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Kennung: 3240

Straßburg, 28. April 1883 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Huber, Hermann

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

I


Strassburg, 28ten April 1883.


Mein Franklin!

Dir zu Füssenaus biblisch-kirchlichen Zitaten zusammengesetzte Textpassage. liege ich elender Wurm, Dich umklammere ich, lieber FreudSchreibversehen, statt: Freund., der Du weit höher stehst als ich. Nicht wahr, Du zerbrichst den Stab nicht über meinem Haupt, dem schuldbeflectenSchreibversehen, statt: schuldbefleckten. Haupte, dem der Gedanken entsprungen, die Treue des Freundes auf’s Spiel zu setzen! Ich unwürdiger Freund habe gewagt den Freund, meinen Franklin, zu prüfen!! Erst jetzt, jetzt sehe ich die Verworfenheit des Teufelsgespinnstes ein! Aber nicht wahr, Du verzeihst dem reuigen Sünder, der Dir auf Ehrenwort verspricht, nie, niemehr Dich zu versuchen, sondern immer, immer wahr zu sein! Ich kann Dir | nicht beschreiben, was für ein strafendes Gefühl mich durchzitterte, als ich, auf dem Kanapee liegend und Heine’s (den ich mir sofort nach meiner AnkunftHermann Huber war am 15.4.1883 zum Jurastudium nach Straßburg gereist, am 17.4.1883 besuchte er erstmals die Universitäts- und Landesbibliothek. von der Bibliothek geben liess) Reisebilder & Shakspeares Frauen studirendHermann Hubers Heine-Lektüre dürfte nicht zufällig gewesen sein, denn auch Wedekind hatte in den zu Ende gehenden Ferien Heinrich Heines „Reisebilder“ gelesen [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 20.4.1883]., aufgescheucht wurde durch den Briefträger, der mir diesen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Huber, 27.4.1883. brachte, den ich wohl 4 mal schon durchlesen habe. Da erbebte ich nichtswürdiger Mensch bei dem Gedanken, es muss ein Brief von Franklin sein, wie sehnlichst habe ich schon seit Tagen darauf gewaret/tet/! Da stand ich Bösewicht, niedergedonnert von der Sprache des Herzens, beschämt vor meinem eigenen Ich. – | Aber lass’ mich doch einen Grund anführen, der mich, der von vorneherein die schiefe Bahn sah, auf der ich wandelte, sah, bei der Abfassung des Briefesvgl. Hermann Huber an Wedekind, 24.4.1883. leitete: Es ist nicht recht, den Freund zu versuchen; aber ist es nicht recht, seine Gedanken zu wissen? Was, lieber Franklin, hättest Du mir schreiben koennen, wenn ich Dir voller Wonne mein Glück erzählt? Nichts. So doch erhieltest Du Gelegenheit, in der Hoffnung zu fühlen, und nicht wahr, Du hast das selige Glück gefühlt? Ja, es war ein wonniges Gefühl! Lies noch einmal meinSchreibversehen, statt: meine. gemachte Beschreibg durch, spiegelt sich denn nicht in jedem Federstrich die Wollust wieder, die mich fesselte? Konntest Du glauben, dass ich so von der Höhe sei herabgesunken, vom Menschen nicht bis zum Thier, sondern | zum Philister? Fürwahr, Du konntest es nicht glauben, aber Du musstest es glauben, denn ein Freund hat Dir geschrieben, der Freund lässt den Freund sein Herz durchblicken.

– – – – –

Liess vor Allem noch einmal die Beschreibung des Mädchens und fahre dann hier fort zu lesen. Nicht sie hat sich entkleidet, ich habe es gethan, (ein/der/ Mensch muß ganz geniessen) wie lieblich durchschauerte es mich, als ich die Aepfel vergebens das Gewand zu durchbrechen versuchen sah, das die Linnedie Bettdecke (Leinentuch). wich, sie drang zurück und faltete sich zwischen der runden Brust, um wieder sanft weggehoben zu werden. |


II.


Ich staune ob diesem Schaffen, ich blicke dieses Kommen und gehen – und siehe! auch der Mann steht da, wie Gott ihn erzeugt! Sie zieht sich zurück, la/e/gt sich auf’s Lager, sanft wallt der Leib – ich staune wiederum, sie lässt ihre Augen zu mir schweifen, winkt – da regten sich die Sinne, ich ward ohnmächtig, wie schön schlief sich diese Ohnmacht in ihren Armen aus. Est „Es ist kalt“ sagt sie mir, „O nein, Feuer, nicht BlutZitat („Feuer, nicht Blut rollt in meinen Adern“) [Walter von Königsmark: Ein neuer Don Juan oder Die modernen Kavaliere in Berlin u. Hamburg. Ein Sittengemälde aus der Neuzeit. Bd. 4, Berlin 1869, S. 868]. sch rollt mehr in meinen Adern“

„So ist es recht“ lächelte sie mich küssend, ihren Lilienarme um mich schlingend. Ich schlief einen süssen Schlaf, was folgte, weiss ich nicht mehr.
.//. |

Ich wollte mit ihr nach meinem Taumel ein Gespräch über die Schönheit des weiblichen Körpers im Gegensatz zum männlichen ein Gespräch beginnen, das verstand sie nicht, ich hörte auf, – sie wusste genug!

