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Kennung: 128

Zürich, 25. Januar 1908 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein lieber Frank!

Als ich vor einigen Wochen meine erfolglosen Zeilenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.12.1907. an Dich richtete, mußte ich wohl eine Ahnung von einem wirklichen, kommenden Unglück gehabt haben. Aus beiliegendem SchreibenDas beigelegte Kündigungsschreiben ist nicht überliefert; wie aus späterer Korrespondenz hervorgeht [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908] war Donald Wedekind bei dem von der Verkehrskommission Zürich herausgegebenen, wöchentlich erscheinenden „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“ beschäftigt, wo er sich zwei Jahre zuvor beworben hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.4.1906]. wirst Du ersehen, daß mir meine Stellung gekündigt wurde, ohne mein Verschulden, ohne daß man mir vorwerfen kann, daß ich meine Pflicht | nicht erfüllt hätte. Dieser Katastrophe bedurfte es noch, um meinen seelischen und körperlichen Zustand derartig zu compliziren, daß ich mich meiner Lage nicht mehr gewachsen fühle und ohne äußere Hülfe ein schlechtes Ende unvermeidlich vor Augen sehe. Willst Du mir nicht helfen?

Als ich nach Weihnachten vergeblich auf deine Antwort warteteAnscheinend hatte Donald Wedekind eine Geldsendung über 100 Mark, die Frank Wedekind ihm mangels einer aktuellen Adresse in Zürich über Armin Wedekind zukommen lassen wollte [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.12.1907], nicht erhalten., wandte ich mich an Walther Oschwald, und Mieze ließ mir dann auch durch ihn eine Summe zukommen, | die gerade reichte, um einigen dringenden Verpflichtungen zu genügen, außerdem nahm ich die Gelegenheit wahr, mir ein möblirtes Zimmer zu nehmen, dessen Ruhe und Comfort meinen gereizten NervenAnspielung auf die zeitgenössische Modediagnose Neurasthenie. zu Gute kommen sollten. Das Gegenteil ist der Fall und ich wohne noch schlechter und unleidlicher als zuvor. Das liegt nun mehr in mir als in der Außenwelt, immerhin sehe ich kein Mittel mehr, das Leben auf diese Weise wei|ter zu ertragen, und einzig und allein ein längerer Landaufenthalt vermöchte meinem subjectiven Empfinden nach mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen. Aber wie das machen, jetzt, da ich gerade froh sein muß, für einige Wochen noch ein Obdach über dem Haupt zu haben.

Lieber Frank, bei dem Lebensgang, wie Du ihn selbst teilweise hinter Dir hast, ist es überflüssig, daß ich Dir weiter noch meinen Zustand schildere. | Ich bin gerne bereit, wenn Du mir die nötigen Mittel dazu schickst, das zu tun, was Du mir vor zwei Jahren anrietst, nämlich zu einem Arzt zu gehen und mich auf meinen Zustand untersuchen zu lassen. Das ist aber von zweiter Bedeutung, die Hauptsache ist, daß ich wieder in eine Stellung komme, die mir mein Leben sichert und zwar in reichlicherer Form und nicht unter so unglücklichen Begleitumständen wie das bei meiner bisherigen Anstellung der | Fall war. Kannst Du da nicht etwas tun? Diese Sache hier war Flickwerk, ich hatte den besten Willen, etwas daraus zu machen, es war mir aber nach Aufwand meiner besten Kräfte nicht möglich. Nun ist der Abschluß ganz von selbst gekommen. Vielleicht doch noch zum Guten.

