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Kennung: 4433

Berlin, 18. Oktober 1906 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl

Inhalt

Lieber Herr Kraus!

Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches AnerbietenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 15.10.1906. – Karl Kraus dürfte Wedekind, der sein am 9.10.1906 abgeschlossenes Stück erwähnt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906], eine Veröffentlichung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1908) in der „Fackel“ vorgeschlagen haben.. Aber mein Stück ist vielmehr eine Chronik„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ handelt vom Verhältnis eines Gesangspädagogen zu einer Musikschülerin, die von ihm schwanger und nach § 218 Reichsstrafgesetzbuch verurteilt wird, ein Stoff, den Wedekind im Münchner Freundeskreis fand, eine Affäre um Anton Dreßler, der am 1.10.1906 „seiner Stellung als Gesangslehrer an der Akademie für Tonkunst“ [KSA 6, S. 746] enthoben worden ist. als eine dramatische Arbeit und hat demnach gar keine Qualitäten im Dialog. Ich gehe jetzt nur darauf aus es möglichst gut loszuschlagen daim Erstdruck: loszuschlagen, da. ich notwendiger Weise | eine größere Summe dafür bekommen muß. Infolge meines zweimaligen UmzugesWedekind ist innerhalb Berlins zuerst im Frühjahr 1906 von einer Pension in eine Wohnung in der Marienstraße 23 (2. Stock links) gezogen und von dort am 31.8.1906 [vgl. Tb] in eine Wohnung in der Kurfürstenstraße 125 (3. Stock). in diesem Sommer bin ich stark aufs d/t/rockneim Erstdruck: Trockne. geraten. Ob nun unter solchen Umständen ein Vorabdruck„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ erschien zuerst in vier Folgen vom 26.6.1907 bis 19.7.1907 in der Zeitschrift „Morgen“ als Vorabdruck [vgl. KSA 6, S. 715]. Karl Kraus hatte gegen einen der Herausgeber des „Morgen“ (Georg Brandes) zwar Vorbehalte, aber er „förderte die Publikation indirekt“ [Nottscheid 2008, S. 184] durch eine „Tauschannonce [...]. Der Verlag des ‚Morgen‘ [...] schlug dem Verlag der ‚Fackel‘ einen Austausch ihrer Anzeigen vor. Eine Revue, in der das neueste Drama Frank Wedekinds erscheinen sollte, schien mir einer Anzeige in der ‚Fackel‘ nicht unwürdig und der Schaden, den ich der Literatur durch die Empfehlung eines Blattes, auf dem der Name Brandes steht, zufüge, reichlich wettgemacht durch den Nutzen, der für die Literatur durch die Empfehlung der ‚Fackel‘ in einer reichsdeutschen Revue, die in einer Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckt werden sollte, zu erwarten war.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 232-233, 16.10.1907, S. 35f.] praktisch wäre, ist sehr die Frage. Auszüge aus dem ganzen aber würden wenig Interesse haben und ein falsches Bild geben, da schlechterdings das besteim Erstdruck: Beste. an dem Stück der Stoff ist.

