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Kennung: 4198

Riesbach, 11. Dezember 1889 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Armin (Hami)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

DR. Med. A. Wedekind
Riesbach-ZÜRICH.


Riesb., den 11. Dec. 89.


Lieber Bruder!

Mit Freude habe ich Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. gelesen, aus dem ich dies mal entnehme, daß er nicht vom Diplomaten, sondern von einem offenen Bruder geschrieben ist. Leider ist zwar mein Mißtrauen noch nicht beseitigt, daß/s/ sich besonders damals wieder zu regen begann, als ich erfahren mußte wie illoyal Du seiner Zeit meine Auseinandersetzung mit Dir wegen des Gratulationsbriefes hinter Mama gesteckt hast, sodaß diese dann die Gelegenheit benutzte, es Emma bei ihrem Aufenthalt in Lenzburg vor unserer HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet. aufzutischen u sie dadurch wie durch manche andere Bemerkung in Verlegenheit zu setzen. Ueber die Rolle, die Du damals gegen sie gespielt hast im Verein mit allen meinen NächststehendenSchreibversehen, statt: nächststehenden. Gemeint sein dürften die Mutter und die Geschwister Armin Wedekinds. Verwandten fordre ich allerdings von Dir selber zunächst Aufklärung bevor ich annehmen kann/darf/, daß Du mit ehrlicher Gesinnung zwischen Mama u mir vermitteln sollst kannst. Denn obwohl Du mir damals schriebstnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.2.1889. Der nicht überlieferte Brief entstand wahrscheinlich im Lauf des Jahres vor der Eheschließung Armin Wedekinds mit Emma Frey. Die Verbindung wurde von der Familie in Lenzburg nicht befürwortet, Frank Wedekind ging jedoch bereits im Frühjahr 1888 von einer sicheren Heirat aus [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.5.1888], verlobt waren die beiden seit November 1888. Die in dem verschollenen Brief von Wedekind erklärte Absicht, sich für seine zukünftige Schwägerin einsetzen zu wollen, dürfte er in relativer Nähe zum Heiratstermin am 21.3.1889 geäußert haben. Du thätest Alles, um das einmal feststehende Factumdie bevorstehende Eheschließung mit Emma Frey, der Tochter des Züricher Bezirksarztes Gottlieb Frey, bei dem Armin Wedekind seit Frühjahr 1886 in Hottingen als Assistenzarzt tätig war [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1886]. so gut als möglich in Einklang mit Mama den zu Hause herrschenden Ansichten zu bringen so war sowohl Dein Beneh|men als das der andern nicht nur weit entfernt von Herzlichkeit oder Liebe, wie man sie der Braut eines Bruders sonst doch entgegenzubringen pflegt, sondern i/I/hr suchtet ihr im Gegentheil Emma zu beschämen, zu demüthigen u sowohl durch Grobheit als durch hämische Bemerkungen gegen mich sie zu kränken oder zu veranlassen sich eine Blöße zu geben, um dann das/iese/ wieder gegen sie benutzen zu können. Du speziell magst wohl versucht haben Deine psychologischen Studien an ihr zu üben, als sie sich dem entzog war sie Dir gleichgültig, die Braut Deines Bruders hast Du in ihr nicht geachtet. Ueber diesen Umstand wünsch ich von Dir eine bündige ehrliche Erklärung zu haben, erst dann kann ich annehmen, daß wir im alten Vertrauen weiter verkehren dürfen.

