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Kennung: 1854

München, 12. November 1910 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Eulenberg, Herbert

Inhalt

[1. Entwurf:]


Sehr geehrter Herr EulenbergDr. jur. Herbert Eulenberg lebte als Schriftsteller in Kaiserswerth bei Düsseldorf (Haus Freiheit) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1911, Teil II, Sp. 391] und hielt sich gerade in München auf (siehe unten)..

Gestern bekam ich Ihren SchillervortragHerbert Eulenbergs Festvortrag „Schiller eine Rede zu seinen Ehren“, den er am 10.11.1910 zum Abschluss des Schillerjahres (150 Jahre Friedrich Schiller) auf Einladung des Leipziger Schiller-Vereins gehalten hatte und der gleichzeitig im Ernst Rowohlt Verlag (Leipzig) erschienen war. In einer ironisch provokanten Rede, die das Publikum im voll besetzten neuen Stadttheater Leipzig im Urteil spaltete, „zerpflückte“ Herbert Eulenberg, wie ein Rezensent schrieb, in beschämender Weise die „armselige, sehnende, bangende Irdischkeit“ und „die ‚moralisierende‘ Kunst“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 104, Nr. 311, 11.11.1910, S. (2f.)] Schillers, der als „Menschheitsdichter immer modern im guten Sinne bleiben“ [Herbert Eulenberg: Schiller eine Rede zu seinen Ehren. Leipzig 1910, S. 25f.] werde. zu gesandtvgl. Ernst Rowohlt an Wedekind, 10.11.1910. und habe ihn sofort an den Verleger zurückgeschicktvgl. Wedekind an Ernst Rowohlt, 12.11.1910.. Daß ich das nur mit gro/ö/ßer/ter/ Überwindung that brauche ich Ihnen wol nicht zu versichern. Die Herren, mit denen Sie gestern Abendam 11.11.1910 in der Torggelstube, wie Wedekind notierte: „TSt mit Eulenberg [...] Maaß Mühsam e.ct“ [Tb]. zusammen waren, Dr. Blei und Dr. Martens können Ihnen bestätigen, daß es sich für mich dabei um die Wahrung der allernächstliegenden, aller selbstverständlichsten zwingendsten Interessen handelt, die ein Mensch in unserer Stellung überhaupt im Leben zu wahren hat. Ich handle aus reiner, mir aufgedrungener Notwehr, wenn ich alle Werke als nicht existierend betrachte, die dieser hundgemeine für die nächstliegenden Anstandspflichten unzugängliche ScheißkerlDie Rückgabe der Wedekind abhanden gekommenen und von Ernst Rowohlt aufgekauften Manuskripte hatte der Leipziger Verleger an die Bedingung geknüpft, Abschriften der intimen Tagebücher 10 Jahre nach Wedekinds Tod veröffentlichen zu dürfen., als den sich dieser Ernst Rowohlt seit einem Jahr fortgesetzt mir gegenüber erweist, in seinem Verlag erscheinen läßt. Mit diesen | Zeilen möchte ich Sie nur innigst darum bitten, hinter meiner Handlungsweise nicht die geringsten persönlichen Motive zu vermuten. Glauben Sie mir bitte daß ich nicht leichten Herzens darauf verzichtete, den Schillervortrag eines Dichters zu lesen, dem ich bis die freudigsten StundenWedekind würdigte den Dramatiker Herbert Eulenberg im Glossarium „Schauspielkunst“ (1910) mit Beiträgen zu dessen Trauerspiel „Leidenschaft“ (1901) und zum Drama „Der natürliche Vater“ (1909) [vgl. KSA 5/II, S. 369f., 372f.]. verdanke, die mir die deutsche Literatur seit zwanzig Jahren bereitet hat. Dafür kann ich Sie/Ih/nen versichern, daß Sie in meiner Lage dieser Dreckseele gegenüber nicht um ein Haar anders handeln könnten und würden und könnten, als wie ich zu handeln gezwungen bin. Ich kann Sie nicht dazu beglückwünschen, Ihre künstlerische Produktion den Händen eines solchen Rowdies allergemeinster Sorte überantwortet zu haben.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr ergeber/n/er
Fr W.


[2. Abgesandter Brief:]


Sehr geehrter Herr Eulenberg!

