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Kennung: 1792

München, 17. September 1901 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Bahr, Hermann

Inhalt

FRANK WEDEKIND.


Sehr geehrter Herr BahrHermann Bahr, Schriftsteller in Wien (XIII, Veitlissengasse 5a) und seinerzeit Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatt“ (Redaktion: Wien I, Steyrerhof 3) [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1902, Teil VII, S. 33].,

erlauben Sie mir Ihnen für die ZeilenIm „Neuen Wiener Tagblatt“ war wenige Tage zuvor eine groß angelegte Gesamtwürdigung Wedekinds von Hermann Bahr erschienen, die auf der Grundlage der gedruckt vorliegenden Texte „Frühlings Erwachen“, „Die Fürstin Russalka“ (Sammelband), „Der Erdgeist“, „Der Kammersänger“, „Die junge Welt“, „Der Liebestrank“ und „Marquis von Keith“ argumentiert, näher aber nur auf die Erzählung „Die Liebe auf den ersten Blick“ im Sammelband „Die Fürstin Russalka“ eingeht, sich mit der bisherigen Kritik mit Wedekind auseinandersetzt und für dessen Autorprofil Idealismus ‚gegen den Strich‘ konstatiert: „Stark ausgedrückt: Wedekind ist der Unmensch unter uns, der sich sehnt, menschlich zu werden; er läßt uns das Chaos erblicken. Oder einfacher: er ist der Idealist à rebours, der uns das Ideal nicht flehentlich aufschmeicheln will, sondern es uns entzieht, daß wir wie Ertrinkende danach greifen.“ [Hermann Bahr: Frank Wedekind. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 35, Nr. 249, 11.9.1901, S. 1-2, hier S. 1] im N. Wiener Tageblatt, in denen ich so unvergleichSchreibversehen, statt: unvergleichlich. viel mehr als eine ruhige, unparteiische Würdigung lese, meinen herzlichsten Dank zu sagen. Sie können schwerlich selber vollkommen ermessen, einen wie großen und schönen Dienst Sie | mir mit der Besprechung leisten. Die Deutsche Bühne, auf der hundert und hundert Geister mit jedem Gedanken, den sie produzieren ohne große Schwierigkeiten zu Wort kommen, ist mir bis jetzt noch so gut wie verschlossen. Obschon die Aufführung meines KammersängersWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ (1899), uraufgeführt am 10.12.1899 im Rahmen der Eröffnungsmatinee der Sezessionsbühne am Neuen Theater in Berlin, war „das zu Lebzeiten des Autors meistinszenierte Stück“ [KSA 4, S. 394] von ihm. Das Stück hat zuletzt am 31.8.1901 am Residenztheater in Berlin Premiere gehabt, eine Inszenierung, bei der Wedekind am 7.9.1901 die Hauptrolle übernahm [vgl. KSA 4, S. 400]. Hermann Bahr ist in seinem Aufsatz (siehe oben) nicht auf den „Kammersänger“ eingegangen., des schwerfälligsten und bühnen-unfähigsten meiner Stücke kein Mißerfolg war, stoße ich heute bei sämmtlichen Bühnen bei denen ich mich um eine Darstellung meines | MarquisWann die Uraufführung des „Marquis von Keith“ (1901), die lange in Aussicht stand und schließlich am 11.10.1901 „im Rahmen eines Literarischen Abends des Berliner Residenztheaters“ [KSA 4, S. 533] realisiert wurde, endlich stattfinden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Hermann Bahr ist in seinem Aufsatz (siehe oben) nur beiläufig auf das Stück zu sprechen gekommen: „Aber ich empfinde zu stark, was in Wedekind drängt, um es verschweigen zu dürfen. Der banale ‚Uebermensch‘, der die verlotterte Phantasie unserer jungen Leute bethört, diese ‚Kreuzung von Philosoph und Pferdedieb‘, wie er seinen Marquis von Keith sagen läßt, macht ihn so rabiat, daß er in diesem Zorn einen anderen Menschen der Zukunft entwerfen wird, so sicher, so selbstbeherrscht und so milde, als jener wirr und wüst ist.“ [Hermann Bahr: Frank Wedekind. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 35, Nr. 249, 11.9.1901, S. 2] Hermann Bahr ging auch in seiner Antwort auf den vorliegenden Brief auf die Titelfigur ein [vgl. Hermann Bahr an Wedekind, 20.9.1901]. v. Keith bewerbe wieder auf Schwierigkeiten, wie sie sonst nur der aller-unbekannteste Anfänger zu überwinden hat. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß mich Ihre Besprechung nicht größenwahnsinnig machen wird; ich bin froh, daß ich persönlich nicht jedes Wort, das Sie über mich sagen, zu verantworten habe, bin aber zugleich stolz darauf, daß ich für Sie die Veranlassung war, eines der glänzendsten Feuilletons zu schreiben, die ich je gelesen habe. Ich hoffe sehr, daß mir über kurz | oder lang Gelegenheit geboten wird, Ihre persönliche BekanntschaftWedekind hat Hermann Bahr am 16.11.1901 in Wien kennengelernt, bei der Generalprobe zum Eröffnungsabend seines Gastspiels mit dem Jung-Wiener Theater Zum lieben Augustin im Theater an der Wien, bei der außer Hermann Bahr, der Sängerin Mary Halton und dem Schauspieler Richard Metzl (oder war es die Schauspielerin Ottilie Metzl, die spätere Ehefrau Felix Saltens?) auch Arthur Schnitzler anwesend war, wie dieser notierte: „Generalprobe des Jung Wiener Theaters. ‒Miss Halton; Wedekind, Bahr, Metzl.“ [Tb Schnitzler] zu machen. Wollen Sie bitte heute schon den Ausdruck langjähriger Verehrung, die ich für Sie hege, und die Versicherung uneingeschränkter Hochschätzung engegennehmenSchreibversehen, statt: entgegennehmen..

