Lieber Karl,
es hat mir aufrichtig leid gethan daß ich nicht
zu Deinem VortragKarl Henckells Vortrag war in der Presse weder angezeigt noch besprochen worden; er fand insofern wohl in privatem Kreis statt und dürfte am 26.11.1909 (einem Freitag) in Artur Kutschers Seminar gehalten worden sein, auf einem jener von ihm organisierten außeruniversitären Treffen, die in der Regel freitags mit Studierenden im Hotel Union stattfanden, zu denen Schriftsteller geladen wurden [vgl. Buglioni 2017, S. 164-173 und passim]. Wedekind war zuerst am 27.2.1909 dort zu Gast [vgl. Tb]. kommen konnte. Ich war leider nicht hierin München. Wedekind brach am 25.11.1909 zu einer Vortragsreise nach Hamburg auf und reiste über Leipzig zurück nach München, wo er am 30.11.1909 eintraf [vgl. Tb].. Ich hoffe nur, daß
Du ihn nicht zum letzten Mal gehalten hast. Denkst Du nicht an die
BuchhandlungsgehilfenDie Ortsgruppe München der Allgemeinen Vereinigung Deutscher Buchhandlungsgehilfen veranstaltete Vorträge, aktuell eine Reihe Autoren-Abende. Sie hatte zuletzt am 16.11.1909 als 6. Münchner Autoren-Abend Wedekinds Lesung „Die Büchse der Pandora“ veranstaltet – der „Frank Wedekind-Abend“ [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 264, 12.11.1909, S. 13801], davor hatte der 5. Münchner Autoren-Abend am 30.9.1909 mit Heinrich Mann stattgefunden. Wedekind hat seinen Vortrag am 16.11.1909 notiert (auch anschließend das Beisammensein mit Albert Steinrück, Artur Kutscher und Karl Henckel in der Torggelstube): „Abends Vorlesung B. d. Pandora im Börsensaal Nachher Torgelstube Steinrück Henckell Kutscher.“ [Tb], an den Neuen VereinDer Neue Verein ‒ Ende 1903 in Nachfolge des Akademisch-Dramatischen Vereins in München gegründet, Vorsitzender war Dr. Wilhelm Rosenthal [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil III, S. 185] – veranstaltete außer Aufführungen von Dramen (darunter Dramen Wedekinds) auch Vorträge, im Rahmen der sogenannten Intimen Abende. Karl Henckell hat am 26.4.1910 eine vom Neuen Verein veranstaltete Lesung gehalten; angekündigt war: „Heute Dienstag Abend 8 ¼ Uhr findet im Gobelinsaal des Hotels Vier Jahreszeiten an der Maximilianstraße der letzte Intime Vortragsabend statt. Karl Henckell wird eigene Nachdichtungen aus verschiedenen fremden Sprachen vorlesen. Eintritt frei; Gäste willkommen.“ [Vom Neuen Verein. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 193, 26.4.1910, Morgenblatt, S. 3] Diese Lesung hat Wedekind nicht besucht oder an die Freien StudentenDie literarische Abteilung der Münchner Freien Studentenschaft – die „Organisation der nichtinkorporierten Studierenden der Universität München“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 58, Nr. 529, 13.11.1905, S. 4], „Geschäftsstelle: Universität Audit. 116“ [Adreßbuch für München 1910, Teil III, S. 197] – veranstaltete Vorträge und Aufführungen von Dramen. Wedekind hatte mit ihr eine Aufführung von „Totentanz“ geplant, wie er am 26.10.1909 notierte: „Nach Tisch kommen zwei Herren von der freien Studentenschaft mit denen ich Totentanzaufführung verabrede.“ [Tb]? Dann
würde ich mich sehr freuen, Deinen Vortrag noch zu hörenangekündigt war: „Karl Henckell als Dichter kennen Viele. [...] Wenigen aber, vor allem hier in München, ist dieser Künstler als Redner bekannt. Und es ist umso erfreulicher, daß wir ihn auch als solchen kennen lernen, als es auf seinem ureigensten Gebiete ist ‒ wieder im Dienste der echten, freiheitlichen Idee, des jungen, pulsierenden Lebens. Er hatte die Liebenswürdigkeit, dem Jungdeutschen Kulturbund auf 18. Januar im Bayerischen Hof einen Vortrag ‚Kultur und Lyrik‘ zuzusagen.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 21, 15.1.1910, Vorabendblatt, S. 3] Diesen Vortrag hat Wedekind gehört, wie er am 18.1.1910 notierte: „Besuch bei Henckel wegen Vortrag Abends mit Tilly im Vortrag von Carl Henckell“ [Tb].. Auf jeden Fall danke
ich Dir, daß Du meiner gedachtHinweis auf eine nicht überlieferte Einladung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 25.11.1909. hast.
Mit herzlichen Grüßen
Dein alter
Frank.
1.12.9.