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Kennung: 3742

München, 1. Juli 1914 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

T. W.


Mittwoch abends, 1.VII.14.


Innigst geliebter, theuerster Frank,

Gott sei Dank habe ich eben Deine Karte von gesterneine Postkarte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.6.1914]., Dienstag, erhalten. Ich war schon in großer Aufregung u. telegraphiertevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914 – das Telegramm ist mit dem Kürzel „RP“ für ‚réponse payée‘ (frz.) = ‚Rückantwort bezahlt‘ versehen. heute mit Rückantwort nach Paris. Nun wirst Du ja morgen alles vorfinden. Ich schrieb Dir 5 Briefe darunter 3 KartenbriefeBriefkarten. u. 2 andere. Einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.6.1914., den ich Sonntag abends schrieb, schickte ich Montag Früh nach Florenz. Den hast Du ja wohl auch noch heute vor Deiner Abreise erhalten. Ich war die ganzen Tage gedrückt u. in fortwährender Spannung. | Des Morgens lief ich aus dem Bett gleich nachsehen, ob etwas für mich gekommen ist. Unterwegs telephonierte ich nach Hause, ob etwas da sei. Nun Gott sei Dank, jetzt kann ich das erste Mal wieder frei aufathmen! Wenn nur nichts zwischen uns liegt, Geliebter, Einziger, dann will ich ja glücklich u. zufrieden sein!

Ja, ich war trotzdem mit den Kindern spazieren, ich sah auch Frl. Marion die sich von mir verabschiedete u. Sybil Vane, die auf der Durchreise hier war, aber es kam mir alles wie im Traum vor. Ich dachte dabei immer nur, wie es mit uns werden | soll! Nein, es giebt Nichts u. Niemanden auf der Welt für den ich alle diese Empfindungen aufbringen könnte! Da bin ich wirklich nicht theilnamslosSchreibversehen, statt: teilnahmslos. u. apathisch! Wenn ich für andere Dinge nur den 100. Theil dieses Interesses aufbringen könnte, dann könntest Du mit mir zufrieden sein Geliebter!

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Du in Paris alles findest was Du brauchst, u. Dich dort wohler fühlst als in Florenz! Frau Eysold telephonierte mich heute an u. bat mich, mit ihr morgen in den „Sturm“ zu gehenzu der Eröffnungsveranstaltung zum Auftakt des Sommergastspiels des Düsseldorfer Schauspielhauses am 2.7.1914 im Münchner Künstlertheater, bei der Shakespeares Schauspiel „Der Sturm“ gezeigt wurde; angezeigt war: „Die Eröffnungs-Festvorstellung für geladene Gäste heute Donnerstag, 2. Juli, beginnt ausnahmsweise schon um 7 Uhr. Die Aufführung von ‚Sturm‘ am Freitag, 3. Juli, sowie alle späteren Aufführungen beginnen regelmäßig erst um 8 Uhr.“ [Münchner Künstler-Theater. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 335, 3.7.1914, Vorabendblatt, S. 2]. Ich sagte ihr, ich erwartete eine Nachricht, | bevor ich die nicht hätte, wäre es mir unmöglich etwas abzumachen. Sie begriff das vollkommen u. war sehr lieb u. herzlich. Ich glaube, Du wirst nichts dagegen haben, wenn ich mit ihr gehe. Sie wollte dann Nachmittags zu mir zum Thee kommen, ich schreibe ihr vielleicht paar Zeilen, ob sie nicht Mittags bei mir essen will. Sie ist nämlich heute schon in München, wohnt bei der AugsburgGertrud Eysoldt wohnte während ihres Aufenthalts in München bei Dr. jur. Anita Augspurg (Kaulbachstraße 12, Gartenhaus, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 19], wo sich auch das Büro des Bayerischen Landesverbandes und der Münchner Ortsgruppe für Frauenstimmrecht befand [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil II, S. 320].. Ich freue mich jetzt wirklich, sie zu sehen u. werde mich sehr um sie bemühen.

Wenn ich irgend etwas für Dich besorgen kann, schreib’ es mir bitte! Übrigens das Gedicht von Heine mit den „Pilastern“Pilaster = in der Architektur ein flach aus der Wand hervortretendes pfeilerartiges Formelement, hier: Busen; in Heinrich Heines Gedicht „Der weiße Elephant“ aus den „Historien“ im „Romanzero“ (1851) heißt es: „Wie sich die Gliedermassen wölben / Zum schönsten Bau! Es tragen dieselben / Anmuthig und stolz zwei hohe Pilaster / Von blendend weißem Alabaster.“ [Heinrich Heine: Romanzero. Hamburg 1851, S. 12] ist „der weiße Elephant“ das meinte ich neulich.

Lass’ Dich tausendmal innigst küssen Du mein geliebter, einziger Frank,! Deine dankbare Tilly.


[auf Seite 1 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

BusserlnKüsse. von Fanny Kadidja u. Anna Pamela die Dir auch schreibt.Hinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 18,5 cm. Mit aufgeprägtem Monogramm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    1. Juli 1914 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Paris
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
315-316
Briefnummer:
467
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 18:08
Kennung: 3742

München, 1. Juli 1914 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

T. W.


Mittwoch abends, 1.VII.14.


