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Kennung: 4049

Berlin, 30. September 1916 (Samstag), Postkarte

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

Innigst geliebte Tilly! Herzlichen Dank für Deine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 29.9.1916 (erste Postkarte). und die aus Andexdie in Erling aufgegebene Bildpostkarte von Kloster Andechs [vgl. Tilly Wedekind, Kadidja Wedekind, Maja Kyser, Pamela Wedekind, Fritz Kyser, Siegfried Kyser, Luise Kyser an Frank Wedekind, 28.9.1916].. Gestern Abend nach der ProbeWedekind besuchte am 29.9.1916 die „Generalprobe von Jonatans Töchter“ [Tb], in den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) unter der Regie von Carl Heine inszeniert in der deutschen Übersetzung „Jonathans Töchter“ (1916) der Gesellschaftskomödie „The New York Idea“ (1908) von Langdon Elwyn Mitchell, die am 30.9.1916 um 20 Uhr Premiere hatte [vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 459, 30.9.1916, Morgen-Ausgabe, S. 8]; anschließend ging es mit Max Reinhardt zum Diner in die Deutsche Gesellschaft 1914 (siehe unten). zu der auch Harden eintraf, lud uns Reinhard zum Essen in den Klub, wo bis ein Uhr politisiert wurde als Harden plötzlich offenbar in Folge von Kriegspsychose„Während des Krieges hatte der vage Begriff ‚Kriegspsychose‘ Konjunktur.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 325] einen Tobsuchtsanfall bekamWedekind notierte am späten Abend des 29.9.1916 den von Maximilian Harden provozierten Streit in der Deutschen Gesellschaft 1914 (Wilhelmstraße 67), bei dem außer ihm selbst Max Reinhardt, Erich Reiß, Felix Hollaender, Wilhelm Herzog, der Journalist und SPD-Politiker Curt Baake und der Schriftsteller und bayrische Pressereferent im Kriegspresseamt in Berlin Walter von Rummel zugegen waren: „Reinhardt lädt uns in den Club Harden Reiß Holländer und mich. Hardenskandal. Herzog Baake und Rummel“ [Tb]. Wilhelm Herzog erinnerte sich in seinem Buch „Menschen, denen ich begegnete“ im Kapitel über Harden: „Zu einer tragikomischen Szene mit Harden kam es im letzten Kriegsjahr, als er sich mit Max Reinhardt und Felix Holländer im Klub ‚Deutsche Gesellschaft‘ [...] zu uns an den Tisch setzte. Wir, d.h. Wedekind, ein bayrischer Offizier von Rommel und der spätere Unterstaatssekretär Baake, unterhielten uns [...], da kamen die drei Herren an unsern Tisch, und Harden, von dem wir nicht wußten, daß er vorher oben – ganz gegen seine Gewohnheit – reichlich getrunken hatte, begann sofort, einen Kriegsplan oder richtiger einen Friedensplan zu entwickeln. Der Kaiser müsse morgen in einer Botschaft an die ganze Welt verkünden, alle deutschen Armeen würden an die Grenzen Deutschlands zurückgezogen. Dies bezeuge den Friedenswillen Deutschlands, das keinerlei Annexionsansprüche stelle. Damit sei der Krieg beendet. Als er kein Echo auf sein erstaunlich naives Programm fand, wurde er wild, beleidigte erst Wedekind und dann auch mich, von denen er Zustimmung erwartet hatte, und geriet mit Wedekind schließlich in einen so heftigen Streit, daß dem bayrischen Offizier ein Duell unvermeidlich schien.“ [Herzog 1959, S. 80f.] Und im Kapitel über Wedekind: „Zu einer etwas stürmischen Auseinandersetzung kam es eines Nachts in diesem Klub, als sich Maximilian Harden mit Max Reinhardt und [...] Felix Holländer zu uns setzten. Wir saßen unten im Gesellschaftsraum [...]. Wir wollten gerade aufbrechen, da erschienen [...] Maximilian Harden, Max Reinhardt und Felix Hollaender. Sie baten uns, noch zu bleiben. Wir setzten uns also alle zusammen, und bald begann Harden eine große Rede gegen den Krieg zu halten, die darin gipfelte, daß Deutschlands Rettung nur noch möglich wäre, wenn es alle seine Armeen bis zu seinen Grenzen zurückzöge, und der Kaiser erklärte, keinerlei Eroberungsabsichten zu haben. Er erwartete ein Echo. Als es ausblieb, wurde er wild, apostrophierte Wedekind, ob er darauf nichts zu sagen habe, und als dieser kühl verneinte, wurde er noch wilder [...], er steigerte sich immer heftiger in eine besinnungslose Wut hinein, beschimpfte Wedekind, der kalt daneben saß, bis er schließlich aufstand und zu Harden sagte: ‚Sie täten besser daran, sich ins Bett zu legen.‘ Da fing Harden an zu toben. Wir standen auf.“ [Herzog 1959, S. 224] Wedekind notierte den Tag darauf, am 30.9.1916: „Vollmöller hat schon Nachricht vom Skandal“ [Tb] – damit hatte sich das Zeitungsprojekt erledigt, über das Wedekind mit Maximilian Harden am 28.9.1916 und mit Karl Gustav Vollmoeller nachmittags am 29.9.1916 gesprochen hat [vgl. Martin 1996, S. 183f.]. und auf alle Welt, auch auf mich einschimpfte. Nur Reinhardt und Holländer kamen ungeschoren weg. Es war höchst unerquicklich. Ich hielt es Anfangs für Scherz als | er mich seinen Todfeind nannte. Aber es war ihm Ernst. Hoffentlich geht es euch gut. Da die Abmachungen mit MeinhardWedekind war im Begriff, einen Vertrag mit Carl Meinhard, Direktor des Theaters in der Königgrätzer Straße in Berlin [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1917, S. 281], über die „Erdgeist“-Inszenierung im Theater in der Königgrätzer Straße (Premiere: 4.11.1916) zu schließen. ohnehin zum Bruch mit Reinhardt„Zum Bruch mit Reinhardt kam es nicht, auch wenn es nach September 1916 zu keinen weiteren Wedekind-Aufführungen an den Reinhardt-Bühnen kam.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 326] führen werden, freue ich mich bald heraus zu kommen. Innigste Grüße und Küsse Dir und den Kindern. Auf frohes Wiedersehn. Dein Frank