Vor einigen Tagen sprach ich mit HardenWedekind sprach Maximilian Harden zuletzt am 14.10.1906: „Nachmittag bei Harden.“ [Tb] über den Plan, | den Sie mir bei unserem letzten ZusammenseinWedekind war mit Karl Kraus, der im Sommer Berlin besucht hatte, dem Tagebuch zufolge fast täglich zusammen – am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska“), 16.6.1906 („Am Nachmittag sind Kraus und Irma Karschewska bei uns“), 17.6.1906 („Abends mit Kraus und Albert Heine bei Kowalk“), 18.6.1906 („Steinert in Charlottenburg [...]. Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska“), 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus und Irma Karschefska bei Barnowski [...] Abends mit Kraus und Hollitscher bei Friedrich“), 22.6.1906 („mit Kraus Hollitscher und Sulzberger zu Treppchen“) und 23.6.1906 („Nachts mit Kraus im Café Bauer“). aussprachen, nach Berlin zu kommenEinen Hinweis auf Überlegungen von Karl Kraus, von Wien nach Berlin zu gehen, gibt Erich Mühsams Brief vom 28.11.1906 an Karl Kraus, der sich auf eine Postkarte von Karl Hauer bezieht: „Diesen Brief schreibe ich [...] vor allem, um mich zu erkundigen, was Hauers Bemerkung auf der Postkarte [...] bedeutet, Sie und er würden nach Neujahr nach Berlin übersiedeln. [...] Lieber K. K., wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben darf, überlegen Sie sich die Sache [...]. Ich habe [...] Bedenken“ [Jungblut 1984, S. 86f.]. Karl Kraus bestritt in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefes eine „Absicht, nach Berlin zu übersiedeln“ [Kraus 1920, S. 125]., und Harden erzählte mir, daß Sie ihm früher schon diese Absicht geäußert hätten. Wie steht es nun damit? Der Ausgang des HenryprozessesNach dem ersten Prozess am 25.5.1906 in der Nachtlicht-Affäre [vgl. Nottscheid 2008, S. 267-271], in die Wedekind durch eine Parteinahme für Karl Kraus in einem offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] am Rande involviert war, waren Marc Henry (verurteilt zu einer Arreststrafe von einem Monat) und Marya Delvard (verurteilt zu 300 Kronen Geldstrafe) in Revision gegangen. Im Revisionsprozess am 7.9.1906 wurde die Arreststrafe in eine Geldstrafe von 600 Kronen umgewandelt, die 300 Kronen Geldstrafe auf 150 Kronen reduziert, worüber Wedekind durch einen Artikel in der ihm vorliegenden „Fackel“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906] informiert war [vgl. Alkoholiker. In: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 6-9, 29-32]. bestätigte mir nur die Wahrheit Wer PechBibelzitat (alttestamentarisch): „Wer Pech angreift, besudelt sich“ (aus dem apokryphen Buch Jesus Sirach, 13,1). anfäßtim Erstdruck: anfühlt. besudelt sich. Und das Cabaret ist doch nun einmal das in Musik gesetzte Pech. Ich habe vier Jahre langWedekind hatte in den Jahren 1901 bis 1904 überwiegend durch Kabarettauftritte seinen Lebensunterhalt verdient – von 1901 bis 1903 als Mitglied der Elf Scharfrichter, dann mit Unterbrechungen 1904 und auch noch 1905 durch Gastauftritte bei den Sieben Tantenmördern und im Münchner Künstlerkabarett Intimes Theater. davon gelebt und danke Gott | daßim Erstdruck: Gott, daß. ich es los bin; aber in Wien scheint es jetzt doch fast das interessantesteim Erstdruck: Interessanteste. zu sein. Ich glaube sicher, daß Sie hier in Berlin mehr Dank von Ihrer Arbeit hätten, wenn auch natürlich das Leben weniger erfreulich ist. Mit sehr schmerzlichem Empfinden sehe ich meinen lieben Freund Weinhöppel diesen Herbst wieder zum Cabaret zurückkehrenHans Richard Weinhöppel war unter seinem Scharfrichternamen Hannes Ruch als musikalischem Leiter des am 5.1.1906 in Wien eröffneten Künstlerkabaretts Nachtlicht engagiert gewesen (Direktor: Marc Henry), das im Zusammenhang der Nachtlicht-Affäre mitsamt Prozess (siehe oben) zwischenzeitlich geschlossen war, dann aber wiedereröffnet wurde. Die Presse hatte zunächst den 15.9.1906 als Eröffnungsabend sowie die erneute Mitwirkung Weinhöppels angekündigt: „Am 15. d. wird das ‚Cabaret Nachtlicht‘ seinen ersten Abend in dieser Saison vor der Wiener Presse und einigen eingeladenen Gästen veranstalten. Während der Sommermonate wurde der Saal vollständig umgebaut [...]. Das unter der Bühne versenkte Orchester wird dem musikalischen Leiter Hannes Ruch Gelegenheit bieten, originelle Wirkungen zu erzielen.“ [„Cabaret Nachtlicht.“ In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8539, 10.9.1906, S. 3] Die Wiedereröffnung fand dann am 18.9.1906 statt und Peter Altenberg bemerkte: „Vor allem möchte ich gleich Gelegenheit nehmen, dem unvergleichlichen Liederkomponisten Hannes Ruch, Professor am Konservatorium in Köln, meine Begeisterung auszusprechen.“ [Peter Altenberg: Eröffnung des Cabaret „Nachtlicht“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8548, 20.9.1906, S. 2] und wieder zu diesem ekelhaften GaunerpaarMarc Henry und Marya Delvard, die das im Frühjahr geschlossene Kabarett Nachtlicht am 18.9.1906 wiedereröffnet hatten (siehe oben)., von dem niemand mehr Undank | geerntet hat, als er selber. Offenbar war ihm in CölnDie Presse hatte für das Kölner Konservatorium der Musik allerdings bereits im Frühjahr gemeldet: „Herr Richard Weinhöppel ist soeben zum Nachfolger des verstorbenen Paul Haase als Gesanglehrer des hiesigen Konservatoriums ernannt worden. Herr Weinhöppel, der gegen 40 Jahre alt ist, hat seine Gesangsstudien in Italien, Deutschland und Frankreich gemacht und war bisher zehn Jahre in München, zwei Jahre in Italien, zuletzt am Sternschen Konservatorium in Berlin als Gesangspädagoge tätig. Er beherrscht auch im Gesange neben dem Deutschen das Italienische, Französische und Englische und wird neben dem Gesange auch Mimik und Aesthetik der Gebärden an der hiesigen Musikanstalt lehren.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 155, 12.2.1906, Mittags-Ausgabe, S. (2)] Und im Winter hieß es, er habe die Professur bereits am 1.4.1906 angetreten: „Am 1. April 1906 trat Herr Hans Richard Weinhöppel aus Berlin in das Lehrer-Kollegium als Nachfolger Paul Haases ein.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 1355, 19.12.1906, 2. Morgen-Ausgabe, S. (2)] das Glück nicht günstig.

