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Kennung: 2907

Berlin, 29. Januar 1895 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Henckell, Karl

Inhalt

BerlinWedekind, der davor lange in Paris und zwischenzeitlich in London war, traf am 20.1.1895 in Berlin ein [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 169]. Dem Briefinhalt zufolge dürfte sich Karl Henckell ebenfalls in Berlin aufgehalten und den Brief dort empfangen haben; als Schriftsteller verzeichnet war er in Zürich (Mühlebachstraße 90) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Teil II, Sp. 494]. 29.I.94Schreibversehen, statt: 95. ‒ Wedekind war am 29.1.1895 seit einigen Tagen in Berlin (im Vorjahr dagegen, am 29.1.1894, war er seit einigen Tagen in London)..

Schumannstraße 9.


Lieber Freund,

herzlichen Dank für das schöne GeschenkHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben (oder eine Widmung) zu einer Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 28.1.1895. ‒ Bei dem Geschenk handelte es sich um ein Exemplar von Karl Henckells im Vorjahr im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich veröffentlichten Lyrikband „Zwischenspiel“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 89, 19.4.1894, S. 2392], der, eröffnet mit einem Widmungsgedicht „An Tormarkin in Zürich“ (nicht paginiert), ein explizit an Wedekind gerichtetes Gedicht enthält: „Elodie (An Franklin Wedekind.)“ [Karl Henckell: Zwischenspiel. Zürich 1894, S. 19f.]. Sobald ich ExemplareWedekind erwartete Exemplare der im Vorjahr im Verlag Caesar Schmidt in Zürich erschienenen 2. Auflage von „Frühlings Erwachen“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663]; ein Exemplar davon war als Gegengabe zu Karl Henckells „Zwischenspiel“ (1894) vorgesehen (siehe oben). Beide Bände enthalten als Frontispiz ein Bildnis ihrer Verfasser. Die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (1891) im Verlag Jean Groß in Zürich dürfte der Freund seinerzeit mit einer Widmung erhalten haben [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 23.11.1891]. bekomme, soll es mir eine Freude sein, Dir mein Fr.E.„Frühlings Erwachen“ – Karl Henckell hat das Stück besprochen [vgl. KSA 2, S. 868]: „‚Frühlingserwachen!‘ Unter diesem säftestrotzenden Titel ist vor einigen Jahren hier in Zürich eine in dialogischer Form gehaltene Dichtung erschienen, die der Verfasser, Frank Wedekind, „eine Kindertragödie“ nennt und damit schon ausreichend als ein Erzeugnis von seltener ungewöhnlicher Neuart einführt. [...] Auf dem Umschlag des Buches befindet sich ein Titelbild von Franz Stuck: graziöse, schlanke Blütenstengel auf lichtem Anger und zwei die ersten Blätter ansetzende Bäumchen, in deren grünem Stamm man die weißen Lebenssäfte emporsteigen sieht, im Vordergrund; zwei Schwälblein in der Luft und eine dunkle, geheimnisvoll-melancholische Hügelkette im Hintergrund. Frühlingserwachen! Es ist nur eine bisher, aber eine schwerwiegende Gabe moderner Dichtung, die uns Frank Wedekind mit diesem seinem dramatischen Jugendspiegel bescheert hat. Der Titel ist symbolisch. Auch die Kinder des Menschengeschlechts, Mägdlein wie Knaben, feiern einmal zuerst mit aller Gewalt ihr ebenso individuelles wie typisches Frühlingserwachen, und aus dieser jugendlichen Lebensperiode, wo das bewußte Unbewußte sich seiner Unbewußtheit bewußt wird, wächst die hochoriginelle, mit echter Stimmung und wahrem Lebensgehalt gesättigte, dabei phantastisch barocke Dichtung des merkwürdigen Wedekind hervor. Sie ist einem mysteriösen, auch in der Dichtung auftretenden „vermummten Herrn“ gewidmet, sie könnte sämtlichen vermummten oder nicht vermummten Herren Pädagogen zugeeignet sein, denn erzieherische Probleme von ernstester Bedeutung sind in ihr dichterisch angeschlagen, und ein denkender Leser – Wedekind ist kein Dichter für geistige Minderjährigkeiten – wird lange, lange dem schwermütigen Banne dieser traurig fragenden Tragödie erliegen. [...] da ich mich an dieser Stelle mit flüchtigsten Andeutungen begnügen muß, so sei nur noch das Eine gesagt, daß man diese ganz selbständige, jedes litterarischen Schulbegriffs spottende Dichtung eines geistreichen philosophischen Kopfes im großen Ganzen die moderne Klapperstorchtragödie nennen könnte, sintemal die intimen Beziehungen besagten Kirchturmlangbeins zum menschlichen Leben in ihr eine zwar weniger erheiternde, als erschütternde Rolle spielen.“ [Karl Henckell: Moderne Dichterabende. Zwanglose Zitatenplaudereien. Leipzig, Zürich 1895, S. 94f.] Es folgen Hinweise auf die Erstrezeption und den Ruf nach Zensur durch die Presse. zu schicken. Ich bitte dich, mich für Morgen zu entschuldigen. Ich bin in’s Theaternicht sicher ermittelt; es könnte sich um das Deutsche Theater (Direktion: Otto Brahm) gehandelt haben, das Wedekind am 30.1.1895 besuchte, da er bald darauf – im Frühjahr 1895 – dem Deutschen Theater in Berlin sein Drama „Der Erdgeist“ im Manuskript eingereicht und somit für eine Aufführung angeboten hat, wenn auch ohne Erfolg [vgl. Wedekind an Otto Brahm, 17.8.1895]. geladen. Dagegen wäre ich dir dankbar wenn du in den nächsten Tagen vielleicht eine Nachtstunde für mich frei wärst, in einem Café gegen 11 Uhr23 Uhr., wo man intimer | sprechen könnte als es im Kellerklubhier kein Name eines Lokals, sondern ein bestimmter Typ von Lokal (wohl ein Bierkeller – im Kontrast jedenfalls zu einem Café). möglich ist. Vielleicht schreibst du mir eine Carte.

