Vergleichsansicht

Bitte wählen Sie je ein Dokument für die linke und rechte Seite über die Eingabefelder aus.

Kennung: 4379

Berlin, 9. Mai 1906 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl

Inhalt

Sehr verehrter Herr Kraus.im Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Kraus!

Mit tiefer Empörung hörte ich von den gemeinen Niederträchtigkeiten, die Herr A dieser Achille Vaucheret, der mit seinem eigenen Namen auf so gespanntem Fuß steht, daß er sich schlechtweg Monsieur HenryBühnenname von Marc Henry, der eigentlich Achille Georges d’Ailly Vaucheret hieß (geboren: Achille Georges Thuret). Er leitete in München das inzwischen legendäre Kabarett Die Elf Scharfrichter und nun in Wien das am 5.1.1906 eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht, dessen Star seine Lebensgefährtin Marya Delvard war. nennt und seine Gefährtin Marya DelvartSchreibversehen (hier und an den weiteren Stellen im vorliegenden Brief), statt: Delvard. – So hier und an den weiteren Stellen auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. an Ihnen begangenMarc Henry hat Karl Kraus in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Wiener Nachtlokal Casino de Paris zusammengeschlagen [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. haben. Überrascht haben mich diese Gemeinheiten allerdings nicht. Den Monsieur Henry kenne ich aus dreijährigem geschäftlichen Verkehr aus der Zeit der Elf ScharfrichterWedekind gehörte in den Jahren 1901 bis 1903 zum Ensemble des von Marc Henry geleiteten Kabaretts Die Elf Scharfrichter, das 1904 aufgelöst wurde. als einen Menschen, der sich durch seinen unqualifizierbaren Charakter noch in jeden/r/ Situation inim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Situation, in. der er sich befunden überim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): befunden, über. kurz oder lang unmöglich gemacht hat. Und seine Gefährtin Marya Delvart suchte sich ihrer hübschen Kolleginnen bei den Elf Scharfrichtern dadurch zu entledigen, daß sie von ihnen erzählte, sie litten an ansteckenden Geschlechtskrankheiten. Sie wurde wegen solcher VerleumdungenAnspielung auf den Verleumdungsprozess, den Olly Bernhardy, seinerzeit beim Publikum beliebtes Ensemblemitglied der Elf Scharfrichter, gegen Marc Henry und Marya Delvard angestrengt hatte. Die Verhandlung fand am 19.6.1902 am Amtsgericht München I statt und endete mit einem Vergleich, wie die Presse berichtete: „Unter den Mitwirkenden bei den Elf Scharfrichtern gährte es vor einiger Zeit ziemlich stark. Die Bewegung richtete sich gegen Fräulein Oly Bernardi [...], über deren Person allerlei ihre Ehre schwer verletzende Gerüchte kursirten, die sich schließlich zur Klage wegen Beleidigung gegen Fräulein Marya Delvard und gegen Herrn Vaucheret gezwungen sah, welch’ Beide sie als Urheber bezw. Verbreiter der Gerüchte bezeichnete. Im heutigen Termin vor dem Schöffengericht regte der Vorsitzende [...] einen Vergleich an und zwar, wie er betonte, im Interesse des Unternehmens, dem die Streitstheile angehören [...]. Nach langen Verhandlungen, bei denen immer wieder betont wurde, daß die Sache im Interesse des Unternehmens beiderseits aus der Welt geschafft werden wolle, kam folgender Vergleich zu Stande: 1. Herr Vaucheret, genannt Henri, erklärt, daß er die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan habe und daß er es auf’s Tiefste bedaure, falls er durch irgend eine Aeußerung zur Verbreitung der über die Klägerin im Februar und März l. J. umlaufenden Gerüchte beigetragen habe. 2. Frl. Marie Biller, genannt Delvard, erklärt, daß sie die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan, daß sie aber allerdings durch eine Aeußerung zur Verbreitung jener Gerüchte beigetragen habe, dies auf’s Tiefste bedauere und sich verpflichte, binnen 14 Tagen eine Buße von 50 M an den Münchner Journalisten- und Schriftstellerverein abzuführen. 3. Beide Beklagte erklären, daß jene Gerüchte nach ihrer Ueberzeugung jeder thatsächlichen Begründung entbehren und übernehmen die sämmtlichen Kosten einschließlich der der Klägerin erwachsenen nothwendigen Auslagen und gestatten, daß der gegenwärtige Vergleich auf ihre Kosten einmal in den ‚M.N.N.‘ veröffentlicht werde. 4. Klage und Strafantrag werden zurückgezogen. Auf Grund dieses Vergleiches wurde sodann durch Urtheil das Verfahren gegen die beiden Beklagten eingestellt.“ [Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] vor etwa drei Jahren vom Landgericht München zu einer beträchtlichen | Geldstrafe50 Mark – so die in der Gerichtsverhandlung vom 19.6.1902 festgelegte Summe, die Marya Delvard zu entrichten hatte (siehe oben). Dazu kamen die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der Auslagen von Olly Bernhardy sowie die Druckkosten der Anzeige des Vergleichs. verurtheiltim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): verurteilt..

