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Kennung: 4458

Berlin, 29. Mai 1907 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl

Inhalt

Verehrter Herr Kraus,

beiliegendim Erstdruck: Beiliegend. Dem Brief lagen die Korrekturfahne des Gedichts „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ – sie ist nicht erhalten [vgl. KSA 1/II, S. 1358] – und das Manuskript „Der Dampfhammer“ (siehe unten) bei. die Correktur zurückHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur übersandten Korrekturfahne (siehe oben); erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 28.5.1907., mit der ich einverstanden bin undim Erstdruck: bin, und. das GedichtDas Manuskript des mit dem Gedicht „Im Dampfhammer“ [KSA 1/I, S. 279f.], geschrieben im Winter 1886/87 [vgl. KSA 1/II, S. 1701f.], dann fast gleichlautenden Lieds „Der Dampfhammer“ [KSA 1/III, S. 165; vgl. KSA 1/III, S. 609-614] wurde als Lied ausgewiesen („Nach der Melodie ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen..‘“) in der „Fackel“ erstveröffentlicht [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.].. Ich würde Sie aber bitten auf jeden Fall so zu verfahren daß sieSchreibversehen, statt: sich. – So auch im Erstdruck korrigiert. die beiden SachenKarl Kraus veröffentlichte zuerst das Gedicht „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3], dann das Lied „Der Dampfhammer“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]. nicht schaden. And den/r/ Veröffentlichung des Dampfhammers liegt mir gar nichts, besonders dann wäre ich nicht dafür wenn die Veröffentlichung ästätischeSchreibversehen, statt: ästhetische. – So auch im Erstdruck korrigiert. Bedenkenwohl „Befürchtungen“ angesichts „der erotischen Metaphorik des Textes“ [Nottscheid 2008, S. 202]. Wedekind hat sich im Vorjahr eine entsprechende Reaktion seines Schwagers notiert: „Walther Oschwald nachdem ich ihm den ‚Dampfhammer‘ vorgelesen: Wahrscheinlich steckt wieder irgend eine verborgene Schweinerei dahinter.“ [KSA 1/II, S. 1704] | hätte. Auf keinen Fall möchte ich daßim Erstdruck: ich, daß. der Eindruck der 7 Worte durch den Dampfhammer beeinträchtigt würde. Ich würde Sie also bitten, den Dampfhammer vorderhand noch beiseite zu legen.

Für die Angabe der EntstehungszeitWedekind gab Karl Kraus gegenüber an, „Der Dampfhammer“ sei „im November 1886 geschrieben“ [Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907]. Das Gedicht entstand im Winter 1886/87 in Zürich; die erste erhaltene Niederschrift stammt aus dem Jahr 1889 [vgl. KSA 1/II, S. 1702]. wäre ich sehr im Fall einer Veröffentlichung.

Meine Frau läßt Ihnen bestens danken und freut sich ungemein auf das Bildauf ein Foto von Irma Karczewska [vgl. Frank und Tilly Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1907]..

Mit besten Empfehlungen
Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..


