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Kennung: 467

Festung Königstein, 8. Januar 1900 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Eisenschitz, Otto

Inhalt

Mein lieber alter FreundOtto Eisenschitz in Wien (VIII, Langegasse 44) [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1900, Teil VII, S. 215], Dramaturg am Theater in der Josefstadt [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 567].,

lang lang ists her, seit wir uns gesehenFrank Wedekind traf Otto Eisenschitz mit Donald Wedekind im Frühjahr 1895 in Berlin und hatte bereits an die dortigen gemeinsamen Erlebnisse erinnert [vgl. Wedekind an Otto Eisenschitz. Hannover, 24.3.1898].. Es wundert mich übrigens außerordentlich, daß wir einander vor zwei Jahren nicht in Wien begegnetwährend des Gastspiels des Ibsen-Theaters (Direktion: Carl Heine) in Wien vom 2.6.1898 bis 12.6.1898 in, dessen Ensemblemitglied Wedekind seinerzeit war. Wedekind hatte das Wiener Gastspiel angekündigt [vgl. Wedekind an Otto Eisenschitz. Hannover, 24.3.1898]. sind. Ich hatte freilich von früh bis gen Mitternacht Arbeit vollauf sonst würde ich Sie wol aufgestöbert haben. Es ist nicht ausgeschlossen daß ich | im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner HaftWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Festungshaft entlassen, die er auf der Festung Königstein wegen Majestätsbeleidigung absaß. meinen Freund Dr. Heine in HamburgDr. phil. Carl Heine in Hamburg (Eichenallee 11), dort inzwischen „Director des Carl Schultze-Theater“ [Hamburger Adreß-Buch 1900, Teil III, S. 256]., mit dem ich seinerzeit in Wien war und gehe dann nach München zurück um mich in meiner so schmählich unterbrochenen SchauspielereiWedekind war vor seiner Flucht in die Schweiz am 30.10.1898 infolge der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ am Münchner Schauspielhaus als Sekretär, Dramaturg und Schauspieler tätig gewesen. weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie | leben und wirken auch nur noch als Priester ThaliensAnhänger der Thalia, der Muse des Lustspiels oder des Schauspiels überhaupt ‒ ein Stückeschreiber (die bewusst antiquierte Periphrase war eher im frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich). Wedekind spielt darauf an, dass der Schriftsteller und Übersetzer Otto Eisenschitz nur noch als Dramaturg am Theater in der Josefstadt wirkte [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 305].. Ich sehne mich hier obenauf der Festung Königstein, wo Wedekind wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert war (sie liegt oberhalb des Ortes Königsstein auf einem Felsplateau des Elbsandsteingebirges). danach zurück wie sich ein Fisch auf denSchreibversehen, statt: dem. Trocknen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein Bruder Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistik beschäftigSchreibversehen, statt: beschäftigt.. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Seine Adresse ist ManeggasseSchreibversehen, statt: Maneggstraße (in Zürich gab es keine Manegggasse). Donald Wedekind wohnte in der Maneggstraße 5 in Untermiete (er war jedenfalls unter dieser Adresse nicht namentlich in den Adressbüchern verzeichnet). 5. Es wird indessen | wol nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens
Ihr
Frank Wedekind.


Festung Königstein

8. Januar 1900.


[Druck:]

Mein lieber alter Freund, lang, lang ist’s her, seit wir uns gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner Haft meinen Freund Dr. Heine in Hamburg, mit dem ich seinerzeit in Wien war, und gehe dann nach München zurück, um mich in meiner so schmählich unterbrochenen Schauspielerei weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie leben und wirken auch nur noch als Priester Thaliens. Ich sehne mich hier oben danach zurück, wie sich ein Fisch auf dem Trockenen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein Bruder Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistikbeschäftigung. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Es wird indessen wohl nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt, mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens Ihr
Frank Wedekind.

Festung Königstein, 8. Januar 1900.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Neben der Handschrift ist der Erstdruck wiedergegeben, da der Brief vom Empfänger selbst veröffentlicht wurde.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Festung Königstein
    8. Januar 1900 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Neues Wiener Journal

Titel des Aufsatzes:
Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Otto Eisenschitz
Ort der Herausgabe:
Wien
Jahrgang:
1918
Seitenangabe:
4
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Otto Eisenschitz: Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen. In: Neues Wiener Journal, Jg. 26, Nr. 8749, 12.3.1918, S. 4. Im Erstdruck ist der Brief gekürzt wiedergegeben und an einer Stelle durch Sternchen – „Haft*)“ – auf eine Anmerkung verwiesen: „*) Wegen Majestätsbeleidigung.“
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Österreichische Nationalbibliothek

Josefsplatz 1
A-1015 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Sammlung August Miller-Aichholz
Signatur des Dokuments:
482/15-1

Danksagung

Wir danken der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Otto Eisenschitz, 8.1.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.07.2024 21:34
Kennung: 467