Mit herzlichen Grüßen Dein
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 17,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 29.1.1895 ist als Ankerdatum gesetzt – das Schreibdatum, dem Briefinhalt und seinen Kontexten zufolge (das irrtümliche Jahr 1894 ist korrigiert).

  • Schreibort

    Berlin
    29. Januar 1895 (Dienstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Stadtbibliothek Hannover

Hildesheimer Straße 12
30169 Hannover

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Niedersächsisches Handschriftenarchiv
Signatur des Dokuments:
49.8780
Standort:
Stadtbibliothek Hannover (Hannover)

Danksagung

Wir danken der Stadtbibliothek Hannover für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Henckell, 29.1.1895. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.07.2024 22:29
Kennung: 2907

Berlin, 29. Januar 1895 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Henckell, Karl
 
 

Inhalt

BerlinWedekind, der davor lange in Paris und zwischenzeitlich in London war, traf am 20.1.1895 in Berlin ein [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 169]. Dem Briefinhalt zufolge dürfte sich Karl Henckell ebenfalls in Berlin aufgehalten und den Brief dort empfangen haben; als Schriftsteller verzeichnet war er in Zürich (Mühlebachstraße 90) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Teil II, Sp. 494]. 29.I.94Schreibversehen, statt: 95. ‒ Wedekind war am 29.1.1895 seit einigen Tagen in Berlin (im Vorjahr dagegen, am 29.1.1894, war er seit einigen Tagen in London)..

Schumannstraße 9.


