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Kennung: 3022

Berlin, 20. August 1906 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

abends, ½ 10

Montagder 20.8.1906..


Mein lieber Frank,

ich war heute noch in unsrer Wohnung u. bin ganz entzückt! Sie ist wunderhübsch geworden. Die hellen Türen machen sich riesig freundlich. Leider werden die Arbeiter aber doch noch die Woche | zu tun haben, wird also mit dem UmziehenDer Umzug von der alten Wohnung (Marienstraße 23, 2. Stock links) in die neue Wohnung (Kurfürstenstraße 125, 3. Stock) fand erst zum Monatsende statt, wie Wedekind im Tagebuch notierte – am 29.8.1906 („Ich engagiere den Spediteur Scholz Blumenthalstraße 5“), 30.8.1906 („Es wird gepackt“) und schließlich am 31.8.1906 („Umzug“). nichts werden. Schade, ich hätte Dir’s gern erspart.

Ich werde von Dir morgen wohl noch nichts hören, aber Du bist ja auch bis 10 Uhr in der EisenbahnWedekind ist am 20.8.1906 um 16.39 Uhr von Berlin mit dem Zug nach Breslau abgereist, wie er im Tagebuch festhielt („Abfahrt nach Breslau 4.39. Ankunft in Breslau. Wohne Riegners Hotel“), und kam dem vorliegenden Brief zufolge um 22 Uhr in Breslau an, zu einem „Hidalla“-Gastspiel des Kleinen Theaters am Breslauer Sommertheater (Premiere: 23.8.1906, Regie: Ernst Krampff) [vgl. KSA 6, S. 569f.] – nach Berlin zurückgereist ist er am 26.8.1906.. Ich habe ganz vereinsamt gegessen u. schreibe jetzt in Deinem Zimmer. | Bei IduschkaIda Orloff, „allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Wedekind, wohnte mit ihrer Mutter Ida Siegler von Eberswald in einer Hinterhauswohnung in Moabit (Thomasiusstraße 15, 2. Gartenhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2154]. war ich auch. Aber sie hatte Besuchvon Rudolph Schildkraut, Schauspieler am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 272] und zuletzt bewundert für seine Darstellung des Shylock in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ (Premiere: 9.11.1905), die Wedekind besucht hat [vgl. Tb]. ‒ Der Charakterdarsteller, der 1907 den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ und 1908 den Maler Schwarz in „Erdgeist“ spielte [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50], war mit Ida Orloff am 8.9.1906 bei Frank und Tilly Wedekind zum Abendessen eingeladen: „Abends kommen Schildkraut und Iduschka zum Abend essen.“ [Tb]. Schildkraut und Nichtenicht identifiziert. waren da. Sie haben sich auf RügenIda Orloff hatte den Sommer vom 13.6.1906 bis 12.8.1906 auf Rügen verbracht (überwiegend in Göhren) und die Rückfahrt von dort nach Berlin „mit Schildkrauts“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 159] angetreten, die nach Gerhart Hauptmanns Abreise (siehe unten) wohl nach Mitte Juli in Göhren eintrafen, wie Ida Orloff ihm etwa am 27.7.1906 schrieb; sie sei „von da an immer mit Schildkrauts [...] zusammen. Schildkraut gefällt mir übrigens [...] sehr gut, und wir unterhalten uns glänzend“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 156]. kennen gelernt. Mit Hauptmann scheint nichts vorgefallenkein Heiratsversprechen, auch wenn immer wieder auch „von Heirat“ [Leppmann 1989, S. 249] die Rede war (das dokumentieren Gerhart Hauptmanns Tagebücher und seine Korrespondenz mit Ida Orloff). Ida Orloff und der in zweiter Ehe verheiratete Gerhart Hauptmann, der unentschieden zwischen seiner Ehefrau und der Geliebten schwankte, hatten seit Ende 1905 eine leidenschaftliche Liebesaffäre; er besucht sie vom 25. bis 30.6.1906 auf Rügen [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 73-78], sie „feiern ein stürmisches Wiedersehen [...]. Ein letztes Mal brandet die Liebe empor“, aber „der Bann“ ist „gebrochen.“ [Leppmann 1989, S. 254] Gebrochen war der ‚Liebesbann‘: Gerhart Hauptmann notierte am 25.6.1906 in Göhren: „Ich bin geistig tot in ihrer Nähe“ [Tb Hauptmann] oder am 26.6.1906: „heut erst sehe ich sie altklug, als Verstand [...] obgleich mir W[edekind] sie schon so darstellte vor Monaten“ [Tb Hauptmann]; am 28.6.1906 hielt er fest: „Soeben von ihr Abschied genommen.“ [Tb Hauptmann] zu sein. Sie wollte sich sogar mit einem Andernnicht sicher identifiziert; vielleicht Emil Mamelok [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 81f., 86]. ‒ Ida Orloff heiratete am 23.7.1907 ihren Jugendfreund Karl Satter. verheiraten, doch ist natürlich nichts daraus geworden. Sie lässt Dich grüßen. | Morgen werde ich mir Frl. Römervermutlich Else Römer, Schauspielerin im Adolf Behle-Ensemble der Vereinigten Berliner Vorort-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 249; Neuer Theater-Almanach 1907, S. 311]. einladen, übermorgenam 22.8.1906. Adele Sandrock wohnte in Charlottenburg (Leibnizstraße 60). besuche ich Adele, so wird die Zeit schon vergehen.