(Auszug aus dem Tagebuch.) Noch einmal ! Weil Du mir nicht geschrieben gehabtWedekind hatte Hermann Hubers Brief vom 19.4.1884 nicht beantwortet., dachte ich Dich zu versuchen, ist er treu, so antwortet er sofort, und lieber Franklin, Du bist es gebliebenHinweis auf das nicht überlieferte, erschlossene Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Huber, 27.4.1883 (siehe oben)., lass’ Dich küssen – aber nicht wahr, alt/s/e aechter Freund muss es Dich freuen, dass es ein Lügengewebe war??

– – – –

Was den Brief betr. die GermaniaBeilage zu Hermann Huber an Wedekind, 24.4.1883; es handelt sich um eine undatierte Abschrift von Hermann Hubers Brief an einen Herrn Wolf von der Studentenverbindung Germania Straßburg (vermutlich vom 23.4.1883). anbelangt, so handle nach Deinem Gutdünken, nur schick’ | ihn nicht mehr hieher.

Im Uebrigen sind die GermanenBezeichnung für die Mitglieder der Studentenverbindung Germania Straßburg. durchaus liebenswürdig, wenn ich mir eine Gesellschaft wünschte, wären es diese, die ich mir dazu erküren möchte. Ich will allein bleiben, warten bis Jemand kommt, den ich an mein Herz drücken kann, oh, das wird ein Leben sein. Bis dahin will ich riesig arbeiten, wie man es auf der Kantonsschule, wenigstens ich, nicht kennt. Ich habe meinen Eltern geschrieben: „Sorgen braucht Ihr Euch keine zu machen, ich werde arbeiten, um mir einen Namen zu erwerben, dann aber will ich auch die Jugendfreuden genis/e/ssen.“

– Zu Dir: im 3ten Semester will ich Dr. philosophiae sein. Das ist mein das Ziel meiner Abgeschlossenheit. | Meine AntikenEltern., erlaube mir den derben Ausdruck – sind durch den frater herzlich weich geworden; schreiben SieSchreibversehen, statt: sie. mir, ich soll zurückhaltend sein und schicken mir so fein Geld, wie ich es nur wünschen kann, (125 Mark pro Monat) Dafür geb’ ich aber auch nobel, was Dir schon die flotte Lage der BudeHermann Huber wohnte im Zentrum Straßburgs auf dem Münsterplatz 6 [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 28.4.1883 (Postkarte)]. anzeigen mag. Trotzdem wirst d/D/u meine bisweilige Jammerstimme in den Briefe wohl begreifen.


– – – –

Du siehst, Franklin, arbeiten muss man, ich habe gearbeitet (darum hab’ ich’s auch so göttlich weit gebracht!in Anlehnung an „Faust I“ (Wagner, Nacht) „Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“ [Goethes Werke (WA), Bd. 14, S. 35. = V. 573] Faust) Schibler ochst auf die MaturitätOskar Schibler, Freund und ehemaliger Mitschüler Wedekinds und Hermann Hubers, erlangte im Sommer an der Kantonsschule Solothurn die Hochschulreife., um es ebenfalls göttlich weit zu bringen, Dich bitte ich, auch herab zu steigen zu den Menschen, ihnen Sand in die Augen zu streuen, um dann als Gott Alles zu verklären! Es bedarf ja dazu, so himmlisch wenig, vor Allem stelle den SchlatterAugust Schlatter besuchte mit Wedekind die Abschlussklasse des Gymnasiums an der Kantonsschule Aarau. durch Deine Aufsätze in Schatten! Bei Hr. HärriHans Rudolf Härri-Linder war Direktionssekretär, später Expeditionschef auf der Staatskanzlei, und wohnte in der Rathhausgasse 5 in Aarau [Adress-Buch der Stadt Aarau, 1884, S. 26]. kannst Du Hefte abholen, die ich für Dich nach Aarau gebracht. (Geologie) |


III.


