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Kennung: 2245

Burgdorf, 8. Januar 1883 (Montag), Brief

Autor*in

  • Dürr, Moritz

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

A/M/ D


Burgdorf den 8. Jan 83.


Innig geliebter Freund!

Oh welches Glück! Nicht nur verstößest Du mich nicht sondern reichst mir die Bruderhand & h gibst Dich mir wieder als Freund wie Du mir früher in ehe/j/ungen Knabenjahren es warest. Doch darf ich diese Hand annehmen. Bin ich werth einen solchen Freund zu besitzen? Nein ich bin es nicht. Du kennst mich nicht mehr. Allerdings haben wir uns gewaltig verändert seit wir uns das letzte Mal gesehendie einstigen Schulfreunde dürften sich im Sommer 1878, als Moritz Dürr die Bezirksschule Lenzburg verlassen musste, das letzte Mal gesehen haben. aber ich nicht zu meinen Gunsten. Du kannst Dir nicht denken mit welcher Wonne & Freude Du mich überhäuftest mit Deinem lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Moritz Dürr, 31.12.1882.. Aber jetzt bin ich in einer zu unruhigen Stimmung & Eile als daß ihn recht beantworten könnte. Ich schreibe näml. 2 Stunden vor meiner Abreise nach Paris. Nachdem ich das Gymnasium in Burgdorf bis zur Sekunda(lat.) zweiten Klasse; die vorletzte Klasse im Gymnasium. durchlaufen & in derselben noch ein ¼ Jahr blieb hielt ich’s nicht länger | aus entschloß mich der MalereiKunst zu widmen & bezog verbrachte 1 ½ Jahre die Kunstschule in Bern bis mich jetzt auf einmal die Wanderlust ankam & der Drang etwas zu sehn & mehr Anregung zu haben weßhalb ich mich kurz entschloß zu meiner Ausbildung & m. Studienort Paris zu wählen, das in Kunst das Höchste bieten & kann & leistet Mit Mühe konnte ich mir auch die Einwilligung meiner Eltern erkämpfen. s/S/o reise ich nun voll Hoffnungen & Begeisterung für meine Musehier Inspiration für die Malerei. vertrauensvoll in die weite Welt an die ich große Erwartungen knüpfe. Nicht auszuruhn & das Leben zu genießen wie das mit Recht Dein Ideal zu sein scheint & unter andern Umständen auch das meine wäre (w, sondern um zu kämpfen & zu schaffen & zu streben. Denn Dir darf ich mich ganz anvertrauen. Da mein Vater vor einiger Zeit durch einen Unglücksfall (Bürgschaft) des größten Theils seines Vermögens beraubt wurde kann er mich in meinen langen Studien nicht großartig unterstützen & bin ich fast gänzl. auf Stipendien angewiesen so ist es nun auch meines wie es insgemein das Loos des Künstlers ist unter Mühen & Entbehrungen & häufig dem ungünstigen | Schiksal trotzend seinen Weg zurückzu legen zu müssen mit Anstrengung alles Fleißes zu streben nach einem Heim. Du siehst daß ich keiner rosigen Zukunft entgegen gehen aber ich bin entschlossen den Kampf mit den finstern Schiksalsmächten aufzunehmen. Ich finde dafür Entschädigung in meiner Arbeit, die mir schon jetzt der Freude & des Genusses genug bietet & die ich sonst in keinem anderen Berufe hätte finden können, wie sehr man mich auch hat zwingen wollen.

