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Kennung: 3857

München, 28. Januar 1909 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Akademische Bühne Berlin, (Verein)
  • Schaie, Fritz

Inhalt

[1. Briefentwurf:]


An den Vorstand des Vereines Akademische Bühne.
Berlin.


Sehr geehrter HerrFritz Schaie, der Vorsitzende der Akademischen Bühne in Berlin [vgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin, Fritz Schaie, 18.9.1908].

Den/ie/ flegelhafte Ausdrucksweise des Berliner Tageblattes
veranlaßt mich zu der die ergebene BitteEs folgt ein Einweisungszeichen. an Sie zu richten, von der geplanten (beabsichtigten) Aufführung meiner KomödieDie Presse hatte gemeldet: „Die Akademische Bühne ist von Frank Wedekind autorisiert worden, seine satirische Komödie ‚Die junge Welt‘ zum ersten Male zur Darstellung zu bringen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 40, 23.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Dann war angekündigt: „Die Premiere von Frank Wedekinds satirischer Komödie ‚Die junge Welt‘, die, wie bereits bekannt gegeben, als Veranstaltung der Akademischen Bühne im Hebbel-Theater stattfindet, ist auf Freitag, den 12. März, angesetzt worden. Dargestellt wird das Werk vom Ensemble des Hebbel-Theaters. Die Inszenierung leitet Direktor Dr. Robert. Das Vorspiel des Stückes, das in einem Mädchenpensionat spielt, gelangt gleichfalls zur Darstellung. Die Aufführung wird nicht wiederholt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 111, 2.3.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Der Erfolg der Berliner Premiere war mäßig [vgl. KSA 2, S. 757f.]; die Kritik im „Berliner Tageblatt“ schrieb nun nicht Fritz Engel, sondern Monty Jacobs, der meinte: „Alles in allem, es war eine Kraftverschwendung. Die Akademische Bühne war nicht gut beraten, als sie gerade Wedekinds Erstling ‚Die junge Welt‘ auswählte.“ Er meinte aber auch, „daß Wedekinds schmerzgeborener Galgenhumor zu seinem Rechte kam.“ [M.J.: Akademische Bühne. „Die junge Welt“, Komödie von Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 131, 13.3.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2-3)] Die junge Welt, die Sie Ihr Verein in Aussicht genommen hat, gütigst absehen zu wollen

Ich weiß die Ehre gewiß zu schätzen

Mögen Sie mich immerhin für einen besondeSchreibversehen, statt: besonders. empfindsamen oder besonders eitlen Menschen halten, aber ich habe meine Stücke | nicht geschrieben, um mich öffentlich beschimpfen zu lassen.

Meine Junge Welt gieltSchreibversehen, statt: gilt. mir heute als eine anspruchslose Jugendarbeit von ziemlich schwerfälligem Aufbau.

Ich will mein Stück „Die junge Welt[“] in Berlin lieber nicht aufgeführt wissen als es der
F/f/legelhaften Ausdrucksweise des Berliner Tageblattes
preisgegebenEs folgt ein wieder gestrichenes Einweisungszeichen. sehen.
ausgesetzt sehen.


[2. Briefentwurf:]


Offener BriefDer gekürzt im „Berliner Börsen-Courier“ veröffentlichte offene Brief Wedekinds wurde auch außerhalb Berlins registriert – so in München: „Frank Wedekind hat seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ in Berlin überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ (deren Uraufführung am 22. April 1908 im Münchner Schauspielhause stattfand) durch einen offenen Brief zurückgezogen. Der Brief enthält nach dem Börsencourier eine ziemlich scharfe Selbstkritik, eine viel schärfere aber an einem Berliner Blatte, dem Berl. Tageblatt. Dieses hatte seinerzeit Wedekinds Musik ‚verrissen‘ und Wedekind möchte ihm nun offenbar nicht auch noch die junge Welt ausliefern.“ [Kleine Chronik. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 51, 2.2.1909, Vorabendblatt, S. 2].