Es war am 21ten April Abends, als ich von der Germania zu einem Commersfestlicher Umtrunk einer Studentenverbindung. eingeladen zu sein die Ehre hatte. Die Gesellschaft bestand aus lauter Deutschen, ich war der einzige Schweizer und diesem Umstande habe ich es vielleicht zu verdanken, dass die Unterhaltung so anziehend sich gestaltet hat. Der mir gegenübersitzende Commilito meinte, es sollte eigentlich jeder Philologe und Geschichtsforscher erst einige Zeit in der Schweiz zugebracht haben, um die altgriechisch-römischen Staatsverhältnisse kennen zu lernen, da, wo das Volk die öffentlichen Angelegenheiten bespreche; aber, fügte er bei, ich fürchte es artet Alles in Kleinigkeitskrämerei aus, die Bürger bekommen keinen Einblick in das grosse Staatsgetriebe

„Gewiss würde es für einen deutschen Philologen von grossem Nutzen sein | sich in diesen Staat hineinzuleben, damit er kennen lernen würde ein Volk, das weiss, dass es selbst der Staat ist, dass alle Bürger gleichberechtigte Glieder des Körpers seien, dass nicht der Einzige es ist, dass nicht Wenige es sind, die den Staat bilden, sondern das gesammte Volk. –

„Sie meinen also die schweizerische Nation“

„Nun sind wir glücklich zu einem terminus technicusFachausdruck. gelangt“

„Sie erlauben mir doch, mich freimüthig ausdrücken zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, Ihren schweiz. Nationalstolz zu beleidigen?“

„Bitte, reden Sie so, wie Sie denken. Zumal was meinen schweiz. Nationalstolz anlangt, da sprechen Sie erst recht offen. Denn es hat sich in mir die Ueberzeugung gebildet, dass der Nationalstolz zu einer Eitelkeit werden kann, die weit hässlicher ist, als vermeinte Schönheit. Zwar ein | Schweizer koennte noch am Ehesten Gefahr laufen, ein Deutscher – –

„Ja wohl, die Deutschen bilden eine Nation, zu der deutschen Nation gehören auch die Deutschschweizer & Oestreicher und es wird eine Zeit kommen, da die Schweiz aus den Fugen gehen wird und der deutsche Theil an’s Reich fällt.“

Er hatte seine Meinung höflich ausgesprochen, da machte mir sein Deutschmichelhochmutder deutsche Michel; populäre Verkörperung von Klischees (hier: Hochmut) des Deutschen. In Karikaturen ist das Erkennungszeichen des deutschen Michel die Schlafmütze. mein Blut wallen und ich sagte:

Gewiss, wir sind in einer Entwickelung begriffen. Aber bis jene Staatenbildung, die Ihnen vor Augen schwebt, vor sich gehen wird mögen noch manche Generationen folgen. Unter Nation verstehe ich keine Race; selbst die Sprache gibt kein unbedingtes Mittel ab zur Bildung einer Nation. Dafür seid Ihr Deutschen und wir Schweizer das beste Beispiel. Wie lange seid Ihr Deutsche eine Nation? Seit 1870mit dem Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund im November 1870 (Baden, Württemberg und Bayern) sowie Hessen am 1.1.1871 (dem Tag der Reichsgründung).. Vorher waret Ihr Preussen,
.//. |

Sachsen, Pommern, Strelitzer, Lausitzer, Görlitzer, Badenser, Schaumberger, Hannoveraner, Anhaltner, Franzosen gar und wie alle die Gottbegnadeten 36 Höflein und Stätlein heissen mögen: Es ist ja allbekanntAnspielung auf die beiden nicht genehmigten Reisen Friedrich Schillers von der Karlsschule bei Stuttgart nach Mannheim, zur Uraufführung seines Schauspiels „Die Räuber“ (13.1.1782) und zu einer weiteren Reise in die Stadt, woraufhin er für 2 Wochen arrestiert wurde und Herzog Karl Eugen ihm den Kontakt strikt untersagte. Die Ereignisse schilderte Andreas Streicher in seinem Buch: Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785 (Stuttgart 1836)., dass der Herzog von Würtemberg Schillern, nachdem dieser nach Mannheim, das 2 Stunden von Stuttgart entfernt ist, nach seiner Rückkehr verboten hat fürderhin in’s Ausland zu gehen. Früher hattet Ihr 36 Nationen; jetzt eine; aber wie habt Ihr Mühe, sie zusammenzuhalten. Den Grund, warum die deutsche Nation bei jeder Gelegenheit wünscht aus den Fugen zu gehen, ist, dass das Nationalgefühl noch nicht im Volke ist festgewurzelt ist; Vom Gipfel des Stammes, von der Baumkrone, ist den Wurzeln verkündet worden, ihr gehört zu uns, gebt die Säfte, damit der Baum besteht, aber nicht vom Boden aus ist die Pflanze gediehen –
.//. |


IV.