Berlin

29.V.07 |


Dem Nulla Diesprocessim Erstdruck: Nulla Dies-Prozeß. Wedekind bezieht sich auf den Aufsatz „Nulla dies...“ – ‚nulla dies‘ (lat.) = ‚kein Tag‘ – in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 225, 3.5.1907, S. 1-10], eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der österreichischen Justiz, die Karl Kraus eine Anklage eintrug, wie er zu dem vorliegenden Brief anmerkte: „Auf Grund des Aufsatzes ‚Nulla dies‘ hatte die Staatsanwaltschaft vorschnell Anklage wegen ‚Aufwiegelung‘ erhoben, sie aber, sei es aus eigener Furcht vor dem zu erwartenden Freispruch durch die Geschwornen, sei es über einen Wink der Regierung, wieder fallen gelassen.“ [Kraus 1920, S. 131] Später erwähnte er angesichts einer Lesung aus diesem Aufsatz, dass er für diesen „wegen Aufwiegelung gegen die Staatsgewalt in Untersuchung gezogen wurde. Die Staatsgewalt überlegte sich’s jedoch.“ [Die Fackel, Jg. 31, Nr. 811-819, Anfang August 1929, S. 37] würde ich mit Seelenruhe entgegensehen. Ich möchte Ihnen beinahe gratulieren. Sie haben darin einen berühmten Collegenim Erstdruck: Kollegen. in Jesus Christus, der auch auf die Richter schimpfteAnspielung auf den Schluss der Bergpredigt, in der Jesus gegen das Richten spricht [vgl. Matthäus 7, 1-5; vgl. Lukas 6, 36-41]. und einen beinahe ebenso berühmten in Göthe in der Schülerscenein der zweiten „Studierzimmer“-Szene in Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808), in welcher nach der Aufforderung des Mephistopheles („Doch wählt mir eine Facultät!“) und dem Bekenntnis des Schülers („Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen“) Mephistopheles über das Justizwesen ausführt: „Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen, / Ich weiß wie es um diese Lehre steht. / Es erben sich Gesetz’ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort, / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage; / Weh dir, daß du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist leider! nie die Frage.“ [V. 1968-1979].


[Beilage:]


Der Dampfhammer.

Nach der Melodie„Das Volkslied ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen‘ ist [...] in zwei Fassungen nachgewiesen“; eine Fassung ist „vor 1810 entstanden“, eine weitere „1889“, wobei „die ältere Fassung [...] die populäre“ war. „Auf welche Quelle sich Wedekind bezog, ob er überhaupt auf eine nachweisliche Quelle zurückgriff oder ob ihm das Lied mündlich überliefert wurde, ist nicht zu belegen.“ [KSA 3/III, S. 614]: „Ist denn Lieben ein Verbrechen...“


In der Esse fliegt der Hammer

Im Zilinderim Erstdruck: „Zylinder“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]. auf und b ab;

Gottfried in der Mägdekammer

Fliegt nicht minder auf und ab.

–––

Gottfried heißt des Schmieds Geselle,

Der gewaltige Knochen hat.

Eben schweißt er eine Stelle,

Die er selbst gebrochen hat.

–––

Und ein Mägdlein, schlank und plastisch,

Stellt für ihn den Ambos vor,

Einen Ambos, der elastisch

Wie ein Riesenbambusrohrim Erstdruck: „das dünnste Bambusrohr“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]..

––– |

Keines hört es, wie der lange

Hagre Meister tritt herein;

Eine schwere Eisenstange

Schleift der Meister mitim Erstdruck: „Trägt der Meister leicht“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. herein.

–––

Und er hält sie hoch in Lüften,

Schwingt sie, daß sie niederprallt,

Daß der Ton von Gottfrieds Hüften

Tausendfältig wiederhallt...

–––

Aus den Artmen läßt der Riese

Seine Tugendreiche nicht;

„Mädchen, lacht er, treib doch diese

Faden Jugendstreiche nicht!

–––

Möglich wär’s, daß dem Entzücken

Dein Gekitzel nützlich wär,

Wenn dein H Liebster auf dem Rücken

Wie am Leib so kitzlich wär.“

––– |

Der ich Euchim Erstdruck: „Und der ich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. dies Lied gesungen,

Zürne mirim Erstdruck: „Schäme mich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. und weine und

Bin von tiefster Schamim Erstdruck: „tiefstem Schmerz“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. durchdrungen,

Denn ich bin keinim Erstdruck: „ein“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. Schweinehund.


