu hören bekommen. Sie hat m/nä/mlich letzten Sonntagden 25.11.1883. nicht wenig mit ihm getanzt. Denn es trug sich zu, daß die ganze erwachsene Jugend Lenzburgs von einer Familie HünerwadelDie verschwägerten Familien Fritz und Sophie Klara Hünerwadel-Bertschinger sowie Wilhelm und Emma Bertha Schwarz-Bertschinger dürften den Ball ausgerichtet haben, von dem Frank Wedekinds Vater berichtete: Dieser Ball „nur für junge Leute [...] von welchem Bebi erst heute früh nach 3 Uhr heimkam“ sei „gemeinschaftlich von Fritz Hünerwadels und Wilhelm Schwarzes und im Hause der erstren“ veranstaltet worden [Friedrich Wilhelm Wedekind an Armin Wedekind, 21.-28.11.1883 in: Familienarchiv Wedekind, Leichlingen; EFFW (Kopie)]. zu einem Tanzabend eingeladen wurde. Man amüsirte | sich göttlich. Minna wird Ihnen übrigens wol bereits ausführlich darüber berichtet haben. Ich aber melde Ihnen noch ein Mal meinen besten Dank für Ihre einstigen Unterweisungen in Contretänzenanlässlich des Turnerballs in Lenzburg am 24.7.1883 – Kontertänze; „ursprünglich englischer Tanz (Anglaise), der sich seit Anfang des 18. Jahrh. in Frankreich und dann auch in Deutschland eingebürgert hat du mit mancherlei Veränderungen einer der beliebtesten Gesellschaftstänze geworden ist, aber ohne eigentliche Ausführung der Pas jetzt nur noch gegangen wird. Er wird von vier, sechs und mehr Paaren getanzt, die in einer Reihe oder im Viereck aufgestellt sind, und besteht aus der Aufeinanderfolge von fünf oder sechs Teilen oder Hauptfiguren: Pantaon, Été, Poule, Trenis, Pastourelle und Finale. Die Musik dazu ist teils im 2/4-, teils im 6/8-Takt gesetzt und besteht aus achttaktigen Reprisen von munterm Charakter. Der Name K. bezieht sich auf die Eigentümlichkeit desselben, daß die Paare gegeneinander tanzen und nicht, wie bei den Rundtänzen, hintereinander her; die Ableitung von Country-dance („Bauerntanz“) ist falsch.“ [Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage. Bd. 10, 1888, S. 44], die bei dieser Gelegenheit herrliche Früchte trugen. –
Jüngster Zeit machte ich die angenehme Bekanntschaft eines sehr interessanten Pessimisten, natürlich nur vermittelst seiner Werke. Hieronymus Lorm, der, lahm und blindHeinrich Landesmann, wie der österreichische Dichter und Schriftsteller Hieronymus Lorm mit bürgerlichem Namen hieß, erlitt in jugendlichem Alter eine schwere Krankheit, die zum zunehmenden Verlust seiner Sehkraft führte – 1881 war er vollends erblindet –, zu Taubheit und einer Lähmung. Infolgedessen musste er die angestrebte Karriere als Pianist frühzeitig aufgeben, woraufhin er sich insbesondere der Philosophie und Literatur zuwandte [vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd. 4, Nr. 20, 1969, S. 428f.]., sich sammt seiner Familie erhalten muß, hat gewiß Grund genug zum Weltschmerz. In seinen Gedichten voll Poesie, aber auch voll Philosophie findet sich trotz seines Unglücks dennoch durchaus nichts von dem wilden Entrüstungspessimismus eines Byron. Doch auch Geibels seichter Salonweltschmerz liegt ihm sehr fern. Man sieht seine Seele kämpfen und, wenn auch voll Mäßigung, dennoch unerschrocken mit der Weltordnung rechten. | Dabei sieht der Poet frei und offen der letzten Consequenz seiner Ansichten ins Antlitz. Das Glück in der Ruhe des Nichtseins bildet den Grundgedanken all’ seiner manigfaltigen Lieder, die den erschütterndsten Eindruck beim denkenden Leser zurücklassen. Lorms Novellensammlung „Am Kamin“ bietet ein getreues Bild heutiger so+/c/ialer Verhältnisse. Die Form derselben ist wie die seiner Gedichte, vollendet und glänzend. Aber der Stoff selbst trägt die Schuld in sich, daß die Mehrzahl der Erzählungen das Gefühl untilgbarer Unzufriedenheit in mir zurückließ. Trotzdem bin ich überzeugt, daß auch Sie ihn werden lieben lernen, den blinden Sänger, sobald Sie die vollen Schmerzensklänge seiner Laute vernehmen.

