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Lieber, werther Franklin!
un/da/s aufrichtige Bestreben in
Zukunft sowohl in Wort als Schrift (Brief) jegliche | Andeutung an solche Dinge
zu vermeiden. Die gegenseitige Achtung leidet & dann leb wohl,
Freundschaft. Wir sind keine Griechen, unsere Ansichten über solche Sachen sind
zu sehr von
Dies/ein/e
Poesien darunter vermutlich die Gedichte „Ein Lebenslauf“ (siehe unten) und „Jubilate!“, von dem Oskar Schibler ein auf den 27.1.1883 datiertes Manuskript besaß [vgl. KSA 1/I, S. 1420]. habe ich schon einigemale mit Freude & Genuss durchlesen.
Manch treffliche r Gedanke wurde angeregt & oft fand ich mein
eigenes Selbst in ihnen. Ich brauche irgend eine äussere Veranlassung um etwas
lyrisches hervorzubringen, es ist wie eine Feuerspri h/tz/e, die mit dem
Strahl die Gefühle schwächt. In der Prosa glaube ich mehr leisten zu können.
Das ist mein Feld auf dem vielleicht später noch etwas
gedeihen kann. –
Ich war in der letzten Zeit in einem eigenthümlich
unzufriedenen, weltzerfallenen Zustande. Alles ekelte mich an & warum weil
ich auch angesteckt war von de++/n/ weltschmerzlichen Ideen „eine auf den Grundgedanken der pessimistischen Philosophie basierende, von Enttäuschung, Abscheu und Lebensüberdruß geprägte Stimmungslage, die sich als ‚weltschmerzlicher Ton‘ v.a. in der Dichtung der Romantik – u.a. Byrons, Lenaus und Jean Pauls – niederschlug“ [KSA 1/II, S. 2170]. Wedekind, der im Freundeskreis für seine resignative Lebensanschauung bekannt war, identifizierte sich zwischen Winter 1880/81 und Winter 1882/83 mit den Ideen des Pessimismus und verfaßte eine Reihe von ‚Weltschmerzliedern‘ [vgl. ebd.; vgl. auch die Wedekinds Korrespondenz mit Adolf Vögtlin].. Wie | gross & erhaben
& unbegreiflich ist dies Weltall & wie klein & nichtig der Mensch
mit seinen Leidenschaften & dann der Tod. Was soll mein Streben & R +/i/ingen
wenn dies das Endziel ist. Oft hohnlachteichSchreibversehen, statt: hohnlachte ich.
& wünschte nie geboren zu sein & dennoch taucht nach & nach der
Gedanke auf, fasse dich
errtragsSchreibversehen, statt: ertrag’s. nimm die Welt
wie sie ist, bilde dir selbst eine neue & passe sie wenn möglich der äussern
an. Man kann ohne glücklich zu leben, interessant leben, vieles Hohe geniessen
& so innerlich Genugthuung finden. Ich fand die Menschen verstehen mich
nicht, können nicht mit mir fühlen, gut so gebrauche ich sie zur Unterhaltung
zum Studium. Ich will versuchen mich ganz in diese Idee hinzuleben; man wird
nicht glücklich, vergisst aber doch die andern uns alles zum Ekel machenden
Gedanken. Ich bin Mensch & will die Menschheit ertragen. Das „ greise Kind“Vermutlich in Anspielung auf Wedekinds Gedicht „Ein Lebenslauf“: „Früh schwand mein Seelenfried. / Ach, ich genoß zu heiß! / Und ward des Lebens müde, – / Ein jugendlicher Greis. // So sah ich die Zeit verfließen. / Was gleitest du jetzt so geschwind? / O, könnt’ ich wieder genießen, – Ich greises Kind!“ [KSA 1/I, S. 74] Das Gedicht befindet sich als Reinschrift auch im Heft „Memorabilia“ (S. 10v), das durch einen Briefentwurf (S. 3) [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 11.11.1882] und einen Eintrag vom 18.5.1883 (S. 65) datiert ist. ist nur
durch Gefühle alt geworden hat sich nicht hineinfinden können, hat geglaubt
schon alles durchkostet zu haben. Mit Gefühlen wird man unglücklich. Wende man
seine Gefühle andern Gegenständen zu so wird man wenn nicht
glücklich so doch zufrieden. Glücklich ist ja nur der Thor & zufrieden der
sich beschränkende Mensch. | Glücklich ist nur der fühlende Mensch der denkende
nicht mehr. Mensch im vulgären, fühlen & denken im extremsten Sinne
genommen.
Noch fehlt es viel bis diese auftauchenden Gedanken mein
Denken leiten werden, aber die Zeit & die Menschen helfen wacker mit.
Theilen wir uns in der Weise unsere Gedanken mit: Unser Briefwechsel wird dann
eine Quelle reichen & nutzbringenden & uns selber eng verbinden Schreibversehen, statt: verbindenden. Ideenaustausches
sein. Nur dann fühlen wir dass wir zusammengehören & uns gegenseitig, geneinschaftlichSchreibversehen, statt: gemeinschaftlich. leiten. Eine
ideale Freundschaft wird uns verbinden, in der wir den grössten Genuss finden
werden.
Leb wohl Franklin, in treuer FreundschaftDein O.
Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben
Tag („31.“) und Monat („1.“) des genannten Schreibdatums sind unstrittig. Das korrigierte Schreibjahr 1883 (statt 1882) ist durch den Kontext belegt [vgl. auch KSA 1/II, S. 1418].
Solothurn
31. Januar 1883 (Mittwoch)
Ermittelt (sicher)
Solothurn
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Oskar Schibler an Frank Wedekind, 31.1.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (05.12.2025).
Anke Lindemann