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Kennung: 3855

Lenzburg, 16. September 1881 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar

Inhalt

An Oskar.


I.


Ha, wie durchbebt es meine Glieder,
Daß heuteAm 16.9.1881 wurde Oskar Schibler 19Jahre alt. Dein Geburtstag ist!
Die Musegriechisch römische Mythologie; hier: Personifizierung der Dichtung. schmettert ihre Lieder;
Sie hat gerastet kurze Frist.
Es wird der Pegasusin der griechisch-römischen Mythologie das geflügelte Pferd; hier: das Dichterross. bestiegen;
Auch er genoß der süßen Ruh.
Und schneller, als die Aare fliegen,
Ging es dem reinen Äther zu.


Hoch über dem Geräusch der Erde,
Fern von der Menschheit wildem Schwarm
Hielt ich auf meinem Flügelpferde
Die schönste Göttin(griech.) Aphrodite, (lat.) Venus; die Göttin der Schönheit, Liebe und Erotik. kühn im Arm.
Ha, wie da meine Pulse flogen,
Den Augenblick vergeß ich nie:
Tief hab’ ich Liebe eingesogen,
Berauscht von ihrer Melodie. |


Ja, Oskar, das war eine Wonne,
Wenn auch für wen’ge Stunden nur:
Ein Liebchen, wie die lichte Sonne
In unverschleierter Natur.
Natürlich war ihr ganzes Wesen,
e/E/in jeder Zwang war ihr verhaßt.
In ihren Blicken konnt ich lesen,
Was du noch nie gelesen hast. –


Und nun bedenke: Dieser Busen,
Von edler Leidenschaft bewegt,
In dem die s/S/chönste aller Musen
Ein zärtlich liebend Herze trägt!
Und diese Glieder, weich und sphärisch;
Von scharfen Kanten keine Spur,
Der TeinSchreibversehen, statt: Teint. Von Bertha Jahn mit Bleistift korrigiert. Durchsichtig und Ätherisch –
Das schafft nicht irdische Natur. |


So ließ sie vor mir auf dem Rücken
Des edeln Thiers sich aufwärts ziehn;
Und ich ließ trunken mich entzücken
Von ihren süßen Melodien. –––
So nimm denn diese kleine Gabe
Als Zeichen meiner Freundschaft hin;
Es ist das Beste, was ich haben:
Ein Lied von meiner Königin.


II.Wedekind publizierte den folgenden Teil des Briefgedichts überarbeitet und gekürzt als Gedicht unter dem Titel „Stallknecht und Viehmagd. Carmen bucolicon“ zuerst in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) [vgl. KSA 1/I, S. 798].


Die Bärin wohnt im tiefen Walde,
Im tiefen Wald wohnt auch der Bär.
Und an demselben Aufenthalte,
Da wohnen bald darauf noch mehr.
Doch im Olympder Sitz der Götter., da wohnen Götter,
Darunter Venusdie Göttin der Schönheit und der erotischen Liebe. und ApollGott des Lichts, Beschützer der Künste und der Musik..
Dort hat man ewig schönes Wetter,
Und jeder Gott ist – liebevoll. |


Auf ödem Felde schafft die Viehmagd,
Thut ob der Arbeit manchen Schrei.
Jedoch CupidoGott und Personifikation der Liebe (Cupido erweckt die Liebe in einem Menschen, indem er einen Pfeil in dessen Herz schießt); auch: Amor; (griech.) Eros., der sich nie plagt,
Sitzt freundlich lächelnd nebenbei.
Er sitzt dabei auf einem Steine,
t/l/t Pfeil und Bogen in der Hand
Und spreitzt gemüthlich seine Beine,
Als wärs in seinem Vaterland. –


Nun kommt der Stallknecht mit den Kühen,
Auch Ochsen ziehen an dem Pflug.
Doch muß er selbst am meisten ziehen,
Dann geht es eben schnell genug. –
Da duckt se/ic/h AmorSynonym für Cupido. listig nieder;
Er legt den Bogen an mit Lust
Und schießt die ViemagdSchreibversehen, statt: Viehmagd. durch das Ni/M/ieder
In ihre ahnungslose Brust. |


Der Stallknecht kommt herbeigesprungen,
Auf daß er rasche Hülfe bringt.
Doch Amor trifft den armen Jungen,
Daß er mit ihr zu Boden sinkt.
Da liegen Stallknecht nun und Viehmagd
Und schauen sich verwundert an;
Vollführen freudig, was man nie sagt,
Doch was man leicht errathen kann.


