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Kennung: 1628

München, 30. September 1912 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Geller, Oskar

Inhalt

[1. Briefentwurf:]


Sehr geehrter Herr Geller!

Erlauben Sie mir, zuerst die dritte letzte Ihrer drei FragenDie Fragen sind in Oskar Gellers Vorbemerkung zur Umfrage „Der kommende Mann“ abgedruckt: „I. Wen empfehlen Sie als Freiherr von Speidels Nachfolger? / II. Welche Anforderungen nach künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? / III. Würden Sie für München die Befolgung des Wiener Prinzips befolgen, wonach dem Intendanten nur die Pflicht der Repräsentation überlassen bleibt, während das Schauspiel und die Oper berufenen Fachmännern als verantwortlichen Direktoren unterstellt würde?“ [Zeit im Bild, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1193] in Betracht Erwägung zu ziehen. Ein IntendantNachfolger des anfangs umstrittenen, dann aber als aufgeschlossen geschätzten Generalintendanten des Münchner Hoftheaters (dazu gehörten auch das Residenztheater und das Prinzregentheater) Albert von Speidel [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 550], der das Amt am 1.10.1905 angetreten hatte [vgl. Alfred von Mensi: Albert Freiherr v. Speidel †. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 115, Nr. 36, 7.9.1912, S. 643], wurde Clemens von Franckenstein [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 549], ernannt am 1.10.1912. mit zwei fachmännischen Direktorenzunächst in die Zeile darunter mit Einweisungszeichen umgestellt („Oper Direktoren unter sich“), die Umstellung dann mit Bleistift wieder gestrichen. unter sich scheint mir für Schauspiel und Oper unter sich scheint mir unter allen Umständen die be wünschenswerth schon aus dem einen Grunde da ein Mann von wirklicher reeller Fachkenntnis ja doch nicht Intendant werden kann. Welcher Persönlichkeit der Intendantenposten zufällt scheint mir dabei von geringerer Bedeutung zu sein. Je weniger RückgradSchreibversehen, statt: Rückgrat. die Persönlichkeit besitzt um so länger wird sie sich im Amte halten. Je stärker ihr RückgradSchreibversehen, statt: Rückgrat. ist desto früher wird sie an einer Gallenstein-OperationAnspielung auf den verstorbenen Hoftheaterintendanten Albert von Speidel; er verstarb im Alter von 54 Jahren am 1.9.1912 an den Folgen einer Gallensteinoperation, der er sich am 19.8.1912 unterzogen hatte, wie Wedekind in der Presse lesen konnte: „Wie wir zu unserem lebhaften Bedauern hören, hat sich im Befinden des Herrn Generalintendanten Baron v. Speidel [...] bisher keine wesentliche Besserung gezeigt. Baron v. Speidel [...] begibt sich im Laufe des heutigen Nachmittags in die Klinik von Hofrat Dr. Krecke und wird sich dort morgen früh einer Gallenstein-Operation unterziehen.“ [Erkrankung des Generalintendanten Baron Speidel. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 65, Nr. 421, 20.8.1912, Vorabendblatt, S. 2] Erich Mühsam notierte am 2.9.1912 zur kulturpolitischen Brisanz des Todesfalls: „Gestern starb der Generalintendant des Hoftheaters Freiherr v. Speidel. Seine Krankheit war in der Torggelstube längst allgemeines besorgtes Gesprächsthema, und mich hat kaum je die Krankheit eines Fremden so aufgeregt wie diese. Sein Tod läßt für den Münchner Theaterbetrieb das Schlimmste befürchten. Bei der klerikalen Strömung, die jetzt in Bayern vorherrscht, kommt womöglich irgend ein stramm kirchlich gesinnter Mann an den Posten – und dann ists aus. Dann erleben wir den Fortgang Steinrücks, und es wird eine grenzenlose Öde im Repertoire sein.“ [Tb Mühsam] Wedekind dürfte sich an diesen Diskussionen in der Torggelstube beteiligt haben – er war dort nachweislich am 5.9.1912 (ebenso Albert Steinrück und Erich Mühsam), 7.9.1912 und 21.9.1912 [vgl. Tb]; er betrieb am 18.9.1912 „Hoftheaterdiplomatie mit Steinrück“ [Tb], unmittelbar auf die Frage nach der Nachfolge Albert von Speidels am Hoftheater anspielend. sterben zum Opfer fallen. Ein beneidenswerter Posten ist es auf keinen Fall. Deshalb möchte ich auch niemanden als die für diese Stellung geeignetste Persönlichkeit namhaft machen.