wir Schweizer aber sind eine Nationdie Alte Eidgenossenschaft (1353/1386), die auf der Grundlage mehrerer im 13./14. Jahrhundert geschlossener Bündnisse aus den Acht (ab 1513 Dreizehn) Alten Orten bestand. – Hermann Huber hatte im Geschichtsunterricht der IV. Klasse des Gymnasiums noch die „Geschichte der schweizerischen Bünde“ gelernt [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule 1882/83, S. 17], Wedekind, der nach dem revidierten Lehrplan unterrichtet wurde, nicht mehr [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule 1883/84, S. 21]. und schon seit 500 Jahren wollten wir Schweizer sein, dieser Wille ist im Volksblute und wenn Ihr die Schweizer mit EuremSchreibversehen, statt: Euren. Waffen deutsch machen wolltet, den deutschen Adel/le/r könntet Ihr auf die Kirchthürme setzen – nie und nimmer aber de/i/m Volk deutsches Blut pflanzen, Generationen müssten darüber hinweggehen, ein neues Geschlecht müsste erstehen, das nicht müssteSchreibversehen, statt: wüsste., dass sein Heimatland der Boden ist, wo zuerst mitten im dürren Wald der Baum der Freiheit ergrünte, das nicht mehr kennte seine Ahnen, die mit ihrem Blut dieses kostbarste Gut erkämpft und gesichert haben, das sich nicht mehr der Opfer erinnerte, die in Zeiten da Gefahr unter Freunden welsche(schweiz.) die französischsprachigen Schweizer. und deutsche Schweizer-
brüder |

sich gebracht, um ihr Vaterland zu erhalten, das verloren hätte das leuchtende Ziel, auch fernerhin, grosse Aufgaben, der Schweizer würdige grosse Thaten zu vollbringen, dass vergessen hätte die herrliche weltgeschichtliche Aufgabe, das Land zu sein, wo in der/em/ der Fremde FreiheitsmärtyrerAnspielung auf die politisch verfolgten Deutschen, die nach den Sozialistengesetzen (1878) in die Schweiz flohen, von wo sie ihre politische Arbeit fortsetzten konnten. – Auch im Vormärz und nach der gescheiterten 1848er Revolution hatten Deutsche Freiheitskämpfer in der Schweiz politisches Asyl gefunden., der seinem, von Tyrannen geknechtetem Volke, das Morgenroth einer frisch aufdämmernden, neuen Zeit verkündete, verfolgt von der Häschergewalt einen sichern Schutz finden soll

– – lieber Franklin, meine Augen müssen unmenschlich gefunkelt haben, ich muss noch andere theils republicanische theils heidnische Dinge erzählt haben, das | gute deutsche Reichsunterthanenblut fühlte sich wie vor einem Dämonen unheimelig und gieng hinaus; mein Nachbar fragte mich etwas Gleichgültiges; ich trank mein Glas aus und gieng nach Hause. (Tagebuch)

Es ist recht anregend mit solchen Leuten zu verkehren, da eröffnete sich mir ein ganz neuer Gesichtskreis, eine ganz andere Anschauungsweise und – seitdem ich hier bin, weiss ich sicher nicht mehr, wie hoch heute das Barometer und Thermometer stehen, während ich das in Aarau wissen musste & eventl täglich vernahm. – –

Wie Du siehst, ist Vieles dem Tagbuch entnommen, das ich mir angelegt u in das ich alle Vorkommnisse sofort nach der That eintrage.

Lasse Dir nur nicht einfallen, ich hätte den Arabi vergessenHermann Huber konzipierte ein historisch motiviertes Schauspiel in 4 Akten über Achmed Arabi Pascha, den Anführer der Arabi-Bewegung nach dem finanziellen Ruin Ägyptens im Herbst 1881., keineswegs, ich habe | einen ganzen Stoss Bücher vor mir und die nächsten Nachrichtenvgl. Hermann Huber an Wedekind, 30.4.1883. werden vielleicht davon handeln. Dennoch für Deine Ermahnung besten Dank.

Nun ist mir wohl, doch noch nicht ganz, bis Du mich von den Sünden, die ich an Dir begangen lossprichst – den Kniff und die Hinterlist, um Dich zu prüfen & z wenn Du treu seiest, zur sofortigen Antwort zu zwingen.

Ich muss es Dir ohne Hehl gestehen, Du hast d/D/ich edel gezeigt und ich werde mich bestreben, es auch Dir gegenüber zu sein.

Lebe wohl &
sei gegrüsst & geküsst
von Deinem
Hermann Huber.

PS. Aber lass’ mich doch nicht so unendlich lang auf einen Brief wartenHermann Huber musste erneut längere Zeit auf Antwort warten [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 31.5.1883].!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 8 Blatt, davon 16 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 4 Doppelblätter. Seitenmaß 13,5 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die 4 Doppelblätter hat Hermann Huber mit römischen Zahlen (I bis IV) nummeriert. Am Fuß der Seiten (3, 5, 11, 12) ist das Zeichen „.//.“ für den Hinweis auf die Folgeseite notiert, unter dem Text der Seite (4) befinden sich zu gleichem Zweck zwei Striche. Die Seiten (7, 13) enden mit Custoden.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Straßburg
    28. April 1883 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Straßburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 75
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hermann Huber an Frank Wedekind, 28.4.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

07.02.2024 15:48
Kennung: 3240

Straßburg, 28. April 1883 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Huber, Hermann

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

I


Strassburg, 28ten April 1883.