17.IX.1881.Vermutlich ein Schreibversehen, statt: 16.IX.1881. (siehe oben Anmerkung „heute“), dem Geburtstag Oskar Schiblers, der sich zu diesem Anlass ein Gedicht Wedekinds gewünscht hat [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 15.9.1881], für das er sich am 17.9.1881 bedankte [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 17.9.1881].

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Notizbuchblätter. 17,5 x 22,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Briefgedicht ist in einer handschriftlichen Reinschrift Wedekinds aus dem Zeitraum 1.1. bis 30.4.1884 im Heft „Stunden der Andacht“ [S. 2-6] überliefert. Die Seiten sind mit Bleistift („2“, „5“, „6“) und Tinte („3“, „4“) durchnumeriert; der Text ist mit Bleistiftanmerkungen von der Hand Bertha Jahns versehen. Das abgesandte Briefgedicht ist verschollen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Schreibdatum ist durch den Briefinhalt belegt, Oskar Schiblers Geburtstag. Als Schreibort kann der Wohnort Wedekinds angenommen werden.

  • Schreibort

    Lenzburg
    16. September 1881 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke. Kritische Studienausgabe. Band 1/I. Gedichte. Lyrische Fragmente und Entwürfe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Elke Austermühl
Verlag:
Darmstadt: Häusser.media Verlag
Jahrgang:
2007
Seitenangabe:
S. 126-128
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Schachtel 3, Nr. 21.
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 16.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

16.01.2023 09:46
Kennung: 3855

Lenzburg, 16. September 1881 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar
 
 

Inhalt

An Oskar.


I.


Ha, wie durchbebt es meine Glieder,
Daß heuteAm 16.9.1881 wurde Oskar Schibler 19Jahre alt. Dein Geburtstag ist!
Die Musegriechisch römische Mythologie; hier: Personifizierung der Dichtung. schmettert ihre Lieder;
Sie hat gerastet kurze Frist.
Es wird der Pegasusin der griechisch-römischen Mythologie das geflügelte Pferd; hier: das Dichterross. bestiegen;
Auch er genoß der süßen Ruh.
Und schneller, als die Aare fliegen,
Ging es dem reinen Äther zu.


Hoch über dem Geräusch der Erde,
Fern von der Menschheit wildem Schwarm
Hielt ich auf meinem Flügelpferde
Die schönste Göttin(griech.) Aphrodite, (lat.) Venus; die Göttin der Schönheit, Liebe und Erotik. kühn im Arm.
Ha, wie da meine Pulse flogen,
Den Augenblick vergeß ich nie:
Tief hab’ ich Liebe eingesogen,
Berauscht von ihrer Melodie. |


Ja, Oskar, das war eine Wonne,
Wenn auch für wen’ge Stunden nur:
Ein Liebchen, wie die lichte Sonne
In unverschleierter Natur.
Natürlich war ihr ganzes Wesen,
e/E/in jeder Zwang war ihr verhaßt.
In ihren Blicken konnt ich lesen,
Was du noch nie gelesen hast. –


Und nun bedenke: Dieser Busen,
Von edler Leidenschaft bewegt,
In dem die s/S/chönste aller Musen
Ein zärtlich liebend Herze trägt!
Und diese Glieder, weich und sphärisch;
Von scharfen Kanten keine Spur,
Der TeinSchreibversehen, statt: Teint. Von Bertha Jahn mit Bleistift korrigiert. Durchsichtig und Ätherisch –
Das schafft nicht irdische Natur. |


So ließ sie vor mir auf dem Rücken
Des edeln Thiers sich aufwärts ziehn;
Und ich ließ trunken mich entzücken
Von ihren süßen Melodien. –––
So nimm denn diese kleine Gabe
Als Zeichen meiner Freundschaft hin;
Es ist das Beste, was ich haben:
Ein Lied von meiner Königin.


