Vergleichsansicht

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Kennung: 206

München, 13. März 1900 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Bjørnson, Bjørnstjerne

Inhalt

Sehr geehrter Herr Bjoernson,

Ihr SchwiegersohnAlbert Langen war seit 1896 mit Dagny Bjørnson, der Tochter Bjørnstjerne Bjørnsons, verheiratet. scheint sich noch immer nicht von dem Gedanken trennen zu können, dass ich ihm mit dem Ertrag meiner Arbeit die Kosten bezahlen soll, die ihm aus seinem speculativen SchurkenstreichDie Auflage des „Simplicissimus“ stieg von 26.000 im April 1898 zunächst auf 67.000 fünf Wochen nach der Konfiszierung. Im April 1899 betrug die Auflage 55.000, hatte sich also mehr als verdoppelt [vgl. Abret/Keel 1985, S. 28]. Wedekind behauptete wiederholt, Langen habe die Konfiszierung aus diesem Grund willentlich herbeigeführt [vgl. Abret 2005, S. 26f.]. erwachsen, mit dem er mich um meine StellungIm August 1898 war Wedekind von Georg J. Stollberg als Dramaturg und Schauspieler für das Münchner Schauspielhaus engagiert worden. Aufgrund seiner Flucht aus München am 30.10.1898 verlor er diese Stelle. betrogen und mich auf vier Monate in’s GefängnisAm 3.6.1899 stellte sich Wedekind in Leipzig der Polizei und kam in Untersuchungshaft, am 3.8.1899 wurde er wegen Majestätsbeleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, die er ab dem 21.9.1899 als Festungshaft auf der Festung Königstein antrat, wo er am 2.2.1900 entlassen wurde. und auf vier Monate auf die Festung gebracht hat. Ich würde Sie | mit dieser Angelegenheit nicht weiter behelligen, wenn mir nicht gestern Herr Dr. Max Halbe die Ansicht ausgesprochennicht überliefert. Vgl. Wedekinds Brief an Bjørnstjerne Bjørnson vom 28.9.1899. und mir gegenüber vertheidigt hätte, dass Sie von Ihrem Schwiegersohn Albert Langen pecuniär abhängig seien und pecuniäre Unterstützungen von ihm empfiengen. Herr Max Halbe steht mit niemandem in München in lebhafterem Verkehr als mit Korfiz Holm, dem hiesigen Vertreter Albert Langens. Deshalb gewinnt das Gerücht, das ich schon vor anderthalb Jahren in | München und vorher schon in Berlin gehört hatte und dem ich damals nicht den geringsten Glauben beimass, für mich ungemein an Bedeutung. Als Sie übrigens nach Langens perfider FluchtAlbert Langen floh noch vor Wedekind, unverzüglich nach der Beschlagnahme des Simplicissimus vom 25.10.1898, über Zürich und Rom nach Paris, wo er von Februar 1899 bis April 1903 lebte. fortfuhren, in der liebenswürdigsten Weise mit ihm zu correspondieren und er mir Ihre Briefenicht ermittelt. Langen und Wedekind sahen sich nach ihrer Flucht noch mehrmals in Zürich (November bis Dezember 1898) sowie in Paris (Februar bis Mai 1899), bei einer dieser Gelegenheiten könnte dies geschehen sein. zeigte, war ich nahe daran, in dem Gerüchte die volle Wahrheit zu erblicken. Wie das meine Art ist, stellte ich Albert Langen sofort zu rede und liess mir Ihre Vermögensverhältnisse von ihm aufs genaueste auseinandersetzen. Dadurch wurde mein Verdacht geh beseitigt. Wenn ich mich jetzt aber hier in München | über Langen’s speculativen Schurkenstreich beklage, dann muss ich mir von Leuten wie Max Halbe entgegnen lassen, dass bei Albert Langen an eine derartige Speculation gar nicht zu denken sei, da Langen mit seinem enormen Reichtum ja auch seinen Schwiegervater unterstütze. Wie es mit Langens Reichtum bestellt ist weiss ich; mir persönlich wäre aber der Gedanke, auch für Sie, Herr Bjoernson, im Gefängnis gesessen zu haben äusserst sympathisch; er würde mir die Erinnerung an jene Tage wesentlich verklären. Ich werde mir aber dieses Verdienst | auf keinen Fall beimessen, bevor ich es von Ihnen bestätigt erhalten habe. Dass Sie mir auf meine an Sie gerichteten Zeilen vom 20. Februarnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 20.2.1900. nicht geantwortet haben, finde ich begreiflich; der Brief war auch nicht darauf eingerichtet. Ich rechne aber des bestimmtesten darauf, auf diese Zeilen hier eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Sie haben mir unaufgefordert Ihren RatVgl. Wedekinds Briefe an Bjørnstjerne Bjørnson vom 28.9.1899 und an Beate Heine vom 27.7.1898. erteilt, bevor ich die Bekanntschaft des Gefängnisses gemacht hatte, die Ihrem Schwiegersohn glücklich erspart gebliebenAlbert Langen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Paris; er wurde im April 1903, gegen Zahlung eines Bezeigungsgeldes in Höhe von 20.000 Mark, begnadigt und kehrte daraufhin aus Paris nach Deutschland zurück [vgl. Abret/Keel 1985, S. 33-38]. ist; deshalb darf ich jetzt wol auch um | so mehr darauf rechnen, auf eine höflich gestellte Frage eine Antwort zu erhalten.