Was nun den Schauspieldirektor betrifft, so scheint mir nur einer Mann in Frage zu kommen dessen künstlerischen Stempel das Münchner Hofschauspiel tatsächlich und zu seinem größten inneren und äußeren und inneren Vorteil seit drei Jahren trägt. Der Mann ist | Albert Steinrück. Der einzige Nachtheil den seine Ernennung zur Folge hätte wäre wohl der, daß sich Steinrück durch die Aufgaben des Direktors in seiner Thätigkeit als Schauspieler beschränkt fühlen könnte. Bei der bewundernswürdigen Arbeitskraft dieses Künstlers scheint mir aber diese eine solche Gefahr aber kaum in Betracht zu kommen.

Auf IhreDiesen Absatz, der nach dem folgenden Absatz („Über die Wahl“) geschrieben ist, hat Wedekind mit Einweisungszeichen an diese Stelle umgestellt. zweite Frage: Welche Ansprüche in künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? habe ich daher nur die Antwort: Ernennen Sie Albert Steinrück zum SchauspieldirektorWedekind betrieb am 18.9.1912 „Hoftheaterdiplomatie mit Steinrück“ [Tb], den er im vorliegenden Brief als Nachfolger Albert von Speidels in der Funktion des Schauspieldirektors vorschlägt; außer ihm hat unter den Beiträgern von Oskar Gellers Umfrage (siehe unten) Heinrich Mann ebenfalls Albert Steinrück vorgeschlagen, Schauspieler und Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 551f.].!

Über die Wahl eines OperndirektorsGeneralmusikdirektor blieb zunächst Franz Fischer [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 553; Neuer Theater-Almanach 1913, S. 549]. Im Gespräch war allerdings der Dirigent Bruno Walter, der „von Baron Speidel die Kompetenzen eines Hofoperndirektors zugesichert bekommen“ [Der neue Hoftheaterintendant. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 65, Nr. 591, 1.10.1912, Morgenblatt, S. 2] hatte und die Operndirektion in München dann übernahm [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 559]. muß ich mich einer Äußerung enthalten, da mir auf diesem Gebiet jede Sachkenntnis fehlt.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung
Ihr ergebener
FrW.


P.S. In den Abdruck dieser Äußerung kann ich natürlich nur unter der Bedingung einwilligen daß er unverändert erfolgt.


[2. Druck in „Zeit im Bild“:]


Sehr geehrter Herr Geller!

Erlauben Sie mir, zuerst die letzte Ihrer drei FragenDie Umfrage [vgl. Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller. In: Zeit im Bild. Moderne illustrierte Wochenschrift, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1193-1196] enthält (in dieser Reihenfolge) Antworten von Freiherr Alexander von Gleichen-Rußwurm, Max Halbe, Frank Wedekind, Ludwig Thoma, Hermann Bahr, Wilhelm von Scholz, Fritz Basil, Heinrich Mann, Joseph Ruederer und Friedrich Freksa. in Erwägung zu ziehen. Ein Intendant mit zwei fachmännischen Direktoren unter sich, für Schauspiel und Oper, scheint mir unter allen Umständen wünschenswert, schon aus dem einen Grunde, da eine Autorität von detaillierter Fachkenntnis für den Intendantenposten ja doch nur äußerst schwer zu finden ist.

Was nun den Schauspieldirektor betrifft, so scheint mir nur ein Mann in Frage zu kommen, dessen künstlerischen Stempel das Münchener Hofschauspiel tatsächlich, und zwar zu seinem größten äußeren und inneren Nutzen, seit drei Jahren trägt. Der Mann ist Albert Steinrück. Der einzige Nachteil, den seine Ernennung zum Direktor zur Folge hätte, wäre wohl der, daß sich Steinrück durch die Aufgaben des Direktors in seiner Tätigkeit als Schauspieler beengt fühlen könnte. Bei der bewunderungswürdigen Arbeitskraft dieses Künstlers scheint mir eine solche Gefahr aber kaum in Betracht zu kommen. Auf Ihre zweite Frage: Welche Ansprüche in künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? habe ich daher nur die Antwort: Ernennen Sie Albert Steinrück zum Schauspieldirektor.

