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Kennung: 1509

München, 22. Februar 1915 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kutscher, Artur

Inhalt

München 22.II.15


Lieber Artur!

Schon vor einigen Tagen habe ich Dein KriegstagebuchWedekind habe, so Artur Kutscher, der sich später auf den vorliegenden Brief berief und fast unverändert eine Passage („Die ersten hundert Seiten“ bis „echt und groß“) daraus zitierte [vgl. Kutscher 1960, S. 113f.], „die ersten Abschnitte meines Kriegstagebuches in Maschinenschrift gelesen“ [Kutscher 1960, S. 113] und ihm darüber geschrieben. Wedekinds eigene Lektüre dieses Manuskripts, das ihm für den ersten Band wohl vollständig vorlag, ist durch seine Notiz vom 8.2.1915 belegt: „Kutschers Kriegstagebuch gelesen.“ [Tb] Die Lektüre seiner Frau, die ihm aus dem Manuskript vorgelesen hat, notierte er am 13.2.1915: „Tilly liest Kutschers Kriegstagebuch.“ [Tb] fertig gelesen und es zu Müller gebrachtWedekinds Tagebuch enthält dazu keinen Eintrag. Wedekind dürfte das Manuskript von Artur Kutschers „Kriegstagebuch“ seinem Verleger Georg Müller bald nach dem letzten von ihm erhaltenen Brief [vgl. Wedekind an Georg Müller, 16.2.1915] zur Ansicht vorgelegt haben (es erschien nicht in dessen Verlag)., dem ich meinen Eindruck mittheilte. Die ersten hundert Seiten verschlang ich auf einen Sitz. Das übrige einschließlich der Weihnachtsfeier las mir meine Frau in zwei Abenden vor. Wir beide waren aufs höchste gefesselt aber darüber hinaus | machte das Tagebuch einen ganz gewaltigen Eindruck auf mich, zumal die seelische Entwicklung, die sich in Dir selber vollzieht, sodann die vielen Schönheiten in der Darstellung. Müller versprachvgl. Georg Müller an Wedekind, 16.2.1915., das Manuskript so rasch als möglich zu lesen. Da ich Dir das rasch mittheilen möchte, wirst Du heute keine Einzelheiten über Dein Tagebuch erwarten. Nur das Eine, daß ich nichts daran verändertDas war nicht der Fall, auch wenn Artur Kutscher die Eingriffe in das Manuskript seines „Kriegstagebuchs“ für die Drucklegung später herunterspielte: „Die Verhandlungen mit dem Zensuroffizier des Großen Hauptquartiers, der persönlich zu mir an die Front kam, beschränkten sich hauptsächlich auf Streichung von Ortsnamen und die Milderung einiger Ausdrücke.“ [Kutscher 1960, S. 106] oder gekürzt sehen möchte. In seiner jetzigen Form ist es echt und groß und ich sehe nichts | darin, woran jemand Ärgernis nehmen könnte.

Für Deinen lieben Brief vom 30 Inicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Artur Kutscher an Wedekind, 30.1.1915. danke ich Dir herzlich. Du schreibst daß Ihr am 3 Februar eine neue Stellung Artur Kutschers Kompanie brach am 3.2.1915 aus der Gegend um Reims auf: „Am 3. Februar früh um 8 marschieren wir ab.“ [Kutscher 1915, S. 230] Es ging in die neue „Stellung in der Sandgrube von Perthes“ [Kutscher 1960, S. 108] in der Champagne, in Schützengräben bei dem Dorf Perthes (Souain-Perthes-lès-Hurlus).einnehmen werdet, wahrscheinlich hast Du also wieder allerhand Gefahren und Anstrengungen hinter Dir. Über Deine Ernennung zum ProfessorArtur Kutscher war am 2.2.1915 zum außerordentlichen Professor der Universität München ernannt worden [vgl. Kutscher 1960, S. 111]. Die Nachricht wurde ihm an die Front übermittelt und erreichte ihn am 12./13.2.1915. Im „Kriegstagebuch“ schließt eine Bemerkung dazu an Schilderungen von Kämpfen im Schützengraben an: „Ich bekomme die Nachricht, daß ich Professor geworden bin. O mei!“ [Kutscher 1915, S. 250] habe ich mich mehr gefreut als Du selber, nach dem Tagebuch zu urteilen. Begreiflich ist es ja wie klein Dir so etwas bei Einsetzung des Lebens erscheinen muß. Der Friede | scheint mir durch unsere Siege in Rußland um vieles nähergerückt. Auch im Elsaß gehen die Franzosen täglich zurück.

Was mich betrifft, so geht die SacheWedekinds andauernde gesundheitliche Probleme nach der ersten Blinddarmoperation am 29.12.1914. langsam vorwärts. Ich gehe täglich spaziren und arbeite fleißigWedekind arbeitete an seinem „Bismarck“-Drama [vgl. KSA 8, S. 657-659]. aber unternehmen kann ich noch nichts.

