Paris, 8.XI.1892.
– – – – – – – – – – – – – – – – Seit meiner RückkehrWedekind war am 12.9.1892 von einer vierwöchigen Reise nach Lenzburg, Bern und Genf nach Paris zurückgekehrt [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892]. „Seine Mutter und seine Geschwister hatten Frank gebeten, wegen der in Paris grassierenden Cholera nach Lenzburg zu kommen.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, 159] In Bern hatte er den 4. Internationalen Friedenskongress (23. bis 28.8.1892), in Genf gemeinsam mit seinem Bruder Donald seine Schwester Emilie (Mati) besucht. nach
Paris habe ich ein französisches BalletWedekinds Tanzpantomime „Le Puces. La Danse de Douleur. Ballet-pantomime en trois tableaux“ [KSA 3/I, S. 9-21] entstand in den vorangegangenen zwei Monaten [vgl. KSA 3/II, S. 749]. Im Dezember berichtete er, er „hätte ein Ballet für Follie Bergers geschrieben, mit dem es nichts vorwärts wolle“ [Tb, 8.12.1892], kurz darauf von seiner „Affaire mit dem Flohballet“ [Tb, 11.12.1892]. geschrieben, habe auch bereits einen
der ersten Pariser ComponistenRaoul Stéphane Pugno, Komponist und Professor für Harmonielehre am Pariser Konservatorium, der bereits verschiedene Ballettmusiken geschrieben hatte. Eine Zusammenarbeit kam nicht zustande [vgl. KSA 3/II, S. 765f.], ebenso wenig wie mit Richard Strauss, dem Wedekind sein Ballett später ebenfalls anbot [vgl. Wedekind an Richard Strauss, 11.2.1896]. dafür gewonnen und von einflußreichen Leutennicht identifiziert. Einen Monat später nahm Wedekind Kontakt mit einem Redakteur der Pariser Zeitung „Le National“ auf – „setze mit Ach und Krach die Epistel an Mr. Leblanc auf“ [Tb, 9.12.1892] –, dem er das Manuskript offenbar aushändigte. Knapp zwei Wochen später notierte er: „Ich gehe zu Tisch und dann auf die Redaction des National, um mich womöglich meines Ballets wieder zu bemächtigen. Mr. Leblanc ist aber eben fortgegangen.“ [Tb, 21.12.1892]. in
der Pariser Presse die Versicherung, daß es zur AufführungWedekinds Ballett blieb unaufgeführt. gelangen wird. Wenn
mein LustspielSeinen Schwank „Fritz Schwigerling“ hatte Wedekind am 11.7.1892 abgeschlossen [vgl. Tb], er erschien aber erst Jahre später unter dem Titel „Der Liebestrank“ (1899) [vgl. KSA 2, S. 1004]., das ich im Laufe des Sommers geschrieben und auf das ich von
Berlin herWedekind hatte „Fritz Schwigerling“ an den Bühnenverleger und Theateragenten Theodor Entsch in Berlin (Mittelstraße 25) [vgl. Berliner Adreßbuch für das Jahr 1892, Teil I, S. 272] geschickt [vgl. Tb, 3.8.1892] und veranlasste später durch seinen Freund Carl Langhammer die Weiterleitung des Manuskripts an eine andere Agentur [vgl. Tb, 22.12.1892]. noch keine Antwort erhalten, nicht reüssiren sollte, so erwarte ich
mir von diesem Ballet wenigstens einen auch pecuniär dankbaren Erfolg. Außerdem
erwarte ich auf Neujahr den ErtragWedekinds „Kindertragödie“ „Frühlings Erwachen“ war im Oktober 1891 bei Jean Groß in Zürich erschienen, so dass Wedekind zum Jahreswechsel eine erste Abrechnung der Umsätze erwartete. meines Frühlings Erwachen, der wenigstens ein
Tropfen, wenn auch auf einen heißen Stein sein wird. Gegenwärtig wird es von
einer der ersten Pariser Schriftstellerinnen, Jean de NéthyPseudonym der österreichischen Gräfin Emmy de Némethy, die in Paris als Kritikerin, Übersetzerin und Schriftstellerin lebte. Auf sie war Wedekind durch Otto Julius Bierbaum aufmerksam gemacht worden [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 7.7.1892]. Ihre Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ sollte in der Zeitschrift „Revue des Revues“ und später als Buch erscheinen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 31.5.1893], was allerdings nicht geschah. Wedekinds Bemühen, die französische Fassung bei Albert Langen in Paris unterzubringen [vgl. Tb, 21.1.1894], scheiterte offenbar. Persönlich lernte Wedekind Emmy de Némethy erst im Mai 1893 kennen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 31.5.1893]., einer Dame aus der
höchsten Gesellschaft, ins französische übersetzt.
Unter häufigen Unterbrechungen, die die Realisirung meines
Ballets mit sich bringt, arbeite ich jetzt an einem großen Trauerspieldie fünfaktige Urfassung „Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie“. Am 12.6.1892 notierte Wedekind erstmals, er habe die „Idee zu einer Schauertragödie“ [Tb]; während seines London-Aufenthaltes im Juni 1894 schloss er die Arbeit an der Urfassung des Stücks dann ab [vgl. KSA 3/II, S. 833].
, mit dem
ich mir meinen in Deutschland durch mein Fr. Er. erworbenen Namen zu sichern denke.
Deshalb habe ich Mieze um die UnterstützungGeld für seinen Unterhalt; da Armin Wedekind das vom Vater geerbte Vermögen seiner Schwester Erika mitverwaltete, wäre die Auszahlung über ihn erfolgt. Frank Wedekind erhielt einen Teil des erbetenen Geldes stattdessen jedoch von seiner Mutter [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 14.11.1892 und Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893]. gebeten, sonst würde ich wohl schon
für Zeitungen zu arbeiten begonnen haben. Ich gäbe indessen alles dafür, wenn
ich das vorher noch beenden könnte. Ich habe meine Bitte leider bis zum letzten
Augenblick hinausgeschoben. Laß mich also bitte nicht mehr lange warten. Schreib
mir wenigstens umgehend zwei Worte. Indem ich Dir im voraus aufs herzlichste
danke, mit den besten Grüßen an Emma und Dich und in der Hoffnung, daß Ihr Euch
beide des besten Wohlseins erfreut, Dein treuer Bruder
Frank.
Ich schreibe im Café mit einer heillos spitzen Feder. Daher das
Gekritzel, für das ich um Entschuldigung bitte.