Mit ergebenstem Gruß
Ihr
Frank Wedekind.


München, 17. Sept. 1901.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12 x 18,5 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    17. September 1901 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
80-81
Briefnummer:
195
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

KHM-Museumsverband – Theatermuseum Wien

Lobkowitzplatz 2
A-1010 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Theatermuseum Wien
Signatur des Dokuments:
AM25148Ba
Standort:
KHM-Museumsverband – Theatermuseum Wien (Wien)

Danksagung

Wir danken dem KHM-Museumsverband – Theatermuseum (Wien) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Hermann Bahr, 17.9.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.09.2024 15:15
Kennung: 1792

München, 17. September 1901 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Bahr, Hermann
 
 

Inhalt

FRANK WEDEKIND.


Sehr geehrter Herr BahrHermann Bahr, Schriftsteller in Wien (XIII, Veitlissengasse 5a) und seinerzeit Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatt“ (Redaktion: Wien I, Steyrerhof 3) [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1902, Teil VII, S. 33].,

erlauben Sie mir Ihnen für die ZeilenIm „Neuen Wiener Tagblatt“ war wenige Tage zuvor eine groß angelegte Gesamtwürdigung Wedekinds von Hermann Bahr erschienen, die auf der Grundlage der gedruckt vorliegenden Texte „Frühlings Erwachen“, „Die Fürstin Russalka“ (Sammelband), „Der Erdgeist“, „Der Kammersänger“, „Die junge Welt“, „Der Liebestrank“ und „Marquis von Keith“ argumentiert, näher aber nur auf die Erzählung „Die Liebe auf den ersten Blick“ im Sammelband „Die Fürstin Russalka“ eingeht, sich mit der bisherigen Kritik mit Wedekind auseinandersetzt und für dessen Autorprofil Idealismus ‚gegen den Strich‘ konstatiert: „Stark ausgedrückt: Wedekind ist der Unmensch unter uns, der sich sehnt, menschlich zu werden; er läßt uns das Chaos erblicken. Oder einfacher: er ist der Idealist à rebours, der uns das Ideal nicht flehentlich aufschmeicheln will, sondern es uns entzieht, daß wir wie Ertrinkende danach greifen.“ [Hermann Bahr: Frank Wedekind. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 35, Nr. 249, 11.9.1901, S. 1-2, hier S. 1] im N. Wiener Tageblatt, in denen ich so unvergleichSchreibversehen, statt: unvergleichlich. viel mehr als eine ruhige, unparteiische Würdigung lese, meinen herzlichsten Dank zu sagen. Sie können schwerlich selber vollkommen ermessen, einen wie großen und schönen Dienst Sie | mir mit der Besprechung leisten. Die Deutsche Bühne, auf der hundert und hundert Geister mit jedem Gedanken, den sie produzieren ohne große Schwierigkeiten zu Wort kommen, ist mir bis jetzt noch so gut wie verschlossen. Obschon die Aufführung meines KammersängersWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ (1899), uraufgeführt am 10.12.1899 im Rahmen der Eröffnungsmatinee der Sezessionsbühne am Neuen Theater in Berlin, war „das zu Lebzeiten des Autors meistinszenierte Stück“ [KSA 4, S. 394] von ihm. Das Stück hat zuletzt am 31.8.1901 am Residenztheater in Berlin Premiere gehabt, eine Inszenierung, bei der Wedekind am 7.9.1901 die Hauptrolle übernahm [vgl. KSA 4, S. 400]. Hermann Bahr ist in seinem Aufsatz (siehe oben) nicht auf den „Kammersänger“ eingegangen., des