Hochachtungsvoll und ergebenst
Frank Wedekind.


München, den 13. März 1900.
Hotel Bamberger Hof


[Kuvert:]


Einschreiben.
Herrn Bjoernstjern Bjoernson
Aulestat.
Norwegen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 2 Doppelblatt. 6 Seiten beschrieben. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Kuvert. 1 Seite beschrieben. 13 x 10,5 cm.
Schreibraum:
Brief im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer Briefmarke von 40 Pfennig frankiert und mit einem Einschreibnummernzettel versehen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel: „12-1 Nm.“ (= 12-13 Uhr). Bei PKXP No. 44 und Nordbanernes handelt es sich um Bahnpoststempel (PKXP = Postkupéexpeditioner). Christiania war der damalige Name von Oslo. Faaberg liegt 12 km entfernt von Aulestad und dürfte das nächstliegende Postamt gewesen sein.

  • Schreibort

    München
    13. März 1900 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Zwischenstation

    PKXP No. 44
    16. März 1900 (Freitag)

  • Zwischenstation

    Christiania
    16. März 1900 (Freitag)

  • Zwischenstation

    Nordbanernes
    17. März 1900 (Samstag)

  • Empfangsort

    Aulestad
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
42f.
Briefnummer:
173
Kommentar:
Fritz Strich kürzte beide Male „Schurkenstreich“ zu „....streich“ [S. 42] und ließ die dritte Erwähnung Max Halbes fort [„von Leuten wie ....... entgegnen lassen“; ebd.]. Dies dürfte aus Rücksichtnahme auf lebende Personen geschehen sein.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 194
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 13.3.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Cordula Greinert

Zuletzt aktualisiert

05.03.2024 17:37
Kennung: 206

München, 13. März 1900 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Bjørnson, Bjørnstjerne
 
 

