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Kennung: 2766

Wien, 8. Mai 1905 (Montag), Brief

Autor*in

  • Denk, Berthe Marie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein lieber Frank Wedekind,

Aber natürlich sind wir Braut u. Bräutigam, wie kannst Du daran zweifeln? Ich dachte nur Du hättest es einstweilen vergessen u. wollte somit warten bis Du Dich gelegentlich daran erinnerst! Es handelt sich also nur um den Termin der Hochzeit, ‒ den zu bestimmen überlasse ich Dir! ‒ |

Über Deinen Briefvgl. Wedekind an Berthe Marie Denk, 5.5.1905. ‒ Dem nicht überlieferten Brief dürfte ein Exemplar der „Büchse der Pandora“ (1903) beigelegen haben. hab’ ich mich recht gefreut! Ich bilde mir selbstverständlich nicht ein dass die Gedichte, die Du demnächst herausgebenWedekind sah der Veröffentlichung seiner Gedichtsammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) im Albert Langen Verlag in München entgegen (sie geht neu aufgelegt auf die Sammlung „Die Jahreszeiten“ 1897 im Band „Die Fürstin Russalka“ zurück), die er der Geliebten tatsächlich widmete: „Die Gedichte, die diese Blätter enthalten, sind Berthe Marie Denk in Ehrerbietung zugeeignet“ [KSA 1/I, S. 822] Er widmete ihr darin auch das Gedicht „An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka“ [KSA 1/I, S. 639; vgl. KSA 1/I, S. 910-913]. Wedekind, der für diesen Band mit Albert Langen am 22.4.1905 einen Verlagsvertrag abgeschlossen hatte [vgl. KSA 1/I, S. 810], beschäftigte sich vom 1. bis 3.5.1905 mit der Vorbereitung des Manuskript für die Neuauflage, das er dem Tagebuch zufolge bereits am 3.5.1905 zum Verlag gebracht hatte („Gedicht-Manuscript an Langen abgeliefert“); insofern dürfte die Widmung ein Nachtrag gewesen sein. wirst mir zu Ehren erst in letzter Zeit entstanden sind, sie passen vielleicht zufällig auf diese oder jene gemeinsam erlebte Situation! Aber wenn Du mir eine Freude machen willst so widme sie mir, u. schick mir sofort das erste Exemplar! ‒ |

Die Büchse der Pandora habeSchreibversehen, statt: habe ich. mit grossem Genuss gelesen leider aber mein vollständiges Unvermögen jemals die Lulu darstellenWedekind „liebäugelte“ damit, in der geplanten, von Karl Kraus organisierten Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ Berthe Marie Denk als Lulu zu sehen, die aber „keine ausgebildete Schauspielerin“ war und „vor der Aufgabe zurückschreckte“ [Fischer 2020, S. 128]. zu können gefühlt! Das kränkt mich natürlich sehr; ‒ ich verstehe die Rolle sehr gut, habe jede Geberde, jeden Ton im Geiste vor Augen, kann’s aber leider nicht von mir geben! ‒

Bitte schicke mir nur ja nicht den K. KrausKarl Kraus war einer von Berthe Marie Denks „Liebhabern“ [Waldmann 1996, S. 99]; sie war entweder „seit etwa 1902 mit Kraus bekannt“ und stand 1905 bis 1908 „in enger Beziehung zu ihm“ [Nottscheid 2008, S. 383] oder sie kannte ihn schon länger „und pflegte mit Kraus zwischen 1895 und 1908 einen teils intimen, teils lockeren brieflichen und persönlichen Kontakt“ [Wagner 1987, S. 136]. Wedekind war das intime Verhältnis anfangs nicht klar; es war das dann zwischen ihr, ihm und Karl Kraus „ein Dreiecksverhältnis der besonderen Art“ [Fischer 2020, S. 128].! Ich lebe in Wien wie im | Kloster u. wäre mir diese Bekanntschaft nur unangenehm! ‒

Ach mein Lieber, wo ich herumgestrolcht habe? Leider gar nirgends, ‒ ich lebe wie eine einfache Bürgersfrau, ganz abgeschieden von der Welt! Nur meine Phantasie macht Streifzüge in ein Land von dessen Herrlichkeit Du Dir nichts träumen lässt! Vielleicht lass ich Dich einmal dem Flügelschlag meiner Seele | lauschen, ‒ vielleicht ‒ ‒ denn kaum gestatt’ ich dassZitat aus Richard Schaukals Gedicht „Das Gartengitter“ (zwei Verse der dritten Strophe aus dem Gedächtnis zitiert): „Was ist mir heulender Beifall, häßlicher Tagtribut! / Wenige nur und Gleiche sollen gern mich grüßen. / Kaum gestatt’ ich daß mir die Schar an meines Gitters / Goldne Stäbe die Finger legt.“ [Richard Schaukal: Meine Gärten. Einsame Verse. Berlin 1897, S. 10] die Menge an meines goldne Gitters goldner Stäbe die Finger lege.“ ‒

