Vergleichsansicht

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Kennung: 3972

München, 1. August 1916 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Ich hatte die Absicht Frau Durieux vor Cassirer an die Beziehungen zu erinnernFrank Wedekind und Tilla Durieux hatten im Sommer 1904 eine kleine Liaison [vgl. Tilla Durieux an Wedekind, 3.7.1904] gehabt, über die Tilly Wedekind informiert und nun angesichts des gemeinsamen Abends am 1.8.1916 mit dem Ehepaar Paul Cassirer und Tilla Durieux im Münchner Parkhotel (Maximiliansplatz 21) – „Abend Parkhotel mit Cassirer und Durieux Skandal“ [Tb] – in Versuchung war, deutlich davon zu sprechen, da sie sich durch eine Äußerung der Schauspielerin verletzt fühlte. Sie bemerkte rückblickend: „Vielleicht hat […] Tilla […] bei dem Souper, das Paul Cassirer für uns in München, im Parkhotel gab, Frank mit ihrem Begeisterungsausbruch über die attraktive Persönlichkeit des Darmstädter Intendanten Paul Eger absichtlich geärgert.“ [Wedekind 1969, S. 158] Der von ihrem Mann notierte Skandal am 1.8.1916 dürfte sich auf dieses Geschehen beziehen: „Wenn während des Soupers die Sprache auf Tillys früheren Geliebten Paul Eger [...] kam, dann legt sich die Vermutung nah, dass Tilly schon allein Franks wegen gereizt auf Tillas intime Hinweise reagierte und ihrerseits sich das Recht herausnahm, frühere Intimitäten zwischen Tilla und Frank zumindest anzudeuten, was offenbar bei allen Beteiligten des Quartetts nicht gut ankam.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 309], die sie zu Dir hatte; habe es aber unterlassen aus Angst Du könntest dadurch Unannehmlichkeiten haben. Jeder hat das Recht sich zu wehren. Es kann mir niemand verbieten eine Gemeinheit mit der gleichen Gemeinheit zu beantworten. Ich glaube auch nicht, dass Dir jemand IndescretionSchreibversehen, statt: Indiskretion. vorwerfen kann, wenn Du Deiner Frau von Deinen früheren Beziehungen erzählst. Wenn ich dann in so einem Fall davon Gebrauch mache, so kann ich | mir nicht denken, dass das Gesetz Dir etwas anhaben kann. Ich bitte Dich, mir ein paar Zeilen in dem/as/ Couvert auf Deinen Schreibtisch zu legen u. mir zu sagen, ob ich brieflich, telephonisch oder mündlich gegen sie vorgehen darf.

Auch möchte ich wissen, ob es möglich ist dass ich sie an den Fall Alice TrübnerDie Malerin Alice Trübner erschoss sich am 20.3.1916 in Berlin „im Hotel Esplanade im Beisein der Durieux. In ihrer Autobiographie schildert Durieux die lesbischen Neigungen von Alice Trübner, die sich anscheinend zu Durieux hingezogen fühlte. Die unerwiderten Gefühle waren eventuell ein Auslöser für ihren Selbstmord. Ihr Mann, der Künstler Wilhelm Trübner, beschuldigte Durieux sogar des Mordes an seiner Frau.“ [Hannah Ripperger: Porträts von Tilla Durieux. Inszenierungen eines Theaterstars. Göttingen 2018, S. 95] In der zeitgenössischen Presse blieben die näheren Umstände unerwähnt. So im „Berliner Tageblatt“, das seine Meldung – „In geistiger Umnachtung hat gestern Frau Alice T., die Gattin eines Professors aus Karlsruhe, eines bekannten Malers, in einem Berliner Hotel Hand an sich gelegt. Die Kranke war in einem großen Hotel im Westen der Stadt abgestiegen und schoß sich dort in ihrem Zimmer aus einer Browningpistole eine Kugel in den Kopf. Angestellte, die auf den Knall herbeieilten, fanden die Frau bereits tot auf.“ [Selbstmord im Hotel. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 149, 21.3.1916, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (1)] – am Tag darauf präzisierte: „Die Gattin Wilhelm Trübners, deren Tod wir gestern gemeldet haben, war selbst eine Künstlerin von Rang.“ [fst: Alice Trübner †. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 151, 22.3.1916, Abend-Ausgabe, S. (3)] In München wurde gemeldet: „Die Malerin Alice Trübner [...] ist Dienstag abend plötzlich in einem Berliner Hotel im Alter von 42 Jahren gestorben.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 69, Nr. 149, 22.3.1916, Morgenblatt, S. 2] Ihr Mann, der Maler Wilhelm Trübner, veröffentlichte in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ eine Todesanzeige: „Schmerzerfüllt teile ich Freunden und Bekannten mit, daß meine überaus idealgesinnte, an Edelmut alles überragende, geliebte Frau Alice Trübner nach jahrelang heldenhaft ertragenem Leiden am 20. März Abends 10 Uhr in Berlin im 40. Lebensjahr, plötzlich durch den Tod aus segensreichster Lebenstätigkeit gerissen wurde.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 69, Nr. 157, 26.3.1916, Vorabendblatt, S. 11] erinnere, u. sie frage ob sie sich darauf freut bald einem zweiten SelbstmordTilly Wedekind drohte sich umzubringen wie Alice Trübner (siehe oben). Wedekind notierte am 2.8.1916: „Nach Tisch Anfall. Tilly nimmt Morphiumpulver liegt zu Bett.“ [Tb] Er sprach am 3.8.1916 mit Joachim Friedenthal – „Mit Friedenthal im Reginacafé erzähle ihm Affäre Durieux“ [Tb] – und suchte am 3.8.1916 den Graphologen Ludwig Aub wohl mit dem vorliegenden Brief auf, um Rat zu holen: „Bei Ludwig Aub. Ich zeige ihm Tillys Brief.“ [Tb] beiwohnen zu können.