Postkarte


Frau Tilly Wedekind
bei H Uhrmacher Günther
Herrsching am Ammersee (Bayern)

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Papier. 14 x 9 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Postkarte ist mit einer aufgedruckten Briefmarke von 7 ½ Pfennig frankiert. Die Empfängeradresse ist von fremder Hand gestrichen und durch „München. Prinzregenstraße 50“ ersetzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Datum des Poststempels – 30.9.1916 – darf als Schreibdatum angenommen werden.

Uhrzeit im Poststempel Berlin: „9 – 10 N“ (= 21 bis 22 Uhr).

  • Schreibort

    Berlin
    30. September 1916 (Samstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    30. September 1916 (Samstag)

  • Zwischenstation

    Herrsching am Ammersee
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
425
Briefnummer:
648
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.9.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

11.02.2023 09:46
Kennung: 4049

Berlin, 30. September 1916 (Samstag), Postkarte

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly
 
 

Inhalt

Innigst geliebte Tilly! Herzlichen Dank für Deine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 29.9.1916 (erste Postkarte). und die aus Andexdie in Erling aufgegebene Bildpostkarte von Kloster Andechs [vgl. Tilly Wedekind, Kadidja Wedekind, Maja Kyser, Pamela Wedekind, Fritz Kyser, Siegfried Kyser, Luise Kyser an Frank Wedekind, 28.9.1916].. Gestern Abend nach der ProbeWedekind besuchte am 29.9.1916 die „Generalprobe von Jonatans Töchter“ [Tb], in den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) unter der Regie von Carl Heine inszeniert in der deutschen Übersetzung „Jonathans Töchter“ (1916) der Gesellschaftskomödie „The New York Idea“ (1908) von Langdon Elwyn Mitchell, die am 30.9.1916 um 20 Uhr Premiere hatte [vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 459, 30.9.1916, Morgen-Ausgabe, S. 8]; anschließend ging es mit Max Reinhardt zum Diner in die Deutsche Gesellschaft 1914 (siehe unten). zu der auch Harden eintraf, lud uns Reinhard zum Essen in den Klub, wo bis ein Uhr politisiert wurde als Harden plötzlich offenbar in Folge von Kriegspsychose„Während des Krieges hatte der vage Begriff ‚Kriegspsychose‘ Konjunktur.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 325] einen Tobsuchtsanfall bekamWedekind notierte am späten Abend des 29.9.1916 den von Maximilian Harden provozierten Streit in der Deutschen Gesellschaft 1914 (Wilhelmstraße 67), bei dem außer ihm selbst Max Reinhardt, Erich Reiß, Felix Hollaender, Wilhelm Herzog, der Journalist und SPD-Politiker Curt Baake und der Schriftsteller und bayrische Pressereferent im Kriegspresseamt in Berlin Walter von Rummel zugegen waren: „Reinhardt lädt uns in den Club Harden Reiß Holländer und mich. Hardenskandal. Herzog Baake und Rummel“ [Tb]. Wilhelm Herzog erinnerte sich in seinem Buch „Menschen, denen ich begegnete“ im Kapitel über Harden: „Zu einer tragikomischen Szene mit Harden kam es im letzten Kriegsjahr, als er sich mit Max Reinhardt und Felix Holländer im Klub ‚Deutsche Gesellschaft‘ [...] zu uns an den Tisch setzte. Wir, d.h. Wedekind, ein bayrischer Offizier von Rommel und der spätere Unterstaatssekretär Baake, unterhielten uns [...], da kamen die drei Herren an unsern Tisch, und Harden, von dem wir nicht wußten, daß er vorher oben – ganz gegen seine Gewohnheit – reichlich getrunken hatte, begann sofort, einen Kriegsplan oder richtiger einen Friedensplan zu entwickeln. Der Kaiser müsse morgen in einer Botschaft an die ganze Welt verkünden, alle deutschen Armeen würden an die Grenzen Deutschlands zurückgezogen. Dies bezeuge den Friedenswillen Deutschlands, das keinerlei Annexionsansprüche stelle. Damit sei der Krieg beendet. Als er kein Echo auf sein erstaunlich naives Programm fand, wurde er wild, beleidigte erst Wedekind und dann auch mich, von denen er Zustimmung erwartet hatte, und geriet mit Wedekind schließlich in einen so heftigen Streit, daß dem bayrischen Offizier ein Duell unvermeidlich schien.