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Kennung: 2033

Wien, 20. Oktober 1890 (Montag), Brief

Autor*in

  • Lefler, Heinrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Wien 20/X 90


Lieber Herr Wedekind!

Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich, nachdem ich schon mit raschem Entschluß, ohne Ihnen ein Abschiedswort sagen zu können, abgefahren bin, nicht einmal von hier aus gleich das Versäumnis nachgeholt habe. Es würde wol jedem Andern gegenüber leicht als Geringschätzung ausgelegt werden können, Sie, lieber Herr Wedekind, habe ich ja aber so oft meiner wahren Hochachtung u. freundschaftlichen Dankbarkeit, für die | viele Anregung, die ich Ihnen schulde, versichert, daß ich ein solches Mißverstehen nicht zu befürchten habe. Sie können sich wol denken in welches unglaubliche Wirrsal ich mich hier hereingesetzt habe u. wie ich von meinen Umzugsgeschichten, meinen Besuchen, die nötig sind, um mich hier wieder einzuführen, von meinen Arbeitsrückständen, (von der Münchener Bummelzeit her) in Anspruch genommen wurde; rechnen Sie dann noch eine Portion Schreibfaulheit u. hinzu u. bedenken Sie die vielen geschäftlichen Briefe mit Anzeige der Wohnungsveränderung, so werden Sie mir wol gnädigst verzeihen. | Nun bin ich endlich so ziemlich in Ordnung, aber beileibe nicht heimisch. Dazu feltSchreibversehen, statt: fehlt. mir vor allem eine anregende Gesellschaft. Zudem sagt mir das anspruchsvolle, so arg auf die Betonung der Außenseite gewendete Wiener Leben noch gar wenig zu. Ich lebe infolge dessen recht ruhig u. „solid“. Das ist aber auch ganz gesund ‒ zum Mindesten für den Geldbeutel. Eine ganz närrische Sehnsucht packt mich aber zuweilen schon nach einem soliden Münchener „Sumpf“ u. einem gemütlichen Tratsch u. Disput u. ich kann Sie versichern daß kaum ein Abend vergeht, an dem ich nicht | an Sie denke.

Ja selbst unsere gute alte MühlbergerWedekinds Zimmerwirtin, die Kleidermacherin Anna Mühlberger [vgl. Anna Mühlberger an Wedekind, 14.8.1891], wohnte in der Akademiestraße 21 (Parterre links) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil II, S. 13]. Wedekind wohnte dem Meldebogen zufolge ab dem 20.7.1889 im 3. Stock der Akademiestraße 21, ab dem 19.5.1890 dort dann im Parterre zur Untermiete bei „Mühlberger“ [EWK/PMB Wedekind] (hat also anscheinend zwischen diesen Etagen gewechselt). Der in München studierende Maler Heinrich Lefler wohnte „in der gleichen Etage“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 143] wie Wedekind. u. die Höllenwirtschaft von Nummer 21das Leben im Haus Akademiestraße 21 [vgl. Anna Mühlberger an Wedekind, 14.8.1891]. geht mir recht ab. ‒ „Jessas, Jessas so solid!“ ‒ Das wird auf die Dauer schon ganz schrecklich!

Nun plag’ ich Sie aber nicht länger. Wenn Sie einmal recht Langeweile haben, so erfreuen Sie mich durch einige Zeilen u. vergessen Sie dann auch nicht ein Wort zu erwähnen über Ihre künstlerische Tätigkeit u. über die Schicksale Ihrer „Kinder u NarrenWedekind hatte sein Lustspiel „Kinder und Narren“ im Sommer 1890 zwei Berliner Bühnenvertrieben geschickt, die es aber beide abgelehnt hatten, „woraufhin Wedekind nun selbst versuchte, das Stück an einem Theater zu plazieren, indem er die retournierten Skripte etwa an das Münchner Hoftheater sandte“ [KSA 2, S. 630]..

Ich grüße Sie herzlichst. Vergessen Sie mich nichtWedekind hat auf der undatieren Namensliste auf der letzten Seite seines frühen Münchner Tagebuchs an erster Stelle „Heinrich Lefler, Maler Akademiestr. 21. III“ notiert (der Bekannte wohnte also im 3. Stock). ganz u. verfügen Sie jederzeit vollständig über mich u. meine Dienste.

Ihr
Heinrich Lefler


Wien. IV. Alleegasse 66Die Alleegasse 66 im Wiener Bezirk IV war die Adresse des Malers Franz Lefler [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1890, Teil III, S. 706], Heinrich Leflers Vater..


Grüßen Sie, bitte, Frau Mühlberger aufs Beste!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Wien
    20. Oktober 1890 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 100
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Heinrich Lefler an Frank Wedekind, 20.10.1890. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

05.06.2024 17:55
Kennung: 2033

Wien, 20. Oktober 1890 (Montag), Brief

Autor*in

  • Lefler, Heinrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Wien 20/X 90


Lieber Herr Wedekind!

Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich, nachdem ich schon mit raschem Entschluß, ohne Ihnen ein Abschiedswort sagen zu können, abgefahren bin, nicht einmal von hier aus gleich das Versäumnis nachgeholt habe. Es würde wol jedem Andern gegenüber leicht als Geringschätzung ausgelegt werden können, Sie, lieber Herr Wedekind, habe ich ja aber so oft meiner wahren Hochachtung u. freundschaftlichen Dankbarkeit, für die | viele Anregung, die ich Ihnen schulde, versichert, daß ich ein solches Mißverstehen nicht zu befürchten habe. Sie können sich wol denken in welches unglaubliche Wirrsal ich mich hier hereingesetzt habe u. wie ich von meinen Umzugsgeschichten, meinen Besuchen, die nötig sind, um mich hier wieder einzuführen, von meinen Arbeitsrückständen, (von der Münchener Bummelzeit her) in Anspruch genommen wurde; rechnen Sie dann noch eine Portion Schreibfaulheit u. hinzu u. bedenken Sie die vielen geschäftlichen Briefe mit Anzeige der Wohnungsveränderung, so werden Sie mir wol gnädigst verzeihen. | Nun bin ich endlich so ziemlich in Ordnung, aber beileibe nicht heimisch. Dazu feltSchreibversehen, statt: fehlt. mir vor allem eine anregende Gesellschaft. Zudem sagt mir das anspruchsvolle, so arg auf die Betonung der Außenseite gewendete Wiener Leben noch gar wenig zu. Ich lebe infolge dessen recht ruhig u. „solid“. Das ist aber auch ganz gesund ‒ zum Mindesten für den Geldbeutel. Eine ganz närrische Sehnsucht packt mich aber zuweilen schon nach einem soliden Münchener „Sumpf“ u. einem gemütlichen Tratsch u. Disput u. ich kann Sie versichern daß kaum ein Abend vergeht, an dem ich nicht | an Sie denke.

Ja selbst unsere gute alte MühlbergerWedekinds Zimmerwirtin, die Kleidermacherin Anna Mühlberger [vgl. Anna Mühlberger an Wedekind, 14.8.1891], wohnte in der Akademiestraße 21 (Parterre links) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil II, S. 13]. Wedekind wohnte dem Meldebogen zufolge ab dem 20.7.1889 im 3. Stock der Akademiestraße 21, ab dem 19.5.1890 dort dann im Parterre zur Untermiete bei „Mühlberger“ [EWK/PMB Wedekind] (hat also anscheinend zwischen diesen Etagen gewechselt). Der in München studierende Maler Heinrich Lefler wohnte „in der gleichen Etage“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 143] wie Wedekind. u. die Höllenwirtschaft von Nummer 21das Leben im Haus Akademiestraße 21 [vgl. Anna Mühlberger an Wedekind, 14.8.1891]. geht mir recht ab. ‒ „Jessas, Jessas so solid!“ ‒ Das wird auf die Dauer schon ganz schrecklich!

Nun plag’ ich Sie aber nicht länger. Wenn Sie einmal recht Langeweile haben, so erfreuen Sie mich durch einige Zeilen u. vergessen Sie dann auch nicht ein Wort zu erwähnen über Ihre künstlerische Tätigkeit u. über die Schicksale Ihrer „Kinder u NarrenWedekind hatte sein Lustspiel „Kinder und Narren“ im Sommer 1890 zwei Berliner Bühnenvertrieben geschickt, die es aber beide abgelehnt hatten, „woraufhin Wedekind nun selbst versuchte, das Stück an einem Theater zu plazieren, indem er die retournierten Skripte etwa an das Münchner Hoftheater sandte“ [KSA 2, S. 630]..

Ich grüße Sie herzlichst. Vergessen Sie mich nichtWedekind hat auf der undatieren Namensliste auf der letzten Seite seines frühen Münchner Tagebuchs an erster Stelle „Heinrich Lefler, Maler Akademiestr. 21. III“ notiert (der Bekannte wohnte also im 3. Stock). ganz u. verfügen Sie jederzeit vollständig über mich u. meine Dienste.

Ihr
Heinrich Lefler


Wien. IV. Alleegasse 66Die Alleegasse 66 im Wiener Bezirk IV war die Adresse des Malers Franz Lefler [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1890, Teil III, S. 706], Heinrich Leflers Vater..


Grüßen Sie, bitte, Frau Mühlberger aufs Beste!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Wien
    20. Oktober 1890 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 100
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Heinrich Lefler an Frank Wedekind, 20.10.1890. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

05.06.2024 17:55