Inhalt

Sehr geehrter Herr Bjoernson,

Ihr SchwiegersohnAlbert Langen war seit 1896 mit Dagny Bjørnson, der Tochter Bjørnstjerne Bjørnsons, verheiratet. scheint sich noch immer nicht von dem Gedanken trennen zu können, dass ich ihm mit dem Ertrag meiner Arbeit die Kosten bezahlen soll, die ihm aus seinem speculativen SchurkenstreichDie Auflage des „Simplicissimus“ stieg von 26.000 im April 1898 zunächst auf 67.000 fünf Wochen nach der Konfiszierung. Im April 1899 betrug die Auflage 55.000, hatte sich also mehr als verdoppelt [vgl. Abret/Keel 1985, S. 28]. Wedekind behauptete wiederholt, Langen habe die Konfiszierung aus diesem Grund willentlich herbeigeführt [vgl. Abret 2005, S. 26f.]. erwachsen, mit dem er mich um meine StellungIm August 1898 war Wedekind von Georg J. Stollberg als Dramaturg und Schauspieler für das Münchner Schauspielhaus engagiert worden. Aufgrund seiner Flucht aus München am 30.10.1898 verlor er diese Stelle. betrogen und mich auf vier Monate in’s GefängnisAm 3.6.1899 stellte sich Wedekind in Leipzig der Polizei und kam in Untersuchungshaft, am 3.8.1899 wurde er wegen Majestätsbeleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, die er ab dem 21.9.1899 als Festungshaft auf der Festung Königstein antrat, wo er am 2.2.1900 entlassen wurde. und auf vier Monate auf die Festung gebracht hat. Ich würde Sie | mit dieser Angelegenheit nicht weiter behelligen, wenn mir nicht gestern Herr Dr. Max Halbe die Ansicht ausgesprochennicht überliefert. Vgl. Wedekinds Brief an Bjørnstjerne Bjørnson vom 28.9.1899. und mir gegenüber vertheidigt hätte, dass Sie von Ihrem Schwiegersohn Albert Langen pecuniär abhängig seien und pecuniäre Unterstützungen von ihm empfiengen. Herr Max Halbe steht mit niemandem in München in lebhafterem Verkehr als mit Korfiz Holm, dem hiesigen Vertreter Albert Langens. Deshalb gewinnt das Gerücht, das ich schon vor anderthalb Jahren in | München und vorher schon in Berlin gehört hatte und dem ich damals nicht den geringsten Glauben beimass, für mich ungemein an Bedeutung. Als Sie übrigens nach Langens perfider FluchtAlbert Langen floh noch vor Wedekind, unverzüglich nach der Beschlagnahme des Simplicissimus vom 25.10.1898, über Zürich und Rom nach Paris, wo er von Februar 1899 bis April 1903 lebte. fortfuhren, in der liebenswürdigsten Weise mit ihm zu correspondieren und er mir Ihre Briefenicht ermittelt. Langen und Wedekind sahen sich nach ihrer Flucht noch mehrmals in Zürich (November bis Dezember 1898) sowie in Paris (Februar bis Mai 1899), bei einer dieser Gelegenheiten könnte dies geschehen sein. zeigte, war ich nahe daran, in dem Gerüchte die volle Wahrheit zu erblicken. Wie das meine Art ist, stellte ich Albert Langen sofort zu rede und liess mir Ihre Vermögensverhältnisse von ihm aufs genaueste auseinandersetzen. Dadurch wurde mein Verdacht geh beseitigt. Wenn ich mich jetzt aber hier in München | über Langen’s speculativen Schurkenstreich beklage, dann muss ich mir von Leuten wie Max Halbe entgegnen lassen, dass bei Albert Langen an eine derartige Speculation gar nicht zu denken sei, da Langen mit seinem enormen Reichtum ja auch seinen Schwiegervater unterstütze. Wie es mit Langens Reichtum bestellt ist weiss ich; mir persönlich wäre aber der Gedanke, auch für Sie, Herr Bjoernson, im Gefängnis gesessen zu haben äusserst sympathisch; er würde mir die Erinnerung an jene Tage wesentlich verklären. Ich werde mir aber dieses Verdienst | auf keinen Fall beimessen, bevor ich es von Ihnen bestätigt erhalten habe. Dass Sie mir auf meine an Sie gerichteten Zeilen vom 20. Februarnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 20.2.1900. nicht geantwortet haben, finde ich begreiflich; der Brief war auch nicht darauf eingerichtet. Ich rechne aber des bestimmtesten darauf, auf diese Zeilen hier eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Sie haben mir unaufgefordert Ihren RatVgl. Wedekinds Briefe an Bjørnstjerne Bjørnson vom 28.9.1899 und an Beate Heine vom 27.7.1898. erteilt, bevor ich die Bekanntschaft des Gefängnisses gemacht hatte, die Ihrem Schwiegersohn glücklich erspart gebliebenAlbert Langen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Paris; er wurde im April 1903, gegen Zahlung eines Bezeigungsgeldes in Höhe von 20.000 Mark, begnadigt und kehrte daraufhin aus Paris nach Deutschland zurück [vgl. Abret/Keel 1985, S. 33-38]. ist; deshalb darf ich jetzt wol auch um | so mehr darauf rechnen, auf eine höflich gestellte Frage eine Antwort zu erhalten.

Hochachtungsvoll und ergebenst
Frank Wedekind.


München, den 13. März 1900.
Hotel Bamberger Hof


[Kuvert:]


Einschreiben.
Herrn Bjoernstjern Bjoernson
Aulestat.
Norwegen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 2 Doppelblatt. 6 Seiten beschrieben. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Kuvert. 1 Seite beschrieben. 13 x 10,5 cm.
Schreibraum:
Brief im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer Briefmarke von 40 Pfennig frankiert und mit einem Einschreibnummernzettel versehen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel: „12-1 Nm.“ (= 12-13 Uhr). Bei PKXP No. 44 und Nordbanernes handelt es sich um Bahnpoststempel (PKXP = Postkupéexpeditioner). Christiania war der damalige Name von Oslo. Faaberg liegt 12 km entfernt von Aulestad und dürfte das nächstliegende Postamt gewesen sein.

  • Schreibort

    München
    13. März 1900 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Zwischenstation

    PKXP No. 44
    16. März 1900 (Freitag)

  • Zwischenstation

    Christiania
    16. März 1900 (Freitag)

  • Zwischenstation

    Nordbanernes
    17. März 1900 (Samstag)

  • Empfangsort

    Aulestad
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
42f.
Briefnummer:
173
Kommentar:
Fritz Strich kürzte beide Male „Schurkenstreich“ zu „....streich“ [S. 42] und ließ die dritte Erwähnung Max Halbes fort [„von Leuten wie ....... entgegnen lassen“; ebd.]. Dies dürfte aus Rücksichtnahme auf lebende Personen geschehen sein.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 194
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 13.3.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Cordula Greinert

Zuletzt aktualisiert

05.03.2024 17:37