Ein paar Tage war ich jetzt in einem abgeschiednen Winkel Steiermarks auf der Jagd! Ich bin um 4h Früh aufgestanden, bin allein auf die Berge gegangen u. war glücklicher denn ein König! Ich habe mit allem Gethier Freundschaft | geschlossen und mich auf dem höchsten Gipfel ins Moos gestreckt u. Feste gefeiert! ‒ Ich habe Feste gefeiert! ‒

‒ ‒ ‒ ‒ |

Lieber Frank Wedekind, in 14 Tagen kommeBerthe Marie Denk reiste nicht nach München, dafür Wedekind nach Wien (siehe die folgende Korrespondenz). ich nach München, bist Du zu diesem Termin dort? Wenn ja so befass’ Dich ein bissl mit mir u. lass mich für ein paar Stunden Dein Leben leben! ‒ Als Deine zukünftige Frau habe ich ein gewisses Recht darauf. ‒ ‒

Schreib mir recht bald wieder, ‒ sofort!

Pax tibi!(lat.) Friede sei Dir!

B.M.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 17 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit blauem Buntstift das Datum „9.5.5.“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 8.5.1905 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum nach Wedekinds Tagebuch vom 9.5.1905 („Brief von Berth Marie Denk“) und dem von ihm auf den Brief notierten Empfangsdatum, einen Tag für den Postweg von Wien nach München gerechnet.

  • Schreibort

    Wien
    8. Mai 1905 (Montag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    9. April 1905 (Sonntag)

Erstdruck

Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur, Heft 131/132: Frank Wedekind

Titel des Aufsatzes:
Eine Liebe von Frank. Der Briefwechsel zwischen Frank Wedekind und Berthe Marie Denk
Herausgeber:
Elinor Waldmann
Verlag:
München: edition text + kritik
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
105
Briefnummer:
4
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief auf den 9.5.1905 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 31
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Berthe Marie Denk an Frank Wedekind, 8.5.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

26.10.2024 17:36
Kennung: 2766

Wien, 8. Mai 1905 (Montag), Brief

Autor*in

  • Denk, Berthe Marie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Mein lieber Frank Wedekind,

Aber natürlich sind wir Braut u. Bräutigam, wie kannst Du daran zweifeln? Ich dachte nur Du hättest es einstweilen vergessen u. wollte somit warten bis Du Dich gelegentlich daran erinnerst! Es handelt sich also nur um den Termin der Hochzeit, ‒ den zu bestimmen überlasse ich Dir! ‒ |

Über Deinen Briefvgl. Wedekind an Berthe Marie Denk, 5.5.1905. ‒ Dem nicht überlieferten Brief dürfte ein Exemplar der „Büchse der Pandora“ (1903) beigelegen haben. hab’ ich mich recht gefreut! Ich bilde mir selbstverständlich nicht ein dass die Gedichte, die Du demnächst herausgebenWedekind sah der Veröffentlichung seiner Gedichtsammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) im Albert Langen Verlag in München entgegen (sie geht neu aufgelegt auf die Sammlung „Die Jahreszeiten“ 1897 im Band „Die Fürstin Russalka“ zurück), die er der Geliebten tatsächlich widmete: „Die Gedichte, die diese Blätter enthalten, sind Berthe Marie Denk in Ehrerbietung zugeeignet“ [KSA 1/I, S. 822] Er widmete ihr darin auch das Gedicht „An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka“ [KSA 1/I, S. 639; vgl. KSA 1/I, S. 910-913]. Wedekind, der für diesen Band mit Albert Langen am 22.4.1905 einen Verlagsvertrag abgeschlossen hatte [vgl. KSA 1/I, S. 810], beschäftigte sich vom 1. bis 3.5.1905 mit der Vorbereitung des Manuskript für die Neuauflage, das er dem Tagebuch zufolge bereits am 3.5.1905 zum Verlag gebracht hatte („Gedicht-Manuscript an Langen abgeliefert“); insofern dürfte die Widmung ein Nachtrag gewesen sein. wirst mir zu Ehren erst in letzter Zeit entstanden sind, sie passen vielleicht zufällig auf diese oder jene gemeinsam erlebte Situation! Aber wenn Du mir eine Freude machen willst so widme sie mir, u. schick mir sofort das erste Exemplar! ‒ |

