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Kennung: 106

Stein am Rhein, 20. Januar 1884 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Plümacher, Olga

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Stein a/Rh., den 20 Januar 84.


Mein lieber Franklin!

Entschuldige, daß ich Dir auf Conzeptpapier schreibe; mein Postpapier ist alle und es ist Sonntag, wo ich als fromme Bürgerin nicht gerne in den Laden sende. Und doch will ich heute noch ein wenig mit Dir plaudern; denn morgen gibt’s wieder allerlei sonst zu besorgen, u der Kaffeehandel geht „animirt“, drei Säcke muß ich morgen spediren und dann erwarte ich jetzt auch mit jeder Post einen endgiltigenveraltete Schreibweise für: endgültigen. Bericht von F. A. Brockhaus in Leipzig wegen der Uebernahme meines Buches; kann ich mich mit B. nicht verständigen, so bekommt G. Weiß in Heidelberg den Verlag; in jedem Fall wird die Drucklegung nächstens beginnen und zu Ostern Ostersonntag war am 13.4.1884; erst im Sommer schickte Olga Plümacher ein gebundenes Exemplar ihres frisch gedruckten Buchs „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“ zusammen mit einem Begleitbrief an Wedekind [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 23.6.1884]. Angeboten hatte sie die philosophische Abhandlung zunächst dem Verleger Georg Weiß in Heidelberg, dessen Konditionen ihr aber nicht vollständig zusagten, so dass sie das Manuskript auch an F.A. Brockhaus in Leipzig sandte, das Buch schließlich aber doch bei Weiß publizierte.hoffe ich mein Geisteskindlein auf den Jahrmarkt des Lebens heraus treten zu sehen. –

Ich danke Dir herzlich für Deine abermalige Bemühung in der Cadettenangelegen|heit; einige der verzeichneten Schriften sind bereits an meinen MannEugen Hermann Plümacher war Schweizer Konsul in Maracaibo in Venezuela. abgegangen, andere aber sind mir noch nicht bekannt geworden und werde ich sie mir beschaffen. Also beß/s/ten Dank!