Meine Komödie Die junge Welt vereinigt mit einem plumpen unbeholfenen Aufbau eine dürftige blutlere Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens Komödie der LiebeWedekind hatte am 24.7.1889 notiert: „Ibsens ‚Komödie der Liebe‘ gekauft. Sie wird einige Evolutionen in meinem Plan hervorrufen.“ [Tb] Mit dem Plan war „Kinder und Narren“ (1891) gemeint, später umgearbeitet in „Die junge Welt“ (1897). Wedekind hat die deutsche Erstausgabe von Ibsens Stück (1862 im norwegischen Original erschienen) erworben, „Comödie der Liebe. Comödie in drei Akten“ (1889), die autorisierte deutsche Übersetzung, die im Verlag S. Fischer in Berlin herauskam. Ibsens Stück war allerdings nur unter Vorbehalt eine Quelle für Wedekinds Lustspiel, da sich „Analogien [...] auf die Personenkonstellation“ beschränken und „während Ibsen das Verhältnis der Geschlechter und die Stellung des Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen betrachtet, greift Wedekind mit den Themen Emanzipation und Naturalismus zeitgenössische, zeitgebundene Sujets auf und beleuchtet sie ironisch.“ [KSA 2, S. 663] entstanden. Trotzdem ist die Arbeit nicht ganz humorlos und könnte bei guter Darstellung der männlichen HauptrolleFranz Ludwig Meier [vgl. KSA 2, S. 184], die männliche Hauptfigur in „Die junge Welt“, in der der Naturalist Gerhart Hauptmann persifliert ist [vgl. KSA 2, S. 666f.]. als harmlose versöhnliche Satyre wirken.

Ich ersuche Sie geehrter Herr meinen aufrichtigen Dank und meine besten Wünsche zum Gelingen Ihre künstlerischen Bestrebungen entgegenzunehmen.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung, |

Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir diese Thatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, im Ton unflätigster SchimpfereienWedekind bezieht sich auf ihn kränkende Veröffentlichungen über ihn im „Berliner Tageblatt“ [vgl. F.E.: Wedekinds „Musik“. Erste Aufführung im „Kleinen Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 558, 1.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2); F.E.: Frank Wedekind zürnt. In: Berliner Tageblatt, Berlin, Jg. 37, Nr. 562, 3.11.1908, Abend-Ausgabe, S. (2-3); fe: Herr Wedekind irrt. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 571, 8.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (3)], die alle Fritz Engel verfasst hat; seinem Ärger darüber gab er brieflich Ausdruck [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 2.11.1908 und 4.11.1908]. Fritz Engel äußerte sich prompt zu dem im „Berliner Börsen-Courier“ im Auszug abgedruckten offenen Brief, obwohl dort und auch in der redaktionellen Vorbemerkung das „Berliner Tageblatt“ nicht explizit genannt ist: „Im ‚Berliner Börsenkurier‘ lesen wir, daß Herr Frank Wedekind seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ im Hinblick auf das ‚Berliner Tageblatt‘ zurückgezogen habe. Herr Wedekind spielt in dem uns nicht vorliegenden Briefe an den genannten Verein offenbar auf die an dieser Stelle erschienene abfällige Kritik seines Sittengemäldes ‚Musik‘ an, und er scheint dabei einen Topf voll echt Wedekindscher Uebelgerüche nach unserem Referenten zu schleudern. Uns läßt das sehr kalt, wie uns auch die Briefe kalt gelassen haben, die Wedekind im Laufe der letzten Monate direkt an uns gerichtet hat. Vor den Strafrichter gebracht, würden sie Herrn Wedekind einige Unannehmlichkeiten bereiten, uns selbst erschienen sie als die Aeußerungen eines Gehirns, das in beklagenswerter Weise alle Urteilsfähigkeit und gesellschaftliche Kultur eingebüßt hat, um sich dafür mit einer abnormen Selbstanbetung zu füllen. Wenn Wedekinds neues Stück nun nicht zur Aufführung kommt, so ist das vielleicht in seinem eigenen Interesse zu beklagen, denn niemand wäre mehr als wir bereit gewesen, über einem neuen guten Werk die strafwürdige ‚Musik‘ zu vergessen und Herrn Wedekind die Achtung zu erweisen, die wir dem Dichter von ‚Frühlingserwachen‘ sogar noch in jenem Referat über die ‚Musik‘ unter lebhafter Berufung auf seine Gesamtpersönlichkeit bezeugt haben.“ [fe.: Frank Wedekind und die „Akademische Bühne“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 54, 30.1.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Dazu erfolgte eine Korrektur: „Zu der Debatte über Wedekinds Schauspiel ‚Die junge Welt‘ teilt unser fl.-Kritiker mit, daß er sich eines Irrtums bezichtigen muß. Das Stück ist nicht neu, sondern schon im Jahre 1897 entstanden. An der sachlichen Stellungnahme gegenüber dem Verfasser wird durch diese Berichtigung natürlich nichts geändert.“ [Theaterchronik. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 57, 1.2.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll.