FrWedekind.von Karl Kraus gestrichen und Verfassername vor der ersten Strophe eingefügt (siehe zur Materialität); so dann nach Titel und Hinweis zur Melodie im Erstdruck: „Von Frank Wedekind.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. 3 Seiten beschrieben. Beilage. 20 x 24 cm. 3 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Karl Kraus hat auf Seite 1 des Briefs mit Bleistift ein Komma ergänzt (nach „einverstanden bin“). Die Beilage, ein dreiseitiges Manuskript, das im Autografenhandel angeboten war [Antiquariat Burgverlag (Wien), Katalog zur 50. Stuttgarter Antiquariatsmesse (2011), Nr. 131], ist nach einer Fotokopie des handschriftlichen Originals in der EFFW (Mainz) wiedergegeben, die der EFFW (Darmstadt) vor Jahren zur Verfügung gestellt wurde. Wedekind hat sie jeweils oben rechts paginiert (hier nicht wiedergegeben); mit Bleistift sind von fremder Hand auf der ersten Seite links oben der Druckort (die „Fackel“-Nummer mit Seite: „F. 229“, „S. 19“), rechts oben flüchtig der Schrifttyp und unter dem Hinweis zur Melodie nach dem Titel unterstrichen der Verfassername („Von Frank Wedekind“) notiert sowie auf der letzten Seite der handschriftliche Verfassername gestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    29. Mai 1907 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
130-131
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 130-131. Im Erstdruck ist der Brief mit zwei Fußnoten versehen. Nach „7 Worte“ ist angemerkt: „Diese Verse, unter dem Titel ‚Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte‘, wurden zuerst veröffentlicht. ‚Der Dampfhammer‘im nächsten Heft, ein älteres erotisches Gedicht, das, eine Ropsische Übertreibung, die Anästhesierung durch den Sinnengenuß zu voller rhythmischer Plastik bringt.“ Nach „Nulla Dies-Prozeß“ ist angemerkt: „Auf Grund des Aufsatzes ‚Nulla dies‘ hatte die Staatsanwaltschaft vorschnell Anklage wegen ‚Aufwiegelung‘ erhoben, sie aber, sei es aus eigener Furcht vor dem zu erwartenden Freispruch durch die Geschwornen, sei es über einen Wink der Regierung, wieder fallen gelassen.“ Eine Stelle ist gesperrt gedruckt („ästhetische“). – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 96-97 (Nr. 80); ohne die Beilage (seinerzeit noch verschollen).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139744
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 29.5.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

19.09.2024 08:09
Kennung: 4458

Berlin, 29. Mai 1907 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl
 
 

Inhalt

Verehrter Herr Kraus,

beiliegendim Erstdruck: Beiliegend. Dem Brief lagen die Korrekturfahne des Gedichts „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ – sie ist nicht erhalten [vgl. KSA 1/II, S. 1358] – und das Manuskript „Der Dampfhammer“ (siehe unten) bei. die Correktur zurückHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur übersandten Korrekturfahne (siehe oben); erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 28.5.1907., mit der ich einverstanden bin undim Erstdruck: bin, und. das GedichtDas Manuskript des mit dem Gedicht „Im Dampfhammer“ [KSA 1/I, S. 279f.], geschrieben im Winter 1886/87 [vgl. KSA 1/II, S. 1701f.], dann fast gleichlautenden Lieds „Der Dampfhammer“ [KSA 1/III, S. 165; vgl. KSA 1/III, S. 609-614] wurde als Lied ausgewiesen („Nach der Melodie ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen..‘“) in der „Fackel“ erstveröffentlicht [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.].. Ich würde Sie aber bitten auf jeden Fall so zu verfahren daß sieSchreibversehen, statt: sich. – So auch im Erstdruck korrigiert. die beiden SachenKarl Kraus veröffentlichte zuerst das Gedicht „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3], dann das Lied „Der Dampfhammer“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]. nicht schaden. And den/r/ Veröffentlichung des Dampfhammers liegt mir gar nichts, besonders dann wäre ich nicht dafür wenn die Veröffentlichung ästätischeSchreibversehen, statt: ästhetische. – So auch im Erstdruck korrigiert. Bedenkenwohl „Befürchtungen“ angesichts „der erotischen Metaphorik des Textes“ [Nottscheid 2008, S. 202]. Wedekind hat sich im Vorjahr eine entsprechende Reaktion seines Schwagers notiert: „Walther Oschwald nachdem ich ihm den ‚Dampfhammer‘ vorgelesen: Wahrscheinlich steckt wieder irgend eine verborgene Schweinerei dahinter.“ [KSA 1/II, S. 1704] | hätte. Auf keinen Fall möchte ich daßim Erstdruck: ich, daß. der Eindruck der 7 Worte durch den Dampfhammer beeinträchtigt würde. Ich würde Sie also bitten, den Dampfhammer vorderhand noch beiseite zu legen.