Es ist mir unter den obwaltenden Umständen nun im höchsten GeradeSchreibversehen, statt: Grade. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. widerwärtig, daß von diesen Personen im Cabaret zum Nachtlicht allabendlich Verse und Melodien von mir öffentlich vorgetragen werden. Leider bin ich Frau Delvart gegenüber vollkommen machtlos, denn wenn ich ihr den Vortrag meiner VerseMarya Delvard sang im Nachtlicht Wedekinds Lieder „Brigitte B.“ und „Die Hunde“ [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. verbiete, erndteSchreibversehen, statt: ernte. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. ich mit einem solchen Verbotfehlt im Erstdruck (und im Neudruck von 1920). bei der übermenschlichen Verachtung mitim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Verachtung, mit. der diese Dame auf jeden hinunterblickt, dem sie zu Dank verpflichtet ist, nur Spott und Hohn. Deshalb wende ich mich an Sie, verehrter Herr Kraus, mit der Bitte, Ihren geehrten Lesern und dem Wiener Publicumim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Publikum. überhaupt, soweit es nur irgend möglich ist, mitzutheilenim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): mitzuteilen., daß ich die von mir herrührenden Verse, die im Cabaret zum Nachtlicht vorgetragen werden, lieber nie geschrieben haben möchte, als daß sie aus dem Munde von Menschen, die sich durch solche gemeine Niederträchtigkeiten hervortun, wie Herr Henry und Frau Delvart, dem Publikum zur Unterhaltung dienen.

In der Zuversicht, daß Sie mir die Erfüllung meiner BitteDie rhetorische Bitte war durch den Abdruck des zu diesem Zweck konzipierten Schreibens als offener Brief in der „Fackel“ erfüllt, ein Freundschaftsdienst für Karl Kraus. gewähren mit herzlichsten Grüßen
Ihr

Frank Wedekind.


[Kuvert:]


Einschreiben


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. 21 x 27 cm. Kuvert. 15,5 x 12,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke (etwa 90 Grad nach rechts gedreht) von 30 Pfennig frankiert. Es ist mit einem Aufkleber versehen, auf den ein rotes „R“ = Recommandé (frz.) = Einschreiben (außerdem: „Berlin 6 No 444 b“) aufgedruckt ist. Der Brief ist mit verschiedenen Eintragungen versehen. Mit Bleistift hat Karl Kraus auf Seite 1 oben in der Mitte das Datum „9.V.06“ notiert; ferner sind fünf Fragezeichen („?“) mit Bleistift ausgeführt – ein erstes am rechten Rand neben dem ersten Satz, ein zweites über der ersten Namensnennung von „Marya“, ein drittes über „solcher“, ein viertes über der ersten Nennung von „Nachtlicht“, ein fünftes über „machtlos“ – sowie eine Streichung auf Seite 2 („mit einem solchen Verbot“). Mit Tinte hat Karl Kraus oben links auf Seite 1 einen zunächst mit „Ich“ begonnenen Hinweis umformuliert, indem er „Ich“ strich und „{In letzter Stunde} erhalte {ich} die folgende ausdrücklich zur Veröffentlichung bestimmte Zuschrift:“ schrieb; auf Seite 2 hat er eine Stelle mit Tinte („lieber nie geschrieben haben möchte“) unterstrichen und unten links „Berlin“ notiert. Mit grünem Buntstift ist auf Seite 1 oben rechts eine Satzanweisung „Gr. Garmond“ (unterstrichen) notiert, außerdem sind Korrekturen eingetragen: „Delvart“ ist in allen vier Fällen zu „Delvard“ korrigiert (durch Überschreibung des „t“ durch „d“), „Gerade“ zu „Grade“ (durch Streichung des ersten „e“), Kommata sind ergänzt (nach „Situation“, „befunden“ und „Verachtung“).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Datum des Poststempels – 9.5.1906 – darf als Schreibdatum angenommen werden.