Gestern bekam ich Ihren Schillervortrag zugesandt und habe ihn sofort an den Verleger zurückgeschickt. Daß ich das nur mit größter Überwindung that, brauche ich Ihnen wol nicht zu versichern. Die Herren, mit denen Sie gestern Abend zusammen waren, Dr. Martens und Dr. Blei können | Ihnen bestätigen, daß es sich für mich dabei um die Wahrung der allernächstliegenden, selbstverständlichsten und zwingendsten Interessen handelt, die ein Mensch in unserer Stellung überhaupt im Leben zu wahren hat. Ich handle aus reiner, mir aufgedrungener Notwehr, wen++/n/ ich alle Werke als nichtexistierend betrachte, die dieser hundsgemeine Saukerl, als den sich dieser Ernst Rowohlt seit einem Jahr fortgesetzt mir gegenüber erweist, in seinem | Verlag erscheinen läßt. Mit diesen Zeilen möchte ich Sie nur innigst darum bitten, hinter meiner Handlungsweise nicht die geringsten persönlichen Motive zu vermuten. Glauben Sie mir bitte, daß ich nicht leichten Herzens darauf verzichtete, den Schillervortrag eines Dichters zu lesen, dem ich die freudigsten Stunden verdanke, die mir die deutsche Literatur seit zwanzig Jahren bereitet hat. Dafür kann ich Ihnen versichern, daß Sie in meinem Falle dieser, für die nächstliegenden Anstandspflichten unzugänglichen Dreckseele gegenüber nicht um | ein Haar anders handeln würden und könnten, als wie ich zu handeln gezwungen bin. Ich kann Sie nicht dazu beglückwünschen, Ihre künstlerische Produktion den Händen eines solche Rowdies allergemeinster Sorte überantwortet zu haben.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


München Prinzregentenstraße 50

12. November 1910Wdekind hat den Brief am 12.11.1910 notiert: „Brief an Eulenberg“ [Tb]..


Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Schrift: Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
1. Briefentwurf: Bleistift. 2. Abgesandter Brief: Feder. Tinte.
Schriftträger:
1. Briefentwurf: Liniertes Papier. Ringbuchblätter. 9 x 14,5 cm. 2 Blatt. 2 Seiten beschrieben. 2. Abgesandter Brief: Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm. 4 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Briefentwurf befindet sich in der Aargauischen Kantonsbibliothek [Wedekind-Archiv B, Nr. 171], der wir für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks danken. Auf der ersten Seite des abgesandten Briefes [Mü] finden sich am oberen Rand drei Notizen in fremder Hand mit Bleistift geschrieben. Oben zentriert: „Eingeschr. Brief!“ Links, dreizeilig: „Kam gestern Abend erst in meine Hände!“ Rechts, zweizeilig: „Bitte noch aufzubewahren!“

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    12. November 1910 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 2934
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Herbert Eulenberg, 12.11.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

02.10.2024 10:44
Kennung: 1854

München, 12. November 1910 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Eulenberg, Herbert
 
 

Inhalt

[1. Entwurf:]


Sehr geehrter Herr EulenbergDr. jur. Herbert Eulenberg lebte als Schriftsteller in Kaiserswerth bei Düsseldorf (Haus Freiheit) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1911, Teil II, Sp. 391] und hielt sich gerade in München auf (siehe unten)..

Gestern bekam ich Ihren SchillervortragHerbert Eulenbergs Festvortrag „Schiller eine Rede zu seinen Ehren“, den er am 10.11.1910 zum Abschluss des Schillerjahres (150 Jahre Friedrich Schiller) auf Einladung des Leipziger Schiller-Vereins gehalten hatte und der gleichzeitig im Ernst Rowohlt Verlag (Leipzig) erschienen war. In einer ironisch provokanten Rede, die das Publikum im voll besetzten neuen Stadttheater Leipzig im Urteil spaltete, „zerpflückte“ Herbert Eulenberg, wie ein Rezensent schrieb, in beschämender Weise die „armselige, sehnende, bangende Irdischkeit“ und „die ‚moralisierende‘ Kunst“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 104, Nr. 311, 11.11.1910, S. (2f.)] Schillers, der als „Menschheitsdichter immer modern im guten Sinne bleiben“ [Herbert Eulenberg: Schiller eine Rede zu seinen Ehren. Leipzig 1910, S. 25f.] werde. zu gesandtvgl. Ernst Rowohlt an Wedekind, 10.11.1910. und habe ihn sofort an den Verleger zurückgeschicktvgl. Wedekind an Ernst Rowohlt, 12.11.1910.. Daß ich das nur mit gro/ö/ßer/ter/ Überwindung that brauche ich Ihnen wol nicht zu versichern. Die Herren, mit denen Sie gestern Abendam 11.11.1910 in der Torggelstube, wie Wedekind notierte: „TSt mit Eulenberg [...] Maaß Mühsam e.ct“ [Tb]. zusammen waren, Dr. Blei und Dr. Martens können Ihnen bestätigen, daß es sich für mich dabei um die Wahrung der allernächstliegenden, aller selbstverständlichsten zwingendsten Interessen handelt, die ein Mensch in unserer Stellung überhaupt im Leben zu wahren hat. Ich handle aus reiner, mir aufgedrungener Notwehr, wenn ich alle Werke als nicht existierend betrachte, die dieser hundgemeine für die nächstliegenden Anstandspflichten unzugängliche ScheißkerlDie Rückgabe der Wedekind abhanden gekommenen und von Ernst Rowohlt aufgekauften Manuskripte hatte der Leipziger Verleger an die Bedingung geknüpft, Abschriften der intimen Tagebücher 10 Jahre nach Wedekinds Tod veröffentlichen zu dürfen., als den sich dieser Ernst Rowohlt seit einem Jahr fortgesetzt mir gegenüber erweist, in seinem Verlag erscheinen läßt. Mit diesen | Zeilen möchte ich Sie nur innigst darum bitten, hinter meiner Handlungsweise nicht die geringsten persönlichen Motive zu vermuten. Glauben Sie mir bitte daß ich nicht leichten Herzens darauf verzichtete, den Schillervortrag eines Dichters zu lesen, dem ich bis die freudigsten StundenWedekind würdigte den Dramatiker Herbert Eulenberg im Glossarium „Schauspielkunst“ (1910) mit Beiträgen zu dessen Trauerspiel „Leidenschaft“ (1901) und zum Drama „Der natürliche Vater“ (1909) [vgl. KSA 5/II, S. 369f., 372f.]. verdanke, die mir die deutsche Literatur seit zwanzig Jahren bereitet hat. Dafür kann ich Sie/Ih/nen versichern, daß Sie in meiner Lage dieser Dreckseele gegenüber nicht um ein Haar anders handeln könnten und würden und könnten, als wie ich zu handeln gezwungen bin. Ich kann Sie nicht dazu beglückwünschen, Ihre künstlerische Produktion den Händen eines solchen Rowdies allergemeinster Sorte überantwortet zu haben.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr ergeber/n/er
Fr W.