Meine Büchse ist von der Censurim Erstdruck: Zensur. verbotendie am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin vorbereitete Aufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“, welche „die Berliner Zensurbehörde schließlich untersagte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]. Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, hat Wedekind am 26.9.1906 über die Entscheidung von Curt von Glasenapp, Leiter der Theater- und Zensurabteilung im Berliner Polizeipräsidium, informiert: „Holländer theilt mir mit daß Glasenapp nur drei Aufführungen gestatten will“ [Tb], was den Aufwand einer Inszenierung für Max Reinhardt nicht lohnte.. Vielleicht kommt es noch zu einer Matinée. Jetzt soll Frühlings Erwachen gespielt werdenWedekind kündigt die anstehende Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ (1891) an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin an (sie fand am 20.11.1906 statt). Er notierte am 24.10.1906: „Frühlings Erwachen wird frei gegeben.“ [Tb] Die Vorbereitungen liefen seit Wochen, nachdem Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, ihm am 28.9.1906 mitgeteilt hatte, dass „man Frühlings Erw. spielen will.“ [Tb].

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns hier wiederfänden. Ich glaube nicht nur daßim Erstdruck: nur, daß. Sie hier besseres Arbeitsmaterial sondernim Erstdruck: Arbeitsmaterial, sondern. auch bessere Freunde | fänden als in Wien. Hier stünden Sie auch wolim Erstdruck: wohl. dem Theatergenau genommen das Deutschen Theater unter der Direktion von Max Reinhardt, an dem angesichts gleichzeitiger erfolgreicher „Erdgeist“-Aufführungen zunächst eine Inszenierung der „Büchse der Pandora“ in Aussicht genommen worden war und nun „Frühlings Erwachen“ vorbereitet wurde. Karl Kraus meinte in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefs, das „Theatermotiv“ sei „wohl in einem Dialog berührt worden, aber als Wedekindscher Monolog. Er hatte es als verlockend hingestellt, ‚Regisseur bei Reinhardt‘ zu werden, und weil er glaubte, daß ich es könnte, glaubte er auch, daß ich es wollte. Nie ist mir etwas ferner gelegen“ [Kraus 1920, S. 125]. viel näher, weil mehr Platz und mehr Bedürfnis vorhanden ist. Das Beispiel Hermann BahrsHermann Bahr aus Wien, „eines der ältesten Ziele von Kraus’ Polemik“ [Nottscheid 2008, S. 186], war seinerzeit als Regisseur bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin engagiert. ist doch wolim Erstdruck: wohl. der beste Beweis dafür. Was meinen Sie dazu?