Für die Angabe der EntstehungszeitWedekind gab Karl Kraus gegenüber an, „Der Dampfhammer“ sei „im November 1886 geschrieben“ [Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907]. Das Gedicht entstand im Winter 1886/87 in Zürich; die erste erhaltene Niederschrift stammt aus dem Jahr 1889 [vgl. KSA 1/II, S. 1702]. wäre ich sehr im Fall einer Veröffentlichung.

Meine Frau läßt Ihnen bestens danken und freut sich ungemein auf das Bildauf ein Foto von Irma Karczewska [vgl. Frank und Tilly Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1907]..

Mit besten Empfehlungen
Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..


Berlin

29.V.07 |


Dem Nulla Diesprocessim Erstdruck: Nulla Dies-Prozeß. Wedekind bezieht sich auf den Aufsatz „Nulla dies...“ – ‚nulla dies‘ (lat.) = ‚kein Tag‘ – in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 225, 3.5.1907, S. 1-10], eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der österreichischen Justiz, die Karl Kraus eine Anklage eintrug, wie er zu dem vorliegenden Brief anmerkte: „Auf Grund des Aufsatzes ‚Nulla dies‘ hatte die Staatsanwaltschaft vorschnell Anklage wegen ‚Aufwiegelung‘ erhoben, sie aber, sei es aus eigener Furcht vor dem zu erwartenden Freispruch durch die Geschwornen, sei es über einen Wink der Regierung, wieder fallen gelassen.“ [Kraus 1920, S. 131] Später erwähnte er angesichts einer Lesung aus diesem Aufsatz, dass er für diesen „wegen Aufwiegelung gegen die Staatsgewalt in Untersuchung gezogen wurde. Die Staatsgewalt überlegte sich’s jedoch.“ [Die Fackel, Jg. 31, Nr. 811-819, Anfang August 1929, S. 37] würde ich mit Seelenruhe entgegensehen. Ich möchte Ihnen beinahe gratulieren. Sie haben darin einen berühmten Collegenim Erstdruck: Kollegen. in Jesus Christus, der auch auf die Richter schimpfteAnspielung auf den Schluss der Bergpredigt, in der Jesus gegen das Richten spricht [vgl. Matthäus 7, 1-5; vgl. Lukas 6, 36-41]. und einen beinahe ebenso berühmten in Göthe in der Schülerscenein der zweiten „Studierzimmer“-Szene in Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808), in welcher nach der Aufforderung des Mephistopheles („Doch wählt mir eine Facultät!“) und dem Bekenntnis des Schülers („Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen“) Mephistopheles über das Justizwesen ausführt: „Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen, / Ich weiß wie es um diese Lehre steht. / Es erben sich Gesetz’ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort, / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage; / Weh dir, daß du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist leider! nie die Frage.“ [V. 1968-1979].


[Beilage:]


Der Dampfhammer.

Nach der Melodie„Das Volkslied ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen‘ ist [...] in zwei Fassungen nachgewiesen“; eine Fassung ist „vor 1810 entstanden“, eine weitere „1889“, wobei „die ältere Fassung [...] die populäre“ war. „Auf welche Quelle sich Wedekind bezog, ob er überhaupt auf eine nachweisliche Quelle zurückgriff oder ob ihm das Lied mündlich überliefert wurde, ist nicht zu belegen.“ [KSA 3/III, S. 614]: „Ist denn Lieben ein Verbrechen...“


In der Esse fliegt der Hammer

Im Zilinderim Erstdruck: „Zylinder“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]. auf und b ab;

Gottfried in der Mägdekammer

Fliegt nicht minder auf und ab.

–––

Gottfried heißt des Schmieds Geselle,

Der gewaltige Knochen hat.