Aus diesen Gründen ist auch mein letzter Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889. entstanden. Ich habe nicht Deine Hülfe angefleht, um zwischen mir u Mama zu vermitteln. Es war vielmehr dabei meine Ueberzeugung maßgebend daß ich den Zwist u die DivergenzMeinungsverschiedenheit. mit meinen Angehörigen zu Hause zum großen Theile dem Einflusse zuzuschreiben habe, den Du letzten Winter auf Alle Deine dortigen geistigen Sklaven ausgeübt hast. Wie schwer es auch sowohl Emma als mir wurde, das Vor|urtheil, das gegen sie existirte u tief eingewurzelt war zu zerstreuen, es gelang doch, und es gelang gerade durch unsere Gegenwart, gerade dadurch, daß sich sowohl Mama als Mieze davon überzeugen mußten, es sei doch nicht so schlimm wie sie sich’s vorgestellt. Nun kam am Vorabend unserer Abreise mitten im besten Einvernehmen jene Scene vor, die den Bruch herbeiführte. Mit Emma von einer Tour in’s SeethalTal zwischen Lenzburg und Emmen. zurückgekehrt erlaubte ich mir jene Bemerkung gegen Fräulein Minkein Pensionsgast auf Schloss Lenzburg, die Frank Wedekind kannte und die auch Gegenstand der Korrespondenz mit seiner Schwester Erika war [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1889]., daß sie im Hause die erste Rolle spiele oder so etwas, eine Bemerkung die auf Thatsachen beruhte indem diese Dame in Abwesenheit der Pensionäre„Wedekinds Mutter betrieb nach dem Tod ihres Mannes auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136], die Zimmer derselben untersuchte, so auch das unsere, dann über Alles ihr nicht nur arrogantes sondern äußerst unverschämtes Urtheil sich erlaubte, über die Dienstboten die Zuträgerinabwertend für eine Person, die ohne Auftrag Informationen weitergibt. machte, aus einem jeden seine Schwächen herauszuexaminiren suchte und sie dann wieder bei andren zu verwerthete um sich damit angenehm zu machen. Dabei ist zu bemerken, daß ich weder gegen Emma noch mich von ihr irgend etwas gehört hatte. Ich sah aber u hörte wie Mama über Papa sich lächerlich machte, dann über unsere VerwandtenIn Hannover lebten Frank Wedekinds Onkel Erich Wedekind sowie seine Tante Auguste Bansen, beides Geschwister des Vaters. in Hannover schimpfte u wie Frl. Mink bei solchen Gelegen|heiten nicht nur aufmerksame Zuhörerin war, sondern in das liebens würdige Urtheil miteinstimmte. Ich kann ihr das nicht übel nehmen, sie ist einmal eine Schmarotzerin, eine s/S/eeleDrekseele„bildlich eine gemeine und niederträchtige denkungsart“ [DWB, Bd. 2, Sp. 1360]., die vom Sumpfe lebt, in den sie sich mit vorliebeSchreibversehen, statt: Vorliebe. hinein setzt u wo sie üb/p/pig u kräftig darin wird, mit einem Wort eine Dame mit soviel Hautgouthaut goût (frz. ‚hoher Geschmack‘) ursprünglich für Wildgeschmack, pikante Würze; daneben: „Hautgout haben (übertr.) = anrüchig, faul sein.“ [Verdeutschungsbücher des allgemeinen deutschen Sprachvereins. I. Die Speisekarte. Braunschweig 1888, S. 53], daß ich nicht dran zweifle, daß sie Dir äußerst behagen wird. Mir dagegen war ihre Gegenwart allerdings zuwieder u die Aussicht, die mir damals schon g/G/ewißheit war, daß sie sich immer fester ankletten werde keine erfreuliche. So ließ ich mich zu jener Bemerkung hinreißen. Was war die Antwort? Das sei nicht meine eigene Stimme, die aus mir spreche u s. w.; kurz Emma, die keine Silbe gesagt hatte, sollte Schuld sein an Allem. Sie hatte mir noch abgerathen als ich auf Mieze ihren Jammer über die Mink zu Mama gehen wollte, trotzdem mußte sie Schuld sein. Am andren Tag kam Mama nicht zu Tisch, sprach kein Wort u als wir Abschied nehmen wollten entließ sie uns, wie man ein Paar Bettler von der Thüre weist. Aber dies rohe, herzlose Betragen, das ihr eine solche brutale Beleidigung ihres Sohnes u seiner Frau vor Dienstboten u Pensio|nären eingab, das wurzelte nicht in meiner Äußerung, sondern in Mamas altem Haß u Hochmuth u der war gehegt u gepflegt von Dir. Er hat sich glänzend bewährt dieser stolze, eingebildete, eigendünkelhafte Sinne, dieses „ich u mein Fleisch sind besser als alles andere Volk.“ Er hat sich in seiner ganzen Höhe u seiner abscheulichen Niedrigkeit, in seiner Unfähigkeit zu denken zu prüfen aber in seiner Wollust, die, die sich nicht wehren können zu quälen u zu beleidigen gezeigt.