Meine liebe Tilly sendet Ihnen die herzlichsten Grüße. | Auf baldiges Wiedersehn
Ihr
Frank Wedekind.


Kurfürstenstraße 125.

18.10.6.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    18. Oktober 1906 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
123-125
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 123-125. Im Erstdruck ist der Brief leicht korrigiert, hat eine Variante und ist mit fünf Fußnoten versehen. Nach „Stück“ ist angemerkt: „Nicht mehr erinnerlich, welches gemeint war.“ Nach „Pech“ ist angemerkt: „Es war ein Irrtum, eine Beziehung zu vermuten.“ Nach „Interessanteste zu sein“ ist angemerkt: „So fragwürdig schon damals, gleichwohl mit der heutigen Affenschande nicht zu vergleichen.“ Nach „Weinhöppel“ ist angemerkt: „Komponist und Sänger Hannes Ruch.“ Nach „beste Beweis dafür“ ist angemerkt: „Aber das schlechteste Beispiel, wenn je die Absicht, nach Berlin zu übersiedeln und vollends, um dem Theater näherzukommen, bestanden hätte. Dieses Theatermotiv war wohl in einem Dialog berührt worden, aber als Wedekindscher Monolog. Er hatte es als verlockend hingestellt, ‚Regisseur bei Reinhardt‘ zu werden, und weil er glaubte, daß ich es könnte, so glaubte er auch, daß ich es wollte. Nie ist mir etwas ferner gelegen, doch Wedekind kam noch etliche Jahre später, gelegentlich der Rundfrage des ‚Brenner‘, darauf zurück.“ – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 85 (Nr. 64).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139737
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 18.10.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

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In Bearbeitung
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Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.01.2024 17:54
Kennung: 4433

Berlin, 18. Oktober 1906 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl
 
 

Inhalt

Lieber Herr Kraus!

Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches AnerbietenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 15.10.1906. – Karl Kraus dürfte Wedekind, der sein am 9.10.1906 abgeschlossenes Stück erwähnt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906], eine Veröffentlichung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1908) in der „Fackel“ vorgeschlagen haben.. Aber mein Stück ist vielmehr eine Chronik„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ handelt vom Verhältnis eines Gesangspädagogen zu einer Musikschülerin, die von ihm schwanger und nach § 218 Reichsstrafgesetzbuch verurteilt wird, ein Stoff, den Wedekind im Münchner Freundeskreis fand, eine Affäre um Anton Dreßler, der am 1.10.1906 „seiner Stellung als Gesangslehrer an der Akademie für Tonkunst“ [KSA 6, S. 746] enthoben worden ist. als eine dramatische Arbeit und hat demnach gar keine Qualitäten im Dialog. Ich gehe jetzt nur darauf aus es möglichst gut loszuschlagen daim Erstdruck: loszuschlagen, da. ich notwendiger Weise | eine größere Summe dafür bekommen muß. Infolge meines zweimaligen UmzugesWedekind ist innerhalb Berlins zuerst im Frühjahr 1906 von einer Pension in eine Wohnung in der Marienstraße 23 (2. Stock links) gezogen und von dort am 31.8.1906 [vgl. Tb] in eine Wohnung in der Kurfürstenstraße 125 (3. Stock). in diesem Sommer bin ich stark aufs d/t/rockneim Erstdruck: Trockne. geraten. Ob nun unter solchen Umständen ein Vorabdruck„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ erschien zuerst in vier Folgen vom 26.6.1907 bis 19.7.1907 in der Zeitschrift „Morgen“ als Vorabdruck [vgl. KSA 6, S. 715]. Karl Kraus hatte gegen einen der Herausgeber des „Morgen“ (Georg Brandes) zwar Vorbehalte, aber er „förderte die Publikation indirekt“ [Nottscheid 2008, S. 184] durch eine „Tauschannonce [...]. Der Verlag des ‚Morgen‘ [...] schlug dem Verlag der ‚Fackel‘ einen Austausch ihrer Anzeigen vor. Eine Revue, in der das neueste Drama Frank Wedekinds erscheinen sollte, schien mir einer Anzeige in der ‚Fackel‘ nicht unwürdig und der Schaden, den ich der Literatur durch die Empfehlung eines Blattes, auf dem der Name Brandes steht, zufüge, reichlich wettgemacht durch den Nutzen, der für die Literatur durch die Empfehlung der ‚Fackel‘ in einer reichsdeutschen Revue, die in einer Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckt werden sollte, zu erwarten war.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 232-233, 16.10.1907, S. 35f.] praktisch wäre, ist sehr die Frage. Auszüge aus dem ganzen aber würden wenig Interesse haben und ein falsches Bild geben, da schlechterdings das besteim Erstdruck: Beste. an dem Stück der Stoff ist.