Festung Königstein, 8. Januar 1900 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Eisenschitz, Otto
 
 

Inhalt

Mein lieber alter FreundOtto Eisenschitz in Wien (VIII, Langegasse 44) [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1900, Teil VII, S. 215], Dramaturg am Theater in der Josefstadt [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 567].,

lang lang ists her, seit wir uns gesehenFrank Wedekind traf Otto Eisenschitz mit Donald Wedekind im Frühjahr 1895 in Berlin und hatte bereits an die dortigen gemeinsamen Erlebnisse erinnert [vgl. Wedekind an Otto Eisenschitz. Hannover, 24.3.1898].. Es wundert mich übrigens außerordentlich, daß wir einander vor zwei Jahren nicht in Wien begegnetwährend des Gastspiels des Ibsen-Theaters (Direktion: Carl Heine) in Wien vom 2.6.1898 bis 12.6.1898 in, dessen Ensemblemitglied Wedekind seinerzeit war. Wedekind hatte das Wiener Gastspiel angekündigt [vgl. Wedekind an Otto Eisenschitz. Hannover, 24.3.1898]. sind. Ich hatte freilich von früh bis gen Mitternacht Arbeit vollauf sonst würde ich Sie wol aufgestöbert haben. Es ist nicht ausgeschlossen daß ich | im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner HaftWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Festungshaft entlassen, die er auf der Festung Königstein wegen Majestätsbeleidigung absaß. meinen Freund Dr. Heine in HamburgDr. phil. Carl Heine in Hamburg (Eichenallee 11), dort inzwischen „Director des Carl Schultze-Theater“ [Hamburger Adreß-Buch 1900, Teil III, S. 256]., mit dem ich seinerzeit in Wien war und gehe dann nach München zurück um mich in meiner so schmählich unterbrochenen SchauspielereiWedekind war vor seiner Flucht in die Schweiz am 30.10.1898 infolge der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ am Münchner Schauspielhaus als Sekretär, Dramaturg und Schauspieler tätig gewesen. weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie | leben und wirken auch nur noch als Priester ThaliensAnhänger der Thalia, der Muse des Lustspiels oder des Schauspiels überhaupt ‒ ein Stückeschreiber (die bewusst antiquierte Periphrase war eher im frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich). Wedekind spielt darauf an, dass der Schriftsteller und Übersetzer Otto Eisenschitz nur noch als Dramaturg am Theater in der Josefstadt wirkte [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 305].. Ich sehne mich hier obenauf der Festung Königstein, wo Wedekind wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert war (sie liegt oberhalb des Ortes Königsstein auf einem Felsplateau des Elbsandsteingebirges). danach zurück wie sich ein Fisch auf denSchreibversehen, statt: dem. Trocknen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein Bruder Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistik beschäftigSchreibversehen, statt: beschäftigt.. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Seine Adresse ist ManeggasseSchreibversehen, statt: Maneggstraße (in Zürich gab es keine Manegggasse). Donald Wedekind wohnte in der Maneggstraße 5 in Untermiete (er war jedenfalls unter dieser Adresse nicht namentlich in den Adressbüchern verzeichnet). 5. Es wird indessen | wol nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens
Ihr
Frank Wedekind.


Festung Königstein

8. Januar 1900.


[Druck:]

Mein lieber alter Freund, lang, lang ist’s her, seit wir uns gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner Haft meinen Freund Dr. Heine in Hamburg, mit dem ich seinerzeit in Wien war, und gehe dann nach München zurück, um mich in meiner so schmählich unterbrochenen Schauspielerei weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie leben und wirken auch nur noch als Priester Thaliens. Ich sehne mich hier oben danach zurück, wie sich ein Fisch auf dem Trockenen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein Bruder Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistikbeschäftigung. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Es wird indessen wohl nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt, mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens Ihr
Frank Wedekind.

Festung Königstein, 8. Januar 1900.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Neben der Handschrift ist der Erstdruck wiedergegeben, da der Brief vom Empfänger selbst veröffentlicht wurde.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Festung Königstein
    8. Januar 1900 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Neues Wiener Journal

Titel des Aufsatzes:
Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Otto Eisenschitz
Ort der Herausgabe:
Wien
Jahrgang:
1918
Seitenangabe:
4
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Otto Eisenschitz: Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen. In: Neues Wiener Journal, Jg. 26, Nr. 8749, 12.3.1918, S. 4. Im Erstdruck ist der Brief gekürzt wiedergegeben und an einer Stelle durch Sternchen – „Haft*)“ – auf eine Anmerkung verwiesen: „*) Wegen Majestätsbeleidigung.“
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Österreichische Nationalbibliothek

Josefsplatz 1
A-1015 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Sammlung August Miller-Aichholz
Signatur des Dokuments:
482/15-1

Danksagung

Wir danken der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Otto Eisenschitz, 8.1.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.07.2024 21:34