II.Wedekind publizierte den folgenden Teil des Briefgedichts überarbeitet und gekürzt als Gedicht unter dem Titel „Stallknecht und Viehmagd. Carmen bucolicon“ zuerst in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) [vgl. KSA 1/I, S. 798].


Die Bärin wohnt im tiefen Walde,
Im tiefen Wald wohnt auch der Bär.
Und an demselben Aufenthalte,
Da wohnen bald darauf noch mehr.
Doch im Olympder Sitz der Götter., da wohnen Götter,
Darunter Venusdie Göttin der Schönheit und der erotischen Liebe. und ApollGott des Lichts, Beschützer der Künste und der Musik..
Dort hat man ewig schönes Wetter,
Und jeder Gott ist – liebevoll. |


Auf ödem Felde schafft die Viehmagd,
Thut ob der Arbeit manchen Schrei.
Jedoch CupidoGott und Personifikation der Liebe (Cupido erweckt die Liebe in einem Menschen, indem er einen Pfeil in dessen Herz schießt); auch: Amor; (griech.) Eros., der sich nie plagt,
Sitzt freundlich lächelnd nebenbei.
Er sitzt dabei auf einem Steine,
t/l/t Pfeil und Bogen in der Hand
Und spreitzt gemüthlich seine Beine,
Als wärs in seinem Vaterland. –


Nun kommt der Stallknecht mit den Kühen,
Auch Ochsen ziehen an dem Pflug.
Doch muß er selbst am meisten ziehen,
Dann geht es eben schnell genug. –
Da duckt se/ic/h AmorSynonym für Cupido. listig nieder;
Er legt den Bogen an mit Lust
Und schießt die ViemagdSchreibversehen, statt: Viehmagd. durch das Ni/M/ieder
In ihre ahnungslose Brust. |


Der Stallknecht kommt herbeigesprungen,
Auf daß er rasche Hülfe bringt.
Doch Amor trifft den armen Jungen,
Daß er mit ihr zu Boden sinkt.
Da liegen Stallknecht nun und Viehmagd
Und schauen sich verwundert an;
Vollführen freudig, was man nie sagt,
Doch was man leicht errathen kann.


17.IX.1881.Vermutlich ein Schreibversehen, statt: 16.IX.1881. (siehe oben Anmerkung „heute“), dem Geburtstag Oskar Schiblers, der sich zu diesem Anlass ein Gedicht Wedekinds gewünscht hat [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 15.9.1881], für das er sich am 17.9.1881 bedankte [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 17.9.1881].

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Notizbuchblätter. 17,5 x 22,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Briefgedicht ist in einer handschriftlichen Reinschrift Wedekinds aus dem Zeitraum 1.1. bis 30.4.1884 im Heft „Stunden der Andacht“ [S. 2-6] überliefert. Die Seiten sind mit Bleistift („2“, „5“, „6“) und Tinte („3“, „4“) durchnumeriert; der Text ist mit Bleistiftanmerkungen von der Hand Bertha Jahns versehen. Das abgesandte Briefgedicht ist verschollen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Schreibdatum ist durch den Briefinhalt belegt, Oskar Schiblers Geburtstag. Als Schreibort kann der Wohnort Wedekinds angenommen werden.

  • Schreibort

    Lenzburg
    16. September 1881 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke. Kritische Studienausgabe. Band 1/I. Gedichte. Lyrische Fragmente und Entwürfe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Elke Austermühl
Verlag:
Darmstadt: Häusser.media Verlag
Jahrgang:
2007
Seitenangabe:
S. 126-128
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Schachtel 3, Nr. 21.
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 16.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

16.01.2023 09:46