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Kennung: 1106

München, 8. März 1905 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Weinhöppel, Hans Richard

Inhalt

München, 8.III.1905.


Lieber alter Freund Richard!

Du hast mir die Freude nicht gegönnt, Dich hier in MünchenHans Richard Weinhöppel war mindestens die acht Tage vom 4. bis 11.2.1905 in München, nach den Notizen von Max Halbe (der seinerseits am 14.2.1905 von München abreiste), der ihn am 4.2.1905 sah (er kam zu einer Sitzung der Dramatischen Gesellschaft): „Abends Sitzung der Drama. Gesellsch, wo plötzlich Richard Weinhöppel auftaucht, nachher Torggel“ [Tb Halbe], am 5.2.1905 (mit Eduard von Keyserling und Adolf Dannegger): „Abends kleines Essen (Keys., Dannegger, Richard.)“ [Tb Halbe], am 9.2.1905: „Abends daheim, Richard zum Plaudern da, erzählt von seiner Ehe mit Stella“ [Tb Halbe], am 10.2.1905: „Gestrige Schilderung Richards von Stella sehr gut verwendbar. [...] Kegelbahn, nachher Dichtelei Keys., Richard und ich“ [Tb Halbe] und am 11.2.1905 (im Hoftheater-Restaurant): „Abends im H.-R. kommt die Nachricht, daß Hartleben gestorben ist! Seltsame tolle Stimmung überkam uns alle (Keys., Aram, Popp Dannegger, Richard)“ [Tb Halbe]. Wedekind reiste am 1.3.1905 nach Berlin und war am 6.3.1905 zurück in München [vgl. Tb]. zu sehen. Ich war zwei mal bei Dir im Hotel. Das zweite Mal hinterließ ich eine Karteeine nicht überlieferte Visitenkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 11.2.1905., aber auch das war umsonst. Nun weiß ich ja allerdings ganz genau, welche Mächte zwischen uns stehenAnspielung auf die freundschaftlichen Beziehungen Hans Richard Weinhöppels zu Max Halbe (siehe oben), mit dem Wedekind sich im Vorjahr heftig zerstritten hatte (auch davor gab es immer wieder Konflikte). Spannungen zwischen Weinhöppel und Wedekind waren zwei Jahre zuvor deutlich geworden [vgl. Wedekind an Max Halbe, 30.5.1903] und hatten zu einer Entfremdung geführt, so dass von ihrer bis dahin engen Freundschaft keine Rede mehr sein konnte., und füge mich in das Unvermeidliche, und zwar in der festen Zuversicht, daß wir uns, sobald diese leidige Constellation sich geändert hat, unwillkürlich wieder einander nähern werden und dann in derselben Weise mit einander verkehren werden und uns gegenseitig genießen werden, wie das früher der Fall war. Der Platz, den Du in meinem Leben ausgefüllt hast, steht leer und wird kaum jemals von einem anderen ausgefüllt werden, und wenn ich nicht ein elender Stümper auf dem Gebiete der Menschenkenntnis bin, muß ich annehmen, daß es sich bei Dir ebenso verhält. Nun habe ich eine Bitte an Dich: Du hattest seinerzeit ein kleines Büchlein von mirdas nicht erhaltene Manuskript „Bucolica“ [vgl. KSA 1/II, S. 1547], eine blau eingebundene Gedichtsammlung Wedekinds, die 1881 auf Schloss Lenzburg entstanden ist [vgl. KSA 1/II, S. 1538-1542], „eine Reihe bukolischer Verse“ [KSA 1/II, S. 1538], die „Wedekind im November 1898 seinem Freund Richard Weinhöppel überließ und die dieser verlor“ [KSA 1/II, S. 1538]. Im Erstdruck des Fragments „Felix und Galathea“ (1908) erklärte Wedekind in der Vorbemerkung: „Das Heft, in dem das ganze Schäfergedicht enthalten war, hat in späteren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und verloren.“ [KSA 1/I, S. 566] In einer handschriftlichen Fassung der Vorbemerkung heißt es: „Das Heft [...] hat in gefahrvolleren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und als er selbst in Gefahr schwebte verloren.“ [KSA 1/II, S. 1545] Das war nach Wedekinds Flucht aus München am 30.10.1898 infolge des Haftbefehls wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre, wie die Antwort des Freundes auf den vorliegenden Brief bestätigt [vgl. Hans Richard Weinhöppel an Wedekind, 15.3.1905]., betitelt Bucolica. Ich lasse das Büchlein mit Freuden in Deinen Händen, wenn Du es noch hast. Ich hätte aber gerne eine getreue Abschrift davon, | da ich einige Verse daraus nothwendig brauche. Willst Du mir diese Abschrift herstellen lassen? Oder willst Du mir das Manuscript herschicken, damit ich es abschreiben lassen kann? – Ich bitte Dich, mir diese Frage zu beantworten, denn es handelt sich schließlich doch um ein Manuscript, welches, sei es auch noch so unreif und schweinisch, für mich eine gewisse Bedeutung hat, die es für niemand anders haben kann. Vor einigen Tagen war ich bei BierbaumWedekind war bei Otto Julius Bierbaum am 24.2.1905 in München zum Mittagessen eingeladen [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 23.2.1905]., der mir mit großer Wärme von Deiner Arbeit vorschwärmte. In der Zuversicht, daß gemeinsames künstlerisches Schaffen doch ein stärkeres Bindemittel ist, als es Pfirsichbowle, Schweinssauerbraten und KegelbahnAnspielung auf die Unterströmung, Max Halbes Kegelrunde, die sich über viele Jahre in einem Münchner Lokal (Türkenstraße 33) in unmittelbarer Nähe zur Spielstätte der Elf Scharfrichter (Türkenstraße 28) traf [vgl. Kemp 2017, S. 29]. Hans Richard Weinhöppel war zuletzt am 10.2.1905 auf der „Kegelbahn“ [Tb Halbe] gewesen (siehe oben). jemals werden können, schöpfte ich gerade bei Bierbaum neue Hoffnung, daß die Wiederkehr der alten Zeit nicht mehr ferne liegt.

