Vergleichsansicht

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Kennung: 2800

Genf, 4. Juni 1882 (Sonntag), Postkarte

Autor*in

  • Schmidt, Carl

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Postkarte.
Carte postale. – Cartolina postale.


Mr. Franklin Wedekind.
Gymnasium
Aarau. |


Mein Lieber.

Du musst nun noch mit einer Carteim Sinne von: mit noch einer Carte; Hinweis auf eine nicht überlieferte Postkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Schmidt an Wedekind, 1.5.1882. vorlieb nehmen, denn eigentl. hättest du ja schreiben sollenals Antwort auf die erste (nicht überlieferte) Karte Carl Schmidts, die seine neue Adresse in Genf enthalten haben dürfte. Wedekinds Schulfreund, der am 15.4.1882 das Abiturzeugnis an der Kantonsschule Aarau erhalten und im Sommersemester 1882 ein Studium der Geologie in Genf aufgenommen hatte, dürfte Ende April nach Genf gezogen sein.. Mein Lieber! ich denke oft an dich, was du arbeitest wie du mit deinen für mich immer noch dubiosen Genossenvermutlich Samuel Schaffner, Hermann Huber und andere Mitglieder der Schülerverbindung Industria, in die Wedekind am 14.3.1882 aufgenommen worden war [vgl. Haemmerli-Marti 1842, S. 31]. auskömmst. Schaffe brav einzig in der ArbeitDenkfigur in der protestantischen Arbeitsethik. u nicht im Philosophiren liegt die Wahrheit. Mir gefällt es hier ausgezeichnet. Arbeit habe ich mehr genugmehr als genug.! abrwohl Schreibversehen (oder Dialekt), statt: aber. aller/s/ um mich i++/st/ Freude u Hoffnung, trotz dem/s/ allerdings wenigen Unangenehmen, das man hie u. da erfahren muss. Ausgezeichnete Bekanntschaft habe ich auch schon geschlossen, ich verkehre nur mit Russen beiderlei Geschlechtes. Es sind ganz famose Kerls, eifrige Naturforscher, die wissen was ihre Aufgabe ist, dass ihr Vaterland das aermste aller Länder ist. Bis jetzt habe ich nur Excursionen mit Professoren gemacht, 2 dicke fo.Buchformat mit einer Höhe von 40 bis 45 cm. Bände mussten zuerst durch gearbeitet werden. Morgen machen wir als die letzte Excursion die tour du lactour du lac leman (frz.) Wanderung zum Genfer See., und dann werde ich auf eigene Faust das Land durchstreifen nach steinigen u recenten Fossilienlebende Fossilien; Arten, deren Bauplan seit Millionen Jahren kaum verändert ist.. Mein Lieber es ist göttlich schön hier, schon oft waren wir 1 RusseEs dürfte sich um den befreundeten russischen Kommilitonen Georg Zinowieff aus Wladikaukas handeln [vgl. die namentliche Erwähnung in Carl Schmidt an Wedekind, 30.4.1883]., ich u 2 Russinnen stud.nicht ermittelt; während das Frauenstudium in vielen europäischen Staaten verboten war, ließen Schweizer Universitäten – zuerst Zürich (1867) – Frauen zum ordentlichen Studium zu, was in weit überwiegender Mehrheit von jungen Russinnen genutzt wurde [vgl. Daniela Neumann: Studentinnen aus dem Russischen Reich in der Schweiz (1867-1914). Zürich 1987]. auf dem See im Mons/d/schein u haben philosophirt von Faust u Heine. Namentlich Heine kennen sie besser als ich, natürlich in russ. Uebersetzung. Nur die eine spricht sehr wenig deutsch. „Auf’s Wiedersehen“ sagt sie immer so hübsch. Sonst sprechen wir immer franz., das schon ziemlich gut geht, mit einigem GagsenStottern. Ich rathe dir ein franz. Buch zu lesen, nimm die Confessions„Les Confessions“ (dt. Die Bekenntnisse), die unvollendete Autobiographie (12 Bücher) Jean Jacques Rousseaus; sie bricht vor seiner Flucht aus Genf nach England (1766) ab.. Ihr habt ja im Grunde so wenig zu thun; du erinnerst dich, dass ich das immer behauptet, u jetzt sehe ich, dass ich recht hatte. Hast du H. B.vermutlich Hermine Brändli von Unterbötzberg, die, in Kulm wohnend, von 1880 bis 1883 die drei Klassen des Lehrerinnenseminars in Aarau besuchte [vgl. Jahresbericht über das Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar in Aarau, Schuljahr 1880-1881, S. 6 sowie Schuljahr 1882-1883, S. 5]. einmal gesehen? Ich denke oft daran, denn in die Russ♀ bin ich nicht verschossen. – Der AlteBiername von Adolf Vögtlin während seiner Schulzeit an der Kantonsschule Aarau. ist also seit 5 Tagen MasterAdolf Vögtlin, der gemeinsame Freund Wedekinds und Carl Schmidts, studierte im Frühjahr 1882 in England und erhielt nach dem Masterabschluss (Ende Mai 1882) eine Anstellung in Burnemouth., er ist ungeheuer fromm geworden in England. Lebe wohl
Carl.