Ich hätte Dir noch Vieles zu sagen aber – mache ich es dadurch besser? Wie soll es nur werden?

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit rotem Buntstift das fragliche Datum „15?“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 1.8.1916 ist als Ankerdatum gesetzt – orientiert an der Datierung im Erstdruck sowie am Briefinhalt in Verbindung mit dem Tagebuch. Wedekind notierte am 1.8.1916 einen Abend mit dem Ehepaar Paul Cassirer und Tilla Durieux: „Abend Parkhotel mit Cassirer und Durieux Skandal“ [Tb]; seine Frau war mit dabei und dürfte anschließend den vorliegenden Brief geschrieben haben: „Vermutlich bezieht sich Tillys Niederschrift auf diesen Vorfall“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 309].

  • Schreibort

    München
    1. August 1916 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
397-398
Briefnummer:
605
Kommentar:
Der Brief ist im Erstdruck auf den 1.8.1916 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.8.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.01.2023 12:06
Kennung: 3972

München, 1. August 1916 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Ich hatte die Absicht Frau Durieux vor Cassirer an die Beziehungen zu erinnernFrank Wedekind und Tilla Durieux hatten im Sommer 1904 eine kleine Liaison [vgl. Tilla Durieux an Wedekind, 3.7.1904] gehabt, über die Tilly Wedekind informiert und nun angesichts des gemeinsamen Abends am 1.8.1916 mit dem Ehepaar Paul Cassirer und Tilla Durieux im Münchner Parkhotel (Maximiliansplatz 21) – „Abend Parkhotel mit Cassirer und Durieux Skandal“ [Tb] – in Versuchung war, deutlich davon zu sprechen, da sie sich durch eine Äußerung der Schauspielerin verletzt fühlte. Sie bemerkte rückblickend: „Vielleicht hat […] Tilla […] bei dem Souper, das Paul Cassirer für uns in München, im Parkhotel gab, Frank mit ihrem Begeisterungsausbruch über die attraktive Persönlichkeit des Darmstädter Intendanten Paul Eger absichtlich geärgert.“ [Wedekind 1969, S. 158] Der von ihrem Mann notierte Skandal am 1.8.1916 dürfte sich auf dieses Geschehen beziehen: „Wenn während des Soupers die Sprache auf Tillys früheren Geliebten Paul Eger [...] kam, dann legt sich die Vermutung nah, dass Tilly schon allein Franks wegen gereizt auf Tillas intime Hinweise reagierte und ihrerseits sich das Recht herausnahm, frühere Intimitäten zwischen Tilla und Frank zumindest anzudeuten, was offenbar bei allen Beteiligten des Quartetts nicht gut ankam.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 309], die sie zu Dir hatte; habe es aber unterlassen aus Angst Du könntest dadurch Unannehmlichkeiten haben. Jeder hat das Recht sich zu wehren. Es kann mir niemand verbieten eine Gemeinheit mit der gleichen Gemeinheit zu beantworten. Ich glaube auch nicht, dass Dir jemand IndescretionSchreibversehen, statt: Indiskretion. vorwerfen kann, wenn Du Deiner Frau von Deinen früheren Beziehungen erzählst. Wenn ich dann in so einem Fall davon Gebrauch mache, so kann ich | mir nicht denken, dass das Gesetz Dir etwas anhaben kann. Ich bitte Dich, mir ein paar Zeilen in dem/as/ Couvert auf Deinen Schreibtisch zu legen u. mir zu sagen, ob ich brieflich, telephonisch oder mündlich gegen sie vorgehen darf.