Vor einigen Tagen sprach ich mit HardenWedekind sprach Maximilian Harden zuletzt am 14.10.1906: „Nachmittag bei Harden.“ [Tb] über den Plan, | den Sie mir bei unserem letzten ZusammenseinWedekind war mit Karl Kraus, der im Sommer Berlin besucht hatte, dem Tagebuch zufolge fast täglich zusammen – am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska“), 16.6.1906 („Am Nachmittag sind Kraus und Irma Karschewska bei uns“), 17.6.1906 („Abends mit Kraus und Albert Heine bei Kowalk“), 18.6.1906 („Steinert in Charlottenburg [...]. Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska“), 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus und Irma Karschefska bei Barnowski [...] Abends mit Kraus und Hollitscher bei Friedrich“), 22.6.1906 („mit Kraus Hollitscher und Sulzberger zu Treppchen“) und 23.6.1906 („Nachts mit Kraus im Café Bauer“). aussprachen, nach Berlin zu kommenEinen Hinweis auf Überlegungen von Karl Kraus, von Wien nach Berlin zu gehen, gibt Erich Mühsams Brief vom 28.11.1906 an Karl Kraus, der sich auf eine Postkarte von Karl Hauer bezieht: „Diesen Brief schreibe ich [...] vor allem, um mich zu erkundigen, was Hauers Bemerkung auf der Postkarte [...] bedeutet, Sie und er würden nach Neujahr nach Berlin übersiedeln. [...] Lieber K. K., wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben darf, überlegen Sie sich die Sache [...]. Ich habe [...] Bedenken“ [Jungblut 1984, S. 86f.]. Karl Kraus bestritt in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefes eine „Absicht, nach Berlin zu übersiedeln“ [Kraus 1920, S. 125]., und Harden erzählte mir, daß Sie ihm früher schon diese Absicht geäußert hätten. Wie steht es nun damit? Der Ausgang des HenryprozessesNach dem ersten Prozess am 25.5.1906 in der Nachtlicht-Affäre [vgl. Nottscheid 2008, S. 267-271], in die Wedekind durch eine Parteinahme für Karl Kraus in einem offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] am Rande involviert war, waren Marc Henry (verurteilt zu einer Arreststrafe von einem Monat) und Marya Delvard (verurteilt zu 300 Kronen Geldstrafe) in Revision gegangen. Im Revisionsprozess am 7.9.1906 wurde die Arreststrafe in eine Geldstrafe von 600 Kronen umgewandelt, die 300 Kronen Geldstrafe auf 150 Kronen reduziert, worüber Wedekind durch einen Artikel in der ihm vorliegenden „Fackel“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906] informiert war [vgl. Alkoholiker. In: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 6-9, 29-32]. bestätigte mir nur die Wahrheit Wer PechBibelzitat (alttestamentarisch): „Wer Pech angreift, besudelt sich“ (aus dem apokryphen Buch Jesus Sirach, 13,1). anfäßtim Erstdruck: anfühlt. besudelt sich. Und das Cabaret ist doch nun einmal das in Musik gesetzte Pech. Ich habe vier Jahre langWedekind hatte in den Jahren 1901 bis 1904 überwiegend durch Kabarettauftritte seinen Lebensunterhalt verdient – von 1901 bis 1903 als Mitglied der Elf Scharfrichter, dann mit Unterbrechungen 1904 und auch noch 1905 durch Gastauftritte bei den Sieben Tantenmördern und im Münchner Künstlerkabarett Intimes