[Druck im „Berliner Börsen-Courier“:]


[...]

Herr Wedekind bittet:

„... von der beabsichtigten Aufführung meiner Komödie ‚Die junge Welt‘ Abstand nehmen zu wollen. Die Gründe, die mich zu dieser Bitte bestimmen, sind folgende: Meine Komödie ‚Die junge Welt‘ vereinigt mit einem schwerfälligen szenischen Aufbau eine blasse wenig lebenswarme Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens ‚Komödie der Liebe‘ entstanden. Trotzdem halte ich die Arbeit für nicht ganz humorlos und glaube, sie könnte bei guter Darstellung der männlichen Hauptrolle als eine heitere harmlose Satire wirken. Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir diese Tatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, … öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll. Ich bitte Sie, geehrter Herr, davon überzeugt zu sein, daß ich die Ehre, die Sie meiner Komödie durch die geplante Aufführung zu erweisen gedachten, im höchsten Maße zu schätzen weiß. Aber so anspruchslos mir die Arbeit auch erscheint, ich stehe ihr doch zu nahe, als daß ...[“]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Notizbuchseiten. 10 x 16,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief ist handschriftlich in zwei Einwürfen im Notizbuch überliefert. Dem ersten Entwurf [Nb 55, Blatt 21v-22r] folgt wenige Seiten darauf ein zweite Entwurf [Nb 55, Blatt 32r-32v], was unter dem ersten Entwurf von fremder Hand mit Bleistift vermerkt ist: „ff einige Seiten weiter“ [Blatt 22r]. Bei dem zweiten Entwurf sind die Überschrift und der nach ihr folgende Absatz [Blatt 32r] dem Schreibduktus und der Bleistiftqualität zufolge zu einem anderen Zeitpunkt geschrieben worden als der dann folgende Text. Unter den letzten Absatz des Entwurfstextes [Blatt 32v] ist eine durchgehende Bleistiftlinie gezogen, um ihn von Aufzeichnungen in anderem Zusammenhang abzusetzen. Der auf Grundlage der Entwürfe verfasste abgesandte Brief ist nicht überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.1.1909 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum und sichere Versanddatum des nicht überlieferten abgesandten Briefs. Wedekind notierte am 28.1.1909 in München: „Ich versende Offnen Brief an akademische Bühne.“ [Tb]

  • Schreibort

    München
    28. Januar 1909 (Donnerstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    München
    28. Januar 1909 (Donnerstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Börsen-Courier