Wolff’s „Rattenfänger von Hameln[“] mundete mir nicht besonders und erinnerte mich zu sehr theils an Scheffels Trompeter, theils an Lenaus | Faust. Finden Sie nicht auch, daß die vielen Thierstimmen darin zuweilen manirrirtSchreibversehen, statt: manirirt – unnatürlich, gekünstelt. sind und aus dem Kunstwerk ein Machwerk machen.

Einen zauberhaften Genuß hingegen verschaffte mir Andersens Bilderbuch. O, wie himmelweit sind diese Bilder verschieden von dem, was wir gewöhnlich unter Mondscheinscenen verstehen! Etwas aber schien mir zu fehlen bei all’ dem Unglück, was wir sonst doch gewöhnlich meistens in seinem Gefolge finden. Ich meine die Religion. Sie würde lindernden Balsam träufeln auf’ all die brennenden Wunden, die der Dichter uns aufdeckt. –

Lenzburgs Neuigkeiten haben Sie nun wol alle schon von Minna erfahren. In 8 Tagenam 9.12.1883 [vgl. Minna von Greyerz an Frank Wedekind. Lenzburg, 10.12.1883]. wird CäcilienfestDer Musikverein Lenzburg, 1865 aus Gesangsverein (gemischtem Chor) und Musikgesellschaft (dem 1832 gegründeten Orchester) Lenzburg hervorgegangen, sollte einmal im Jahr „am Tag der heiligen Cäcilia (22. November) eine größere musikalische Veranstaltung mit einem nachfolgenden frugalen Abendessen“ veranstalten, ein Fest, das in der Folge oft einige Tage nach dem Gedenktag gefeiert wurde. Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen wurde am Sonntag, den 26.11.1882, (Händel „Alexanderfest“ für Soli, Chor und Orchester; Beethoven „5. Sinfonie in c-Moll) groß gefeiert [Ernst Wilhelm: 150 Jahre Musikverein 1832-1982, in: Lenzburger Neujahrsblätter, Jg. 53, 1982, S. 7f.], im Jahr 1888 fand am Mittwoch, den 25.11., eine Aufführung des Musikvereins Lenzburg zur Feier des Cäcilientages statt [vgl. Argovia. Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau, Bd. 20, 1889. S. 176, Nr. 343]. sein und heute a/A/bend ist Singstunde, in die ich mei/Ma/ma zu begleiten pflege. Dort werd’ ich auch Minna | treffen, und wenn sie vernimmt, daß dieser Brief noch nicht abgesandt ist, so setzt es eine Moralpredigt. Somit will ich denn hier schließen. Sollte ich Sie gelangweilt haben, so thut es mir herzlich leid. Ich werde mich zu bessern suchen.

Tausend Grüße habe ich Ihnen zu melden von Papa und Mama, von Cousine Sturmwind und all’ meinen Geschwistern, und verabschiede mich mit tiefstem Compliment und bester Empfehlung.
Ihr ergebenster Bundesbruder
Franklin Wedekind,
a/g Cephyr.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 10 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. 2 Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. 1 Einzelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten 5, 9, 13 hat Wedekind in Tinte mit den römischen Ziffern („II“, „III“, „IV“) versehen, mit Bleistift sind die Einzelseiten von 1 bis 10 durchnummeriert. Alles hier nicht wiedergegeben. Auf Seite 1 hat Anny Barck über die 2. Briefzeile bei „Cousine Sturmwind“ notiert: „meine Schweizer Freundin“.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.11.1883 (ein Mittwoch) ist als Ankerdatum gesetzt – ausgehend von der Briefinformation, dass Wedekind am Abend zur Singstunde gehen wolle, die (wie im Sommer 1884) mittwochs stattgefunden haben dürfte [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 9.7.1884]. In der Nacht zum Freitag benachrichtigte Wedekind seine Cousine, dass er den vorliegenden Brief an Anny Barck „vollendet“ habe [vgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 30.11.1883].

  • Schreibort

    Lenzburg
    28. November 1883 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Freiburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
S. 35-39
Briefnummer:
Nr. 8
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Mappe 6, Schachtel 11, Autographen
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Anny Barck, 28.11.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

10.09.2024 00:46