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Kennung: 446

München, 28. Januar 1910 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Sternheim, Carl

Inhalt

Sehr geehrter Herr Sternheim!

ich danke Ihnen sehr für Zusendung des „Don JuanDas an Wedekind übersandte Widmungsexemplar von Carl Sternheims Tragödie „Don Juan“, die bereits 1909 im Insel-Verlag (Leipzig) erschienen war, aber erst 1912 uraufgeführt wurde, ist nicht überliefert. Wenige Tage zuvor waren sich Wedekind und Sternheim am 22.1.1910 bei einer Abendgesellschaft, zu der die Sternheims in ihre Villa Bellemaison, in Höllriegelskreuth (Pullach) südlich von München gelegen, eingeladen hatten, erstmals persönlich begegenet. Wedekind notierte im Tagebuch: „Mit [Franz] Blei bei Sternheim.“ Nähere Hinweise zu den Gesprächsthemen des Abends, darunter auch Sternheims „Don Juan“, überliefert Thea Sternheims Tagebucheintrag: „Zum Abend kommen die Brüder [Alfred und Eugen] Feiks, Frau [Annemarie] Feiks, Rechtsanwalt [Siegfried] Adler, Blei und Frank Wedekind. | Wie sehr sympathisch ist Wedekind. Bedenklich, ruhig, sicher, liebenswürdig und bescheiden. Ohne die Allüre des Künstlers. Als er einmal von seinem ‚Frühlings Erwachen‘ spricht, fügt er bei: ‚Erlauben Sie, dass ich von so etwas rede.[‘] | Karl stürmt auf ihn ein, will um Gotteswillen eine Aussprache haben und begreift nicht, dass es Menschen gibt, die sich nicht äussern können, nicht äussern wollen. So steht der Ältere dem Jüngeren Rede, statt dass der Jüngere sich bescheide. Ich empfinde das als ein Unrecht, jedenfalls als Unzartheit; ich hätte Wedekind eine achtungsvollere Aufnahme gewünscht. Blei spielte den Mittler und verstand durch witzige und plötzliche Begütigungen Karls Wortschwall zu mildern. | Karl betonte immer wieder: [‚]Es ist an der Zeit, dass der Mann zu seinem Recht kommt! Seit zwanzig Jahren ist von nichts anderem als von der Frau die Rede. Die Frau aber interessiert gar nicht. Was kümmern uns diese hysterischen Ibsenschen Weiber? Keiner fragt nach ihnen. Seit Ewigkeit ist zu jeder ernsthaften Tat allein der Mann die Voraussetzung. Sehn Sie z.B. in meinem Don Juan ...‘“ [Tb Sternheim, Nr. 101 vom 23.1.1910, S. 63], ebenso für Ihre liebenswürdige Aufforderungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Sternheim an Wedekind, 27.1.1910. Das Ehepaar Sternheim hatte Frank und Tilly Wedekind sowie das Ehepaar Franz und Maria Blei für Sonntag den 30.1.1910 erneut in die Villa Bellemaison eingeladen. Im Tagebuch notierte Wedekind: „Mit Tilly bei Sternheims in Belle Maison Bley und Frau.“ Thea Sternheim schrieb am folgenden Tag in ihremTagebuch: „Reizender Abend mit Bleis und Wedekinds. Eine ungezwungene lebhafte Unterhaltung, wie ich mich keiner ähnlichen in diesem Hause entsinne. | Frau Wedekind mädchenhaft, bescheiden, zurückhaltend. Zwischen den Ehegatten muss ein bedeutender Alterunterschied bestehen. | Bleis Gedanken über die weisse Wäsche der Frauen. Wedekind kramt Simplizissimuserinnerungen aus, Karl ordnet sich dem allgemeinen Gespräch ein und ist diesmal rücksichtsvoll und zuvorkommend zu Wedekind. Man bleibt bis zum letzten Zuge.“ [Sternheim Tb/CD], der wir gerne folgen werden. Wollen Sie Ihrer Frau Gemahlin unsere ergebensten Empfehlungen aussprechen.

Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


28.1.10.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 1 Seite beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 ist ein Datierungsvermerk von fremder Hand (Fritz Strich?) mit Bleistift geschrieben: „1910“.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    28. Januar 1910 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Höllriegelskreuth
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
230
Briefnummer:
343
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Burgerbibliothek Bern

Münstergasse 63
3000 Bern
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Fritz Strich
Signatur des Dokuments:
N Fritz Strich 6 (18)
Standort:
Burgerbibliothek Bern (Bern)

Danksagung

Wir danken der Burgerbibliothek Bern für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Carl Sternheim, 28.1.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

01.07.2019 09:48
Kennung: 446

München, 28. Januar 1910 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Sternheim, Carl
 
 

Inhalt

Sehr geehrter Herr Sternheim!

ich danke Ihnen sehr für Zusendung des „Don JuanDas an Wedekind übersandte Widmungsexemplar von Carl Sternheims Tragödie „Don Juan“, die bereits 1909 im Insel-Verlag (Leipzig) erschienen war, aber erst 1912 uraufgeführt wurde, ist nicht überliefert. Wenige Tage zuvor waren sich Wedekind und Sternheim am 22.1.1910 bei einer Abendgesellschaft, zu der die Sternheims in ihre Villa Bellemaison, in Höllriegelskreuth (Pullach) südlich von München gelegen, eingeladen hatten, erstmals persönlich begegenet. Wedekind notierte im Tagebuch: „Mit [Franz] Blei bei Sternheim.“ Nähere Hinweise zu den Gesprächsthemen des Abends, darunter auch Sternheims „Don Juan“, überliefert Thea Sternheims Tagebucheintrag: „Zum Abend kommen die Brüder [Alfred und Eugen] Feiks, Frau [Annemarie] Feiks, Rechtsanwalt [Siegfried] Adler, Blei und Frank Wedekind. | Wie sehr sympathisch ist Wedekind. Bedenklich, ruhig, sicher, liebenswürdig und bescheiden. Ohne die Allüre des Künstlers. Als er einmal von seinem ‚Frühlings Erwachen‘ spricht, fügt er bei: ‚Erlauben Sie, dass ich von so etwas rede.[‘] | Karl stürmt auf ihn ein, will um Gotteswillen eine Aussprache haben und begreift nicht, dass es Menschen gibt, die sich nicht äussern können, nicht äussern wollen. So steht der Ältere dem Jüngeren Rede, statt dass der Jüngere sich bescheide. Ich empfinde das als ein Unrecht, jedenfalls als Unzartheit; ich hätte Wedekind eine achtungsvollere Aufnahme gewünscht. Blei spielte den Mittler und verstand durch witzige und plötzliche Begütigungen Karls Wortschwall zu mildern. | Karl betonte immer wieder: [‚]Es ist an der Zeit, dass der Mann zu seinem Recht kommt! Seit zwanzig Jahren ist von nichts anderem als von der Frau die Rede. Die Frau aber interessiert gar nicht. Was kümmern uns diese hysterischen Ibsenschen Weiber? Keiner fragt nach ihnen. Seit Ewigkeit ist zu jeder ernsthaften Tat allein der Mann die Voraussetzung. Sehn Sie z.B. in meinem Don Juan ...‘“ [Tb Sternheim, Nr. 101 vom 23.1.1910, S. 63], ebenso für Ihre liebenswürdige Aufforderungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Sternheim an Wedekind, 27.1.1910. Das Ehepaar Sternheim hatte Frank und Tilly Wedekind sowie das Ehepaar Franz und Maria Blei für Sonntag den 30.1.1910 erneut in die Villa Bellemaison eingeladen. Im Tagebuch notierte Wedekind: „Mit Tilly bei Sternheims in Belle Maison Bley und Frau.“ Thea Sternheim schrieb am folgenden Tag in ihremTagebuch: „Reizender Abend mit Bleis und Wedekinds. Eine ungezwungene lebhafte Unterhaltung, wie ich mich keiner ähnlichen in diesem Hause entsinne. | Frau Wedekind mädchenhaft, bescheiden, zurückhaltend. Zwischen den Ehegatten muss ein bedeutender Alterunterschied bestehen. | Bleis Gedanken über die weisse Wäsche der Frauen. Wedekind kramt Simplizissimuserinnerungen aus, Karl ordnet sich dem allgemeinen Gespräch ein und ist diesmal rücksichtsvoll und zuvorkommend zu Wedekind. Man bleibt bis zum letzten Zuge.“ [Sternheim Tb/CD], der wir gerne folgen werden. Wollen Sie Ihrer Frau Gemahlin unsere ergebensten Empfehlungen aussprechen.

Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


28.1.10.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 1 Seite beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 ist ein Datierungsvermerk von fremder Hand (Fritz Strich?) mit Bleistift geschrieben: „1910“.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    28. Januar 1910 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Höllriegelskreuth
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
230
Briefnummer:
343
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Burgerbibliothek Bern

Münstergasse 63
3000 Bern
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Fritz Strich
Signatur des Dokuments:
N Fritz Strich 6 (18)
Standort:
Burgerbibliothek Bern (Bern)

Danksagung

Wir danken der Burgerbibliothek Bern für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Carl Sternheim, 28.1.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

01.07.2019 09:48