Du fühlst Dich wohl sauwohl, dass Du endlich mal wieder alleinenicht lange – Tilly Wedekind reiste den Tag darauf ebenfalls nach Breslau, von Frank Wedekind telegrafisch darum gebeten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.8.1906]. bist? Nun, ich wünsche mir nur, dass Du an mich eben soviel denkst, wie ich an Dich, Frank. Deine TochterAnspielung auf ihre Schwangerschaft, „Tilly ist schwanger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]; die Tochter Pamela Wedekind wird am 12.12.1906 geboren. ist wohl u. schickt Dir viele Küsse!

Gute Nacht, schreib’ mir bald!

Deine Tilly

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 15 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit rotem Buntstift das Datum „21.8.06“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Schreibdatum 20.8.1906 ist durch den Briefinhalt und seine Kontexte belegt.

Das Empfangsdatum ist durch Wedekinds Datumsnotiz auf dem Brief belegt.

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
35-36
Briefnummer:
30
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.8.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

01.09.2023 13:35
Kennung: 3022

Berlin, 20. August 1906 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

abends, ½ 10

Montagder 20.8.1906..


Mein lieber Frank,

ich war heute noch in unsrer Wohnung u. bin ganz entzückt! Sie ist wunderhübsch geworden. Die hellen Türen machen sich riesig freundlich. Leider werden die Arbeiter aber doch noch die Woche | zu tun haben, wird also mit dem UmziehenDer Umzug von der alten Wohnung (Marienstraße 23, 2. Stock links) in die neue Wohnung (Kurfürstenstraße 125, 3. Stock) fand erst zum Monatsende statt, wie Wedekind im Tagebuch notierte – am 29.8.1906 („Ich engagiere den Spediteur Scholz Blumenthalstraße 5“), 30.8.1906 („Es wird gepackt“) und schließlich am 31.8.1906 („Umzug“). nichts werden. Schade, ich hätte Dir’s gern erspart.