Theater. davon gelebt und danke Gott | daßim Erstdruck: Gott, daß. ich es los bin; aber in Wien scheint es jetzt doch fast das interessantesteim Erstdruck: Interessanteste. zu sein. Ich glaube sicher, daß Sie hier in Berlin mehr Dank von Ihrer Arbeit hätten, wenn auch natürlich das Leben weniger erfreulich ist. Mit sehr schmerzlichem Empfinden sehe ich meinen lieben Freund Weinhöppel diesen Herbst wieder zum Cabaret zurückkehrenHans Richard Weinhöppel war unter seinem Scharfrichternamen Hannes Ruch als musikalischem Leiter des am 5.1.1906 in Wien eröffneten Künstlerkabaretts Nachtlicht engagiert gewesen (Direktor: Marc Henry), das im Zusammenhang der Nachtlicht-Affäre mitsamt Prozess (siehe oben) zwischenzeitlich geschlossen war, dann aber wiedereröffnet wurde. Die Presse hatte zunächst den 15.9.1906 als Eröffnungsabend sowie die erneute Mitwirkung Weinhöppels angekündigt: „Am 15. d. wird das ‚Cabaret Nachtlicht‘ seinen ersten Abend in dieser Saison vor der Wiener Presse und einigen eingeladenen Gästen veranstalten. Während der Sommermonate wurde der Saal vollständig umgebaut [...]. Das unter der Bühne versenkte Orchester wird dem musikalischen Leiter Hannes Ruch Gelegenheit bieten, originelle Wirkungen zu erzielen.“ [„Cabaret Nachtlicht.“ In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8539, 10.9.1906, S. 3] Die Wiedereröffnung fand dann am 18.9.1906 statt und Peter Altenberg bemerkte: „Vor allem möchte ich gleich Gelegenheit nehmen, dem unvergleichlichen Liederkomponisten Hannes Ruch, Professor am Konservatorium in Köln, meine Begeisterung auszusprechen.“ [Peter Altenberg: Eröffnung des Cabaret „Nachtlicht“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8548, 20.9.1906, S. 2] und wieder zu diesem ekelhaften GaunerpaarMarc Henry und Marya Delvard, die das im Frühjahr geschlossene Kabarett Nachtlicht am 18.9.1906 wiedereröffnet hatten (siehe oben)., von dem niemand mehr Undank | geerntet hat, als er selber. Offenbar war ihm in CölnDie Presse hatte für das Kölner Konservatorium der Musik allerdings bereits im Frühjahr gemeldet: „Herr Richard Weinhöppel ist soeben zum Nachfolger des verstorbenen Paul Haase als Gesanglehrer des hiesigen Konservatoriums ernannt worden. Herr Weinhöppel, der gegen 40 Jahre alt ist, hat seine Gesangsstudien in Italien, Deutschland und Frankreich gemacht und war bisher zehn Jahre in München, zwei Jahre in Italien, zuletzt am Sternschen Konservatorium in Berlin als Gesangspädagoge tätig. Er beherrscht auch im Gesange neben dem Deutschen das Italienische, Französische und Englische und wird neben dem Gesange auch Mimik und Aesthetik der Gebärden an der hiesigen Musikanstalt lehren.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 155, 12.2.1906, Mittags-Ausgabe, S. (2)] Und im Winter hieß es, er habe die Professur bereits am 1.4.1906 angetreten: „Am 1. April 1906 trat Herr Hans Richard Weinhöppel aus Berlin in das Lehrer-Kollegium als Nachfolger Paul Haases ein.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 1355, 19.12.1906, 2. Morgen-Ausgabe, S. (2)] das Glück nicht günstig.

