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Kennung: 2926

Salzburg, 9. Mai 1915 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Salzburg, 9. Mai 1915.


Mein lieber Frank!

Also heute schreibe ich wieder und zwar in Deine Wohnung, mit der Hoffnung, Du mögest schon gesundWedekind unterzog sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb]. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915., wenn nicht wiederhergestellt sein.

Die letzten 14 Tage verliefen ungefähr täglich unter denselben Eindrücken; nur, daß ich mich vorletzte Woche mehr mit meinen literarischen Versuchen beschäftigte, diese mit den Eindrücken, die drohend vom SüdenDas neutrale Italien trat am 23.5.1915 auf Seiten der Entente-Mächte mit einer Kriegserklärung gegen Österreich in den Krieg ein. Zuvor formulierte die Regierung Ansprüche auf österreichische Gebiete und erwartete deren Abtretung (siehe auch unten Friedrich Strindbergs den Brief abschließende Bemerkung). kommen. Letzten, d.i. vorletzten Mittwochden 28.4.1915. besuchte ich Herrn Universi. Professor Dr. Seipel. Herr Dokt.s Eckardts Liebenswürdigkeit hatte mich mit dem sehr kunstverständigen Geistlichen zusammengeführt, der im Fache der Kunst, seine Theologie völlig schweigen läßt. Meine Gedichte berück|sichtigte er nicht. Der Eindruck des Gelesenen sei im IhnenSchreibversehen, statt: in ihnen. noch zu stark. Wohl erregte mein „Kampf“, der Einakter, sein Interesse, der aber, ebenso wie eine Novelle von mir „Das gebrochene Herz, eine Leidensgeschichte“ den Mangel des „Befreienden“ – wie er es nannte – aufweist. Unn/d/ er legte mir klar, daß jede Kunst ein Alp von der Brust nehmen müsse. Ich bat ihn um ein modernes Beispiel und er nannte den „Marquis von Keith“. Herr Doktor Seipel führte aus, daß der Marquis, trotz der Gewöhnlichkeit des Hochstapplertums das Ni für jede Kunst Typische besitze. Und dann nannte er den „König Nikolo“ als Dein reizendstes Stück, überhaupt ein Werklein „das entzückend ist“. Ich versuchte dieses „Typische der Kunst“ näher kennen zu lernen und Herr Dr. Seipel verwies mich auf das Übermenschliche der Gestalten, das den Zuschauer erhebt. Der Fehler meiner 2 Stücke, die ich ihm gab, der Novelle und des Dramas sei, daß sich der Held in beiden passiv verhalte, also wohl unsre Teilnahme, weniger aber unser Mitgefühl erregen könne, weil dem Willensschwa|chen der handelnde, Teilnahme erregende, starke Wille fehlt. Nach einer ein-einhalbstündigen, sehr interessanten Unterredung, bei der ich sehr viel profitierte, verließ ich ihn. Die Folge davon war eine völlige Umgestaltung meines Dramas, die mir jetzt wirklich nötig erschien. Ich führte sie in wenigen Tagen durch

Ich denke jetzt aber sehr oft an Deine Genesung und bitte Dich meine besten Wünsche dazu entgegenzunehmen. Mit Herrn Dr. Eckardt bin ich leider Zeitmangels halber seit 3 Wochen nicht zusammengekommen; er sandte mir vor wenigen Tagen ein GedichtleinIn der Reihe „Kriegslieder“, einer vom Sekretariat Sozialer Studentenarbeit in Mönchengladbach herausgegebenen Heftfolge, war in Heft 11 als letztes von 10 Gedichten Friedrich Strindbergs Gedicht „Totenkopfhusaren“ erschienen: „Das Band herab! Heraus den Säbel! / Der Feind ist da; auf, drauf und dran! / Seht ihr die Massen dort vor den Bergen? / Das sind die feindlichen Henkerschergen! /Für unser Volk! Auf! drauf und dran! // Der Rappe stampft, die Erde zittert, / Und blutig brechen wir uns Bahn. / Hei! und mit furchtbar pfeifendem Schwingen / Sausen unsere guten Klingen. / Für unsern Kaiser! Auf! drauf und dran! // Die Luft zischt von dem Eisenhagel; / Gesiegt! Ein neuer Tag bricht an! / Hurra! Wir haben uns durchgeschlagen, / Wert unseres Namens, den wir tragen! / Für unsern Gott! Auf! drauf und dran!“ [Kriegslieder. Heft 11. Mönchengladbach 1915, S. 15] Die Heftreihe erschien später im Verlag Volksverein als Anthologie [vgl. Sekretariat Sozialer Studentenarbeit (Hg.): Kriegslieder. Band 1. Mönchengladbach 1915]. Neben Heinrich Lersch stellte Johannes Eckardt mehrere der Hefte zusammen. von mir in seinen Kriegsliederheftchen zu, das er druckte. Ich freue mich schon recht, es DirSchreibversehen, statt: Dich. lesen zu lassen. Aber hoffentlich macht Dein Gesundwerden nun rüstige Fortschritte, daß die Arbeit am „Bismark“Schreibversehen, statt: Bismarck. – auf den ich im gleichen Maße mich freue, wie neugierig bin – keine zu große Verzögerung erleidet. Er möge viel, viel Glück haben und Dir endlich bringen, was man Dir solange mit Un|recht vorenthielt! Das ist mein kleiner, bescheidener Wunsch! Aber auch sonst alles Beste!