Uhrzeit im Poststempel Berlin: „7 – 8 N.“ (= 19 bis 20 Uhr).

  • Schreibort

    Berlin
    9. Mai 1906 (Mittwoch)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    9. Mai 1906 (Mittwoch)

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Die Fackel

Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1906
Seitenangabe:
23-24
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23-24. Im Erstdruck ist dem Brief ein einleitender Hinweis vorangestellt: „In letzter Stunde erhalte ich die folgende Zuschrift:“ Neben den handschriftlich im Originalbrief notierten Korrekturen sind weitere Stellen korrigiert. Durch Sperrung ist hervorgehoben: „Sehr verehrter Herr Kraus!“, „lieber nie geschrieben haben möchte“ und „Frank Wedekind.“ Am Ende ist dazugesetzt: „Berlin, 9. Mai 1906.“ Karl Kraus druckte den Brief nochmals ab, nun mit nur einer Sperrung („lieber nie geschrieben haben möchte“) sowie ohne Schreibort und Datum, stattdessen mit dem Hinweis „Aus Berlin, 9.5.06“, versehen mit der Fußnote: „Erschienen in der Fackel Nr. 203.“ [Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 120-121] – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 68-69 (Nr. 54). Neuedition als offener Brief: KSA 5/II, S. 230.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139734
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

23.04.2023 14:11
Kennung: 4379

Berlin, 9. Mai 1906 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl
 
 

Inhalt

Sehr verehrter Herr Kraus.im Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Kraus!