Über die Wahl eines Operndirektors muß ich mich einer Äußerung enthalten, da mir auf diesem Gebiet jede Sachkenntnis fehlt.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Kariertes Papier. 14 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben rechts auf Seite 1 des Briefentwurfs mit blauem Buntstift nachträglich den Vermerk „gedruckt“ notiert und die Markierung einer dann wieder rückgängig gemachten Umstellung mit Bleistift gestrichen. Der Briefentwurf weicht vom zeitgenössischen Erstdruck in „Zeit im Bild“ ab, dem ein abgesandter Brief zugrunde lag, der nicht überliefert ist.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 30.9.1912 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ das letztmögliche Schreibdatum des Briefentwurfs und des verschollenen abgesandten Briefes, der angesichts des Verlaufs der öffentlichen Debatte um die Nachfolge Albert von Speidels unmittelbar vor dem Druck am 1.10.1912 in „Zeit im Bild“ geschrieben worden sein dürfte. Der Briefentwurf ist aufgrund inhaltlicher Kriterien (die erwähnte tödliche Gallenblasenoperation vom 19.8.1912, an der Albert von Speidel am 1.9.1912 starb) frühestens nach dem 1.9.1912 verfasst worden, wahrscheinlich aber erst nach der am 18.9.1912 notierten „Hoftheaterdiplomatie“ [Tb] und der darauf gründende abgesandte Brief wohl erst kurz vor der Drucklegung der Umfrage in „Zeit im Bild“, in deren Rahmen der Brief veröffentlicht wurde.

  • Schreibort

    München
    30. September 1912 (Montag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
373-374
Briefnummer:
392
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief als „Entwurf“ ausgewiesen (ediert ist die letzte Textschicht des Briefentwurfs mit geringfügigen Inkonsequenzen), als Adressat „An O. L. Geller“ angegeben und auf „(München, IX.1912.)“ datiert. – Der vom Briefentwurf abweichende Erstdruck des abgesandten Briefes, der handschriftlich nicht erhalten ist, erschien am 1.10.1912 in der in Berlin verlegten Münchner Wochenschrift „Zeit im Bild“ [vgl. Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller. In: Zeit im Bild. Moderne illustrierte Wochenschrift, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1194]. Nachdruck unter dem Titel „Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller“: KSA 5/II, S. 467.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 323
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Geller, 30.9.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

02.01.2024 15:37
Kennung: 1628

München, 30. September 1912 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Geller, Oskar
 
 

Inhalt

[1. Briefentwurf:]


Sehr geehrter Herr Geller!

