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Kennung: 1887

Tölz, 29. Mai 1913 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Mann, Thomas

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

BAD TÖLZ, DEN 29.V.1913.
LANDHAUS THOMAS MANN.


Mein verehrter Herr Wedekind:

Sie haben mir mit Ihrem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Thomas Mann, 28.5.1913. eine wirkliche Freude gemacht, die mich für die Aergernisse der letzten Zeit entschädigt.

Sie hatten mich mißverstandenWedekind hat Thomas Mann die Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat übelgenommen., ‒ aber wer selber so wenig verstanden wird, ist nicht verpflichtet, andere zu verstehen.

Wenn ein bürgerlicher Einschlag in meine Produktion, in meine ganze Lebensstimmung und Lebenshaltung (ein Einschlag, der mich weder als Menschen noch als Künstler entehrt, denn | bei sehr großen Künstlern war er vorhanden) ‒ wenn, sage ich, dieser Einschlag den bürgerlichen Ordnungsmächten ein täppisches Vertrauen zu mir einflößte: warum sollte ich solches Vertrauen nicht benutzen, um zwischen Genie und Ordnung politisch zu vermitteln? Sie hat mich sehr amüsiert, diese Art, mich oeffentlich nützlich zu machen, und ich bilde mir ein, daß ich einen oder den anderen Erfolg dabei zu verzeichnen gehabt habe ... Einerlei. Da nur meine Demission als „PolizeiorganDas am 26.5.1913 von der Münchner Polizeidirektion beschlossene Verbot einer öffentlichen Aufführung der Tragödie „Lulu“ am Münchner Künstlertheater [vgl. KSA 3/II, S. 1292], das sich auf ein Mehrheitsvotum des Münchner Zensurbeirats stützte, nahm Thomas Mann zum Anlass, aus dem Zensurbeirat auszutreten [vgl. KSA 3/II, S. 1207], in dem er seit der Gründung im Frühjahr 1912 Mitglied war. Er erklärte dem Polizeipräsidenten Julius von der Heydte am 26.5.1913 seinen Austritt [vgl. Mayer 1982, S. 288]. Der Münchner Schutzverband Deutscher Schriftsteller stellte sich in seiner Mitgliederversammlung am 28.5.1913 „geschlossen hinter Wedekind.“ [KSA 3/II, S. 1207] Das hat Thomas Mann kommen sehen und Kurt Martens am 26.5.1913 geschrieben, dass er „zugleich“ seinen „Austritt aus dem Censur-Beirat und dem Schutzverbande erkläre. [...] Aus dem Censur-Beirat trete ich natürlich aus, weil ich mich nicht der liebenswürdigen Unterstellung aussetzen will, ich hätte mich gegen Geist, Freiheit und Kollegenschaft auf die Seite der Polizei gestellt.“ [Thomas Mann: Briefe 1889-1936. Hg. von Erika Mann. Frankfurt am Main 1961, S. 102f.] Thomas Mann war 1. Beisitzender des erst am 7.3.1913 konstituierten Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, Ortsgruppe München, gewesen (1. Vorsitzender: Karl Henckell, 2. Vorsitzender: Kurt Martens, Schriftführer: Hans Ludwig Held, Schatzmeister: Eugen Albu, 2. Beisitzende: Eva von Baudissin; Wedekind war Mitglied des Ehrenausschusses). mir Ihre Sympathie zurückgewinnen konnte, so will ich vergnügt sein, sie gegeben zu haben. Das Verbot Ihres größten WerkesThomas Mann hat in seiner Antwort auf das Schreiben des Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heydte an die Mitglieder des Zensurbeirats vom 25.4.1913 zur Begutachtung der „Lulu“-Tragödie [vgl. KSA 3/II, S. 1279], eine fünfaktige Fassung der Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“, die das Münchner Künstlertheater zeigen wollte (genehmigt wurde nur eine geschlossene Vorstellung, die am 29.5.1913 stattfand), die „Verantwortung“ auf sich genommen, nicht „zum Verbot der öffentlichen Aufführung zu raten.“ [KSA 3/II, S. 1280]. war | jedenfalls eine passende Gelegenheit dazu. Und von dem Odium dieses besonderen AmtesThomas Manns Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat. abgesehen, ‒ ganz ohne Amt ist mir schließlich am wohlsten.

Ihr ergebener
Thomas Mann.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 20,5 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Tölz
    29. Mai 1913 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Tölz
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe 1889‒1936

Autor:
Thomas Mann
Herausgeber:
Erika Mann
Verlag:
Frankfurt am Main: S. Fischer
Jahrgang:
1961
Seitenangabe:
103-104
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 110
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Thomas Mann an Frank Wedekind, 29.5.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.08.2024 16:59
Kennung: 1887

Tölz, 29. Mai 1913 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Mann, Thomas

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

BAD TÖLZ, DEN 29.V.1913.
LANDHAUS THOMAS MANN.