Mein Franklin!

Dir zu Füssenaus biblisch-kirchlichen Zitaten zusammengesetzte Textpassage. liege ich elender Wurm, Dich umklammere ich, lieber FreudSchreibversehen, statt: Freund., der Du weit höher stehst als ich. Nicht wahr, Du zerbrichst den Stab nicht über meinem Haupt, dem schuldbeflectenSchreibversehen, statt: schuldbefleckten. Haupte, dem der Gedanken entsprungen, die Treue des Freundes auf’s Spiel zu setzen! Ich unwürdiger Freund habe gewagt den Freund, meinen Franklin, zu prüfen!! Erst jetzt, jetzt sehe ich die Verworfenheit des Teufelsgespinnstes ein! Aber nicht wahr, Du verzeihst dem reuigen Sünder, der Dir auf Ehrenwort verspricht, nie, niemehr Dich zu versuchen, sondern immer, immer wahr zu sein! Ich kann Dir | nicht beschreiben, was für ein strafendes Gefühl mich durchzitterte, als ich, auf dem Kanapee liegend und Heine’s (den ich mir sofort nach meiner AnkunftHermann Huber war am 15.4.1883 zum Jurastudium nach Straßburg gereist, am 17.4.1883 besuchte er erstmals die Universitäts- und Landesbibliothek. von der Bibliothek geben liess) Reisebilder & Shakspeares Frauen studirendHermann Hubers Heine-Lektüre dürfte nicht zufällig gewesen sein, denn auch Wedekind hatte in den zu Ende gehenden Ferien Heinrich Heines „Reisebilder“ gelesen [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 20.4.1883]., aufgescheucht wurde durch den Briefträger, der mir diesen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Huber, 27.4.1883. brachte, den ich wohl 4 mal schon durchlesen habe. Da erbebte ich nichtswürdiger Mensch bei dem Gedanken, es muss ein Brief von Franklin sein, wie sehnlichst habe ich schon seit Tagen darauf gewaret/tet/! Da stand ich Bösewicht, niedergedonnert von der Sprache des Herzens, beschämt vor meinem eigenen Ich. – | Aber lass’ mich doch einen Grund anführen, der mich, der von vorneherein die schiefe Bahn sah, auf der ich wandelte, sah, bei der Abfassung des Briefesvgl. Hermann Huber an Wedekind, 24.4.1883. leitete: Es ist nicht recht, den Freund zu versuchen; aber ist es nicht recht, seine Gedanken zu wissen? Was, lieber Franklin, hättest Du mir schreiben koennen, wenn ich Dir voller Wonne mein Glück erzählt? Nichts. So doch erhieltest Du Gelegenheit, in der Hoffnung zu fühlen, und nicht wahr, Du hast das selige Glück gefühlt? Ja, es war ein wonniges Gefühl! Lies noch einmal meinSchreibversehen, statt: meine. gemachte Beschreibg durch, spiegelt sich denn nicht in jedem Federstrich die Wollust wieder, die mich fesselte? Konntest Du glauben, dass ich so von der Höhe sei herabgesunken, vom Menschen nicht bis zum Thier, sondern | zum Philister? Fürwahr, Du konntest es nicht glauben, aber Du musstest es glauben, denn ein Freund hat Dir geschrieben, der Freund lässt den Freund sein Herz durchblicken.

– – – – –

Liess vor Allem noch einmal die Beschreibung des Mädchens und fahre dann hier fort zu lesen. Nicht sie hat sich entkleidet, ich habe es gethan, (ein/der/ Mensch muß ganz geniessen) wie lieblich durchschauerte es mich, als ich die Aepfel vergebens das Gewand zu durchbrechen versuchen sah, das die Linnedie Bettdecke (Leinentuch). wich, sie drang zurück und faltete sich zwischen der runden Brust, um wieder sanft weggehoben zu werden. |


II.


Ich staune ob diesem Schaffen, ich blicke dieses Kommen und gehen – und siehe! auch der Mann steht da, wie Gott ihn erzeugt! Sie zieht sich zurück, la/e/gt sich auf’s Lager, sanft wallt der Leib – ich staune wiederum, sie lässt ihre Augen zu mir schweifen, winkt – da regten sich die Sinne, ich ward ohnmächtig, wie schön schlief sich diese Ohnmacht in ihren Armen aus. Est „Es ist kalt“ sagt sie mir, „O nein, Feuer, nicht BlutZitat („Feuer, nicht Blut rollt in meinen Adern“) [Walter von Königsmark: Ein neuer Don Juan oder Die modernen Kavaliere in Berlin u. Hamburg. Ein Sittengemälde aus der Neuzeit. Bd. 4, Berlin 1869, S. 868]. sch rollt mehr in meinen Adern“

„So ist es recht“ lächelte sie mich küssend, ihren Lilienarme um mich schlingend. Ich schlief einen süssen Schlaf, was folgte, weiss ich nicht mehr.
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Ich wollte mit ihr nach meinem Taumel ein Gespräch über die Schönheit des weiblichen Körpers im Gegensatz zum männlichen ein Gespräch beginnen, das verstand sie nicht, ich hörte auf, – sie wusste genug!