Mit herzlichsten Grüßen Dein alter
Frank.


Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    8. März 1905 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Rom
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
138-139
Briefnummer:
242
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 8.3.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

04.10.2024 12:21
Kennung: 1106

München, 8. März 1905 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Weinhöppel, Hans Richard
 
 

Inhalt

München, 8.III.1905.


Lieber alter Freund Richard!

Du hast mir die Freude nicht gegönnt, Dich hier in MünchenHans Richard Weinhöppel war mindestens die acht Tage vom 4. bis 11.2.1905 in München, nach den Notizen von Max Halbe (der seinerseits am 14.2.1905 von München abreiste), der ihn am 4.2.1905 sah (er kam zu einer Sitzung der Dramatischen Gesellschaft): „Abends Sitzung der Drama. Gesellsch, wo plötzlich Richard Weinhöppel auftaucht, nachher Torggel“ [Tb Halbe], am 5.2.1905 (mit Eduard von Keyserling und Adolf Dannegger): „Abends kleines Essen (Keys., Dannegger, Richard.)“ [Tb Halbe], am 9.2.1905: „Abends daheim, Richard zum Plaudern da, erzählt von seiner Ehe mit Stella“ [Tb Halbe], am 10.2.1905: „Gestrige Schilderung Richards von Stella sehr gut verwendbar. [...] Kegelbahn, nachher Dichtelei Keys., Richard und ich“ [Tb Halbe] und am 11.2.1905 (im Hoftheater-Restaurant): „Abends im H.-R. kommt die Nachricht, daß Hartleben gestorben ist! Seltsame tolle Stimmung überkam uns alle (Keys., Aram, Popp Dannegger, Richard)“ [Tb Halbe]. Wedekind reiste am 1.3.1905 nach Berlin und war am 6.3.1905 zurück in München [vgl. Tb]. zu sehen. Ich war zwei mal bei Dir im Hotel. Das zweite Mal hinterließ ich eine Karteeine nicht überlieferte Visitenkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 11.2.1905., aber auch das war umsonst. Nun weiß ich ja allerdings ganz genau, welche Mächte zwischen uns stehenAnspielung auf die freundschaftlichen Beziehungen Hans Richard Weinhöppels zu Max Halbe (siehe oben), mit dem Wedekind sich im Vorjahr heftig zerstritten hatte (auch davor gab es immer wieder Konflikte). Spannungen zwischen Weinhöppel und Wedekind waren zwei Jahre zuvor deutlich geworden [vgl. Wedekind an Max Halbe, 30.5.1903] und hatten zu einer Entfremdung geführt, so dass von ihrer bis dahin engen Freundschaft keine Rede mehr sein konnte., und füge mich in das Unvermeidliche, und zwar in der festen Zuversicht, daß wir uns, sobald diese leidige Constellation sich geändert hat, unwillkürlich wieder einander nähern werden und dann in derselben Weise mit einander verkehren werden und uns gegenseitig genießen werden, wie das früher der Fall war. Der Platz, den Du in meinem Leben ausgefüllt hast, steht leer und wird kaum jemals von einem anderen ausgefüllt werden, und wenn ich nicht ein elender Stümper auf dem Gebiete der Menschenkenntnis bin, muß ich annehmen, daß es sich bei Dir ebenso verhält. Nun habe ich eine Bitte