So stehen die Dinge. Als ich von Zürich her mich über solche Behandlung beklagte und hoffte, nur einen Wink geben zu müssen um Mama zu veranlassen ihre Rohheit wieder gut zu machen, da kam jener BriefDie Korrespondenz zwischen Emilie und Armin Wedekind ist nicht überliefert., in dem sie mein Betragen als Neid u Mißgunst auslegt u daneben Emma beschuldigt aus gekränkter Eitelkeit jene Scene durch mich herbeigeführt zu haben. Diese dummen u lächerlichen Beschuldigungen ließ ich allerdings unbeantwortet.

Mama hat wohl nachträglich gefühlt, daß sie ein Unrecht begangen. Es läßt sich aber so etwas nicht durch kleine Spenden wieder gut | machen. Ich fordere von Mama einSchreibversehen, statt: eine. bündige Erklärung über ihr Verhalten, denn nur Offenheit kann in einem solchen Falle helfen.

Wenn Du dabei eine Vermittlerrolle s/ü/bernehmen willst so habe ich nichts dagegen sobald wir mit einander im Klaren sind. Die Sache von damals als Spaß auszulegen, wie Du das im letzten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. thust, möchte doch wohl verfehlt sein, nachdem Deine Indiscretion sowohl bei Emma als mir den schlechtesten Verdacht gegen Dich rege gemacht. Du hättest nachdem ich so mit Dir gesprochen hatte, wissen können daß ich damit nicht spasse u vor Mama u Emma schweigen dürfen, das wäre anständig gewesen!

Ebenfalls zurückweisen muß ich Dein Ansinnen, daß es sich jetzt um eine gewöhnliche Differenz zw à la Pfarrerin u SchwiegermutterAnspielung nicht ermittelt. handelt. Emma hat mit Mama nie eine Auseinandersetzung gehabt, sie hat leider stets jede Beleidigung ertragen ohne die gehörige Antwort darauf zu geben (auf die es dabei allerdings wahrscheinlich abgesehen war.) Emma befindet sich überdies am Ende ihrer Schwangerschaft sodaß ich sie bitte sie vollständig aus | dem Spiele zu lassen. Sie weiß weder von diesem noch dem vorigen Brief vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889.an Dich etwas. Ich hoffe ich kann mich wenigstens mit dieser Bitte auf Dich verlassen. Daß Du trotz meinem ausdrücklichen Wunsch an Mama geschriebenvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.12.1889. hast ist mir sehr unangenehm u entschlage ich mich in dieser Beziehung jeder Verantwortung.

Ich überlasse es Dir nun zu thun was Du für gut findest. Daß ich mir von zu Hause eine Behandlung wie die bisherige nicht weiter gefallen lassen kann scheint auch Dir klar zu sein, doch kann ich nicht den ersten Schritt thun, wo es an den andren ist ein bitteres Unrecht einzugestehen u gut zu machen. Sonst So muß ich sogar eben riskiren, nach allen Seiten die Fühlung zu verlieren, da ich zu einem Diplomaten nach Deinem Sinne kein Talent habe.

Indem ich hoffe, daß das nächste Jahr mir von den Meinigen etwas mehr Liebe u Achtung entgegenbringt u zugleich das Mißtrauen in Dich schwinden Möge verbleibe Dein Bruder
Armin.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 21,5 x 27 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der gedruckte Briefkopf von Seite 1 findet sich auch auf Seite 5 (hier nicht wiedergegeben). Blatt 3 und 4 sind in der unteren Hälfte am Rand ausgerissen. Auf Seite 1 und 2 finden sich einfache Unterstreichungen („Leider“ bis „beseitigt“, „Ueber“ bis „Verwandten“, „Herzlichkeit oder Liebe“, „zu beschämen, zu demüthigen“, „psychologischen Studien“, „Ich habe“ bis „angefleht“, „daß ich“ bis „meinen“) sowie doppelte Unterstreichungen („Aufklärung“, „die Braut“ bis „geachtet“, „geistigen Sklaven“) mit Bleistift von fremder Hand.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Riesbach
    11. Dezember 1889 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Riesbach
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 303
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Armin (Hami) Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1889. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

31.10.2024 17:11
Kennung: 4198

Riesbach, 11. Dezember 1889 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Armin (Hami)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

DR. Med. A. Wedekind
Riesbach-ZÜRICH.