Was unsere Stellungösterreichisch für Musterung. betrifft, scheint sie verschoben worden zu sein. Jedenfalls dürfte sie Juni oder Juli stattfinden, wenn wir JungschützenFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. nicht eher an die Grenze müssen. Erst gestern erhielt unser Korps Uniformen. Die Übungen nehmen ihren regelrechten Verlauf. In einem Monat dürfte die AbrichtungIn Österreich zeitgenössisch verbreiteter militärischer Terminus für den Erwerb soldatischer Fähigkeiten etwa durch Exerzierübungen: „Die Abrichtung gehört nur für mechanische Fertigkeiten und Geschiklichkeiten, die dem Manne so zur zweiten Natur werden müssen, daß er sie im rechten Augenblike, ohne zu denken, gleichsam instinktmäßig ausübt.“ [Oesterreichisches Militär-Konversations-Lexikon. Hg. v. J. Hirtenfeld und H. Meynert. Bd. 1. Wien 1851, S. 10] beendet sein. Und dann – ? –.

Auch bitte ich Dich Herrn Professor Kutscher meine besten Empfehlungen auszurichten. Ich freue mich schon darauf, ihn nach dem Krieg wieder einmal zu sehenFriedrich Strindberg hatte Artur Kutscher bei einer Theateraufführung mit seinen Studierenden in Salzburg kennengelernt [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914].. Hier gibt es wenig Neues. Seit Monaten schon ist unseren österr. Blättern jeder Bericht über die Haltung Italiens verboten. Die deutschen Zeitungen haben starke Kontrolle und werden leicht konfisziert.

Aber noch recht herzliche Grüße und Wünsche
recht baldiger Genesung!
Dein
Friedrich Strindberg.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 18 x 22 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Salzburg
    9. Mai 1915 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Salzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 9.5.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

24.10.2024 16:42
Kennung: 2926

Salzburg, 9. Mai 1915 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Salzburg, 9. Mai 1915.


Mein lieber Frank!

Also heute schreibe ich wieder und zwar in Deine Wohnung, mit der Hoffnung, Du mögest schon gesundWedekind unterzog sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb]. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915., wenn nicht wiederhergestellt sein.

Die letzten 14 Tage verliefen ungefähr täglich unter denselben Eindrücken; nur, daß ich mich vorletzte Woche mehr mit meinen literarischen Versuchen beschäftigte, diese mit den Eindrücken, die drohend vom SüdenDas neutrale Italien trat am 23.5.1915 auf Seiten der Entente-Mächte mit einer Kriegserklärung gegen Österreich in den Krieg ein. Zuvor formulierte die Regierung Ansprüche auf österreichische Gebiete und erwartete deren Abtretung (siehe auch unten Friedrich Strindbergs den Brief abschließende Bemerkung). kommen. Letzten, d.i. vorletzten Mittwochden 28.4.1915. besuchte ich Herrn Universi. Professor Dr. Seipel. Herr Dokt.s Eckardts Liebenswürdigkeit hatte mich mit dem sehr kunstverständigen Geistlichen zusammengeführt, der im Fache der Kunst, seine Theologie völlig schweigen läßt. Meine Gedichte berück|sichtigte er nicht. Der Eindruck des Gelesenen sei im IhnenSchreibversehen, statt: in ihnen. noch zu stark. Wohl erregte mein „Kampf“, der Einakter, sein Interesse, der aber, ebenso wie eine Novelle von mir „Das gebrochene Herz, eine Leidensgeschichte“ den Mangel des „Befreienden“ – wie er es nannte – aufweist. Unn/d/ er legte mir klar, daß jede Kunst ein Alp von der Brust nehmen müsse. Ich bat ihn um ein modernes Beispiel und er nannte den „Marquis von Keith“. Herr Doktor Seipel führte aus, daß der Marquis, trotz der Gewöhnlichkeit des Hochstapplertums das Ni für jede Kunst Typische besitze. Und dann nannte er den „König Nikolo“ als Dein reizendstes Stück, überhaupt ein Werklein „das entzückend ist“. Ich versuchte dieses „Typische der Kunst“ näher kennen zu lernen und Herr Dr. Seipel verwies mich auf das Übermenschliche der Gestalten, das den Zuschauer erhebt. Der Fehler meiner 2 Stücke, die ich ihm gab, der Novelle und des Dramas sei, daß sich der Held in beiden passiv verhalte, also wohl unsre Teilnahme, weniger aber unser Mitgefühl erregen könne, weil dem Willensschwa|chen der handelnde, Teilnahme erregende, starke Wille fehlt. Nach einer ein-einhalbstündigen, sehr interessanten Unterredung, bei der ich sehr viel profitierte, verließ ich ihn. Die Folge davon war eine völlige Umgestaltung meines Dramas, die mir jetzt wirklich nötig erschien. Ich führte sie in wenigen Tagen durch