(Auszug aus dem Tagebuch.) Noch einmal ! Weil Du mir nicht geschrieben gehabtWedekind hatte Hermann Hubers Brief vom 19.4.1884 nicht beantwortet., dachte ich Dich zu versuchen, ist er treu, so antwortet er sofort, und lieber Franklin, Du bist es gebliebenHinweis auf das nicht überlieferte, erschlossene Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Huber, 27.4.1883 (siehe oben)., lass’ Dich küssen – aber nicht wahr, alt/s/e aechter Freund muss es Dich freuen, dass es ein Lügengewebe war??

– – – –

Was den Brief betr. die GermaniaBeilage zu Hermann Huber an Wedekind, 24.4.1883; es handelt sich um eine undatierte Abschrift von Hermann Hubers Brief an einen Herrn Wolf von der Studentenverbindung Germania Straßburg (vermutlich vom 23.4.1883). anbelangt, so handle nach Deinem Gutdünken, nur schick’ | ihn nicht mehr hieher.

Im Uebrigen sind die GermanenBezeichnung für die Mitglieder der Studentenverbindung Germania Straßburg. durchaus liebenswürdig, wenn ich mir eine Gesellschaft wünschte, wären es diese, die ich mir dazu erküren möchte. Ich will allein bleiben, warten bis Jemand kommt, den ich an mein Herz drücken kann, oh, das wird ein Leben sein. Bis dahin will ich riesig arbeiten, wie man es auf der Kantonsschule, wenigstens ich, nicht kennt. Ich habe meinen Eltern geschrieben: „Sorgen braucht Ihr Euch keine zu machen, ich werde arbeiten, um mir einen Namen zu erwerben, dann aber will ich auch die Jugendfreuden genis/e/ssen.“

– Zu Dir: im 3ten Semester will ich Dr. philosophiae sein. Das ist mein das Ziel meiner Abgeschlossenheit. | Meine AntikenEltern., erlaube mir den derben Ausdruck – sind durch den frater herzlich weich geworden; schreiben SieSchreibversehen, statt: sie. mir, ich soll zurückhaltend sein und schicken mir so fein Geld, wie ich es nur wünschen kann, (125 Mark pro Monat) Dafür geb’ ich aber auch nobel, was Dir schon die flotte Lage der BudeHermann Huber wohnte im Zentrum Straßburgs auf dem Münsterplatz 6 [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 28.4.1883 (Postkarte)]. anzeigen mag. Trotzdem wirst d/D/u meine bisweilige Jammerstimme in den Briefe wohl begreifen.


– – – –

Du siehst, Franklin, arbeiten muss man, ich habe gearbeitet (darum hab’ ich’s auch so göttlich weit gebracht!in Anlehnung an „Faust I“ (Wagner, Nacht) „Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“ [Goethes Werke (WA), Bd. 14, S. 35. = V. 573] Faust) Schibler ochst auf die MaturitätOskar Schibler, Freund und ehemaliger Mitschüler Wedekinds und Hermann Hubers, erlangte im Sommer an der Kantonsschule Solothurn die Hochschulreife., um es ebenfalls göttlich weit zu bringen, Dich bitte ich, auch herab zu steigen zu den Menschen, ihnen Sand in die Augen zu streuen, um dann als Gott Alles zu verklären! Es bedarf ja dazu, so himmlisch wenig, vor Allem stelle den SchlatterAugust Schlatter besuchte mit Wedekind die Abschlussklasse des Gymnasiums an der Kantonsschule Aarau. durch Deine Aufsätze in Schatten! Bei Hr. HärriHans Rudolf Härri-Linder war Direktionssekretär, später Expeditionschef auf der Staatskanzlei, und wohnte in der Rathhausgasse 5 in Aarau [Adress-Buch der Stadt Aarau, 1884, S. 26]. kannst Du Hefte abholen, die ich für Dich nach Aarau gebracht. (Geologie) |


III.