Erlauben Sie mir, zuerst die dritte letzte Ihrer drei FragenDie Fragen sind in Oskar Gellers Vorbemerkung zur Umfrage „Der kommende Mann“ abgedruckt: „I. Wen empfehlen Sie als Freiherr von Speidels Nachfolger? / II. Welche Anforderungen nach künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? / III. Würden Sie für München die Befolgung des Wiener Prinzips befolgen, wonach dem Intendanten nur die Pflicht der Repräsentation überlassen bleibt, während das Schauspiel und die Oper berufenen Fachmännern als verantwortlichen Direktoren unterstellt würde?“ [Zeit im Bild, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1193] in Betracht Erwägung zu ziehen. Ein IntendantNachfolger des anfangs umstrittenen, dann aber als aufgeschlossen geschätzten Generalintendanten des Münchner Hoftheaters (dazu gehörten auch das Residenztheater und das Prinzregentheater) Albert von Speidel [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 550], der das Amt am 1.10.1905 angetreten hatte [vgl. Alfred von Mensi: Albert Freiherr v. Speidel †. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 115, Nr. 36, 7.9.1912, S. 643], wurde Clemens von Franckenstein [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 549], ernannt am 1.10.1912. mit zwei fachmännischen Direktorenzunächst in die Zeile darunter mit Einweisungszeichen umgestellt („Oper Direktoren unter sich“), die Umstellung dann mit Bleistift wieder gestrichen. unter sich scheint mir für Schauspiel und Oper unter sich scheint mir unter allen Umständen die be wünschenswerth schon aus dem einen Grunde da ein Mann von wirklicher reeller Fachkenntnis ja doch nicht Intendant werden kann. Welcher Persönlichkeit der Intendantenposten zufällt scheint mir dabei von geringerer Bedeutung zu sein. Je weniger RückgradSchreibversehen, statt: Rückgrat. die Persönlichkeit besitzt um so länger wird sie sich im Amte halten. Je stärker ihr RückgradSchreibversehen, statt: Rückgrat. ist desto früher wird sie an einer Gallenstein-OperationAnspielung auf den verstorbenen Hoftheaterintendanten Albert von Speidel; er verstarb im Alter von 54 Jahren am 1.9.1912 an den Folgen einer Gallensteinoperation, der er sich am 19.8.1912 unterzogen hatte, wie Wedekind in der Presse lesen konnte: „Wie wir zu unserem lebhaften Bedauern hören, hat sich im Befinden des Herrn Generalintendanten Baron v. Speidel [...] bisher keine wesentliche Besserung gezeigt. Baron v. Speidel [...] begibt sich im Laufe des heutigen Nachmittags in die Klinik von Hofrat Dr. Krecke und wird sich dort morgen früh einer Gallenstein-Operation unterziehen.“ [Erkrankung des Generalintendanten Baron Speidel. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 65, Nr. 421, 20.8.1912, Vorabendblatt, S. 2] Erich Mühsam notierte am 2.9.1912 zur kulturpolitischen Brisanz des Todesfalls: „Gestern starb der Generalintendant des Hoftheaters Freiherr v. Speidel. Seine Krankheit war in der Torggelstube längst allgemeines besorgtes Gesprächsthema, und mich hat kaum je die Krankheit eines Fremden so aufgeregt wie diese. Sein Tod läßt für den Münchner Theaterbetrieb das Schlimmste befürchten. Bei der klerikalen Strömung, die jetzt in Bayern vorherrscht, kommt womöglich irgend ein stramm kirchlich gesinnter Mann an den Posten – und dann ists aus. Dann erleben wir den Fortgang Steinrücks, und es wird eine grenzenlose Öde im Repertoire sein.“ [Tb Mühsam] Wedekind dürfte sich an diesen Diskussionen in der Torggelstube beteiligt haben – er war dort nachweislich am 5.9.1912 (ebenso Albert Steinrück und Erich Mühsam), 7.9.1912 und 21.9.1912 [vgl. Tb]; er betrieb am 18.9.1912 „Hoftheaterdiplomatie mit Steinrück“ [Tb], unmittelbar auf die Frage nach der Nachfolge Albert von Speidels am Hoftheater anspielend. sterben zum Opfer fallen. Ein beneidenswerter Posten ist es auf keinen Fall. Deshalb möchte ich auch niemanden als die für diese Stellung geeignetste Persönlichkeit namhaft machen.

Was nun den Schauspieldirektor betrifft, so scheint mir nur einer Mann in Frage zu kommen dessen künstlerischen Stempel das Münchner Hofschauspiel tatsächlich und zu seinem größten inneren und äußeren und inneren Vorteil seit drei Jahren trägt. Der Mann ist | Albert Steinrück. Der einzige Nachtheil den seine Ernennung zur Folge hätte wäre wohl der, daß sich Steinrück durch die Aufgaben des Direktors in seiner Thätigkeit als Schauspieler beschränkt fühlen könnte. Bei der bewundernswürdigen Arbeitskraft dieses Künstlers scheint mir aber diese eine solche Gefahr aber kaum in Betracht zu kommen.

Auf IhreDiesen Absatz, der nach dem folgenden Absatz („Über die Wahl“) geschrieben ist, hat Wedekind mit Einweisungszeichen an diese Stelle umgestellt. zweite Frage: Welche Ansprüche in künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? habe ich daher nur die Antwort: Ernennen Sie Albert Steinrück zum SchauspieldirektorWedekind betrieb am 18.9.1912 „Hoftheaterdiplomatie mit Steinrück“ [Tb], den er im vorliegenden Brief als Nachfolger Albert von Speidels in der Funktion des Schauspieldirektors vorschlägt; außer ihm hat unter den Beiträgern von Oskar Gellers Umfrage (siehe unten) Heinrich Mann ebenfalls Albert Steinrück vorgeschlagen, Schauspieler und Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 551f.].!

Über die Wahl eines OperndirektorsGeneralmusikdirektor blieb zunächst Franz Fischer [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 553; Neuer Theater-Almanach 1913, S. 549]. Im Gespräch war allerdings der Dirigent Bruno Walter, der „von Baron Speidel die Kompetenzen eines Hofoperndirektors zugesichert bekommen“ [Der neue Hoftheaterintendant. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 65, Nr. 591, 1.10.1912, Morgenblatt, S. 2] hatte und die Operndirektion in München dann übernahm [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 559]. muß ich mich einer Äußerung enthalten, da mir auf diesem Gebiet jede Sachkenntnis fehlt.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung
Ihr ergebener
FrW.