Um auf das Sonett noch einmal zurück zu kommenvgl. Olga Plümacher an Wedekind, 5.1.1884., so weiß ich nicht ob Dir bekannt ist, daß kein Geringerer als Shakespear 14/5/4 Sonette gedichtet hat in falscher Form. Ob er die richtige nicht kannte, oder ob sie ihm zu sehr Feßel dünkte, weiß ich nicht – ein Literatur-Historiker könnte darüber ein Buch schreiben – und vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich, ist es auch schon geschehen. Da mir auch nicht bekannt ob Du einen englischen Shakespear zu Handen hast, so schreib ich Dir eines der hübschesten Sonette ab. Vol (Vide Beiblatt.) Du siehst daraus, daß er nur 10 Silben in der Zeile | hat und zwei p/P/aar Reime zu viel. Der besungene Gegenstand ist wie Du weißt, keine Dame, sondern ein junger Freundnicht identifiziert.; das Verhältnißeine homoerotische Beziehung. also ähnlich wie das bei p/P/laten, dessen Sonette ja auch an Justus von Liebig gerichtet waren. Die Philister verstehen natürlich eine derartige Freundschaft nicht und haben sich daher bemüht d ihre Träger in den Coth zu ziehen. – Ich habe gestern noch an meine Freundin in ZürichEs dürfte sich um Anna Ganter-Schilling handeln, die von 1877 bis 1880 in Zürich Philosophie studiert hatte [vgl. Matrikeledition Zürich] und mit ihrem Ehemann, dem Gymnasiallehrer Dr. Heinrich Ganter-Schilling in der Asylstraße 13 im Zürcher Vorort Hottingen wohnte [Adreßbuch der Stadt Zürich 1884, S. 92]. Über einen gemeinsamen Besuch der großen Kunstausstellung in Zürich im Sommer 1883 berichtete Olga Plümacher ausführlich nach Lenzburg: „In der Kunsthalle, die ich mit Frau Dr. Ganter besuchte, kamen mir Franklins Berichte recht zu Statten. Ich erkannte sofort alle die Objecte von denen er mir erzählt und die er als in der einen oder andern Hinsicht intressant bezeichnet hatte.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 26.7.1883 (Mü, FW B 130)] geschrieben sie möge mir das Gabriel-Max-Albumeine Sammlung von 12 Fotografien des Malers, die in Franz Hanfstaengl’s Kunstverlag (München) angeboten wurde: „Max-Album, Gabriel, 12 Blatt in Leporelloformat 14 M[ark]; - Cabinetformat mit eleganter Leinwandmappe. 14 M[ark. Folioformat mit eleganter Leinwandmappe. 30 Mark [Adolph Russell: Gesamt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels, Münster i/W. 1881, S. 614]. „Tannhäuser und Venus“ (1878). für 8 Tage leihen. Sobald ich es erhalte – ich hoffe zuversichtlich, daß sie meine Bitte gewährtNachdem ihre Freundin die Ausleihe verweigerte, erwarb Olga Plümacher eine Reproduktion des Werks und schickte es mit einem Begleitbrief an Emilie Wedekind: „Meine „mich innigliebende“ Freundin hat mir ihr G. Max-Album nicht leihen mögen; solche Sachen würden einen nur verderben – meinte sie; daher habe ich das in Frage gekommene Tannhäuser-Bild gekauft und sende es anbei dem lieben Franklin mit meinem beßten Gruß, und er könne es behalten.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 6.2.1884 (Mü, FW B 130)]. – so sende ich es Dir; es hat wundervolle Sachen dabei, die kennen zu lernen gewiß auch der lieben Mama Freude machen wird. G. Max ist eben eine ganz einzigartige Individualität unserer modernen Maler. – Als ich gestern Abend Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 18.1.1884. erhielt, wußte und kannte | ich von Rudolf Baumbach noch nichts als eben den Namen und den Titel des von Dir erwähnten Buchesnicht identifiziert; an anderer Stelle nennt Wedekind mehrere Publikationen Rudolf Baumbachs (Lieder eines Fahrenden, Spielmannslieder, Abentheuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt), die er gelesen habe [vgl. Wedekind an Anny Barck, 23.2. bis 12.3.1884]., da ich dieses wiederholt in Journalen angezeigt fand; auch hatte ich irgendwo eine Kritik flüchtig gestreift, worin die Gedicht Schreibversehen, statt: Gedichte.als geistvoll und formschön, wenn auch oft etwas derb und „verwegen“ geschildert wurden. Kaum aber hatte ich Deinen Brief gelesen, brachte die Bötin mir die Mappe den/s/ Lesecirkels für diese Woche, und siehe da, in „Nord u. Süd“ finde ich einige „neue GedichteUnter der Überschrift „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ wurden 7 Gedichte von dem Dichter in der Zeitschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) veröffentlicht. von Rud. Baumbach begleitet von einer Fußnote; daß eine der nächsten Nummern auch eine Beurtheilung und Charakteristik dieses Dichters bringen werde. Ich bin nun weit zurück in der Reihe derer, die an diesem Lesecirkel Theil haben; die betreffende Nummer von „Nord u. Süd“ ist Mai 83, mithin ist auch die Beurtheilung längst erschienen. Sollte sie aber auch noch | nicht zu Dir gelangt sein, so will ich sie Dir senden, sobald ich sie erhalte. Nord u. Süd ist aber nur eine Monats-bl Revue, daher es zum mindesten 4, vielleicht aber 8 Wochen geht bis mir dieses möglich ist. Von diesen „neuen Gedichten“ habe ich zwei für Dich abgeschrieben (vide Beiblatt) und sind beide wohl recht bezeichnend für seine Weise und für diese Weise ganz reizend. –