Verlag:
Berlin: Berliner Börsen-Courier
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Berliner Börsen-Courier, Jg. 42, Nr. 49, 30.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. 6. Der Brief ist im Erstdruck in einer gekürzte Fassung wiedergegeben, wie aus der redaktionellen Einleitung hervorgeht: „Frank Wedekind zieht seine Komödie ‚Die junge Welt‘ durch einen offenen Brief an den Vorstand des Vereins ‚Akademische Bühne‘ in Berlin von der Aufführung zurück. Dieser offene Brief enthält eine ziemlich scharfe Selbstkritik, eine viel schärfere Kritik aber an einem hiesigen Blatte. Es würde gegen die Pflicht alter freundnachbarlicher Kollegialität verstoßen, wenn wir durch Abdruck der betreffenden Stellen in den Streit uns mischten zwischen dem trefflichen Autor und einem Kritiker, der es sicherlich mit der Sache aufrichtig und ehrlich meinte, auch wenn er etwas, es ist uns dies nicht bekannt, zu scharfe Worte wählte. Das tut hier Herr Wedekind nun ebenfalls in ausgiebigem Maße. Unter Fortlassung der betreffenden Stellen möge der Brief folgen: / Herr Wedekind bittet:“ (es folgt der Brieftext). – Eine Entwurfsfassung des Briefs wurde 1924 von Fritz Strich veröffentlicht: „Offener Brief an die Akademische Bühne in Berlin“, gekennzeichnet als „Entwurf“ und datiert „(München, 28.I.1909.)“ [GB 2, S. 216-217 (Nr. 324)] Dieser Druck gibt weitgehend die zweite Entwurfsfassung wieder, hat deren letzten Absatz aber ohne Absatzumbruch als fortlaufenden Textvor dem vorletzten Absatz eingeordnet und am Schluss nach der Grußformel den Namen ergänzt. – Neuedition: „Offener Brief an die Akademische Bühne Berlin“ [KSA 5/II, S. 288]. Hier ist ebenfalls die zweite Entwurfsfassung wiedergegeben (wie in GB 2, nur mit Absatzumbrüchen), außerdem der im „Berliner Börsen-Courier“ mitgeteilte Brieftext.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 3501/55
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Verein) Akademische Bühne Berlin, Fritz Schaie, 28.1.1909. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.12.2023 17:36
Kennung: 3857

München, 28. Januar 1909 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Akademische Bühne Berlin, (Verein)
  • Schaie, Fritz
 
 

Inhalt

[1. Briefentwurf:]


An den Vorstand des Vereines Akademische Bühne.
Berlin.


Sehr geehrter HerrFritz Schaie, der Vorsitzende der Akademischen Bühne in Berlin [vgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin, Fritz Schaie, 18.9.1908].

Den/ie/ flegelhafte Ausdrucksweise des Berliner Tageblattes
veranlaßt mich zu der die ergebene BitteEs folgt ein Einweisungszeichen. an Sie zu richten, von der geplanten (beabsichtigten) Aufführung meiner KomödieDie Presse hatte gemeldet: „Die Akademische Bühne ist von Frank Wedekind autorisiert worden, seine satirische Komödie ‚Die junge Welt‘ zum ersten Male zur Darstellung zu bringen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 40, 23.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Dann war angekündigt: „Die Premiere von Frank Wedekinds satirischer Komödie ‚Die junge Welt‘, die, wie bereits bekannt gegeben, als Veranstaltung der Akademischen Bühne im Hebbel-Theater stattfindet, ist auf Freitag, den 12. März, angesetzt worden. Dargestellt wird das Werk vom Ensemble des Hebbel-Theaters. Die Inszenierung leitet Direktor Dr. Robert. Das Vorspiel des Stückes, das in einem Mädchenpensionat spielt, gelangt gleichfalls zur Darstellung. Die Aufführung wird nicht wiederholt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 111, 2.3.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Der Erfolg der Berliner Premiere war mäßig [vgl. KSA 2, S. 757f.]; die Kritik im „Berliner Tageblatt“ schrieb nun nicht Fritz Engel, sondern Monty Jacobs, der meinte: „Alles in allem, es war eine Kraftverschwendung. Die Akademische Bühne war nicht gut beraten, als sie gerade Wedekinds Erstling ‚Die junge Welt‘ auswählte.“ Er meinte aber auch, „daß Wedekinds schmerzgeborener Galgenhumor zu seinem Rechte kam.“ [M.J.: Akademische Bühne. „Die junge Welt“, Komödie von Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 131, 13.3.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2-3)] Die junge Welt, die Sie Ihr Verein in Aussicht genommen hat, gütigst absehen zu wollen