Meine Büchse ist von der Censurim Erstdruck: Zensur. verbotendie am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin vorbereitete Aufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“, welche „die Berliner Zensurbehörde schließlich untersagte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]. Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, hat Wedekind am 26.9.1906 über die Entscheidung von Curt von Glasenapp, Leiter der Theater- und Zensurabteilung im Berliner Polizeipräsidium, informiert: „Holländer theilt mir mit daß Glasenapp nur drei Aufführungen gestatten will“ [Tb], was den Aufwand einer Inszenierung für Max Reinhardt nicht lohnte.. Vielleicht kommt es noch zu einer Matinée. Jetzt soll Frühlings Erwachen gespielt werdenWedekind kündigt die anstehende Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ (1891) an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin an (sie fand am 20.11.1906 statt). Er notierte am 24.10.1906: „Frühlings Erwachen wird frei gegeben.“ [Tb] Die Vorbereitungen liefen seit Wochen, nachdem Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, ihm am 28.9.1906 mitgeteilt hatte, dass „man Frühlings Erw. spielen will.“ [Tb].

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns hier wiederfänden. Ich glaube nicht nur daßim Erstdruck: nur, daß. Sie hier besseres Arbeitsmaterial sondernim Erstdruck: Arbeitsmaterial, sondern. auch bessere Freunde | fänden als in Wien. Hier stünden Sie auch wolim Erstdruck: wohl. dem Theatergenau genommen das Deutschen Theater unter der Direktion von Max Reinhardt, an dem angesichts gleichzeitiger erfolgreicher „Erdgeist“-Aufführungen zunächst eine Inszenierung der „Büchse der Pandora“ in Aussicht genommen worden war und nun „Frühlings Erwachen“ vorbereitet wurde. Karl Kraus meinte in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefs, das „Theatermotiv“ sei „wohl in einem Dialog berührt worden, aber als Wedekindscher Monolog. Er hatte es als verlockend hingestellt, ‚Regisseur bei Reinhardt‘ zu werden, und weil er glaubte, daß ich es könnte, glaubte er auch, daß ich es wollte. Nie ist mir etwas ferner gelegen“ [Kraus 1920, S. 125]. viel näher, weil mehr Platz und mehr Bedürfnis vorhanden ist. Das Beispiel Hermann BahrsHermann Bahr aus Wien, „eines der ältesten Ziele von Kraus’ Polemik“ [Nottscheid 2008, S. 186], war seinerzeit als Regisseur bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin engagiert. ist doch wolim Erstdruck: wohl. der beste Beweis dafür. Was meinen Sie dazu?

Meine liebe Tilly sendet Ihnen die herzlichsten Grüße. | Auf baldiges Wiedersehn
Ihr
Frank Wedekind.


Kurfürstenstraße 125.

18.10.6.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    18. Oktober 1906 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
123-125
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 123-125. Im Erstdruck ist der Brief leicht korrigiert, hat eine Variante und ist mit fünf Fußnoten versehen. Nach „Stück“ ist angemerkt: „Nicht mehr erinnerlich, welches gemeint war.“ Nach „Pech“ ist angemerkt: „Es war ein Irrtum, eine Beziehung zu vermuten.“ Nach „Interessanteste zu sein“ ist angemerkt: „So fragwürdig schon damals, gleichwohl mit der heutigen Affenschande nicht zu vergleichen.“ Nach „Weinhöppel“ ist angemerkt: „Komponist und Sänger Hannes Ruch.“ Nach „beste Beweis dafür“ ist angemerkt: „Aber das schlechteste Beispiel, wenn je die Absicht, nach Berlin zu übersiedeln und vollends, um dem Theater näherzukommen, bestanden hätte. Dieses Theatermotiv war wohl in einem Dialog berührt worden, aber als Wedekindscher Monolog. Er hatte es als verlockend hingestellt, ‚Regisseur bei Reinhardt‘ zu werden, und weil er glaubte, daß ich es könnte, so glaubte er auch, daß ich es wollte. Nie ist mir etwas ferner gelegen, doch Wedekind kam noch etliche Jahre später, gelegentlich der Rundfrage des ‚Brenner‘, darauf zurück.“ – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 85 (Nr. 64).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139737
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 18.10.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
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Erstellt von

Ariane Martin

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17.01.2024 17:54