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Kennung: 2483

München, 20. September 1911 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • B.Z. am Mittag, (Zeitung)

Inhalt

Darf ich Sie höflichst ersuchen, Ihrem geschätzten Leserkreise drei Fragen vorzulegen. Vor mehreren Monaten wurde die Aufführung meiner KomödienDruckfehler, statt: Komödie.Oaha“ ohne Angabe eines Grundes rundweg verbotenDie Münchner Zensurbehörde hat eine Aufführung von „Oaha“ am 24.5.1911 erneut verboten [vgl. KSA 5/III, S. 286; KSA 8, S. 608, 620f.].. Herr Polizeipräsident von der Heydte in München gab mir darauf freundlichst GelegenheitWedekinds Gespräch mit dem Polizeipräsidenten Julius von der Heydte in Gegenwart von Georg Stollberg, dem Direktor des Münchner Schauspielhauses, fand am 2.6.1911 im Münchner Polizeipräsidium statt [vgl. KSA 5/III, S. 286; KSA 8, S. 608]. Wedekind notierte an diesem Tag: „Audienz mit Stollberg beim Polizeipräsidenten“ [Tb]., mich nach den Gründen zu erkundigen und entgegnete mir auf meine Frage in Gegenwart des Herrn Direktor Stollberg: „Sie haben die öffentliche Meinung gegen sich. So lange das der Fall ist, gebe ich das Stück nicht frei.“ Vor einigen Wochen nun reichte ich dem Königlichen Hoftheater auf AnregungWedekind sah Fritz Basil und Albert Steinrück am 3.8.1911 in der Torggelstube – „T.St. Basil Steinrück“ [Tb] – in geselliger Runde, wo die beiden Münchner Hofschauspieler angeregt haben dürften, den „Kammersänger“ dem Münchner Hoftheater anzubieten – er wurde zu Lebzeiten Wedekinds dort nicht aufgeführt [vgl. KSA 5/III, S. 286]. der Herren Basil und Steinrück meinen „Kammersänger“ ein. Der Kgl. Hoftheaterintendant, Seine Exzellenz Freiherr von Speidel, sagte mirWedekind suchte Albert von Speidel, Generalintendant des Königlichen Hof- und Nationaltheaters, Residenztheaters und Prinzregententheaters in München [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 550], am 20.9.1911 auf und schrieb abends im Hoftheaterrestaurant den vorliegenden offenen Brief: „Besuch bei Speidel. [...] HTR. Zeitungsnotiz geschrieben.“ [Tb] Bei diesem Besuch dürfte die dann zitierte Äußerung gefallen sein [vgl. KSA 5/III, S. 286]. darauf, mit der ritterlichen Liebenswürdigkeit, die ich so sehr an Seiner Exzellenz schätze: „Lassen Sie mir Zeit. Es ist nicht so leicht. Sie wissen, Sie haben eine Partei gegen sich.“

Ich bin nun aufrichtig und tief davon überzeugt, daß für die Kgl. Hoftheaterintendanz bei der Annahme und Ablehnung von Stücken gar keine anderen Gesichtspunkte als die rein künstlerischen maßgebend sind, ebenso wie ich auch sicher bin, daß für die Königliche Polizeidirektion bei ihren Maßnahmen absolut keine anderen Interessen als die der öffentlichen Wohlfahrt in Berücksichtigung kommen. Auf Grund dieser Ueberzeugung aber fühle ich mich berechtigt, an die breiteste Oeffentlichkeit drei Fragen zu richten:

1. Was hat die öffentliche Meinung gegen mich?

2. Welche Partei hat etwas gegen mich und wo ist diese Partei zu finden?

3. Kommt es in der Kunststadt München in künstlerischen Fragen wirklich nicht darauf an, was jemand kann, sondern darauf, was er gegen sich hat?

Indem ich Ihnen für die Veröffentlichung dieser Zeilen im voraus meinen aufrichtigen Dank ausspreche
in vorzüglichster Hochschätzung
Ihr ergebenster
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Schreibdatum und Schreibort sind durch das Tagebuch belegt. Wedekind hielt am 20.9.1911 die Niederschrift des offenen Briefes fest („Zeitungsnotiz geschrieben“), notierte am 21.9.1911 eine Abschrift („Diktat der Zeitungsnotiz") und am 22.9.1911 den Versand („Zeitungsnotiz expediert“).