Riesb., den 11. Dec. 89.


Lieber Bruder!

Mit Freude habe ich Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. gelesen, aus dem ich dies mal entnehme, daß er nicht vom Diplomaten, sondern von einem offenen Bruder geschrieben ist. Leider ist zwar mein Mißtrauen noch nicht beseitigt, daß/s/ sich besonders damals wieder zu regen begann, als ich erfahren mußte wie illoyal Du seiner Zeit meine Auseinandersetzung mit Dir wegen des Gratulationsbriefes hinter Mama gesteckt hast, sodaß diese dann die Gelegenheit benutzte, es Emma bei ihrem Aufenthalt in Lenzburg vor unserer HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet. aufzutischen u sie dadurch wie durch manche andere Bemerkung in Verlegenheit zu setzen. Ueber die Rolle, die Du damals gegen sie gespielt hast im Verein mit allen meinen NächststehendenSchreibversehen, statt: nächststehenden. Gemeint sein dürften die Mutter und die Geschwister Armin Wedekinds. Verwandten fordre ich allerdings von Dir selber zunächst Aufklärung bevor ich annehmen kann/darf/, daß Du mit ehrlicher Gesinnung zwischen Mama u mir vermitteln sollst kannst. Denn obwohl Du mir damals schriebstnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.2.1889. Der nicht überlieferte Brief entstand wahrscheinlich im Lauf des Jahres vor der Eheschließung Armin Wedekinds mit Emma Frey. Die Verbindung wurde von der Familie in Lenzburg nicht befürwortet, Frank Wedekind ging jedoch bereits im Frühjahr 1888 von einer sicheren Heirat aus [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.5.1888], verlobt waren die beiden seit November 1888. Die in dem verschollenen Brief von Wedekind erklärte Absicht, sich für seine zukünftige Schwägerin einsetzen zu wollen, dürfte er in relativer Nähe zum Heiratstermin am 21.3.1889 geäußert haben. Du thätest Alles, um das einmal feststehende Factumdie bevorstehende Eheschließung mit Emma Frey, der Tochter des Züricher Bezirksarztes Gottlieb Frey, bei dem Armin Wedekind seit Frühjahr 1886 in Hottingen als Assistenzarzt tätig war [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1886]. so gut als möglich in Einklang mit Mama den zu Hause herrschenden Ansichten zu bringen so war sowohl Dein Beneh|men als das der andern nicht nur weit entfernt von Herzlichkeit oder Liebe, wie man sie der Braut eines Bruders sonst doch entgegenzubringen pflegt, sondern i/I/hr suchtet ihr im Gegentheil Emma zu beschämen, zu demüthigen u sowohl durch Grobheit als durch hämische Bemerkungen gegen mich sie zu kränken oder zu veranlassen sich eine Blöße zu geben, um dann das/iese/ wieder gegen sie benutzen zu können. Du speziell magst wohl versucht haben Deine psychologischen Studien an ihr zu üben, als sie sich dem entzog war sie Dir gleichgültig, die Braut Deines Bruders hast Du in ihr nicht geachtet. Ueber diesen Umstand wünsch ich von Dir eine bündige ehrliche Erklärung zu haben, erst dann kann ich annehmen, daß wir im alten Vertrauen weiter verkehren dürfen.