an Dich: Du hattest seinerzeit ein kleines Büchlein von mirdas nicht erhaltene Manuskript „Bucolica“ [vgl. KSA 1/II, S. 1547], eine blau eingebundene Gedichtsammlung Wedekinds, die 1881 auf Schloss Lenzburg entstanden ist [vgl. KSA 1/II, S. 1538-1542], „eine Reihe bukolischer Verse“ [KSA 1/II, S. 1538], die „Wedekind im November 1898 seinem Freund Richard Weinhöppel überließ und die dieser verlor“ [KSA 1/II, S. 1538]. Im Erstdruck des Fragments „Felix und Galathea“ (1908) erklärte Wedekind in der Vorbemerkung: „Das Heft, in dem das ganze Schäfergedicht enthalten war, hat in späteren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und verloren.“ [KSA 1/I, S. 566] In einer handschriftlichen Fassung der Vorbemerkung heißt es: „Das Heft [...] hat in gefahrvolleren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und als er selbst in Gefahr schwebte verloren.“ [KSA 1/II, S. 1545] Das war nach Wedekinds Flucht aus München am 30.10.1898 infolge des Haftbefehls wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre, wie die Antwort des Freundes auf den vorliegenden Brief bestätigt [vgl. Hans Richard Weinhöppel an Wedekind, 15.3.1905]., betitelt Bucolica. Ich lasse das Büchlein mit Freuden in Deinen Händen, wenn Du es noch hast. Ich hätte aber gerne eine getreue Abschrift davon, | da ich einige Verse daraus nothwendig brauche. Willst Du mir diese Abschrift herstellen lassen? Oder willst Du mir das Manuscript herschicken, damit ich es abschreiben lassen kann? – Ich bitte Dich, mir diese Frage zu beantworten, denn es handelt sich schließlich doch um ein Manuscript, welches, sei es auch noch so unreif und schweinisch, für mich eine gewisse Bedeutung hat, die es für niemand anders haben kann. Vor einigen Tagen war ich bei BierbaumWedekind war bei Otto Julius Bierbaum am 24.2.1905 in München zum Mittagessen eingeladen [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 23.2.1905]., der mir mit großer Wärme von Deiner Arbeit vorschwärmte. In der Zuversicht, daß gemeinsames künstlerisches Schaffen doch ein stärkeres Bindemittel ist, als es Pfirsichbowle, Schweinssauerbraten und KegelbahnAnspielung auf die Unterströmung, Max Halbes Kegelrunde, die sich über viele Jahre in einem Münchner Lokal (Türkenstraße 33) in unmittelbarer Nähe zur Spielstätte der Elf Scharfrichter (Türkenstraße 28) traf [vgl. Kemp 2017, S. 29]. Hans Richard Weinhöppel war zuletzt am 10.2.1905 auf der „Kegelbahn“ [Tb Halbe] gewesen (siehe oben). jemals werden können, schöpfte ich gerade bei Bierbaum neue Hoffnung, daß die Wiederkehr der alten Zeit nicht mehr ferne liegt.

Mit herzlichsten Grüßen Dein alter
Frank.


Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    8. März 1905 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Rom
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
138-139
Briefnummer:
242
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 8.3.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

04.10.2024 12:21