Auch möchte ich wissen, ob es möglich ist dass ich sie an den Fall Alice TrübnerDie Malerin Alice Trübner erschoss sich am 20.3.1916 in Berlin „im Hotel Esplanade im Beisein der Durieux. In ihrer Autobiographie schildert Durieux die lesbischen Neigungen von Alice Trübner, die sich anscheinend zu Durieux hingezogen fühlte. Die unerwiderten Gefühle waren eventuell ein Auslöser für ihren Selbstmord. Ihr Mann, der Künstler Wilhelm Trübner, beschuldigte Durieux sogar des Mordes an seiner Frau.“ [Hannah Ripperger: Porträts von Tilla Durieux. Inszenierungen eines Theaterstars. Göttingen 2018, S. 95] In der zeitgenössischen Presse blieben die näheren Umstände unerwähnt. So im „Berliner Tageblatt“, das seine Meldung – „In geistiger Umnachtung hat gestern Frau Alice T., die Gattin eines Professors aus Karlsruhe, eines bekannten Malers, in einem Berliner Hotel Hand an sich gelegt. Die Kranke war in einem großen Hotel im Westen der Stadt abgestiegen und schoß sich dort in ihrem Zimmer aus einer Browningpistole eine Kugel in den Kopf. Angestellte, die auf den Knall herbeieilten, fanden die Frau bereits tot auf.“ [Selbstmord im Hotel. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 149, 21.3.1916, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (1)] – am Tag darauf präzisierte: „Die Gattin Wilhelm Trübners, deren Tod wir gestern gemeldet haben, war selbst eine Künstlerin von Rang.“ [fst: Alice Trübner †. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 151, 22.3.1916, Abend-Ausgabe, S. (3)] In München wurde gemeldet: „Die Malerin Alice Trübner [...] ist Dienstag abend plötzlich in einem Berliner Hotel im Alter von 42 Jahren gestorben.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 69, Nr. 149, 22.3.1916, Morgenblatt, S. 2] Ihr Mann, der Maler Wilhelm Trübner, veröffentlichte in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ eine Todesanzeige: „Schmerzerfüllt teile ich Freunden und Bekannten mit, daß meine überaus idealgesinnte, an Edelmut alles überragende, geliebte Frau Alice Trübner nach jahrelang heldenhaft ertragenem Leiden am 20. März Abends 10 Uhr in Berlin im 40. Lebensjahr, plötzlich durch den Tod aus segensreichster Lebenstätigkeit gerissen wurde.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 69, Nr. 157, 26.3.1916, Vorabendblatt, S. 11] erinnere, u. sie frage ob sie sich darauf freut bald einem zweiten SelbstmordTilly Wedekind drohte sich umzubringen wie Alice Trübner (siehe oben). Wedekind notierte am 2.8.1916: „Nach Tisch Anfall. Tilly nimmt Morphiumpulver liegt zu Bett.“ [Tb] Er sprach am 3.8.1916 mit Joachim Friedenthal – „Mit Friedenthal im Reginacafé erzähle ihm Affäre Durieux“ [Tb] – und suchte am 3.8.1916 den Graphologen Ludwig Aub wohl mit dem vorliegenden Brief auf, um Rat zu holen: „Bei Ludwig Aub. Ich zeige ihm Tillys Brief.“ [Tb] beiwohnen zu können.

Ich hätte Dir noch Vieles zu sagen aber – mache ich es dadurch besser? Wie soll es nur werden?

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit rotem Buntstift das fragliche Datum „15?“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 1.8.1916 ist als Ankerdatum gesetzt – orientiert an der Datierung im Erstdruck sowie am Briefinhalt in Verbindung mit dem Tagebuch. Wedekind notierte am 1.8.1916 einen Abend mit dem Ehepaar Paul Cassirer und Tilla Durieux: „Abend Parkhotel mit Cassirer und Durieux Skandal“ [Tb]; seine Frau war mit dabei und dürfte anschließend den vorliegenden Brief geschrieben haben: „Vermutlich bezieht sich Tillys Niederschrift auf diesen Vorfall“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 309].

  • Schreibort

    München
    1. August 1916 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
397-398
Briefnummer:
605
Kommentar:
Der Brief ist im Erstdruck auf den 1.8.1916 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.8.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.01.2023 12:06