Lieber Frank, ich weiß, daß ich dich vor zwei Jahren beleidigt habe, ich muß aber auch vermuten, daß meine exponirteungeschützte, ausgesetzte. Lage als mildernder | Umstand gelten mag, und ich bitte Dich hiemit um Verzeihung für das, was ich damals geschriebenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 27.3.1906.. Anderseits empfinde ich, als ob Du ein solches Pater peccavi(lat.) Vater, ich habe gesündigt! Bibelzitat nach Lukas 15,18: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ selbst nicht verlangst, und ich kann mir nicht denken, daß man einen um eines Wortes willen zeitlebens aus seinem Ideen- und Empfindungskreis ausschaltet. Ist es wirklich nicht möglich, daß sich mein Leben noch richtig gestaltet, so wird hiein diesem Fall. die Natur selbst eines Tages versagen, und hätten | mir die zwei Jahre redlicher Arbeit nicht die Hoffnung gegeben, daß doch noch Alles gut werden kann, wahrlich, ich würde mich nicht an Dich gewandt haben. Aber mir lassen meine Geistes- und Körperverfassung Kämpfe, wie Du und ich sie zusa/frü/her wohl zusammen durchgefochten, nicht mehr zu und bei einer Perspektive, wie sie mir beiliegende Mitteilung eröffnet, greift man wohl zu den äußersten Mitteln, die einigermaßen die Unsicherheit der Lage mildern könn|ten. Daß dieser neue, zu einem schon seit Monaten dauernden, körperlichen Unwohlbefinden hinzugekommene Unglücksumstand Deinem Verhalten eine Wendung geben möge, daß ich Dir, wenn Du mich in die Lage versetzen willst, einige Wochen den nötigen Landaufenthalt zu nehmen, bald eine Wendung zum Besseren wenigstens ein/m/einem/s/ seelischen und körperlichen Zustandes melden kann, daß es mir allein oder unter Deiner Beihülfe gelingen werde, auf | den kritischen Zeitpunkt hin einen andern, womöglich besseren Lebensunterhalt zu finden, das hofft von ganzem Herzen dein treuer Bruder
Donald


Zürich, d. 25. Jan. 1908

17. Mythenstraße

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 6 Blatt, davon 10 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 oben rechts hat Frank Wedekind mit Bleistift das Datum „25.1.8“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    25. Januar 1908 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 25.1.1908. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

14.11.2023 14:03
Kennung: 128

Zürich, 25. Januar 1908 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Mein lieber Frank!

Als ich vor einigen Wochen meine erfolglosen Zeilenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.12.1907. an Dich richtete, mußte ich wohl eine Ahnung von einem wirklichen, kommenden Unglück gehabt haben. Aus beiliegendem SchreibenDas beigelegte Kündigungsschreiben ist nicht überliefert; wie aus späterer Korrespondenz hervorgeht [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908] war Donald Wedekind bei dem von der Verkehrskommission Zürich herausgegebenen, wöchentlich erscheinenden „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“ beschäftigt, wo er sich zwei Jahre zuvor beworben hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.4.1906]. wirst Du ersehen, daß mir meine Stellung gekündigt wurde, ohne mein Verschulden, ohne daß man mir vorwerfen kann, daß ich meine Pflicht | nicht erfüllt hätte. Dieser Katastrophe bedurfte es noch, um meinen seelischen und körperlichen Zustand derartig zu compliziren, daß ich mich meiner Lage nicht mehr gewachsen fühle und ohne äußere Hülfe ein schlechtes Ende unvermeidlich vor Augen sehe. Willst Du mir nicht helfen?

Als ich nach Weihnachten vergeblich auf deine Antwort warteteAnscheinend hatte Donald Wedekind eine Geldsendung über 100 Mark, die Frank Wedekind ihm mangels einer aktuellen Adresse in Zürich über Armin Wedekind zukommen lassen wollte [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.12.1907], nicht erhalten., wandte ich mich an Walther Oschwald, und Mieze ließ mir dann auch durch ihn eine Summe zukommen, | die gerade reichte, um einigen dringenden Verpflichtungen zu genügen, außerdem nahm ich die Gelegenheit wahr, mir ein möblirtes Zimmer zu nehmen, dessen Ruhe und Comfort meinen gereizten NervenAnspielung auf die zeitgenössische Modediagnose Neurasthenie. zu Gute kommen sollten. Das Gegenteil ist der Fall und ich wohne noch schlechter und unleidlicher als zuvor. Das liegt nun mehr in mir als in der Außenwelt, immerhin sehe ich kein Mittel mehr, das Leben auf diese Weise wei|ter zu ertragen, und einzig und allein ein längerer Landaufenthalt vermöchte meinem subjectiven Empfinden nach mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen. Aber wie das machen, jetzt, da ich gerade froh sein muß, für einige Wochen noch ein Obdach über dem Haupt zu haben.