Lieber Freund,

herzlichen Dank für das schöne GeschenkHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben (oder eine Widmung) zu einer Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 28.1.1895. ‒ Bei dem Geschenk handelte es sich um ein Exemplar von Karl Henckells im Vorjahr im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich veröffentlichten Lyrikband „Zwischenspiel“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 89, 19.4.1894, S. 2392], der, eröffnet mit einem Widmungsgedicht „An Tormarkin in Zürich“ (nicht paginiert), ein explizit an Wedekind gerichtetes Gedicht enthält: „Elodie (An Franklin Wedekind.)“ [Karl Henckell: Zwischenspiel. Zürich 1894, S. 19f.]. Sobald ich ExemplareWedekind erwartete Exemplare der im Vorjahr im Verlag Caesar Schmidt in Zürich erschienenen 2. Auflage von „Frühlings Erwachen“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663]; ein Exemplar davon war als Gegengabe zu Karl Henckells „Zwischenspiel“ (1894) vorgesehen (siehe oben). Beide Bände enthalten als Frontispiz ein Bildnis ihrer Verfasser. Die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (1891) im Verlag Jean Groß in Zürich dürfte der Freund seinerzeit mit einer Widmung erhalten haben [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 23.11.1891]. bekomme, soll es mir eine Freude sein, Dir mein Fr.E.„Frühlings Erwachen“ – Karl Henckell hat das Stück besprochen [vgl. KSA 2, S. 868]: „‚Frühlingserwachen!‘ Unter diesem säftestrotzenden Titel ist vor einigen Jahren hier in Zürich eine in dialogischer Form gehaltene Dichtung erschienen, die der Verfasser, Frank Wedekind, „eine Kindertragödie“ nennt und damit schon ausreichend als ein Erzeugnis von seltener ungewöhnlicher Neuart einführt. [...] Auf dem Umschlag des Buches befindet sich ein Titelbild von Franz Stuck: graziöse, schlanke Blütenstengel auf lichtem Anger und zwei die ersten Blätter ansetzende Bäumchen, in deren grünem Stamm man die weißen Lebenssäfte emporsteigen sieht, im Vordergrund; zwei Schwälblein in der Luft und eine dunkle, geheimnisvoll-melancholische Hügelkette im Hintergrund. Frühlingserwachen! Es ist nur eine bisher, aber eine schwerwiegende Gabe moderner Dichtung, die uns Frank Wedekind mit diesem seinem dramatischen Jugendspiegel bescheert hat. Der Titel ist symbolisch. Auch die Kinder des Menschengeschlechts, Mägdlein wie Knaben, feiern einmal zuerst mit aller Gewalt ihr ebenso individuelles wie typisches Frühlingserwachen, und aus dieser jugendlichen Lebensperiode, wo das bewußte Unbewußte sich seiner Unbewußtheit bewußt wird, wächst die hochoriginelle, mit echter Stimmung und wahrem Lebensgehalt gesättigte, dabei phantastisch barocke Dichtung des merkwürdigen Wedekind hervor. Sie ist einem mysteriösen, auch in der Dichtung auftretenden „vermummten Herrn“ gewidmet, sie könnte sämtlichen vermummten oder nicht vermummten Herren Pädagogen zugeeignet sein, denn erzieherische Probleme von ernstester Bedeutung sind in ihr dichterisch angeschlagen, und ein denkender Leser – Wedekind ist kein Dichter für geistige Minderjährigkeiten – wird lange, lange dem schwermütigen Banne dieser traurig fragenden Tragödie erliegen. [...] da ich mich an dieser Stelle mit flüchtigsten Andeutungen begnügen muß, so sei nur noch das Eine gesagt, daß man diese ganz selbständige, jedes litterarischen Schulbegriffs spottende Dichtung eines geistreichen philosophischen Kopfes im großen Ganzen die moderne Klapperstorchtragödie nennen könnte, sintemal die intimen Beziehungen besagten Kirchturmlangbeins zum menschlichen Leben in ihr eine zwar weniger erheiternde, als erschütternde Rolle spielen.“ [Karl Henckell: Moderne Dichterabende. Zwanglose Zitatenplaudereien. Leipzig, Zürich 1895, S. 94f.] Es folgen Hinweise auf die Erstrezeption und den Ruf nach Zensur durch die Presse. zu schicken. Ich bitte dich, mich für Morgen zu entschuldigen. Ich bin in’s Theaternicht sicher ermittelt; es könnte sich um das Deutsche Theater (Direktion: Otto Brahm) gehandelt haben, das Wedekind am 30.1.1895 besuchte, da er bald darauf – im Frühjahr 1895 – dem Deutschen Theater in Berlin sein Drama „Der Erdgeist“ im Manuskript eingereicht und somit für eine Aufführung angeboten hat, wenn auch ohne Erfolg [vgl. Wedekind an Otto Brahm, 17.8.1895]. geladen. Dagegen wäre ich dir dankbar wenn du in den nächsten Tagen vielleicht eine Nachtstunde für mich frei wärst, in einem Café gegen 11 Uhr23 Uhr., wo man intimer | sprechen könnte als es im Kellerklubhier kein Name eines Lokals, sondern ein bestimmter Typ von Lokal (wohl ein Bierkeller – im Kontrast jedenfalls zu einem Café). möglich ist. Vielleicht schreibst du mir eine Carte.

Mit herzlichen Grüßen Dein
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 17,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 29.1.1895 ist als Ankerdatum gesetzt – das Schreibdatum, dem Briefinhalt und seinen Kontexten zufolge (das irrtümliche Jahr 1894 ist korrigiert).

  • Schreibort

    Berlin
    29. Januar 1895 (Dienstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Stadtbibliothek Hannover

Hildesheimer Straße 12
30169 Hannover

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Niedersächsisches Handschriftenarchiv
Signatur des Dokuments:
49.8780
Standort:
Stadtbibliothek Hannover (Hannover)

Danksagung

Wir danken der Stadtbibliothek Hannover für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Henckell, 29.1.1895. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
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Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.07.2024 22:29