Du sagst du hättest Wagner‘s Tannhäuser-Text gelesen. Nun, Wagner’s Tannhäuser ist eine prachtvolle Oper, aber als Dichtung hat sie nicht viel zu bedeutendSchreibversehen, statt: bedeuten.. Die „Schwäche“ der Lösung ist aber insofern höchst interessant, als es eine sie re sie direct aus einer „Schwäche“, aus einer Unentschiedenheit des katholischen Dogmas hervorwächst. Die katholische Kirche beansprucht nämlich einerseits die unbedingte Macht zu „lösen und zu binden“, dem Sünder zu vergeben, ihn | im letzten Moment noch vonSchreibversehen, statt: vor. der Verdammniß zu retten, oder anderseits ihn vermittelst des Bannes aus dem dem Kreis der Gnade auszustoßen; zum andern aber bekennt sie sich durch verschiedene Concils-Beschlüße zur Lehre des Kirchenvaters Augustinus, der im Sinne des Paulus und des Johannes-Evangeliums eine Vorweltliche Prädestination zur Seligkeit oder zur Verdammniß (Johannes „Gottes- und Teufels-KinderBibelzitat: 1. Joh. 3,10.[“] annahm. Entsprechend der Prädestinationslehre kann auch die Kirche nicht weder die zur Hölle verdammen noch vor der Hölle retten, sondern alle ihre Gnadenmittel beziehen sich nur auf das Verhältniß des/r/ zum ewigen Leben Berufenen und dem Fegefeuer. Sie kann nur die Qual des Millionen und Millionen Jahre dauernden Aufenthaltes im Fegefeuer auf mindere Zeit reduciren, resp. verlängern. Natürlich | suchte man sich dadurch mit dem Widerspruch in’s Reine zu setzen, daß mannSchreibversehen, statt: man. die Fälle registrirte, wo anzunehmen sei, daß der Sündenträger ein prädestinirter Höllenkandidat, oder bloß ein der Gnadenmittel noch zugängliches irrendes Schaaf der Gottesherde sei. Der Papst hat nun eben gemeint der Sommeraufenthalt des Tannhäusers bei der Erzteufelin Frau Venus sei ein sicheres Zeichen daß Tannhäuser zu den Verworfenen gehöre und sein Spruch enthielt also keine persönliche Grausamkeit. Freilich in sofern kommt er bei Wagner schlecht weg, als er sich eben als irrender Mensch, und nicht als infallibel erweißt. Wagner hat den „Tannhäuser“ auf drei verschiedene Weisen zu Ende bringen lassen: der Papst sagt bekanntlich: „wie dieser StabZitat („wie dieser Stab in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“; die älteste Form ist nun, daß die Pilger | den Pilgerstab des Tannhäusers auf die Bühne bringen, nachdem ihm Knospen und Blätter entsproßen sind. Ueber dieses handfeste Wunder wurde gelächelt und nun liesSchreibversehen; statt: ließ. Wag. den Tann. einfach mit den Worten „heilige ElisabethZitat („heilige Elisabeth bitt’ für mich“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). bitt’ für mich“ sterben, und setzte voraus, daß das Publikum anders dächte als der Papst und vollkommen beruhigt über das jenseitige Schicksals des armen Tannhäusers nach Hause gehe. Aber das gefiel an kath. Orten nicht, und so wurde das Wunder wieder eingesetzt, aber der Stab kam nicht auf die Bühne, das Hauptgewicht wurde auf die Fürbitt der heiligen Elisabeth gelegt. Nun, wie gesagt für eine Oper ist’s ja ganz gut; sonst aber könnte man aus dem Tannhäuser MytosSchreibversehen, statt: Mythos. unendlich viel mehr machen und ist das Thema durchaus noch nicht von den Dichd/t/ern erschöpft. Ich empfehle Dir für die ferne Zukunft diesen Stoff; über dasSchreibversehen, statt: das. „Wie“, wie ich es mir denke, will ich Dir einmal | mündlich auseinander setzen. –

Was nun endlich noch den erkenntnißtheoretischen Idealismus als abstrakter Monismus betriftSchreibversehen, statt: betrifft; Olga Plümacher setzt hier die philosophische Diskussion aus dem letzten Brief fort und behandelt Themen aus ihrem fertiggestellten Buchmanuskript „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“.Schreibversehen, statt: betrifft., (d.h. als die Anschauung, daß die Welt der Vielheit eigentlich nur ein Schein, und in Wirklichkeit nur Ein Wesen sei, das gleichsam die Welt nur als seinen schlimmen Traum träume) so ist sein Zusammenhang mit dem Pessimismus oder Optimismus ein lockerer.

In der Philosophie der Indier ist der Illusionismus mit dem Pessimismus verbunden; aber der moderne Skepticismus des Neu-Kantianismus führt auch auf den Illusionismus hinaus, und doch vertreten die Neu-Kantianer den Optimismus.

Es kommt eben bezüglich Optimismus und Pessimismus nicht darauf an ob wie ich mir das Erfahrene denke, ob ich es „Sein“ oder „Schein“ nenne, es ist eben doch was es ist für die Empfindung, und es kommt einfach darauf an, ob ich die Summe | der Empfindung für überwiegend angenehm oder überwiegend unangenehm, leidvoll für die Empfindungssubjecte erachte. – Auch hierüber findest Du Einiges in meinem Buche. –

Doch nun will ich schließen. Bitte gib das BriefleinBrief Olga Plümachers an Minna von Greyerz vom 20.1.1884 – Antwort auf Minna von Greyerz’ Brief an Olga Plümacher vom 13.1.1884, den diese ihrem Brief an Frank Wedekind beilegte; – die Korrespondenz zwischen Olga Plümacher und Minna von Greyerz ist nicht überliefert. Deiner Cousine, der lieben Mama aber meine herzlichsten Grüße.