Es war am 21ten April Abends, als ich von der Germania zu einem Commersfestlicher Umtrunk einer Studentenverbindung. eingeladen zu sein die Ehre hatte. Die Gesellschaft bestand aus lauter Deutschen, ich war der einzige Schweizer und diesem Umstande habe ich es vielleicht zu verdanken, dass die Unterhaltung so anziehend sich gestaltet hat. Der mir gegenübersitzende Commilito meinte, es sollte eigentlich jeder Philologe und Geschichtsforscher erst einige Zeit in der Schweiz zugebracht haben, um die altgriechisch-römischen Staatsverhältnisse kennen zu lernen, da, wo das Volk die öffentlichen Angelegenheiten bespreche; aber, fügte er bei, ich fürchte es artet Alles in Kleinigkeitskrämerei aus, die Bürger bekommen keinen Einblick in das grosse Staatsgetriebe

„Gewiss würde es für einen deutschen Philologen von grossem Nutzen sein | sich in diesen Staat hineinzuleben, damit er kennen lernen würde ein Volk, das weiss, dass es selbst der Staat ist, dass alle Bürger gleichberechtigte Glieder des Körpers seien, dass nicht der Einzige es ist, dass nicht Wenige es sind, die den Staat bilden, sondern das gesammte Volk. –

„Sie meinen also die schweizerische Nation“

„Nun sind wir glücklich zu einem terminus technicusFachausdruck. gelangt“

„Sie erlauben mir doch, mich freimüthig ausdrücken zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, Ihren schweiz. Nationalstolz zu beleidigen?“

„Bitte, reden Sie so, wie Sie denken. Zumal was meinen schweiz. Nationalstolz anlangt, da sprechen Sie erst recht offen. Denn es hat sich in mir die Ueberzeugung gebildet, dass der Nationalstolz zu einer Eitelkeit werden kann, die weit hässlicher ist, als vermeinte Schönheit. Zwar ein | Schweizer koennte noch am Ehesten Gefahr laufen, ein Deutscher – –

„Ja wohl, die Deutschen bilden eine Nation, zu der deutschen Nation gehören auch die Deutschschweizer & Oestreicher und es wird eine Zeit kommen, da die Schweiz aus den Fugen gehen wird und der deutsche Theil an’s Reich fällt.“

Er hatte seine Meinung höflich ausgesprochen, da machte mir sein Deutschmichelhochmutder deutsche Michel; populäre Verkörperung von Klischees (hier: Hochmut) des Deutschen. In Karikaturen ist das Erkennungszeichen des deutschen Michel die Schlafmütze. mein Blut wallen und ich sagte:

Gewiss, wir sind in einer Entwickelung begriffen. Aber bis jene Staatenbildung, die Ihnen vor Augen schwebt, vor sich gehen wird mögen noch manche Generationen folgen. Unter Nation verstehe ich keine Race; selbst die Sprache gibt kein unbedingtes Mittel ab zur Bildung einer Nation. Dafür seid Ihr Deutschen und wir Schweizer das beste Beispiel. Wie lange seid Ihr Deutsche eine Nation? Seit 1870mit dem Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund im November 1870 (Baden, Württemberg und Bayern) sowie Hessen am 1.1.1871 (dem Tag der Reichsgründung).. Vorher waret Ihr Preussen,
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Sachsen, Pommern, Strelitzer, Lausitzer, Görlitzer, Badenser, Schaumberger, Hannoveraner, Anhaltner, Franzosen gar und wie alle die Gottbegnadeten 36 Höflein und Stätlein heissen mögen: Es ist ja allbekanntAnspielung auf die beiden nicht genehmigten Reisen Friedrich Schillers von der Karlsschule bei Stuttgart nach Mannheim, zur Uraufführung seines Schauspiels „Die Räuber“ (13.1.1782) und zu einer weiteren Reise in die Stadt, woraufhin er für 2 Wochen arrestiert wurde und Herzog Karl Eugen ihm den Kontakt strikt untersagte. Die Ereignisse schilderte Andreas Streicher in seinem Buch: Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785 (Stuttgart 1836)., dass der Herzog von Würtemberg Schillern, nachdem dieser nach Mannheim, das 2 Stunden von Stuttgart entfernt ist, nach seiner Rückkehr verboten hat fürderhin in’s Ausland zu gehen. Früher hattet Ihr 36 Nationen; jetzt eine; aber wie habt Ihr Mühe, sie zusammenzuhalten. Den Grund, warum die deutsche Nation bei jeder Gelegenheit wünscht aus den Fugen zu gehen, ist, dass das Nationalgefühl noch nicht im Volke ist festgewurzelt ist; Vom Gipfel des Stammes, von der Baumkrone, ist den Wurzeln verkündet worden, ihr gehört zu uns, gebt die Säfte, damit der Baum besteht, aber nicht vom Boden aus ist die Pflanze gediehen –
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IV.