Mein verehrter Herr Wedekind:

Sie haben mir mit Ihrem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Thomas Mann, 28.5.1913. eine wirkliche Freude gemacht, die mich für die Aergernisse der letzten Zeit entschädigt.

Sie hatten mich mißverstandenWedekind hat Thomas Mann die Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat übelgenommen., ‒ aber wer selber so wenig verstanden wird, ist nicht verpflichtet, andere zu verstehen.

Wenn ein bürgerlicher Einschlag in meine Produktion, in meine ganze Lebensstimmung und Lebenshaltung (ein Einschlag, der mich weder als Menschen noch als Künstler entehrt, denn | bei sehr großen Künstlern war er vorhanden) ‒ wenn, sage ich, dieser Einschlag den bürgerlichen Ordnungsmächten ein täppisches Vertrauen zu mir einflößte: warum sollte ich solches Vertrauen nicht benutzen, um zwischen Genie und Ordnung politisch zu vermitteln? Sie hat mich sehr amüsiert, diese Art, mich oeffentlich nützlich zu machen, und ich bilde mir ein, daß ich einen oder den anderen Erfolg dabei zu verzeichnen gehabt habe ... Einerlei. Da nur meine Demission als „PolizeiorganDas am 26.5.1913 von der Münchner Polizeidirektion beschlossene Verbot einer öffentlichen Aufführung der Tragödie „Lulu“ am Münchner Künstlertheater [vgl. KSA 3/II, S. 1292], das sich auf ein Mehrheitsvotum des Münchner Zensurbeirats stützte, nahm Thomas Mann zum Anlass, aus dem Zensurbeirat auszutreten [vgl. KSA 3/II, S. 1207], in dem er seit der Gründung im Frühjahr 1912 Mitglied war. Er erklärte dem Polizeipräsidenten Julius von der Heydte am 26.5.1913 seinen Austritt [vgl. Mayer 1982, S. 288]. Der Münchner Schutzverband Deutscher Schriftsteller stellte sich in seiner Mitgliederversammlung am 28.5.1913 „geschlossen hinter Wedekind.“ [KSA 3/II, S. 1207] Das hat Thomas Mann kommen sehen und Kurt Martens am 26.5.1913 geschrieben, dass er „zugleich“ seinen „Austritt aus dem Censur-Beirat und dem Schutzverbande erkläre. [...] Aus dem Censur-Beirat trete ich natürlich aus, weil ich mich nicht der liebenswürdigen Unterstellung aussetzen will, ich hätte mich gegen Geist, Freiheit und Kollegenschaft auf die Seite der Polizei gestellt.“ [Thomas Mann: Briefe 1889-1936. Hg. von Erika Mann. Frankfurt am Main 1961, S. 102f.] Thomas Mann war 1. Beisitzender des erst am 7.3.1913 konstituierten Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, Ortsgruppe München, gewesen (1. Vorsitzender: Karl Henckell, 2. Vorsitzender: Kurt Martens, Schriftführer: Hans Ludwig Held, Schatzmeister: Eugen Albu, 2. Beisitzende: Eva von Baudissin; Wedekind war Mitglied des Ehrenausschusses). mir Ihre Sympathie zurückgewinnen konnte, so will ich vergnügt sein, sie gegeben zu haben. Das Verbot Ihres größten WerkesThomas Mann hat in seiner Antwort auf das Schreiben des Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heydte an die Mitglieder des Zensurbeirats vom 25.4.1913 zur Begutachtung der „Lulu“-Tragödie [vgl. KSA 3/II, S. 1279], eine fünfaktige Fassung der Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“, die das Münchner Künstlertheater zeigen wollte (genehmigt wurde nur eine geschlossene Vorstellung, die am 29.5.1913 stattfand), die „Verantwortung“ auf sich genommen, nicht „zum Verbot der öffentlichen Aufführung zu raten.“ [KSA 3/II, S. 1280]. war | jedenfalls eine passende Gelegenheit dazu. Und von dem Odium dieses besonderen AmtesThomas Manns Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat. abgesehen, ‒ ganz ohne Amt ist mir schließlich am wohlsten.

Ihr ergebener
Thomas Mann.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 20,5 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Tölz
    29. Mai 1913 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Tölz
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe 1889‒1936

Autor:
Thomas Mann
Herausgeber:
Erika Mann
Verlag:
Frankfurt am Main: S. Fischer
Jahrgang:
1961
Seitenangabe:
103-104
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 110
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Thomas Mann an Frank Wedekind, 29.5.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.08.2024 16:59