Mein lieber Franklin! Nun habe ich so lange mit Dir geschwazt – nun tu mir auch den Gefallen und schreibe bald mal meinem lieben, armen einsamen JungenWedekinds Freund Hermann Plümacher, der in Heilbronn eine Lehre zum Kaufmann machte. im Schwabenländle ein paar freundliche Worte, gelt Lieber? Man kann zwar ja mit ihm nicht philosophiren und – phantasiren – aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und einen sehr gesunden Verstand für alles Praktische und ist so treu und so ehrlich in seiner Freundschaft, wenn er es auch nicht in schönen Worten sagen kann.

[Am rechten Rand:]

Adieu lieber Franklin! Es freut mich, daß bei Dir wieder recht klares Wetter geworden ist, und die rosenrothen NebelWedekinds Leidenschaft für Blanche Zweifel, die er in seinen Gedichten Frau Venus nannte. sich verzogen haben.

Deine Dich liebende Tante O. Plümacher


[Beilage:]


Beiblatt.


Sonnet*) CXVI by Schakespear.

(* Die Engländer schreiben „Sonnet“ u. „Sonnets“, (plur.) die Deutschen „Sonett“ und „Sonette“; welches ist richtiger? Ich habe kein italiänisches Wörterbuch zur Hand; nach dem<Loch: de> Italiänischen aber sollte man sich richten, da die Form eine aus Italien stammende ist.


Let me not to the mariageSchreibversehen, statt: marriage. of true minds
                                               ≠
Admit inpediments. Love ist not love
                                                      oo
Which alters when it alteration finds,
                                                         ≠

Or bends whith the remover to remove:
                                                      oo

O no! It is an ever-fixed mark,
                                          xx
That looks on tempests, and is never shaken;
                                                              uuuu
It is the star to every wandering bark,
                                                     xx
Whose worths unknown, althoughtSchreibversehen, statt: although. his hight be taken.
                                                                         uuuu


Love’s not time’s fool, though rosy lips and cheksSchreibversehen, statt: cheeks.
                                                                      uuuu
Within his bending sikle’s compass Come;
                                                             ...
Love alters not with his brief houersSchreibversehen, statt: houres. and weeks,
                                                                  uuuu
But bears it out even to the edge of doomSchreibversehen, statt: doome..
                                                            ...
If this be error, and upon me prov’dSchreibversehen, statt: proved.,
                                                  x
I never writ, nor no man ever lov’dSchreibversehen, statt: loved..
                                        –––––x |


Aus „Neue Dichtungen“
von Rudolf Baumbach


–––––


Die beiden HausgeisterTitel des ersten Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) abgedruckt ist.


Zwei Geister hab’ ich – wer glaubt mir das?
Daheim in meiner Klause.
Der eine ist im Tintenfaß,
Im Krug der andre zu Hause,
Im Weinkrug poltert der eine laut,
Und allzeit lustig ist er;
Der Tintengeist gar finster schaut,
Ein grämlicher Magister.


Der Schwarze raunt mir Worte zu,
mitunter ziemlich kluge.
Dann hält der andre keine Ruh’
Und hebt den Deckel vom Kruge.
Sie sind im Streite für und für,
Sie können sich nicht vertragen,
Und hab ich hinter mir die Thür,
So fassen sie sich beim Kragen,


Jüngst haben sie Frieden einmal gemacht,
das war zu meinem Fluche.
Der Lustige war um Mitternacht
Beim Schwarzen zu Besuche,
Und als ich später kam nach Haus
Und saß zu schreiben nieder,
EntfloßSchreibversehen, statt: Entflossen. meinem Kiel – o Graus!
Nur lauter Schlemmer- und Schelmenlieder |


Im Jammer hab ich imSchreibversehen, statt: am. Morgenlicht
den Greuel überlesen.
Derweilen war der Tintenwicht
Im Weinkrug Gast gewesen.
Denn als ich lechzend trank das Naß,
War’s herb und gallenbitter,
Und zornig schlug ich Tintenfaß
Und Krug in tausend Splitter.


–––––


2.)

Du bist gewarnt, nun halte WachtTitel („Du bist gewarnt, nun halte Wacht.“) des fünften Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, 1883, S. 205-208) abgedruckt ist..