P.S. In den Abdruck dieser Äußerung kann ich natürlich nur unter der Bedingung einwilligen daß er unverändert erfolgt.


[2. Druck in „Zeit im Bild“:]


Sehr geehrter Herr Geller!

Erlauben Sie mir, zuerst die letzte Ihrer drei FragenDie Umfrage [vgl. Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller. In: Zeit im Bild. Moderne illustrierte Wochenschrift, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1193-1196] enthält (in dieser Reihenfolge) Antworten von Freiherr Alexander von Gleichen-Rußwurm, Max Halbe, Frank Wedekind, Ludwig Thoma, Hermann Bahr, Wilhelm von Scholz, Fritz Basil, Heinrich Mann, Joseph Ruederer und Friedrich Freksa. in Erwägung zu ziehen. Ein Intendant mit zwei fachmännischen Direktoren unter sich, für Schauspiel und Oper, scheint mir unter allen Umständen wünschenswert, schon aus dem einen Grunde, da eine Autorität von detaillierter Fachkenntnis für den Intendantenposten ja doch nur äußerst schwer zu finden ist.

Was nun den Schauspieldirektor betrifft, so scheint mir nur ein Mann in Frage zu kommen, dessen künstlerischen Stempel das Münchener Hofschauspiel tatsächlich, und zwar zu seinem größten äußeren und inneren Nutzen, seit drei Jahren trägt. Der Mann ist Albert Steinrück. Der einzige Nachteil, den seine Ernennung zum Direktor zur Folge hätte, wäre wohl der, daß sich Steinrück durch die Aufgaben des Direktors in seiner Tätigkeit als Schauspieler beengt fühlen könnte. Bei der bewunderungswürdigen Arbeitskraft dieses Künstlers scheint mir eine solche Gefahr aber kaum in Betracht zu kommen. Auf Ihre zweite Frage: Welche Ansprüche in künstlerischer Richtung stellen Sie an den neuen Intendanten? habe ich daher nur die Antwort: Ernennen Sie Albert Steinrück zum Schauspieldirektor.

Über die Wahl eines Operndirektors muß ich mich einer Äußerung enthalten, da mir auf diesem Gebiet jede Sachkenntnis fehlt.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Kariertes Papier. 14 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben rechts auf Seite 1 des Briefentwurfs mit blauem Buntstift nachträglich den Vermerk „gedruckt“ notiert und die Markierung einer dann wieder rückgängig gemachten Umstellung mit Bleistift gestrichen. Der Briefentwurf weicht vom zeitgenössischen Erstdruck in „Zeit im Bild“ ab, dem ein abgesandter Brief zugrunde lag, der nicht überliefert ist.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 30.9.1912 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ das letztmögliche Schreibdatum des Briefentwurfs und des verschollenen abgesandten Briefes, der angesichts des Verlaufs der öffentlichen Debatte um die Nachfolge Albert von Speidels unmittelbar vor dem Druck am 1.10.1912 in „Zeit im Bild“ geschrieben worden sein dürfte. Der Briefentwurf ist aufgrund inhaltlicher Kriterien (die erwähnte tödliche Gallenblasenoperation vom 19.8.1912, an der Albert von Speidel am 1.9.1912 starb) frühestens nach dem 1.9.1912 verfasst worden, wahrscheinlich aber erst nach der am 18.9.1912 notierten „Hoftheaterdiplomatie“ [Tb] und der darauf gründende abgesandte Brief wohl erst kurz vor der Drucklegung der Umfrage in „Zeit im Bild“, in deren Rahmen der Brief veröffentlicht wurde.

  • Schreibort

    München
    30. September 1912 (Montag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
373-374
Briefnummer:
392
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief als „Entwurf“ ausgewiesen (ediert ist die letzte Textschicht des Briefentwurfs mit geringfügigen Inkonsequenzen), als Adressat „An O. L. Geller“ angegeben und auf „(München, IX.1912.)“ datiert. – Der vom Briefentwurf abweichende Erstdruck des abgesandten Briefes, der handschriftlich nicht erhalten ist, erschien am 1.10.1912 in der in Berlin verlegten Münchner Wochenschrift „Zeit im Bild“ [vgl. Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller. In: Zeit im Bild. Moderne illustrierte Wochenschrift, Jg. 10, Nr. 41, 1.10.1912, S. 1194]. Nachdruck unter dem Titel „Der kommende Mann. Eine Rundfrage von Oskar Geller“: KSA 5/II, S. 467.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 323
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Geller, 30.9.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

02.01.2024 15:37