Schreibe bald


[Am linken Rand um 270 Grad gedreht:]


Gehst du jetztIm Sommer 1882 war mit der Errichtung des Kirchturms der Neubau der römisch-katholischen Kirche in Aarau äußerlich vollendet (Spatenstich 13.6.1881), die feierliche Einsegnung fand am 16.10.1882 statt. – Der Neubau war notwendig geworden, da die Ostern 1875 zum altkatholischen Glauben übergetretenen Mitglieder das vorhandene Kirchengebäude übernommen hatten [vgl. Georg Bonner: Wie die römisch-katholische Pfarrei Aarau vor 75 Jahren wieder erstand. In: Aarauer Neujahrsblätter, Jg. 32, 1958, S. 78-91]. in die kath. Kirche? Sie soll hochleben, du magst sie lieben.
Wie geht es mit der ChemieWedekind teilte mit Carl Schmidt zu dieser Zeit das Interesse für Chemie. Im 1. Quartalszeugnis 1882/83 (Sommer 1882) bekam er sowohl für Fleiß wie auch für seine Leistungen eine „1“ – im Lauf des Schuljahrs rutschte er auf die Note „4“ ab [Aa, Wedekind-Archiv B, Nr. 170: 1879/1884 Aargauische Kantonsschule Gymnasium: Zeugnissheft für Franklin Wedekind].. Es ist die schönste aller Wissenschaften

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 9 x 14,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Postkarte ist mit einer aufgedruckten Briefmarke von 5 Rappen frankiert. Wedekind hat mit Bleistift das Datum „4.6.82“ auf die Vorderseite der Postkarte notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Als Schreibdatum und Schreibort dürfen Datum und Ort des Poststempels angenommen werden.

Uhrzeit im Postausgangsstempel: „VI“ (= 6 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel: „5“ (= 17 Uhr).

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 157
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Carl Schmidt an Frank Wedekind, 4.6.1882. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

06.07.2022 14:01
Kennung: 2800

Genf, 4. Juni 1882 (Sonntag), Postkarte

Autor*in

  • Schmidt, Carl

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Postkarte.
Carte postale. – Cartolina postale.


Mr. Franklin Wedekind.
Gymnasium
Aarau. |


Mein Lieber.