Aus diesen Gründen ist auch mein letzter Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889. entstanden. Ich habe nicht Deine Hülfe angefleht, um zwischen mir u Mama zu vermitteln. Es war vielmehr dabei meine Ueberzeugung maßgebend daß ich den Zwist u die DivergenzMeinungsverschiedenheit. mit meinen Angehörigen zu Hause zum großen Theile dem Einflusse zuzuschreiben habe, den Du letzten Winter auf Alle Deine dortigen geistigen Sklaven ausgeübt hast. Wie schwer es auch sowohl Emma als mir wurde, das Vor|urtheil, das gegen sie existirte u tief eingewurzelt war zu zerstreuen, es gelang doch, und es gelang gerade durch unsere Gegenwart, gerade dadurch, daß sich sowohl Mama als Mieze davon überzeugen mußten, es sei doch nicht so schlimm wie sie sich’s vorgestellt. Nun kam am Vorabend unserer Abreise mitten im besten Einvernehmen jene Scene vor, die den Bruch herbeiführte. Mit Emma von einer Tour in’s SeethalTal zwischen Lenzburg und Emmen. zurückgekehrt erlaubte ich mir jene Bemerkung gegen Fräulein Minkein Pensionsgast auf Schloss Lenzburg, die Frank Wedekind kannte und die auch Gegenstand der Korrespondenz mit seiner Schwester Erika war [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1889]., daß sie im Hause die erste Rolle spiele oder so etwas, eine Bemerkung die auf Thatsachen beruhte indem diese Dame in Abwesenheit der Pensionäre„Wedekinds Mutter betrieb nach dem Tod ihres Mannes auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136], die Zimmer derselben untersuchte, so auch das unsere, dann über Alles ihr nicht nur arrogantes sondern äußerst unverschämtes Urtheil sich erlaubte, über die Dienstboten die Zuträgerinabwertend für eine Person, die ohne Auftrag Informationen weitergibt. machte, aus einem jeden seine Schwächen herauszuexaminiren suchte und sie dann wieder bei andren zu verwerthete um sich damit angenehm zu machen. Dabei ist zu bemerken, daß ich weder gegen Emma noch mich von ihr irgend etwas gehört hatte. Ich sah aber u hörte wie Mama über Papa sich lächerlich machte, dann über unsere VerwandtenIn Hannover lebten Frank Wedekinds Onkel Erich Wedekind sowie seine Tante Auguste Bansen, beides Geschwister des Vaters. in Hannover schimpfte u wie Frl. Mink bei solchen Gelegen|heiten nicht nur aufmerksame Zuhörerin war, sondern in das liebens würdige Urtheil miteinstimmte. Ich kann ihr das nicht übel nehmen, sie ist einmal eine Schmarotzerin, eine s/S/eeleDrekseele„bildlich eine gemeine und niederträchtige denkungsart“ [DWB, Bd. 2, Sp. 1360]., die vom Sumpfe lebt, in den sie sich mit vorliebeSchreibversehen, statt: Vorliebe. hinein setzt u wo sie üb/p/pig u kräftig darin wird, mit einem Wort eine Dame mit soviel Hautgouthaut goût (frz. ‚hoher Geschmack‘) ursprünglich für Wildgeschmack, pikante Würze; daneben: „Hautgout haben (übertr.) = anrüchig, faul sein.“ [Verdeutschungsbücher des allgemeinen deutschen Sprachvereins. I. Die Speisekarte. Braunschweig 1888, S. 53], daß ich nicht dran zweifle, daß sie Dir äußerst behagen wird. Mir dagegen war ihre Gegenwart allerdings zuwieder u die Aussicht, die mir damals schon g/G/ewißheit war, daß sie sich immer fester ankletten werde keine erfreuliche. So ließ ich mich zu jener Bemerkung hinreißen. Was war die Antwort? Das sei nicht meine eigene Stimme, die aus mir spreche u s. w.; kurz Emma, die keine Silbe gesagt hatte, sollte Schuld sein an Allem. Sie hatte mir noch abgerathen als ich auf Mieze ihren Jammer über die Mink zu Mama gehen wollte, trotzdem mußte sie Schuld sein. Am andren Tag kam Mama nicht zu Tisch, sprach kein Wort u als wir Abschied nehmen wollten entließ sie uns, wie man ein Paar Bettler von der Thüre weist. Aber dies rohe, herzlose Betragen, das ihr eine solche brutale Beleidigung ihres Sohnes u seiner Frau vor Dienstboten u Pensio|nären eingab, das wurzelte nicht in meiner Äußerung, sondern in Mamas altem Haß u Hochmuth u der war gehegt u gepflegt von Dir. Er hat sich glänzend bewährt dieser stolze, eingebildete, eigendünkelhafte Sinne, dieses „ich u mein Fleisch sind besser als alles andere Volk.“ Er hat sich in seiner ganzen Höhe u seiner abscheulichen Niedrigkeit, in seiner Unfähigkeit zu denken zu prüfen aber in seiner Wollust, die, die sich nicht wehren können zu quälen u zu beleidigen gezeigt.