“ [Herzog 1959, S. 80f.] Und im Kapitel über Wedekind: „Zu einer etwas stürmischen Auseinandersetzung kam es eines Nachts in diesem Klub, als sich Maximilian Harden mit Max Reinhardt und [...] Felix Holländer zu uns setzten. Wir saßen unten im Gesellschaftsraum [...]. Wir wollten gerade aufbrechen, da erschienen [...] Maximilian Harden, Max Reinhardt und Felix Hollaender. Sie baten uns, noch zu bleiben. Wir setzten uns also alle zusammen, und bald begann Harden eine große Rede gegen den Krieg zu halten, die darin gipfelte, daß Deutschlands Rettung nur noch möglich wäre, wenn es alle seine Armeen bis zu seinen Grenzen zurückzöge, und der Kaiser erklärte, keinerlei Eroberungsabsichten zu haben. Er erwartete ein Echo. Als es ausblieb, wurde er wild, apostrophierte Wedekind, ob er darauf nichts zu sagen habe, und als dieser kühl verneinte, wurde er noch wilder [...], er steigerte sich immer heftiger in eine besinnungslose Wut hinein, beschimpfte Wedekind, der kalt daneben saß, bis er schließlich aufstand und zu Harden sagte: ‚Sie täten besser daran, sich ins Bett zu legen.‘ Da fing Harden an zu toben. Wir standen auf.“ [Herzog 1959, S. 224] Wedekind notierte den Tag darauf, am 30.9.1916: „Vollmöller hat schon Nachricht vom Skandal“ [Tb] – damit hatte sich das Zeitungsprojekt erledigt, über das Wedekind mit Maximilian Harden am 28.9.1916 und mit Karl Gustav Vollmoeller nachmittags am 29.9.1916 gesprochen hat [vgl. Martin 1996, S. 183f.]. und auf alle Welt, auch auf mich einschimpfte. Nur Reinhardt und Holländer kamen ungeschoren weg. Es war höchst unerquicklich. Ich hielt es Anfangs für Scherz als | er mich seinen Todfeind nannte. Aber es war ihm Ernst. Hoffentlich geht es euch gut. Da die Abmachungen mit MeinhardWedekind war im Begriff, einen Vertrag mit Carl Meinhard, Direktor des Theaters in der Königgrätzer Straße in Berlin [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1917, S. 281], über die „Erdgeist“-Inszenierung im Theater in der Königgrätzer Straße (Premiere: 4.11.1916) zu schließen. ohnehin zum Bruch mit Reinhardt„Zum Bruch mit Reinhardt kam es nicht, auch wenn es nach September 1916 zu keinen weiteren Wedekind-Aufführungen an den Reinhardt-Bühnen kam.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 326] führen werden, freue ich mich bald heraus zu kommen. Innigste Grüße und Küsse Dir und den Kindern. Auf frohes Wiedersehn. Dein Frank


Postkarte


Frau Tilly Wedekind
bei H Uhrmacher Günther
Herrsching am Ammersee (Bayern)

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Papier. 14 x 9 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Postkarte ist mit einer aufgedruckten Briefmarke von 7 ½ Pfennig frankiert. Die Empfängeradresse ist von fremder Hand gestrichen und durch „München. Prinzregenstraße 50“ ersetzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Datum des Poststempels – 30.9.1916 – darf als Schreibdatum angenommen werden.

Uhrzeit im Poststempel Berlin: „9 – 10 N“ (= 21 bis 22 Uhr).

  • Schreibort

    Berlin
    30. September 1916 (Samstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    30. September 1916 (Samstag)

  • Zwischenstation

    Herrsching am Ammersee
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
425
Briefnummer:
648
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.9.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

11.02.2023 09:46