Eben schweißt er eine Stelle,

Die er selbst gebrochen hat.

–––

Und ein Mägdlein, schlank und plastisch,

Stellt für ihn den Ambos vor,

Einen Ambos, der elastisch

Wie ein Riesenbambusrohrim Erstdruck: „das dünnste Bambusrohr“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]..

––– |

Keines hört es, wie der lange

Hagre Meister tritt herein;

Eine schwere Eisenstange

Schleift der Meister mitim Erstdruck: „Trägt der Meister leicht“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. herein.

–––

Und er hält sie hoch in Lüften,

Schwingt sie, daß sie niederprallt,

Daß der Ton von Gottfrieds Hüften

Tausendfältig wiederhallt...

–––

Aus den Artmen läßt der Riese

Seine Tugendreiche nicht;

„Mädchen, lacht er, treib doch diese

Faden Jugendstreiche nicht!

–––

Möglich wär’s, daß dem Entzücken

Dein Gekitzel nützlich wär,

Wenn dein H Liebster auf dem Rücken

Wie am Leib so kitzlich wär.“

––– |

Der ich Euchim Erstdruck: „Und der ich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. dies Lied gesungen,

Zürne mirim Erstdruck: „Schäme mich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. und weine und

Bin von tiefster Schamim Erstdruck: „tiefstem Schmerz“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. durchdrungen,

Denn ich bin keinim Erstdruck: „ein“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. Schweinehund.


FrWedekind.von Karl Kraus gestrichen und Verfassername vor der ersten Strophe eingefügt (siehe zur Materialität); so dann nach Titel und Hinweis zur Melodie im Erstdruck: „Von Frank Wedekind.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. 3 Seiten beschrieben. Beilage. 20 x 24 cm. 3 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Karl Kraus hat auf Seite 1 des Briefs mit Bleistift ein Komma ergänzt (nach „einverstanden bin“). Die Beilage, ein dreiseitiges Manuskript, das im Autografenhandel angeboten war [Antiquariat Burgverlag (Wien), Katalog zur 50. Stuttgarter Antiquariatsmesse (2011), Nr. 131], ist nach einer Fotokopie des handschriftlichen Originals in der EFFW (Mainz) wiedergegeben, die der EFFW (Darmstadt) vor Jahren zur Verfügung gestellt wurde. Wedekind hat sie jeweils oben rechts paginiert (hier nicht wiedergegeben); mit Bleistift sind von fremder Hand auf der ersten Seite links oben der Druckort (die „Fackel“-Nummer mit Seite: „F. 229“, „S. 19“), rechts oben flüchtig der Schrifttyp und unter dem Hinweis zur Melodie nach dem Titel unterstrichen der Verfassername („Von Frank Wedekind“) notiert sowie auf der letzten Seite der handschriftliche Verfassername gestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    29. Mai 1907 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
130-131
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 130-131. Im Erstdruck ist der Brief mit zwei Fußnoten versehen. Nach „7 Worte“ ist angemerkt: „Diese Verse, unter dem Titel ‚Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte‘, wurden zuerst veröffentlicht. ‚Der Dampfhammer‘im nächsten Heft, ein älteres erotisches Gedicht, das, eine Ropsische Übertreibung, die Anästhesierung durch den Sinnengenuß zu voller rhythmischer Plastik bringt.“ Nach „Nulla Dies-Prozeß“ ist angemerkt: „Auf Grund des Aufsatzes ‚Nulla dies‘ hatte die Staatsanwaltschaft vorschnell Anklage wegen ‚Aufwiegelung‘ erhoben, sie aber, sei es aus eigener Furcht vor dem zu erwartenden Freispruch durch die Geschwornen, sei es über einen Wink der Regierung, wieder fallen gelassen.“ Eine Stelle ist gesperrt gedruckt („ästhetische“). – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 96-97 (Nr. 80); ohne die Beilage (seinerzeit noch verschollen).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139744
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 29.5.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

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In Bearbeitung
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Erstellt von

Ariane Martin

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19.09.2024 08:09