wir Schweizer aber sind eine Nationdie Alte Eidgenossenschaft (1353/1386), die auf der Grundlage mehrerer im 13./14. Jahrhundert geschlossener Bündnisse aus den Acht (ab 1513 Dreizehn) Alten Orten bestand. – Hermann Huber hatte im Geschichtsunterricht der IV. Klasse des Gymnasiums noch die „Geschichte der schweizerischen Bünde“ gelernt [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule 1882/83, S. 17], Wedekind, der nach dem revidierten Lehrplan unterrichtet wurde, nicht mehr [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule 1883/84, S. 21]. und schon seit 500 Jahren wollten wir Schweizer sein, dieser Wille ist im Volksblute und wenn Ihr die Schweizer mit EuremSchreibversehen, statt: Euren. Waffen deutsch machen wolltet, den deutschen Adel/le/r könntet Ihr auf die Kirchthürme setzen – nie und nimmer aber de/i/m Volk deutsches Blut pflanzen, Generationen müssten darüber hinweggehen, ein neues Geschlecht müsste erstehen, das nicht müssteSchreibversehen, statt: wüsste., dass sein Heimatland der Boden ist, wo zuerst mitten im dürren Wald der Baum der Freiheit ergrünte, das nicht mehr kennte seine Ahnen, die mit ihrem Blut dieses kostbarste Gut erkämpft und gesichert haben, das sich nicht mehr der Opfer erinnerte, die in Zeiten da Gefahr unter Freunden welsche(schweiz.) die französischsprachigen Schweizer. und deutsche Schweizer-
brüder |

sich gebracht, um ihr Vaterland zu erhalten, das verloren hätte das leuchtende Ziel, auch fernerhin, grosse Aufgaben, der Schweizer würdige grosse Thaten zu vollbringen, dass vergessen hätte die herrliche weltgeschichtliche Aufgabe, das Land zu sein, wo in der/em/ der Fremde FreiheitsmärtyrerAnspielung auf die politisch verfolgten Deutschen, die nach den Sozialistengesetzen (1878) in die Schweiz flohen, von wo sie ihre politische Arbeit fortsetzten konnten. – Auch im Vormärz und nach der gescheiterten 1848er Revolution hatten Deutsche Freiheitskämpfer in der Schweiz politisches Asyl gefunden., der seinem, von Tyrannen geknechtetem Volke, das Morgenroth einer frisch aufdämmernden, neuen Zeit verkündete, verfolgt von der Häschergewalt einen sichern Schutz finden soll

– – lieber Franklin, meine Augen müssen unmenschlich gefunkelt haben, ich muss noch andere theils republicanische theils heidnische Dinge erzählt haben, das | gute deutsche Reichsunterthanenblut fühlte sich wie vor einem Dämonen unheimelig und gieng hinaus; mein Nachbar fragte mich etwas Gleichgültiges; ich trank mein Glas aus und gieng nach Hause. (Tagebuch)

Es ist recht anregend mit solchen Leuten zu verkehren, da eröffnete sich mir ein ganz neuer Gesichtskreis, eine ganz andere Anschauungsweise und – seitdem ich hier bin, weiss ich sicher nicht mehr, wie hoch heute das Barometer und Thermometer stehen, während ich das in Aarau wissen musste & eventl täglich vernahm. – –

Wie Du siehst, ist Vieles dem Tagbuch entnommen, das ich mir angelegt u in das ich alle Vorkommnisse sofort nach der That eintrage.

Lasse Dir nur nicht einfallen, ich hätte den Arabi vergessenHermann Huber konzipierte ein historisch motiviertes Schauspiel in 4 Akten über Achmed Arabi Pascha, den Anführer der Arabi-Bewegung nach dem finanziellen Ruin Ägyptens im Herbst 1881., keineswegs, ich habe | einen ganzen Stoss Bücher vor mir und die nächsten Nachrichtenvgl. Hermann Huber an Wedekind, 30.4.1883. werden vielleicht davon handeln. Dennoch für Deine Ermahnung besten Dank.

Nun ist mir wohl, doch noch nicht ganz, bis Du mich von den Sünden, die ich an Dir begangen lossprichst – den Kniff und die Hinterlist, um Dich zu prüfen & z wenn Du treu seiest, zur sofortigen Antwort zu zwingen.

Ich muss es Dir ohne Hehl gestehen, Du hast d/D/ich edel gezeigt und ich werde mich bestreben, es auch Dir gegenüber zu sein.

Lebe wohl &
sei gegrüsst & geküsst
von Deinem
Hermann Huber.

PS. Aber lass’ mich doch nicht so unendlich lang auf einen Brief wartenHermann Huber musste erneut längere Zeit auf Antwort warten [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 31.5.1883].!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 8 Blatt, davon 16 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 4 Doppelblätter. Seitenmaß 13,5 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die 4 Doppelblätter hat Hermann Huber mit römischen Zahlen (I bis IV) nummeriert. Am Fuß der Seiten (3, 5, 11, 12) ist das Zeichen „.//.“ für den Hinweis auf die Folgeseite notiert, unter dem Text der Seite (4) befinden sich zu gleichem Zweck zwei Striche. Die Seiten (7, 13) enden mit Custoden.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Straßburg
    28. April 1883 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Straßburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 75
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hermann Huber an Frank Wedekind, 28.4.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

07.02.2024 15:48