Erstdruck

B.Z. am Mittag

Verlag:
Berlin: Berliner Verlag
Jahrgang:
1911
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Drei Fragen von Frank Wedekind. In: B.Z. am Mittag, Jg. 35, Nr. 224, 23.9.1911, S. 2. Der offenen Brief ist in der Rubrik „Kleine Theater B.-Z.“ abgedruckt, eingeleitet mit den Worten: „Frank Wedekind ersucht uns um Wiedergabe folgender Zuschrift:“ ‒ Ein Nachdruck aus der „B.Z. am Mittag“ (als solcher ausgewiesen) erschien unter dem Titel „Drei Fragen von Frank Wedekind“ in der Berliner „Deutschen Tageszeitung“ (bis auf einige Sperrungen identisch), eingeleitet mit den Worten: „Frank Wedekind ersucht ein hiesiges Mittagsblatt um Wiedergabe folgender Zuschrift:“ Redaktionelle Nachbemerkung: „Wir haben mit Wedekind oft die Klinge kreuzen müssen und werden es wohl auch in Zukunft tun müssen. Das hindert uns aber mitnichten daran, ihn gegen die Willkür einer Zensur in Schutz zu nehmen, die beispielsweise seine durchaus sittenreine Komödie: ‚Oaha‘ nur deshalb verbietet, weil sie von Wedekind ist. Jeder neue Fall dieser Art zeigt aufs neue, wie dringend die Zentralisierung der Zensur geworden ist und wie notwendig es ist, allgemein gültige und stichhaltige Regeln für den Zensurbetrieb aufzustellen.“ [Deutsche Tageszeitung, Jg. 18, Nr. 484, 23.9.1911, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (1)] Wedekind hat den offenen Brief noch an weitere Zeitungen versandt. Der Text wurde unter dem Titel „Drei Fragen von Frank Wedekind“ ediert [vgl. KSA 5/II, S. 418-419].
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Zeitung) B.Z. am Mittag, 20.9.1911. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

20.12.2023 22:53
Kennung: 2483

München, 20. September 1911 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • B.Z. am Mittag, (Zeitung)
 
 

Inhalt

Darf ich Sie höflichst ersuchen, Ihrem geschätzten Leserkreise drei Fragen vorzulegen. Vor mehreren Monaten wurde die Aufführung meiner KomödienDruckfehler, statt: Komödie.Oaha“ ohne Angabe eines Grundes rundweg verbotenDie Münchner Zensurbehörde hat eine Aufführung von „Oaha“ am 24.5.1911 erneut verboten [vgl. KSA 5/III, S. 286; KSA 8, S. 608, 620f.].. Herr Polizeipräsident von der Heydte in München gab mir darauf freundlichst GelegenheitWedekinds Gespräch mit dem Polizeipräsidenten Julius von der Heydte in Gegenwart von Georg Stollberg, dem Direktor des Münchner Schauspielhauses, fand am 2.6.1911 im Münchner Polizeipräsidium statt [vgl. KSA 5/III, S. 286; KSA 8, S. 608]. Wedekind notierte an diesem Tag: „Audienz mit Stollberg beim Polizeipräsidenten“ [Tb]., mich nach den Gründen zu erkundigen und entgegnete mir auf meine Frage in Gegenwart des Herrn Direktor Stollberg: „Sie haben die öffentliche Meinung gegen sich. So lange das der Fall ist, gebe ich das Stück nicht frei.“ Vor einigen Wochen nun reichte ich dem Königlichen Hoftheater auf AnregungWedekind sah Fritz Basil und Albert Steinrück am 3.8.1911 in der Torggelstube – „T.St. Basil Steinrück“ [Tb] – in geselliger Runde, wo die beiden Münchner Hofschauspieler angeregt haben dürften, den „Kammersänger“ dem Münchner Hoftheater anzubieten – er wurde zu Lebzeiten Wedekinds dort nicht aufgeführt [vgl. KSA 5/III, S. 286]. der Herren Basil und Steinrück meinen „Kammersänger“ ein. Der Kgl. Hoftheaterintendant, Seine Exzellenz Freiherr von Speidel, sagte mirWedekind suchte Albert von Speidel, Generalintendant des Königlichen Hof- und Nationaltheaters, Residenztheaters und Prinzregententheaters in München [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 550], am 20.9.1911 auf und schrieb abends im Hoftheaterrestaurant den vorliegenden offenen Brief: „Besuch bei Speidel. [...] HTR. Zeitungsnotiz geschrieben.“ [Tb] Bei diesem Besuch dürfte die dann zitierte Äußerung gefallen sein [vgl. KSA 5/III, S. 286]. darauf, mit der ritterlichen Liebenswürdigkeit, die ich so sehr an Seiner Exzellenz schätze: „Lassen Sie mir Zeit. Es ist nicht so leicht. Sie wissen, Sie haben eine Partei gegen sich.“