Ich werde von Dir morgen wohl noch nichts hören, aber Du bist ja auch bis 10 Uhr in der EisenbahnWedekind ist am 20.8.1906 um 16.39 Uhr von Berlin mit dem Zug nach Breslau abgereist, wie er im Tagebuch festhielt („Abfahrt nach Breslau 4.39. Ankunft in Breslau. Wohne Riegners Hotel“), und kam dem vorliegenden Brief zufolge um 22 Uhr in Breslau an, zu einem „Hidalla“-Gastspiel des Kleinen Theaters am Breslauer Sommertheater (Premiere: 23.8.1906, Regie: Ernst Krampff) [vgl. KSA 6, S. 569f.] – nach Berlin zurückgereist ist er am 26.8.1906.. Ich habe ganz vereinsamt gegessen u. schreibe jetzt in Deinem Zimmer. | Bei IduschkaIda Orloff, „allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Wedekind, wohnte mit ihrer Mutter Ida Siegler von Eberswald in einer Hinterhauswohnung in Moabit (Thomasiusstraße 15, 2. Gartenhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2154]. war ich auch. Aber sie hatte Besuchvon Rudolph Schildkraut, Schauspieler am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 272] und zuletzt bewundert für seine Darstellung des Shylock in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ (Premiere: 9.11.1905), die Wedekind besucht hat [vgl. Tb]. ‒ Der Charakterdarsteller, der 1907 den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ und 1908 den Maler Schwarz in „Erdgeist“ spielte [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50], war mit Ida Orloff am 8.9.1906 bei Frank und Tilly Wedekind zum Abendessen eingeladen: „Abends kommen Schildkraut und Iduschka zum Abend essen.“ [Tb]. Schildkraut und Nichtenicht identifiziert. waren da. Sie haben sich auf RügenIda Orloff hatte den Sommer vom 13.6.1906 bis 12.8.1906 auf Rügen verbracht (überwiegend in Göhren) und die Rückfahrt von dort nach Berlin „mit Schildkrauts“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 159] angetreten, die nach Gerhart Hauptmanns Abreise (siehe unten) wohl nach Mitte Juli in Göhren eintrafen, wie Ida Orloff ihm etwa am 27.7.1906 schrieb; sie sei „von da an immer mit Schildkrauts [...] zusammen. Schildkraut gefällt mir übrigens [...] sehr gut, und wir unterhalten uns glänzend“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 156]. kennen gelernt. Mit Hauptmann scheint nichts vorgefallenkein Heiratsversprechen, auch wenn immer wieder auch „von Heirat“ [Leppmann 1989, S. 249] die Rede war (das dokumentieren Gerhart Hauptmanns Tagebücher und seine Korrespondenz mit Ida Orloff). Ida Orloff und der in zweiter Ehe verheiratete Gerhart Hauptmann, der unentschieden zwischen seiner Ehefrau und der Geliebten schwankte, hatten seit Ende 1905 eine leidenschaftliche Liebesaffäre; er besucht sie vom 25. bis 30.6.1906 auf Rügen [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 73-78], sie „feiern ein stürmisches Wiedersehen [...]. Ein letztes Mal brandet die Liebe empor“, aber „der Bann“ ist „gebrochen.“ [Leppmann 1989, S. 254] Gebrochen war der ‚Liebesbann‘: Gerhart Hauptmann notierte am 25.6.1906 in Göhren: „Ich bin geistig tot in ihrer Nähe“ [Tb Hauptmann] oder am 26.6.1906: „heut erst sehe ich sie altklug, als Verstand [...] obgleich mir W[edekind] sie schon so darstellte vor Monaten“ [Tb Hauptmann]; am 28.6.1906 hielt er fest: „Soeben von ihr Abschied genommen.“ [Tb Hauptmann] zu sein. Sie wollte sich sogar mit einem Andernnicht sicher identifiziert; vielleicht Emil Mamelok [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 81f., 86]. ‒ Ida Orloff heiratete am 23.7.1907 ihren Jugendfreund Karl Satter. verheiraten, doch ist natürlich nichts daraus geworden. Sie lässt Dich grüßen. | Morgen werde ich mir Frl. Römervermutlich Else Römer, Schauspielerin im Adolf Behle-Ensemble der Vereinigten Berliner Vorort-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 249; Neuer Theater-Almanach 1907, S. 311]. einladen, übermorgenam 22.8.1906. Adele Sandrock wohnte in Charlottenburg (Leibnizstraße 60). besuche ich Adele, so wird die Zeit schon vergehen.

Du fühlst Dich wohl sauwohl, dass Du endlich mal wieder alleinenicht lange – Tilly Wedekind reiste den Tag darauf ebenfalls nach Breslau, von Frank Wedekind telegrafisch darum gebeten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.8.1906]. bist? Nun, ich wünsche mir nur, dass Du an mich eben soviel denkst, wie ich an Dich, Frank. Deine TochterAnspielung auf ihre Schwangerschaft, „Tilly ist schwanger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]; die Tochter Pamela Wedekind wird am 12.12.1906 geboren. ist wohl u. schickt Dir viele Küsse!

Gute Nacht, schreib’ mir bald!

Deine Tilly

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 15 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit rotem Buntstift das Datum „21.8.06“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Schreibdatum 20.8.1906 ist durch den Briefinhalt und seine Kontexte belegt.

Das Empfangsdatum ist durch Wedekinds Datumsnotiz auf dem Brief belegt.

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
35-36
Briefnummer:
30
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.8.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

01.09.2023 13:35