Ich hoffe, daß Dich diese Zeilen gesund und munter finden. Sobald ich Nachricht von Müller bekomme, teile ich sie Dir mit. Diese Zeilen begleiten die herzlichsten Wünsche für Dein Wohlergehen von meiner Frau und mir. Auf recht baldiges Wiedersehen mit herzlichsten Grüßen
Dein alter
Frank


[Kuvert:]


Feldpostbrief

An den Kompanieführer ‒ Leutnant
Herrn Professor Dr.
Artur Kutscher
Bayer. X Reserve Armee korps.
XIX Division
Reserve Infant. Regiment Nr. 92
Bataillon Nr. II

Abteilung Nr.
Kompanie Nr.
8
Eskadron
Batterie
Kolonne Nr.


Die Angabe eines Bestimmungsorts unterbleibt, wenn der Empfänger zu den Truppen gehört, die infolge von Marschbewegungen den Standort wechseln. (5. 13) |


Absender Name Frank Wedekind
Wohnung in München Prinzregenten Straße Nr. 50

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 18 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert. 15 x 10 cm. 2 Seiten beschrieben. Feldpostbrief mit gedruckten Textfeldern.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Empfängeradresse ist mit Postzustellvermerken versehen (vor „Division“ ist eine „R“ für „Reserve“ notiert, „Infant.“ ist mehrfach unterstrichen). Das Kuvert enthält den Hinweis „Aufgabestempel“ in einem runden Feld und ist nicht frankiert (da Feldpost).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel München: „2 – 3 N“ (= 14 bis 15 Uhr). Der Empfangsort ist recht eindeutig auszumachen. Artur Kutscher gehörte dem Reserve-Infanterie-Regiment 92 an, das an der Westfront eingesetzt war. Nach dem Abmarsch am 3.2.1915 aus der Nähe von Reims war er in der Champagne bei dem Dorf Perthes stationiert, der wahrscheinliche Empfangsort des Briefes.

  • Schreibort

    München
    22. Februar 1915 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    22. Februar 1915 (Montag)
    Ermittelt (sicher)

  • Empfangsort

    Souain-Perthes-lès-Hurlus
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
319-320
Briefnummer:
437
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Kutscher, Artur
Signatur des Dokuments:
A: Kutscher, 57.5405/2
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Artur Kutscher, 22.2.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

31.05.2024 11:02
Kennung: 1509

München, 22. Februar 1915 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kutscher, Artur
 
 

Inhalt

München 22.II.15


Lieber Artur!

Schon vor einigen Tagen habe ich Dein KriegstagebuchWedekind habe, so Artur Kutscher, der sich später auf den vorliegenden Brief berief und fast unverändert eine Passage („Die ersten hundert Seiten“ bis „echt und groß“) daraus zitierte [vgl. Kutscher 1960, S. 113f.], „die ersten Abschnitte meines Kriegstagebuches in Maschinenschrift gelesen“ [Kutscher 1960, S. 113] und ihm darüber geschrieben. Wedekinds eigene Lektüre dieses Manuskripts, das ihm für den ersten Band wohl vollständig vorlag, ist durch seine Notiz vom 8.2.1915 belegt: „Kutschers Kriegstagebuch gelesen.“ [Tb] Die Lektüre seiner Frau, die ihm aus dem Manuskript vorgelesen hat, notierte er am 13.2.1915: „Tilly liest Kutschers Kriegstagebuch.“ [Tb] fertig gelesen und es zu Müller gebrachtWedekinds Tagebuch enthält dazu keinen Eintrag. Wedekind dürfte das Manuskript von Artur Kutschers „Kriegstagebuch“ seinem Verleger Georg Müller bald nach dem letzten von ihm erhaltenen Brief [vgl. Wedekind an Georg Müller, 16.2.1915] zur Ansicht vorgelegt haben (es erschien nicht in dessen Verlag)., dem ich meinen Eindruck mittheilte. Die ersten hundert Seiten verschlang ich auf einen Sitz. Das übrige einschließlich der Weihnachtsfeier las mir meine Frau in zwei Abenden vor. Wir beide waren aufs höchste gefesselt aber darüber hinaus | machte das Tagebuch einen ganz gewaltigen Eindruck auf mich, zumal die seelische Entwicklung, die sich in Dir selber vollzieht, sodann die vielen Schönheiten in der Darstellung. Müller versprachvgl. Georg Müller an Wedekind, 16.2.1915., das Manuskript so rasch als möglich zu lesen. Da ich Dir das rasch mittheilen möchte, wirst Du heute keine Einzelheiten über Dein Tagebuch erwarten. Nur das Eine, daß ich nichts daran verändertDas war nicht der Fall, auch wenn Artur Kutscher die Eingriffe in das Manuskript seines „Kriegstagebuchs“ für die Drucklegung später herunterspielte: „Die Verhandlungen mit dem Zensuroffizier des Großen Hauptquartiers, der persönlich zu mir an die Front kam, beschränkten sich hauptsächlich auf Streichung von Ortsnamen und die Milderung einiger Ausdrücke.“ [Kutscher 1960, S. 106] oder gekürzt sehen möchte. In seiner jetzigen Form ist es echt und groß und ich sehe nichts | darin, woran jemand Ärgernis nehmen könnte.