Ich bin nun aufrichtig und tief davon überzeugt, daß für die Kgl. Hoftheaterintendanz bei der Annahme und Ablehnung von Stücken gar keine anderen Gesichtspunkte als die rein künstlerischen maßgebend sind, ebenso wie ich auch sicher bin, daß für die Königliche Polizeidirektion bei ihren Maßnahmen absolut keine anderen Interessen als die der öffentlichen Wohlfahrt in Berücksichtigung kommen. Auf Grund dieser Ueberzeugung aber fühle ich mich berechtigt, an die breiteste Oeffentlichkeit drei Fragen zu richten:

1. Was hat die öffentliche Meinung gegen mich?

2. Welche Partei hat etwas gegen mich und wo ist diese Partei zu finden?

3. Kommt es in der Kunststadt München in künstlerischen Fragen wirklich nicht darauf an, was jemand kann, sondern darauf, was er gegen sich hat?

Indem ich Ihnen für die Veröffentlichung dieser Zeilen im voraus meinen aufrichtigen Dank ausspreche
in vorzüglichster Hochschätzung
Ihr ergebenster
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

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Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Schreibdatum und Schreibort sind durch das Tagebuch belegt. Wedekind hielt am 20.9.1911 die Niederschrift des offenen Briefes fest („Zeitungsnotiz geschrieben“), notierte am 21.9.1911 eine Abschrift („Diktat der Zeitungsnotiz") und am 22.9.1911 den Versand („Zeitungsnotiz expediert“).

Erstdruck

B.Z. am Mittag

Verlag:
Berlin: Berliner Verlag
Jahrgang:
1911
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Drei Fragen von Frank Wedekind. In: B.Z. am Mittag, Jg. 35, Nr. 224, 23.9.1911, S. 2. Der offenen Brief ist in der Rubrik „Kleine Theater B.-Z.“ abgedruckt, eingeleitet mit den Worten: „Frank Wedekind ersucht uns um Wiedergabe folgender Zuschrift:“ ‒ Ein Nachdruck aus der „B.Z. am Mittag“ (als solcher ausgewiesen) erschien unter dem Titel „Drei Fragen von Frank Wedekind“ in der Berliner „Deutschen Tageszeitung“ (bis auf einige Sperrungen identisch), eingeleitet mit den Worten: „Frank Wedekind ersucht ein hiesiges Mittagsblatt um Wiedergabe folgender Zuschrift:“ Redaktionelle Nachbemerkung: „Wir haben mit Wedekind oft die Klinge kreuzen müssen und werden es wohl auch in Zukunft tun müssen. Das hindert uns aber mitnichten daran, ihn gegen die Willkür einer Zensur in Schutz zu nehmen, die beispielsweise seine durchaus sittenreine Komödie: ‚Oaha‘ nur deshalb verbietet, weil sie von Wedekind ist. Jeder neue Fall dieser Art zeigt aufs neue, wie dringend die Zentralisierung der Zensur geworden ist und wie notwendig es ist, allgemein gültige und stichhaltige Regeln für den Zensurbetrieb aufzustellen.“ [Deutsche Tageszeitung, Jg. 18, Nr. 484, 23.9.1911, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (1)] Wedekind hat den offenen Brief noch an weitere Zeitungen versandt. Der Text wurde unter dem Titel „Drei Fragen von Frank Wedekind“ ediert [vgl. KSA 5/II, S. 418-419].
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Zeitung) B.Z. am Mittag, 20.9.1911. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
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Erstellt von

Ariane Martin

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20.12.2023 22:53