Du musst nun noch mit einer Carteim Sinne von: mit noch einer Carte; Hinweis auf eine nicht überlieferte Postkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Schmidt an Wedekind, 1.5.1882. vorlieb nehmen, denn eigentl. hättest du ja schreiben sollenals Antwort auf die erste (nicht überlieferte) Karte Carl Schmidts, die seine neue Adresse in Genf enthalten haben dürfte. Wedekinds Schulfreund, der am 15.4.1882 das Abiturzeugnis an der Kantonsschule Aarau erhalten und im Sommersemester 1882 ein Studium der Geologie in Genf aufgenommen hatte, dürfte Ende April nach Genf gezogen sein.. Mein Lieber! ich denke oft an dich, was du arbeitest wie du mit deinen für mich immer noch dubiosen Genossenvermutlich Samuel Schaffner, Hermann Huber und andere Mitglieder der Schülerverbindung Industria, in die Wedekind am 14.3.1882 aufgenommen worden war [vgl. Haemmerli-Marti 1842, S. 31]. auskömmst. Schaffe brav einzig in der ArbeitDenkfigur in der protestantischen Arbeitsethik. u nicht im Philosophiren liegt die Wahrheit. Mir gefällt es hier ausgezeichnet. Arbeit habe ich mehr genugmehr als genug.! abrwohl Schreibversehen (oder Dialekt), statt: aber. aller/s/ um mich i++/st/ Freude u Hoffnung, trotz dem/s/ allerdings wenigen Unangenehmen, das man hie u. da erfahren muss. Ausgezeichnete Bekanntschaft habe ich auch schon geschlossen, ich verkehre nur mit Russen beiderlei Geschlechtes. Es sind ganz famose Kerls, eifrige Naturforscher, die wissen was ihre Aufgabe ist, dass ihr Vaterland das aermste aller Länder ist. Bis jetzt habe ich nur Excursionen mit Professoren gemacht, 2 dicke fo.Buchformat mit einer Höhe von 40 bis 45 cm. Bände mussten zuerst durch gearbeitet werden. Morgen machen wir als die letzte Excursion die tour du lactour du lac leman (frz.) Wanderung zum Genfer See., und dann werde ich auf eigene Faust das Land durchstreifen nach steinigen u recenten Fossilienlebende Fossilien; Arten, deren Bauplan seit Millionen Jahren kaum verändert ist.. Mein Lieber es ist göttlich schön hier, schon oft waren wir 1 RusseEs dürfte sich um den befreundeten russischen Kommilitonen Georg Zinowieff aus Wladikaukas handeln [vgl. die namentliche Erwähnung in Carl Schmidt an Wedekind, 30.4.1883]., ich u 2 Russinnen stud.nicht ermittelt; während das Frauenstudium in vielen europäischen Staaten verboten war, ließen Schweizer Universitäten – zuerst Zürich (1867) – Frauen zum ordentlichen Studium zu, was in weit überwiegender Mehrheit von jungen Russinnen genutzt wurde [vgl. Daniela Neumann: Studentinnen aus dem Russischen Reich in der Schweiz (1867-1914). Zürich 1987]. auf dem See im Mons/d/schein u haben philosophirt von Faust u Heine. Namentlich Heine kennen sie besser als ich, natürlich in russ. Uebersetzung. Nur die eine spricht sehr wenig deutsch. „Auf’s Wiedersehen“ sagt sie immer so hübsch. Sonst sprechen wir immer franz., das schon ziemlich gut geht, mit einigem GagsenStottern. Ich rathe dir ein franz. Buch zu lesen, nimm die Confessions„Les Confessions“ (dt. Die Bekenntnisse), die unvollendete Autobiographie (12 Bücher) Jean Jacques Rousseaus; sie bricht vor seiner Flucht aus Genf nach England (1766) ab.. Ihr habt ja im Grunde so wenig zu thun; du erinnerst dich, dass ich das immer behauptet, u jetzt sehe ich, dass ich recht hatte. Hast du H. B.vermutlich Hermine Brändli von Unterbötzberg, die, in Kulm wohnend, von 1880 bis 1883 die drei Klassen des Lehrerinnenseminars in Aarau besuchte [vgl. Jahresbericht über das Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar in Aarau, Schuljahr 1880-1881, S. 6 sowie Schuljahr 1882-1883, S. 5]. einmal gesehen? Ich denke oft daran, denn in die Russ♀ bin ich nicht verschossen. – Der AlteBiername von Adolf Vögtlin während seiner Schulzeit an der Kantonsschule Aarau. ist also seit 5 Tagen MasterAdolf Vögtlin, der gemeinsame Freund Wedekinds und Carl Schmidts, studierte im Frühjahr 1882 in England und erhielt nach dem Masterabschluss (Ende Mai 1882) eine Anstellung in Burnemouth., er ist ungeheuer fromm geworden in England. Lebe wohl
Carl.


Schreibe bald


[Am linken Rand um 270 Grad gedreht:]


Gehst du jetztIm Sommer 1882 war mit der Errichtung des Kirchturms der Neubau der römisch-katholischen Kirche in Aarau äußerlich vollendet (Spatenstich 13.6.1881), die feierliche Einsegnung fand am 16.10.1882 statt. – Der Neubau war notwendig geworden, da die Ostern 1875 zum altkatholischen Glauben übergetretenen Mitglieder das vorhandene Kirchengebäude übernommen hatten [vgl. Georg Bonner: Wie die römisch-katholische Pfarrei Aarau vor 75 Jahren wieder erstand. In: Aarauer Neujahrsblätter, Jg. 32, 1958, S. 78-91]. in die kath. Kirche? Sie soll hochleben, du magst sie lieben.
Wie geht es mit der ChemieWedekind teilte mit Carl Schmidt zu dieser Zeit das Interesse für Chemie. Im 1. Quartalszeugnis 1882/83 (Sommer 1882) bekam er sowohl für Fleiß wie auch für seine Leistungen eine „1“ – im Lauf des Schuljahrs rutschte er auf die Note „4“ ab [Aa, Wedekind-Archiv B, Nr. 170: 1879/1884 Aargauische Kantonsschule Gymnasium: Zeugnissheft für Franklin Wedekind].. Es ist die schönste aller Wissenschaften

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 9 x 14,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Postkarte ist mit einer aufgedruckten Briefmarke von 5 Rappen frankiert. Wedekind hat mit Bleistift das Datum „4.6.82“ auf die Vorderseite der Postkarte notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Als Schreibdatum und Schreibort dürfen Datum und Ort des Poststempels angenommen werden.

Uhrzeit im Postausgangsstempel: „VI“ (= 6 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel: „5“ (= 17 Uhr).

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 157
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Carl Schmidt an Frank Wedekind, 4.6.1882. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

06.07.2022 14:01