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Werther Herr!
Mit viel Freude u Dank
nehme ich Ihren
Das beigelegte epische Gedicht „ Hülfe“ ist nur ein
schwacher fast unerkennlicher Schatten. Die Religion, die den Bela|denen Trost
u Hülfe bringt, vermag ich nicht, in ihre
Es ist mir leider wahrscheinlich nicht möglich
vor den nächsten Ferien die Ferien nach den Jahreszeugnissen des Schuljahrs 1883/84; sie begannen nach der Zeugnisübergabe am 10.4.1884.
noch viel in Poesie zu arbeiten, denn die Schule fordert ihre Pflicht; jedoch
damit ich nicht ganz ‚prosaisch‘ werde, lese ich jeden Tag aus den Werken Schiller’sUm welche Werkausgabe es sich handelt, ist nicht ermittelt..
Wie ich höre, werden Sie bald nach Ende dieses
Schulj
Oft werde ich an Ihn denken u den Prolog u die
guten Räthe Ratschläge. lesen u
studiren.
Indessen hoffe ich, dass der Ewige
Meinen
freundschaftlichstenGrusseLina Renold
[Beilage:]
Hülfe.
1. Die Flocken fallen
leise nieder,
Sie decken leicht die öde Erde zu.
Und manches arme Herze wieder
2. So jene Wittwe mit dem Kinde,
Das halberstarrt an ihre Brust sie drückt.
Ganz kraftlos geht sie, nicht geschwinde
Einher, von ihrer lieben Last gebückt.
3. O Gott! sie seufzet leis, nur l ieise,
4. O Gott! erhöre mich u wieder
Leicht pocht sie an des Reichen Thür, doch bald
Barsch abgewiesen fortwankt wieder,
Wie sie gekommen, mit dem Kinde, kalt.
5. Noch einen Blick der Stadt zu werfend,
Wo alles still, geschäftig geht den Weg;
Und läuft dann, ihren Schritt verschärfend
Den Feldern zu u über einen Steg. |
6. Sie setzt sich, hinter jenem Walde
Die Sonne gehet unter, goldnen Strahl
Sie fie f wirft auf Flur, verschwindet balde;
7. Da tönen feierlich die G olocken,
8. Es steigt vor ihrem Aug’ die Jugend,
Die schöne, sel’ge auf, wo sie nur rein
Und freudig gieng die Bahn der Tugend,
Gar nichts gewußt von Sorgen, Schmerz u Pein.
9. Im matten Auge glänzen Thränen,
Sie schaut hinauf zum ewig blüh’nden Zelt,
Dann auf ihr Kind mit tiefem Sehnen,
Sie blicket stillbefriedigt auf die Welt.
10. Es wird das Kirchenläuten ferne,
Ihr bald zum mächtig rauschenden Choral;
Vertrauungsvoll zu jenem Sterne
Aufblickend, schlummert sie zum letzten Mal. |
11. Die heil’gen sanften Tön’ verklingen,
Der Todesengel niedersteigt im Flor,
Von ihm gestärkt, getragen schwingen
Die Seelen jauchzend sich zu Gott empor.
Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben
Das Schreibdatum, von dem Tag („16“) und Jahr („1884“) gegeben sind, ist durch den Kontext sicher erschlossen Der mit „M“ abgekürzte Monat steht für März, nicht Mai, denn Wedekind beendete im April 1884 die Schule, die er bei Abfassung des Briefes noch besuchte. – Im Verzeichnis der Aargauer Kantonsbibliothek ist der Brief mit dem Datum 16.6.1884 versehen.
Aarau
16. März 1884 (Sonntag)
Ermittelt (sicher)
Aarau
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Aargauer Kantonsbibliothek
Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz
Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Lina Renold an Frank Wedekind, 16.3.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (29.10.2025).
Anke Lindemann