Ich weiß die Ehre gewiß zu schätzen

Mögen Sie mich immerhin für einen besondeSchreibversehen, statt: besonders. empfindsamen oder besonders eitlen Menschen halten, aber ich habe meine Stücke | nicht geschrieben, um mich öffentlich beschimpfen zu lassen.

Meine Junge Welt gieltSchreibversehen, statt: gilt. mir heute als eine anspruchslose Jugendarbeit von ziemlich schwerfälligem Aufbau.

Ich will mein Stück „Die junge Welt[“] in Berlin lieber nicht aufgeführt wissen als es der
F/f/legelhaften Ausdrucksweise des Berliner Tageblattes
preisgegebenEs folgt ein wieder gestrichenes Einweisungszeichen. sehen.
ausgesetzt sehen.


[2. Briefentwurf:]


Offener BriefDer gekürzt im „Berliner Börsen-Courier“ veröffentlichte offene Brief Wedekinds wurde auch außerhalb Berlins registriert – so in München: „Frank Wedekind hat seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ in Berlin überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ (deren Uraufführung am 22. April 1908 im Münchner Schauspielhause stattfand) durch einen offenen Brief zurückgezogen. Der Brief enthält nach dem Börsencourier eine ziemlich scharfe Selbstkritik, eine viel schärfere aber an einem Berliner Blatte, dem Berl. Tageblatt. Dieses hatte seinerzeit Wedekinds Musik ‚verrissen‘ und Wedekind möchte ihm nun offenbar nicht auch noch die junge Welt ausliefern.“ [Kleine Chronik. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 51, 2.2.1909, Vorabendblatt, S. 2].

Meine Komödie Die junge Welt vereinigt mit einem plumpen unbeholfenen Aufbau eine dürftige blutlere Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens Komödie der LiebeWedekind hatte am 24.7.1889 notiert: „Ibsens ‚Komödie der Liebe‘ gekauft. Sie wird einige Evolutionen in meinem Plan hervorrufen.“ [Tb] Mit dem Plan war „Kinder und Narren“ (1891) gemeint, später umgearbeitet in „Die junge Welt“ (1897). Wedekind hat die deutsche Erstausgabe von Ibsens Stück (1862 im norwegischen Original erschienen) erworben, „Comödie der Liebe. Comödie in drei Akten“ (1889), die autorisierte deutsche Übersetzung, die im Verlag S. Fischer in Berlin herauskam. Ibsens Stück war allerdings nur unter Vorbehalt eine Quelle für Wedekinds Lustspiel, da sich „Analogien [...] auf die Personenkonstellation“ beschränken und „während Ibsen das Verhältnis der Geschlechter und die Stellung des Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen betrachtet, greift Wedekind mit den Themen Emanzipation und Naturalismus zeitgenössische, zeitgebundene Sujets auf und beleuchtet sie ironisch.“ [KSA 2, S. 663] entstanden. Trotzdem ist die Arbeit nicht ganz humorlos und könnte bei guter Darstellung der männlichen HauptrolleFranz Ludwig Meier [vgl. KSA 2, S. 184], die männliche Hauptfigur in „Die junge Welt“, in der der Naturalist Gerhart Hauptmann persifliert ist [vgl. KSA 2, S. 666f.]. als harmlose versöhnliche Satyre wirken.