Innigst geliebter, theuerster Frank,

Gott sei Dank habe ich eben Deine Karte von gesterneine Postkarte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.6.1914]., Dienstag, erhalten. Ich war schon in großer Aufregung u. telegraphiertevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914 – das Telegramm ist mit dem Kürzel „RP“ für ‚réponse payée‘ (frz.) = ‚Rückantwort bezahlt‘ versehen. heute mit Rückantwort nach Paris. Nun wirst Du ja morgen alles vorfinden. Ich schrieb Dir 5 Briefe darunter 3 KartenbriefeBriefkarten. u. 2 andere. Einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.6.1914., den ich Sonntag abends schrieb, schickte ich Montag Früh nach Florenz. Den hast Du ja wohl auch noch heute vor Deiner Abreise erhalten. Ich war die ganzen Tage gedrückt u. in fortwährender Spannung. | Des Morgens lief ich aus dem Bett gleich nachsehen, ob etwas für mich gekommen ist. Unterwegs telephonierte ich nach Hause, ob etwas da sei. Nun Gott sei Dank, jetzt kann ich das erste Mal wieder frei aufathmen! Wenn nur nichts zwischen uns liegt, Geliebter, Einziger, dann will ich ja glücklich u. zufrieden sein!

Ja, ich war trotzdem mit den Kindern spazieren, ich sah auch Frl. Marion die sich von mir verabschiedete u. Sybil Vane, die auf der Durchreise hier war, aber es kam mir alles wie im Traum vor. Ich dachte dabei immer nur, wie es mit uns werden | soll! Nein, es giebt Nichts u. Niemanden auf der Welt für den ich alle diese Empfindungen aufbringen könnte! Da bin ich wirklich nicht theilnamslosSchreibversehen, statt: teilnahmslos. u. apathisch! Wenn ich für andere Dinge nur den 100. Theil dieses Interesses aufbringen könnte, dann könntest Du mit mir zufrieden sein Geliebter!

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Du in Paris alles findest was Du brauchst, u. Dich dort wohler fühlst als in Florenz! Frau Eysold telephonierte mich heute an u. bat mich, mit ihr morgen in den „Sturm“ zu gehenzu der Eröffnungsveranstaltung zum Auftakt des Sommergastspiels des Düsseldorfer Schauspielhauses am 2.7.1914 im Münchner Künstlertheater, bei der Shakespeares Schauspiel „Der Sturm“ gezeigt wurde; angezeigt war: „Die Eröffnungs-Festvorstellung für geladene Gäste heute Donnerstag, 2. Juli, beginnt ausnahmsweise schon um 7 Uhr. Die Aufführung von ‚Sturm‘ am Freitag, 3. Juli, sowie alle späteren Aufführungen beginnen regelmäßig erst um 8 Uhr.“ [Münchner Künstler-Theater. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 335, 3.7.1914, Vorabendblatt, S. 2]. Ich sagte ihr, ich erwartete eine Nachricht, | bevor ich die nicht hätte, wäre es mir unmöglich etwas abzumachen. Sie begriff das vollkommen u. war sehr lieb u. herzlich. Ich glaube, Du wirst nichts dagegen haben, wenn ich mit ihr gehe. Sie wollte dann Nachmittags zu mir zum Thee kommen, ich schreibe ihr vielleicht paar Zeilen, ob sie nicht Mittags bei mir essen will. Sie ist nämlich heute schon in München, wohnt bei der AugsburgGertrud Eysoldt wohnte während ihres Aufenthalts in München bei Dr. jur. Anita Augspurg (Kaulbachstraße 12, Gartenhaus, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 19], wo sich auch das Büro des Bayerischen Landesverbandes und der Münchner Ortsgruppe für Frauenstimmrecht befand [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil II, S. 320].. Ich freue mich jetzt wirklich, sie zu sehen u. werde mich sehr um sie bemühen.

Wenn ich irgend etwas für Dich besorgen kann, schreib’ es mir bitte! Übrigens das Gedicht von Heine mit den „Pilastern“Pilaster = in der Architektur ein flach aus der Wand hervortretendes pfeilerartiges Formelement, hier: Busen; in Heinrich Heines Gedicht „Der weiße Elephant“ aus den „Historien“ im „Romanzero“ (1851) heißt es: „Wie sich die Gliedermassen wölben / Zum schönsten Bau! Es tragen dieselben / Anmuthig und stolz zwei hohe Pilaster / Von blendend weißem Alabaster.“ [Heinrich Heine: Romanzero. Hamburg 1851, S. 12] ist „der weiße Elephant“ das meinte ich neulich.

Lass’ Dich tausendmal innigst küssen Du mein geliebter, einziger Frank,! Deine dankbare Tilly.


[auf Seite 1 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

BusserlnKüsse. von Fanny Kadidja u. Anna Pamela die Dir auch schreibt.Hinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 18,5 cm. Mit aufgeprägtem Monogramm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    1. Juli 1914 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Paris
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
315-316
Briefnummer:
467
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
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Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 18:08