Mit tiefer Empörung hörte ich von den gemeinen Niederträchtigkeiten, die Herr A dieser Achille Vaucheret, der mit seinem eigenen Namen auf so gespanntem Fuß steht, daß er sich schlechtweg Monsieur HenryBühnenname von Marc Henry, der eigentlich Achille Georges d’Ailly Vaucheret hieß (geboren: Achille Georges Thuret). Er leitete in München das inzwischen legendäre Kabarett Die Elf Scharfrichter und nun in Wien das am 5.1.1906 eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht, dessen Star seine Lebensgefährtin Marya Delvard war. nennt und seine Gefährtin Marya DelvartSchreibversehen (hier und an den weiteren Stellen im vorliegenden Brief), statt: Delvard. – So hier und an den weiteren Stellen auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. an Ihnen begangenMarc Henry hat Karl Kraus in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Wiener Nachtlokal Casino de Paris zusammengeschlagen [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. haben. Überrascht haben mich diese Gemeinheiten allerdings nicht. Den Monsieur Henry kenne ich aus dreijährigem geschäftlichen Verkehr aus der Zeit der Elf ScharfrichterWedekind gehörte in den Jahren 1901 bis 1903 zum Ensemble des von Marc Henry geleiteten Kabaretts Die Elf Scharfrichter, das 1904 aufgelöst wurde. als einen Menschen, der sich durch seinen unqualifizierbaren Charakter noch in jeden/r/ Situation inim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Situation, in. der er sich befunden überim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): befunden, über. kurz oder lang unmöglich gemacht hat. Und seine Gefährtin Marya Delvart suchte sich ihrer hübschen Kolleginnen bei den Elf Scharfrichtern dadurch zu entledigen, daß sie von ihnen erzählte, sie litten an ansteckenden Geschlechtskrankheiten. Sie wurde wegen solcher VerleumdungenAnspielung auf den Verleumdungsprozess, den Olly Bernhardy, seinerzeit beim Publikum beliebtes Ensemblemitglied der Elf Scharfrichter, gegen Marc Henry und Marya Delvard angestrengt hatte. Die Verhandlung fand am 19.6.1902 am Amtsgericht München I statt und endete mit einem Vergleich, wie die Presse berichtete: „Unter den Mitwirkenden bei den Elf Scharfrichtern gährte es vor einiger Zeit ziemlich stark. Die Bewegung richtete sich gegen Fräulein Oly Bernardi [...], über deren Person allerlei ihre Ehre schwer verletzende Gerüchte kursirten, die sich schließlich zur Klage wegen Beleidigung gegen Fräulein Marya Delvard und gegen Herrn Vaucheret gezwungen sah, welch’ Beide sie als Urheber bezw. Verbreiter der Gerüchte bezeichnete. Im heutigen Termin vor dem Schöffengericht regte der Vorsitzende [...] einen Vergleich an und zwar, wie er betonte, im Interesse des Unternehmens, dem die Streitstheile angehören [...]. Nach langen Verhandlungen, bei denen immer wieder betont wurde, daß die Sache im Interesse des Unternehmens beiderseits aus der Welt geschafft werden wolle, kam folgender Vergleich zu Stande: 1. Herr Vaucheret, genannt Henri, erklärt, daß er die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan habe und daß er es auf’s Tiefste bedaure, falls er durch irgend eine Aeußerung zur Verbreitung der über die Klägerin im Februar und März l. J. umlaufenden Gerüchte beigetragen habe. 2. Frl. Marie Biller, genannt Delvard, erklärt, daß sie die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan, daß sie aber allerdings durch eine Aeußerung zur Verbreitung jener Gerüchte beigetragen habe, dies auf’s Tiefste bedauere und sich verpflichte, binnen 14 Tagen eine Buße von 50 M an den Münchner Journalisten- und Schriftstellerverein abzuführen. 3. Beide Beklagte erklären, daß jene Gerüchte nach ihrer Ueberzeugung jeder thatsächlichen Begründung entbehren und übernehmen die sämmtlichen Kosten einschließlich der der Klägerin erwachsenen nothwendigen Auslagen und gestatten, daß der gegenwärtige Vergleich auf ihre Kosten einmal in den ‚M.N.N.‘ veröffentlicht werde. 4. Klage und Strafantrag werden zurückgezogen. Auf Grund dieses Vergleiches wurde sodann durch Urtheil das Verfahren gegen die beiden Beklagten eingestellt.“ [Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] vor etwa drei Jahren vom Landgericht München zu einer beträchtlichen | Geldstrafe50 Mark – so die in der Gerichtsverhandlung vom 19.6.1902 festgelegte Summe, die Marya Delvard zu entrichten hatte (siehe oben). Dazu kamen die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der Auslagen von Olly Bernhardy sowie die Druckkosten der Anzeige des Vergleichs. verurtheiltim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): verurteilt..

Es ist mir unter den obwaltenden Umständen nun im höchsten GeradeSchreibversehen, statt: Grade. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. widerwärtig, daß von diesen Personen im Cabaret zum Nachtlicht allabendlich Verse und Melodien von mir öffentlich vorgetragen werden. Leider bin ich Frau Delvart gegenüber vollkommen machtlos, denn wenn ich ihr den Vortrag meiner VerseMarya Delvard sang im Nachtlicht Wedekinds Lieder „Brigitte B.“ und „Die Hunde“ [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. verbiete, erndteSchreibversehen, statt: ernte. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. ich mit einem solchen Verbotfehlt im Erstdruck (und im Neudruck von 1920). bei der übermenschlichen Verachtung mitim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Verachtung, mit. der diese Dame auf jeden hinunterblickt, dem sie zu Dank verpflichtet ist, nur Spott und Hohn. Deshalb wende ich mich an Sie, verehrter Herr Kraus, mit der Bitte, Ihren geehrten Lesern und dem Wiener Publicumim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Publikum. überhaupt, soweit es nur irgend möglich ist, mitzutheilenim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): mitzuteilen., daß ich die von mir herrührenden Verse, die im Cabaret zum Nachtlicht vorgetragen werden, lieber nie geschrieben haben möchte, als daß sie aus dem Munde von Menschen, die sich durch solche gemeine Niederträchtigkeiten hervortun, wie Herr Henry und Frau Delvart, dem Publikum zur Unterhaltung dienen.