So stehen die Dinge. Als ich von Zürich her mich über solche Behandlung beklagte und hoffte, nur einen Wink geben zu müssen um Mama zu veranlassen ihre Rohheit wieder gut zu machen, da kam jener BriefDie Korrespondenz zwischen Emilie und Armin Wedekind ist nicht überliefert., in dem sie mein Betragen als Neid u Mißgunst auslegt u daneben Emma beschuldigt aus gekränkter Eitelkeit jene Scene durch mich herbeigeführt zu haben. Diese dummen u lächerlichen Beschuldigungen ließ ich allerdings unbeantwortet.

Mama hat wohl nachträglich gefühlt, daß sie ein Unrecht begangen. Es läßt sich aber so etwas nicht durch kleine Spenden wieder gut | machen. Ich fordere von Mama einSchreibversehen, statt: eine. bündige Erklärung über ihr Verhalten, denn nur Offenheit kann in einem solchen Falle helfen.

Wenn Du dabei eine Vermittlerrolle s/ü/bernehmen willst so habe ich nichts dagegen sobald wir mit einander im Klaren sind. Die Sache von damals als Spaß auszulegen, wie Du das im letzten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. thust, möchte doch wohl verfehlt sein, nachdem Deine Indiscretion sowohl bei Emma als mir den schlechtesten Verdacht gegen Dich rege gemacht. Du hättest nachdem ich so mit Dir gesprochen hatte, wissen können daß ich damit nicht spasse u vor Mama u Emma schweigen dürfen, das wäre anständig gewesen!

Ebenfalls zurückweisen muß ich Dein Ansinnen, daß es sich jetzt um eine gewöhnliche Differenz zw à la Pfarrerin u SchwiegermutterAnspielung nicht ermittelt. handelt. Emma hat mit Mama nie eine Auseinandersetzung gehabt, sie hat leider stets jede Beleidigung ertragen ohne die gehörige Antwort darauf zu geben (auf die es dabei allerdings wahrscheinlich abgesehen war.) Emma befindet sich überdies am Ende ihrer Schwangerschaft sodaß ich sie bitte sie vollständig aus | dem Spiele zu lassen. Sie weiß weder von diesem noch dem vorigen Brief vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889.an Dich etwas. Ich hoffe ich kann mich wenigstens mit dieser Bitte auf Dich verlassen. Daß Du trotz meinem ausdrücklichen Wunsch an Mama geschriebenvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.12.1889. hast ist mir sehr unangenehm u entschlage ich mich in dieser Beziehung jeder Verantwortung.

Ich überlasse es Dir nun zu thun was Du für gut findest. Daß ich mir von zu Hause eine Behandlung wie die bisherige nicht weiter gefallen lassen kann scheint auch Dir klar zu sein, doch kann ich nicht den ersten Schritt thun, wo es an den andren ist ein bitteres Unrecht einzugestehen u gut zu machen. Sonst So muß ich sogar eben riskiren, nach allen Seiten die Fühlung zu verlieren, da ich zu einem Diplomaten nach Deinem Sinne kein Talent habe.

Indem ich hoffe, daß das nächste Jahr mir von den Meinigen etwas mehr Liebe u Achtung entgegenbringt u zugleich das Mißtrauen in Dich schwinden Möge verbleibe Dein Bruder
Armin.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 21,5 x 27 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der gedruckte Briefkopf von Seite 1 findet sich auch auf Seite 5 (hier nicht wiedergegeben). Blatt 3 und 4 sind in der unteren Hälfte am Rand ausgerissen. Auf Seite 1 und 2 finden sich einfache Unterstreichungen („Leider“ bis „beseitigt“, „Ueber“ bis „Verwandten“, „Herzlichkeit oder Liebe“, „zu beschämen, zu demüthigen“, „psychologischen Studien“, „Ich habe“ bis „angefleht“, „daß ich“ bis „meinen“) sowie doppelte Unterstreichungen („Aufklärung“, „die Braut“ bis „geachtet“, „geistigen Sklaven“) mit Bleistift von fremder Hand.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Riesbach
    11. Dezember 1889 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Riesbach
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 303
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Armin (Hami) Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1889. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

31.10.2024 17:11