Lieber Frank, bei dem Lebensgang, wie Du ihn selbst teilweise hinter Dir hast, ist es überflüssig, daß ich Dir weiter noch meinen Zustand schildere. | Ich bin gerne bereit, wenn Du mir die nötigen Mittel dazu schickst, das zu tun, was Du mir vor zwei Jahren anrietst, nämlich zu einem Arzt zu gehen und mich auf meinen Zustand untersuchen zu lassen. Das ist aber von zweiter Bedeutung, die Hauptsache ist, daß ich wieder in eine Stellung komme, die mir mein Leben sichert und zwar in reichlicherer Form und nicht unter so unglücklichen Begleitumständen wie das bei meiner bisherigen Anstellung der | Fall war. Kannst Du da nicht etwas tun? Diese Sache hier war Flickwerk, ich hatte den besten Willen, etwas daraus zu machen, es war mir aber nach Aufwand meiner besten Kräfte nicht möglich. Nun ist der Abschluß ganz von selbst gekommen. Vielleicht doch noch zum Guten.

Lieber Frank, ich weiß, daß ich dich vor zwei Jahren beleidigt habe, ich muß aber auch vermuten, daß meine exponirteungeschützte, ausgesetzte. Lage als mildernder | Umstand gelten mag, und ich bitte Dich hiemit um Verzeihung für das, was ich damals geschriebenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 27.3.1906.. Anderseits empfinde ich, als ob Du ein solches Pater peccavi(lat.) Vater, ich habe gesündigt! Bibelzitat nach Lukas 15,18: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ selbst nicht verlangst, und ich kann mir nicht denken, daß man einen um eines Wortes willen zeitlebens aus seinem Ideen- und Empfindungskreis ausschaltet. Ist es wirklich nicht möglich, daß sich mein Leben noch richtig gestaltet, so wird hiein diesem Fall. die Natur selbst eines Tages versagen, und hätten | mir die zwei Jahre redlicher Arbeit nicht die Hoffnung gegeben, daß doch noch Alles gut werden kann, wahrlich, ich würde mich nicht an Dich gewandt haben. Aber mir lassen meine Geistes- und Körperverfassung Kämpfe, wie Du und ich sie zusa/frü/her wohl zusammen durchgefochten, nicht mehr zu und bei einer Perspektive, wie sie mir beiliegende Mitteilung eröffnet, greift man wohl zu den äußersten Mitteln, die einigermaßen die Unsicherheit der Lage mildern könn|ten. Daß dieser neue, zu einem schon seit Monaten dauernden, körperlichen Unwohlbefinden hinzugekommene Unglücksumstand Deinem Verhalten eine Wendung geben möge, daß ich Dir, wenn Du mich in die Lage versetzen willst, einige Wochen den nötigen Landaufenthalt zu nehmen, bald eine Wendung zum Besseren wenigstens ein/m/einem/s/ seelischen und körperlichen Zustandes melden kann, daß es mir allein oder unter Deiner Beihülfe gelingen werde, auf | den kritischen Zeitpunkt hin einen andern, womöglich besseren Lebensunterhalt zu finden, das hofft von ganzem Herzen dein treuer Bruder
Donald


Zürich, d. 25. Jan. 1908

17. Mythenstraße

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 6 Blatt, davon 10 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 oben rechts hat Frank Wedekind mit Bleistift das Datum „25.1.8“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    25. Januar 1908 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 25.1.1908. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

14.11.2023 14:03