In der Zuversicht, daß Sie mir die Erfüllung meiner BitteDie rhetorische Bitte war durch den Abdruck des zu diesem Zweck konzipierten Schreibens als offener Brief in der „Fackel“ erfüllt, ein Freundschaftsdienst für Karl Kraus. gewähren mit herzlichsten Grüßen
Ihr

Frank Wedekind.


[Kuvert:]


Einschreiben


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. 21 x 27 cm. Kuvert. 15,5 x 12,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke (etwa 90 Grad nach rechts gedreht) von 30 Pfennig frankiert. Es ist mit einem Aufkleber versehen, auf den ein rotes „R“ = Recommandé (frz.) = Einschreiben (außerdem: „Berlin 6 No 444 b“) aufgedruckt ist. Der Brief ist mit verschiedenen Eintragungen versehen. Mit Bleistift hat Karl Kraus auf Seite 1 oben in der Mitte das Datum „9.V.06“ notiert; ferner sind fünf Fragezeichen („?“) mit Bleistift ausgeführt – ein erstes am rechten Rand neben dem ersten Satz, ein zweites über der ersten Namensnennung von „Marya“, ein drittes über „solcher“, ein viertes über der ersten Nennung von „Nachtlicht“, ein fünftes über „machtlos“ – sowie eine Streichung auf Seite 2 („mit einem solchen Verbot“). Mit Tinte hat Karl Kraus oben links auf Seite 1 einen zunächst mit „Ich“ begonnenen Hinweis umformuliert, indem er „Ich“ strich und „{In letzter Stunde} erhalte {ich} die folgende ausdrücklich zur Veröffentlichung bestimmte Zuschrift:“ schrieb; auf Seite 2 hat er eine Stelle mit Tinte („lieber nie geschrieben haben möchte“) unterstrichen und unten links „Berlin“ notiert. Mit grünem Buntstift ist auf Seite 1 oben rechts eine Satzanweisung „Gr. Garmond“ (unterstrichen) notiert, außerdem sind Korrekturen eingetragen: „Delvart“ ist in allen vier Fällen zu „Delvard“ korrigiert (durch Überschreibung des „t“ durch „d“), „Gerade“ zu „Grade“ (durch Streichung des ersten „e“), Kommata sind ergänzt (nach „Situation“, „befunden“ und „Verachtung“).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Datum des Poststempels – 9.5.1906 – darf als Schreibdatum angenommen werden.

Uhrzeit im Poststempel Berlin: „7 – 8 N.“ (= 19 bis 20 Uhr).

  • Schreibort

    Berlin
    9. Mai 1906 (Mittwoch)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    9. Mai 1906 (Mittwoch)

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Die Fackel

Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1906
Seitenangabe:
23-24
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23-24. Im Erstdruck ist dem Brief ein einleitender Hinweis vorangestellt: „In letzter Stunde erhalte ich die folgende Zuschrift:“ Neben den handschriftlich im Originalbrief notierten Korrekturen sind weitere Stellen korrigiert. Durch Sperrung ist hervorgehoben: „Sehr verehrter Herr Kraus!“, „lieber nie geschrieben haben möchte“ und „Frank Wedekind.“ Am Ende ist dazugesetzt: „Berlin, 9. Mai 1906.“ Karl Kraus druckte den Brief nochmals ab, nun mit nur einer Sperrung („lieber nie geschrieben haben möchte“) sowie ohne Schreibort und Datum, stattdessen mit dem Hinweis „Aus Berlin, 9.5.06“, versehen mit der Fußnote: „Erschienen in der Fackel Nr. 203.“ [Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 120-121] – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 68-69 (Nr. 54). Neuedition als offener Brief: KSA 5/II, S. 230.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139734
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

23.04.2023 14:11