Ich ersuche Sie geehrter Herr meinen aufrichtigen Dank und meine besten Wünsche zum Gelingen Ihre künstlerischen Bestrebungen entgegenzunehmen.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung, |

Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir diese Thatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, im Ton unflätigster SchimpfereienWedekind bezieht sich auf ihn kränkende Veröffentlichungen über ihn im „Berliner Tageblatt“ [vgl. F.E.: Wedekinds „Musik“. Erste Aufführung im „Kleinen Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 558, 1.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2); F.E.: Frank Wedekind zürnt. In: Berliner Tageblatt, Berlin, Jg. 37, Nr. 562, 3.11.1908, Abend-Ausgabe, S. (2-3); fe: Herr Wedekind irrt. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 571, 8.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (3)], die alle Fritz Engel verfasst hat; seinem Ärger darüber gab er brieflich Ausdruck [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 2.11.1908 und 4.11.1908]. Fritz Engel äußerte sich prompt zu dem im „Berliner Börsen-Courier“ im Auszug abgedruckten offenen Brief, obwohl dort und auch in der redaktionellen Vorbemerkung das „Berliner Tageblatt“ nicht explizit genannt ist: „Im ‚Berliner Börsenkurier‘ lesen wir, daß Herr Frank Wedekind seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ im Hinblick auf das ‚Berliner Tageblatt‘ zurückgezogen habe. Herr Wedekind spielt in dem uns nicht vorliegenden Briefe an den genannten Verein offenbar auf die an dieser Stelle erschienene abfällige Kritik seines Sittengemäldes ‚Musik‘ an, und er scheint dabei einen Topf voll echt Wedekindscher Uebelgerüche nach unserem Referenten zu schleudern. Uns läßt das sehr kalt, wie uns auch die Briefe kalt gelassen haben, die Wedekind im Laufe der letzten Monate direkt an uns gerichtet hat. Vor den Strafrichter gebracht, würden sie Herrn Wedekind einige Unannehmlichkeiten bereiten, uns selbst erschienen sie als die Aeußerungen eines Gehirns, das in beklagenswerter Weise alle Urteilsfähigkeit und gesellschaftliche Kultur eingebüßt hat, um sich dafür mit einer abnormen Selbstanbetung zu füllen. Wenn Wedekinds neues Stück nun nicht zur Aufführung kommt, so ist das vielleicht in seinem eigenen Interesse zu beklagen, denn niemand wäre mehr als wir bereit gewesen, über einem neuen guten Werk die strafwürdige ‚Musik‘ zu vergessen und Herrn Wedekind die Achtung zu erweisen, die wir dem Dichter von ‚Frühlingserwachen‘ sogar noch in jenem Referat über die ‚Musik‘ unter lebhafter Berufung auf seine Gesamtpersönlichkeit bezeugt haben.“ [fe.: Frank Wedekind und die „Akademische Bühne“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 54, 30.1.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Dazu erfolgte eine Korrektur: „Zu der Debatte über Wedekinds Schauspiel ‚Die junge Welt‘ teilt unser fl.-Kritiker mit, daß er sich eines Irrtums bezichtigen muß. Das Stück ist nicht neu, sondern schon im Jahre 1897 entstanden. An der sachlichen Stellungnahme gegenüber dem Verfasser wird durch diese Berichtigung natürlich nichts geändert.“ [Theaterchronik. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 57, 1.2.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll.


[Druck im „Berliner Börsen-Courier“:]


[...]

Herr Wedekind bittet:

„... von der beabsichtigten Aufführung meiner Komödie ‚Die junge Welt‘ Abstand nehmen zu wollen. Die Gründe, die mich zu dieser Bitte bestimmen, sind folgende: Meine Komödie ‚Die junge Welt‘ vereinigt mit einem schwerfälligen szenischen Aufbau eine blasse wenig lebenswarme Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens ‚Komödie der Liebe‘ entstanden. Trotzdem halte ich die Arbeit für nicht ganz humorlos und glaube, sie könnte bei guter Darstellung der männlichen Hauptrolle als eine heitere harmlose Satire wirken. Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir diese Tatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, … öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll. Ich bitte Sie, geehrter Herr, davon überzeugt zu sein, daß ich die Ehre, die Sie meiner Komödie durch die geplante Aufführung zu erweisen gedachten, im höchsten Maße zu schätzen weiß. Aber so anspruchslos mir die Arbeit auch erscheint, ich stehe ihr doch zu nahe, als daß ...[“]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Notizbuchseiten. 10 x 16,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief ist handschriftlich in zwei Einwürfen im Notizbuch überliefert. Dem ersten Entwurf [Nb 55, Blatt 21v-22r] folgt wenige Seiten darauf ein zweite Entwurf [Nb 55, Blatt 32r-32v], was unter dem ersten Entwurf von fremder Hand mit Bleistift vermerkt ist: „ff einige Seiten weiter“ [Blatt 22r]. Bei dem zweiten Entwurf sind die Überschrift und der nach ihr folgende Absatz [Blatt 32r] dem Schreibduktus und der Bleistiftqualität zufolge zu einem anderen Zeitpunkt geschrieben worden als der dann folgende Text. Unter den letzten Absatz des Entwurfstextes [Blatt 32v] ist eine durchgehende Bleistiftlinie gezogen, um ihn von Aufzeichnungen in anderem Zusammenhang abzusetzen. Der auf Grundlage der Entwürfe verfasste abgesandte Brief ist nicht überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.1.1909 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum und sichere Versanddatum des nicht überlieferten abgesandten Briefs. Wedekind notierte am 28.1.1909 in München: „Ich versende Offnen Brief an akademische Bühne.“ [Tb]

  • Schreibort

    München
    28. Januar 1909 (Donnerstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    München
    28. Januar 1909 (Donnerstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Börsen-Courier

Verlag:
Berlin: Berliner Börsen-Courier
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Berliner Börsen-Courier, Jg. 42, Nr. 49, 30.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. 6. Der Brief ist im Erstdruck in einer gekürzte Fassung wiedergegeben, wie aus der redaktionellen Einleitung hervorgeht: „Frank Wedekind zieht seine Komödie ‚Die junge Welt‘ durch einen offenen Brief an den Vorstand des Vereins ‚Akademische Bühne‘ in Berlin von der Aufführung zurück. Dieser offene Brief enthält eine ziemlich scharfe Selbstkritik, eine viel schärfere Kritik aber an einem hiesigen Blatte. Es würde gegen die Pflicht alter freundnachbarlicher Kollegialität verstoßen, wenn wir durch Abdruck der betreffenden Stellen in den Streit uns mischten zwischen dem trefflichen Autor und einem Kritiker, der es sicherlich mit der Sache aufrichtig und ehrlich meinte, auch wenn er etwas, es ist uns dies nicht bekannt, zu scharfe Worte wählte. Das tut hier Herr Wedekind nun ebenfalls in ausgiebigem Maße. Unter Fortlassung der betreffenden Stellen möge der Brief folgen: / Herr Wedekind bittet:“ (es folgt der Brieftext). – Eine Entwurfsfassung des Briefs wurde 1924 von Fritz Strich veröffentlicht: „Offener Brief an die Akademische Bühne in Berlin“, gekennzeichnet als „Entwurf“ und datiert „(München, 28.I.1909.)“ [GB 2, S. 216-217 (Nr. 324)] Dieser Druck gibt weitgehend die zweite Entwurfsfassung wieder, hat deren letzten Absatz aber ohne Absatzumbruch als fortlaufenden Textvor dem vorletzten Absatz eingeordnet und am Schluss nach der Grußformel den Namen ergänzt. – Neuedition: „Offener Brief an die Akademische Bühne Berlin“ [KSA 5/II, S. 288]. Hier ist ebenfalls die zweite Entwurfsfassung wiedergegeben (wie in GB 2, nur mit Absatzumbrüchen), außerdem der im „Berliner Börsen-Courier“ mitgeteilte Brieftext.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

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Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 3501/55
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Verein) Akademische Bühne Berlin, Fritz Schaie, 28.1.1909. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
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Erstellt von

Ariane Martin

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