Ich denke jetzt aber sehr oft an Deine Genesung und bitte Dich meine besten Wünsche dazu entgegenzunehmen. Mit Herrn Dr. Eckardt bin ich leider Zeitmangels halber seit 3 Wochen nicht zusammengekommen; er sandte mir vor wenigen Tagen ein GedichtleinIn der Reihe „Kriegslieder“, einer vom Sekretariat Sozialer Studentenarbeit in Mönchengladbach herausgegebenen Heftfolge, war in Heft 11 als letztes von 10 Gedichten Friedrich Strindbergs Gedicht „Totenkopfhusaren“ erschienen: „Das Band herab! Heraus den Säbel! / Der Feind ist da; auf, drauf und dran! / Seht ihr die Massen dort vor den Bergen? / Das sind die feindlichen Henkerschergen! /Für unser Volk! Auf! drauf und dran! // Der Rappe stampft, die Erde zittert, / Und blutig brechen wir uns Bahn. / Hei! und mit furchtbar pfeifendem Schwingen / Sausen unsere guten Klingen. / Für unsern Kaiser! Auf! drauf und dran! // Die Luft zischt von dem Eisenhagel; / Gesiegt! Ein neuer Tag bricht an! / Hurra! Wir haben uns durchgeschlagen, / Wert unseres Namens, den wir tragen! / Für unsern Gott! Auf! drauf und dran!“ [Kriegslieder. Heft 11. Mönchengladbach 1915, S. 15] Die Heftreihe erschien später im Verlag Volksverein als Anthologie [vgl. Sekretariat Sozialer Studentenarbeit (Hg.): Kriegslieder. Band 1. Mönchengladbach 1915]. Neben Heinrich Lersch stellte Johannes Eckardt mehrere der Hefte zusammen. von mir in seinen Kriegsliederheftchen zu, das er druckte. Ich freue mich schon recht, es DirSchreibversehen, statt: Dich. lesen zu lassen. Aber hoffentlich macht Dein Gesundwerden nun rüstige Fortschritte, daß die Arbeit am „Bismark“Schreibversehen, statt: Bismarck. – auf den ich im gleichen Maße mich freue, wie neugierig bin – keine zu große Verzögerung erleidet. Er möge viel, viel Glück haben und Dir endlich bringen, was man Dir solange mit Un|recht vorenthielt! Das ist mein kleiner, bescheidener Wunsch! Aber auch sonst alles Beste!

Was unsere Stellungösterreichisch für Musterung. betrifft, scheint sie verschoben worden zu sein. Jedenfalls dürfte sie Juni oder Juli stattfinden, wenn wir JungschützenFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. nicht eher an die Grenze müssen. Erst gestern erhielt unser Korps Uniformen. Die Übungen nehmen ihren regelrechten Verlauf. In einem Monat dürfte die AbrichtungIn Österreich zeitgenössisch verbreiteter militärischer Terminus für den Erwerb soldatischer Fähigkeiten etwa durch Exerzierübungen: „Die Abrichtung gehört nur für mechanische Fertigkeiten und Geschiklichkeiten, die dem Manne so zur zweiten Natur werden müssen, daß er sie im rechten Augenblike, ohne zu denken, gleichsam instinktmäßig ausübt.“ [Oesterreichisches Militär-Konversations-Lexikon. Hg. v. J. Hirtenfeld und H. Meynert. Bd. 1. Wien 1851, S. 10] beendet sein. Und dann – ? –.

Auch bitte ich Dich Herrn Professor Kutscher meine besten Empfehlungen auszurichten. Ich freue mich schon darauf, ihn nach dem Krieg wieder einmal zu sehenFriedrich Strindberg hatte Artur Kutscher bei einer Theateraufführung mit seinen Studierenden in Salzburg kennengelernt [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914].. Hier gibt es wenig Neues. Seit Monaten schon ist unseren österr. Blättern jeder Bericht über die Haltung Italiens verboten. Die deutschen Zeitungen haben starke Kontrolle und werden leicht konfisziert.

Aber noch recht herzliche Grüße und Wünsche
recht baldiger Genesung!
Dein
Friedrich Strindberg.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 18 x 22 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Salzburg
    9. Mai 1915 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Salzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 9.5.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

24.10.2024 16:42