schwerfälligsten und bühnen-unfähigsten meiner Stücke kein Mißerfolg war, stoße ich heute bei sämmtlichen Bühnen bei denen ich mich um eine Darstellung meines | MarquisWann die Uraufführung des „Marquis von Keith“ (1901), die lange in Aussicht stand und schließlich am 11.10.1901 „im Rahmen eines Literarischen Abends des Berliner Residenztheaters“ [KSA 4, S. 533] realisiert wurde, endlich stattfinden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Hermann Bahr ist in seinem Aufsatz (siehe oben) nur beiläufig auf das Stück zu sprechen gekommen: „Aber ich empfinde zu stark, was in Wedekind drängt, um es verschweigen zu dürfen. Der banale ‚Uebermensch‘, der die verlotterte Phantasie unserer jungen Leute bethört, diese ‚Kreuzung von Philosoph und Pferdedieb‘, wie er seinen Marquis von Keith sagen läßt, macht ihn so rabiat, daß er in diesem Zorn einen anderen Menschen der Zukunft entwerfen wird, so sicher, so selbstbeherrscht und so milde, als jener wirr und wüst ist.“ [Hermann Bahr: Frank Wedekind. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 35, Nr. 249, 11.9.1901, S. 2] Hermann Bahr ging auch in seiner Antwort auf den vorliegenden Brief auf die Titelfigur ein [vgl. Hermann Bahr an Wedekind, 20.9.1901]. v. Keith bewerbe wieder auf Schwierigkeiten, wie sie sonst nur der aller-unbekannteste Anfänger zu überwinden hat. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß mich Ihre Besprechung nicht größenwahnsinnig machen wird; ich bin froh, daß ich persönlich nicht jedes Wort, das Sie über mich sagen, zu verantworten habe, bin aber zugleich stolz darauf, daß ich für Sie die Veranlassung war, eines der glänzendsten Feuilletons zu schreiben, die ich je gelesen habe. Ich hoffe sehr, daß mir über kurz | oder lang Gelegenheit geboten wird, Ihre persönliche BekanntschaftWedekind hat Hermann Bahr am 16.11.1901 in Wien kennengelernt, bei der Generalprobe zum Eröffnungsabend seines Gastspiels mit dem Jung-Wiener Theater Zum lieben Augustin im Theater an der Wien, bei der außer Hermann Bahr, der Sängerin Mary Halton und dem Schauspieler Richard Metzl (oder war es die Schauspielerin Ottilie Metzl, die spätere Ehefrau Felix Saltens?) auch Arthur Schnitzler anwesend war, wie dieser notierte: „Generalprobe des Jung Wiener Theaters. ‒Miss Halton; Wedekind, Bahr, Metzl.“ [Tb Schnitzler] zu machen. Wollen Sie bitte heute schon den Ausdruck langjähriger Verehrung, die ich für Sie hege, und die Versicherung uneingeschränkter Hochschätzung engegennehmenSchreibversehen, statt: entgegennehmen..

Mit ergebenstem Gruß
Ihr
Frank Wedekind.


München, 17. Sept. 1901.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12 x 18,5 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    17. September 1901 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
80-81
Briefnummer:
195
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

KHM-Museumsverband – Theatermuseum Wien

Lobkowitzplatz 2
A-1010 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Theatermuseum Wien
Signatur des Dokuments:
AM25148Ba
Standort:
KHM-Museumsverband – Theatermuseum Wien (Wien)

Danksagung

Wir danken dem KHM-Museumsverband – Theatermuseum (Wien) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Hermann Bahr, 17.9.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.09.2024 15:15