Die Büchse der Pandora habeSchreibversehen, statt: habe ich. mit grossem Genuss gelesen leider aber mein vollständiges Unvermögen jemals die Lulu darstellenWedekind „liebäugelte“ damit, in der geplanten, von Karl Kraus organisierten Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ Berthe Marie Denk als Lulu zu sehen, die aber „keine ausgebildete Schauspielerin“ war und „vor der Aufgabe zurückschreckte“ [Fischer 2020, S. 128]. zu können gefühlt! Das kränkt mich natürlich sehr; ‒ ich verstehe die Rolle sehr gut, habe jede Geberde, jeden Ton im Geiste vor Augen, kann’s aber leider nicht von mir geben! ‒

Bitte schicke mir nur ja nicht den K. KrausKarl Kraus war einer von Berthe Marie Denks „Liebhabern“ [Waldmann 1996, S. 99]; sie war entweder „seit etwa 1902 mit Kraus bekannt“ und stand 1905 bis 1908 „in enger Beziehung zu ihm“ [Nottscheid 2008, S. 383] oder sie kannte ihn schon länger „und pflegte mit Kraus zwischen 1895 und 1908 einen teils intimen, teils lockeren brieflichen und persönlichen Kontakt“ [Wagner 1987, S. 136]. Wedekind war das intime Verhältnis anfangs nicht klar; es war das dann zwischen ihr, ihm und Karl Kraus „ein Dreiecksverhältnis der besonderen Art“ [Fischer 2020, S. 128].! Ich lebe in Wien wie im | Kloster u. wäre mir diese Bekanntschaft nur unangenehm! ‒

Ach mein Lieber, wo ich herumgestrolcht habe? Leider gar nirgends, ‒ ich lebe wie eine einfache Bürgersfrau, ganz abgeschieden von der Welt! Nur meine Phantasie macht Streifzüge in ein Land von dessen Herrlichkeit Du Dir nichts träumen lässt! Vielleicht lass ich Dich einmal dem Flügelschlag meiner Seele | lauschen, ‒ vielleicht ‒ ‒ denn kaum gestatt’ ich dassZitat aus Richard Schaukals Gedicht „Das Gartengitter“ (zwei Verse der dritten Strophe aus dem Gedächtnis zitiert): „Was ist mir heulender Beifall, häßlicher Tagtribut! / Wenige nur und Gleiche sollen gern mich grüßen. / Kaum gestatt’ ich daß mir die Schar an meines Gitters / Goldne Stäbe die Finger legt.“ [Richard Schaukal: Meine Gärten. Einsame Verse. Berlin 1897, S. 10] die Menge an meines goldne Gitters goldner Stäbe die Finger lege.“ ‒

Ein paar Tage war ich jetzt in einem abgeschiednen Winkel Steiermarks auf der Jagd! Ich bin um 4h Früh aufgestanden, bin allein auf die Berge gegangen u. war glücklicher denn ein König! Ich habe mit allem Gethier Freundschaft | geschlossen und mich auf dem höchsten Gipfel ins Moos gestreckt u. Feste gefeiert! ‒ Ich habe Feste gefeiert! ‒

‒ ‒ ‒ ‒ |

Lieber Frank Wedekind, in 14 Tagen kommeBerthe Marie Denk reiste nicht nach München, dafür Wedekind nach Wien (siehe die folgende Korrespondenz). ich nach München, bist Du zu diesem Termin dort? Wenn ja so befass’ Dich ein bissl mit mir u. lass mich für ein paar Stunden Dein Leben leben! ‒ Als Deine zukünftige Frau habe ich ein gewisses Recht darauf. ‒ ‒

Schreib mir recht bald wieder, ‒ sofort!

Pax tibi!(lat.) Friede sei Dir!

B.M.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 17 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit blauem Buntstift das Datum „9.5.5.“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 8.5.1905 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum nach Wedekinds Tagebuch vom 9.5.1905 („Brief von Berth Marie Denk“) und dem von ihm auf den Brief notierten Empfangsdatum, einen Tag für den Postweg von Wien nach München gerechnet.

  • Schreibort

    Wien
    8. Mai 1905 (Montag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    9. April 1905 (Sonntag)

Erstdruck

Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur, Heft 131/132: Frank Wedekind

Titel des Aufsatzes:
Eine Liebe von Frank. Der Briefwechsel zwischen Frank Wedekind und Berthe Marie Denk
Herausgeber:
Elinor Waldmann
Verlag:
München: edition text + kritik
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
105
Briefnummer:
4
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief auf den 9.5.1905 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 31
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Berthe Marie Denk an Frank Wedekind, 8.5.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

26.10.2024 17:36