Ich bin genöthigt zu schließen, der Grund, warum ich noch ein Viertelstündchen erhaschen konnte um Dir aus meiner Heimath noch e. letzten Gruß zu senden ist der: Ich muß näml. um 9 Uhr in Basel seinVon Basel bestand eine direkte Zugverbindung über Mulhouse nach Paris. zum Pariserzug. Jetzt hatte ich geplant gehabt mit dem 2 Uhr Zug hier zu verreisen & dann gleich nach AarauBurgdorf lag an der Bahnlinie Thun-Bern-Olten-Aarau. Von Aarau über Olten führte eine weitere Bahnlinie nach Basel. zu fahren wo ich mich dann von einem Zug zum andern aufgehalten hätte, um Dich meinen einzigen Freund in die Arme schließen zu können & Dir wieder einmal in die treuherzigen Augen blinkenSchreibversehen, statt: blicken. zu können. Du hättest mir gewiß noch manches Wort der Aufmunterung geschenkt, deren ich so sehr bedarf & die mich auf/den ganzen Aufenthalt begleitet hätten, wie schon Dein letzter Brief seine Wirkung auf mich nicht | verfehlte. Du hilfst mir aus dem Staub mich wieder erheben. Du allein kannst es da ich noch in keinen mein ganzes Vertrauen so gesetzt habe wie in Dich, Liebster. Denn wisse ich habe nie geliebt. Ich hoffe von der Zukunft daß Sie mich ganz ändern werde. Denn so dürfte ich Dir nie unter die Augen treten. Jahre werden jetzt jedenfalls vergehen bis wir uns endl. einmal sehen können. Dann hoffe ich getrost Deiner Prüfung aushalten zu können. Jetzt aber nicht. Da die Zeit so wie so zu kurz gewesen wäre ich nicht einmal Deine AdresseWedekind wohnte während der Schulzeit bei der Privatière Regula Huber-Aschmann am Zollrain 88 [vgl. Kutscher 1, S. 33]. weiß & auch nicht einmal wußte ob Du überhaupt jetzt in Aarau gewesen wärest so habe ich den Plan aufsteken müssen & bin jetzt gezwungen, bis 5 Uhr zu warten & dann direkt nach Basel – Paris abzufahren.

Verzeihe den verworrenen Inhalt dieser Zeilen den Du der Hast & Fassungslosigkeit im Moment einer Abreise zuschreiben mußt & sei innigst gegrüßt von
Deinem
Moriz Dür

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte. Bleistift.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 befindet sich ein gedrucktes Monogramm mit den Initialen „A D, das von Moritz Dürr mit Tinte zu den Initialen „M D“ modifiziert wurde. Auf Seite 3 in Zeile 5 wird das Schreibwerkzeug Feder und Tinte nach den Worten „Zukunft entgegen gehen“ durch Bleistift ersetzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Burgdorf
    8. Januar 1883 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Burgdorf
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 35
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Moritz Dürr an Frank Wedekind, 8.1.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

03.08.2022 13:08
Kennung: 2245

Burgdorf, 8. Januar 1883 (Montag), Brief

Autor*in

  • Dürr, Moritz

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

A/M/ D


Burgdorf den 8. Jan 83.


Innig geliebter Freund!

Oh welches Glück! Nicht nur verstößest Du mich nicht sondern reichst mir die Bruderhand & h gibst Dich mir wieder als Freund wie Du mir früher in ehe/j/ungen Knabenjahren es warest. Doch darf ich diese Hand annehmen. Bin ich werth einen solchen Freund zu besitzen? Nein ich bin es nicht. Du kennst mich nicht mehr. Allerdings haben wir uns gewaltig verändert seit wir uns das letzte Mal gesehendie einstigen Schulfreunde dürften sich im Sommer 1878, als Moritz Dürr die Bezirksschule Lenzburg verlassen musste, das letzte Mal gesehen haben. aber ich nicht zu meinen Gunsten. Du kannst Dir nicht denken mit welcher Wonne & Freude Du mich überhäuftest mit Deinem lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Moritz Dürr, 31.12.1882.. Aber jetzt bin ich in einer zu unruhigen Stimmung & Eile als daß ihn recht beantworten könnte. Ich schreibe näml. 2 Stunden vor meiner Abreise nach Paris. Nachdem ich das Gymnasium in Burgdorf bis zur Sekunda(lat.) zweiten Klasse; die vorletzte Klasse im Gymnasium. durchlaufen & in derselben noch ein ¼ Jahr blieb hielt ich’s nicht länger | aus entschloß mich der MalereiKunst zu widmen & bezog verbrachte 1 ½ Jahre die Kunstschule in Bern bis mich jetzt auf einmal die Wanderlust ankam & der Drang etwas zu sehn & mehr Anregung zu haben weßhalb ich mich kurz entschloß zu meiner Ausbildung & m. Studienort Paris zu wählen, das in Kunst das Höchste bieten & kann & leistet Mit Mühe konnte ich mir auch die Einwilligung meiner Eltern erkämpfen. s/S/o reise ich nun voll Hoffnungen & Begeisterung für meine Musehier Inspiration für die Malerei. vertrauensvoll in die weite Welt an die ich große Erwartungen knüpfe. Nicht auszuruhn & das Leben zu genießen wie das mit Recht Dein Ideal zu sein scheint & unter andern Umständen auch das meine wäre (w, sondern um zu kämpfen & zu schaffen & zu streben. Denn Dir darf ich mich ganz anvertrauen. Da mein Vater vor einiger Zeit durch einen Unglücksfall (Bürgschaft) des größten Theils seines Vermögens beraubt wurde kann er mich in meinen langen Studien nicht großartig unterstützen & bin ich fast gänzl. auf Stipendien angewiesen so ist es nun auch meines wie es insgemein das Loos des Künstlers ist unter Mühen & Entbehrungen & häufig dem ungünstigen | Schiksal trotzend seinen Weg zurückzu legen zu müssen mit Anstrengung alles Fleißes zu streben nach einem Heim. Du siehst daß ich keiner rosigen Zukunft entgegen gehen aber ich bin entschlossen den Kampf mit den finstern Schiksalsmächten aufzunehmen. Ich finde dafür Entschädigung in meiner Arbeit, die mir schon jetzt der Freude & des Genusses genug bietet & die ich sonst in keinem anderen Berufe hätte finden können, wie sehr man mich auch hat zwingen wollen.