[2. Abgesandter Brief:]


Sehr geehrter Herr Eulenberg!

Gestern bekam ich Ihren Schillervortrag zugesandt und habe ihn sofort an den Verleger zurückgeschickt. Daß ich das nur mit größter Überwindung that, brauche ich Ihnen wol nicht zu versichern. Die Herren, mit denen Sie gestern Abend zusammen waren, Dr. Martens und Dr. Blei können | Ihnen bestätigen, daß es sich für mich dabei um die Wahrung der allernächstliegenden, selbstverständlichsten und zwingendsten Interessen handelt, die ein Mensch in unserer Stellung überhaupt im Leben zu wahren hat. Ich handle aus reiner, mir aufgedrungener Notwehr, wen++/n/ ich alle Werke als nichtexistierend betrachte, die dieser hundsgemeine Saukerl, als den sich dieser Ernst Rowohlt seit einem Jahr fortgesetzt mir gegenüber erweist, in seinem | Verlag erscheinen läßt. Mit diesen Zeilen möchte ich Sie nur innigst darum bitten, hinter meiner Handlungsweise nicht die geringsten persönlichen Motive zu vermuten. Glauben Sie mir bitte, daß ich nicht leichten Herzens darauf verzichtete, den Schillervortrag eines Dichters zu lesen, dem ich die freudigsten Stunden verdanke, die mir die deutsche Literatur seit zwanzig Jahren bereitet hat. Dafür kann ich Ihnen versichern, daß Sie in meinem Falle dieser, für die nächstliegenden Anstandspflichten unzugänglichen Dreckseele gegenüber nicht um | ein Haar anders handeln würden und könnten, als wie ich zu handeln gezwungen bin. Ich kann Sie nicht dazu beglückwünschen, Ihre künstlerische Produktion den Händen eines solche Rowdies allergemeinster Sorte überantwortet zu haben.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


München Prinzregentenstraße 50

12. November 1910Wdekind hat den Brief am 12.11.1910 notiert: „Brief an Eulenberg“ [Tb]..


Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Schrift: Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
1. Briefentwurf: Bleistift. 2. Abgesandter Brief: Feder. Tinte.
Schriftträger:
1. Briefentwurf: Liniertes Papier. Ringbuchblätter. 9 x 14,5 cm. 2 Blatt. 2 Seiten beschrieben. 2. Abgesandter Brief: Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm. 4 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Briefentwurf befindet sich in der Aargauischen Kantonsbibliothek [Wedekind-Archiv B, Nr. 171], der wir für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks danken. Auf der ersten Seite des abgesandten Briefes [Mü] finden sich am oberen Rand drei Notizen in fremder Hand mit Bleistift geschrieben. Oben zentriert: „Eingeschr. Brief!“ Links, dreizeilig: „Kam gestern Abend erst in meine Hände!“ Rechts, zweizeilig: „Bitte noch aufzubewahren!“

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    12. November 1910 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 2934
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Herbert Eulenberg, 12.11.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

02.10.2024 10:44