Für Deinen lieben Brief vom 30 Inicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Artur Kutscher an Wedekind, 30.1.1915. danke ich Dir herzlich. Du schreibst daß Ihr am 3 Februar eine neue Stellung Artur Kutschers Kompanie brach am 3.2.1915 aus der Gegend um Reims auf: „Am 3. Februar früh um 8 marschieren wir ab.“ [Kutscher 1915, S. 230] Es ging in die neue „Stellung in der Sandgrube von Perthes“ [Kutscher 1960, S. 108] in der Champagne, in Schützengräben bei dem Dorf Perthes (Souain-Perthes-lès-Hurlus).einnehmen werdet, wahrscheinlich hast Du also wieder allerhand Gefahren und Anstrengungen hinter Dir. Über Deine Ernennung zum ProfessorArtur Kutscher war am 2.2.1915 zum außerordentlichen Professor der Universität München ernannt worden [vgl. Kutscher 1960, S. 111]. Die Nachricht wurde ihm an die Front übermittelt und erreichte ihn am 12./13.2.1915. Im „Kriegstagebuch“ schließt eine Bemerkung dazu an Schilderungen von Kämpfen im Schützengraben an: „Ich bekomme die Nachricht, daß ich Professor geworden bin. O mei!“ [Kutscher 1915, S. 250] habe ich mich mehr gefreut als Du selber, nach dem Tagebuch zu urteilen. Begreiflich ist es ja wie klein Dir so etwas bei Einsetzung des Lebens erscheinen muß. Der Friede | scheint mir durch unsere Siege in Rußland um vieles nähergerückt. Auch im Elsaß gehen die Franzosen täglich zurück.

Was mich betrifft, so geht die SacheWedekinds andauernde gesundheitliche Probleme nach der ersten Blinddarmoperation am 29.12.1914. langsam vorwärts. Ich gehe täglich spaziren und arbeite fleißigWedekind arbeitete an seinem „Bismarck“-Drama [vgl. KSA 8, S. 657-659]. aber unternehmen kann ich noch nichts.

Ich hoffe, daß Dich diese Zeilen gesund und munter finden. Sobald ich Nachricht von Müller bekomme, teile ich sie Dir mit. Diese Zeilen begleiten die herzlichsten Wünsche für Dein Wohlergehen von meiner Frau und mir. Auf recht baldiges Wiedersehen mit herzlichsten Grüßen
Dein alter
Frank


[Kuvert:]


Feldpostbrief

An den Kompanieführer ‒ Leutnant
Herrn Professor Dr.
Artur Kutscher
Bayer. X Reserve Armee korps.
XIX Division
Reserve Infant. Regiment Nr. 92
Bataillon Nr. II

Abteilung Nr.
Kompanie Nr.
8
Eskadron
Batterie
Kolonne Nr.


Die Angabe eines Bestimmungsorts unterbleibt, wenn der Empfänger zu den Truppen gehört, die infolge von Marschbewegungen den Standort wechseln. (5. 13) |


Absender Name Frank Wedekind
Wohnung in München Prinzregenten Straße Nr. 50

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 18 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert. 15 x 10 cm. 2 Seiten beschrieben. Feldpostbrief mit gedruckten Textfeldern.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Empfängeradresse ist mit Postzustellvermerken versehen (vor „Division“ ist eine „R“ für „Reserve“ notiert, „Infant.“ ist mehrfach unterstrichen). Das Kuvert enthält den Hinweis „Aufgabestempel“ in einem runden Feld und ist nicht frankiert (da Feldpost).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel München: „2 – 3 N“ (= 14 bis 15 Uhr). Der Empfangsort ist recht eindeutig auszumachen. Artur Kutscher gehörte dem Reserve-Infanterie-Regiment 92 an, das an der Westfront eingesetzt war. Nach dem Abmarsch am 3.2.1915 aus der Nähe von Reims war er in der Champagne bei dem Dorf Perthes stationiert, der wahrscheinliche Empfangsort des Briefes.

  • Schreibort

    München
    22. Februar 1915 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    22. Februar 1915 (Montag)
    Ermittelt (sicher)

  • Empfangsort

    Souain-Perthes-lès-Hurlus
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
319-320
Briefnummer:
437
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Kutscher, Artur
Signatur des Dokuments:
A: Kutscher, 57.5405/2
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Artur Kutscher, 22.2.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

31.05.2024 11:02