Ich bin genöthigt zu schließen, der Grund, warum ich noch ein Viertelstündchen erhaschen konnte um Dir aus meiner Heimath noch e. letzten Gruß zu senden ist der: Ich muß näml. um 9 Uhr in Basel seinVon Basel bestand eine direkte Zugverbindung über Mulhouse nach Paris. zum Pariserzug. Jetzt hatte ich geplant gehabt mit dem 2 Uhr Zug hier zu verreisen & dann gleich nach AarauBurgdorf lag an der Bahnlinie Thun-Bern-Olten-Aarau. Von Aarau über Olten führte eine weitere Bahnlinie nach Basel. zu fahren wo ich mich dann von einem Zug zum andern aufgehalten hätte, um Dich meinen einzigen Freund in die Arme schließen zu können & Dir wieder einmal in die treuherzigen Augen blinkenSchreibversehen, statt: blicken. zu können. Du hättest mir gewiß noch manches Wort der Aufmunterung geschenkt, deren ich so sehr bedarf & die mich auf/den ganzen Aufenthalt begleitet hätten, wie schon Dein letzter Brief seine Wirkung auf mich nicht | verfehlte. Du hilfst mir aus dem Staub mich wieder erheben. Du allein kannst es da ich noch in keinen mein ganzes Vertrauen so gesetzt habe wie in Dich, Liebster. Denn wisse ich habe nie geliebt. Ich hoffe von der Zukunft daß Sie mich ganz ändern werde. Denn so dürfte ich Dir nie unter die Augen treten. Jahre werden jetzt jedenfalls vergehen bis wir uns endl. einmal sehen können. Dann hoffe ich getrost Deiner Prüfung aushalten zu können. Jetzt aber nicht. Da die Zeit so wie so zu kurz gewesen wäre ich nicht einmal Deine AdresseWedekind wohnte während der Schulzeit bei der Privatière Regula Huber-Aschmann am Zollrain 88 [vgl. Kutscher 1, S. 33]. weiß & auch nicht einmal wußte ob Du überhaupt jetzt in Aarau gewesen wärest so habe ich den Plan aufsteken müssen & bin jetzt gezwungen, bis 5 Uhr zu warten & dann direkt nach Basel – Paris abzufahren.

Verzeihe den verworrenen Inhalt dieser Zeilen den Du der Hast & Fassungslosigkeit im Moment einer Abreise zuschreiben mußt & sei innigst gegrüßt von
Deinem
Moriz Dür

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte. Bleistift.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 befindet sich ein gedrucktes Monogramm mit den Initialen „A D, das von Moritz Dürr mit Tinte zu den Initialen „M D“ modifiziert wurde. Auf Seite 3 in Zeile 5 wird das Schreibwerkzeug Feder und Tinte nach den Worten „Zukunft entgegen gehen“ durch Bleistift ersetzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Burgdorf
    8. Januar 1883 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Burgdorf
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 35
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Moritz Dürr an Frank Wedekind, 8.1.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

03.08.2022 13:08