–––––


Zur Krone gewunden ist Dein Zopf,
Durchstochen von silbernenSchreibversehen, statt: silberner. Nadel.
Du trägst so stolz und hoch den Kopf,
Als wärst Du von altem Adel,
Und bist doch nur ein Bauernkind
Das Sense führt und Rechen. –
Der BaumSchreibversehen, statt: Den Baum, der. der sich nicht biegt im Wind,
Wird jäher Sturm zerbrechen.
Wie breit und tief ein Wasserbach,
Er läßt sich doch durchschwimmen;
Wie hoch und steil ein Giebeldach,
Es läßt sich doch erklimmen.
Du bist gewarnt, nun halte Wacht,
Willst Du nicht sanft Dich schmiegen. –im Original; in späteren Fassungen „fügen“.
Der Mann der Fensterladen macht
Der macht auch Leiterstiegen.


–––––                                                                                                                                    

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 7 Blatt, davon 13 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 2 Doppelblatt. 8 Seiten beschrieben. Seitenmaß 18 x 24 cm. 1 Blatt. 2 Seiten beschrieben. 18 x 24 cm. Beilage: Papier. Doppelblatt. 3 Seiten beschrieben. Seitenmaß 18 x 24 cm. Alles gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 10 befindet sich am rechten Seitenrand im Querformat der Schluss des Briefs. Wedekind hat die Seiten 5 (Beginn des 2. Doppelblatts) und 9 (Beginn des Einzelblatts) nummeriert („2“ und „3“). Die Doppelblätter sind am offenen Seitenrand sehr stark eingerissen – zum Teil mit Textverlust.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Stein am Rhein
    20. Januar 1884 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Stein am Rhein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 130
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Olga Plümacher an Frank Wedekind, 20.1.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

11.06.2024 17:59
Kennung: 106

Stein am Rhein, 20. Januar 1884 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Plümacher, Olga

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Stein a/Rh., den 20 Januar 84.


Mein lieber Franklin!

Entschuldige, daß ich Dir auf Conzeptpapier schreibe; mein Postpapier ist alle und es ist Sonntag, wo ich als fromme Bürgerin nicht gerne in den Laden sende. Und doch will ich heute noch ein wenig mit Dir plaudern; denn morgen gibt’s wieder allerlei sonst zu besorgen, u der Kaffeehandel geht „animirt“, drei Säcke muß ich morgen spediren und dann erwarte ich jetzt auch mit jeder Post einen endgiltigenveraltete Schreibweise für: endgültigen. Bericht von F. A. Brockhaus in Leipzig wegen der Uebernahme meines Buches; kann ich mich mit B. nicht verständigen, so bekommt G. Weiß in Heidelberg den Verlag; in jedem Fall wird die Drucklegung nächstens beginnen und zu Ostern Ostersonntag war am 13.4.1884; erst im Sommer schickte Olga Plümacher ein gebundenes Exemplar ihres frisch gedruckten Buchs „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“ zusammen mit einem Begleitbrief an Wedekind [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 23.6.1884]. Angeboten hatte sie die philosophische Abhandlung zunächst dem Verleger Georg Weiß in Heidelberg, dessen Konditionen ihr aber nicht vollständig zusagten, so dass sie das Manuskript auch an F.A. Brockhaus in Leipzig sandte, das Buch schließlich aber doch bei Weiß publizierte.hoffe ich mein Geisteskindlein auf den Jahrmarkt des Lebens heraus treten zu sehen. –

Ich danke Dir herzlich für Deine abermalige Bemühung in der Cadettenangelegen|heit; einige der verzeichneten Schriften sind bereits an meinen MannEugen Hermann Plümacher war Schweizer Konsul in Maracaibo in Venezuela. abgegangen, andere aber sind mir noch nicht bekannt geworden und werde ich sie mir beschaffen. Also beß/s/ten Dank!

Um auf das Sonett noch einmal zurück zu kommenvgl. Olga Plümacher an Wedekind, 5.1.1884., so weiß ich nicht ob Dir bekannt ist, daß kein Geringerer als Shakespear 14/5/4 Sonette gedichtet hat in falscher Form. Ob er die richtige nicht kannte, oder ob sie ihm zu sehr Feßel dünkte, weiß ich nicht – ein Literatur-Historiker könnte darüber ein Buch schreiben – und vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich, ist es auch schon geschehen. Da mir auch nicht bekannt ob Du einen englischen Shakespear zu Handen hast, so schreib ich Dir eines der hübschesten Sonette ab. Vol (Vide Beiblatt.) Du siehst daraus, daß er nur 10 Silben in der Zeile | hat und zwei p/P/aar Reime zu viel. Der besungene Gegenstand ist wie Du weißt, keine Dame, sondern ein junger Freundnicht identifiziert.; das Verhältnißeine homoerotische Beziehung. also ähnlich wie das bei p/P/laten, dessen Sonette ja auch an Justus von Liebig gerichtet waren. Die Philister verstehen natürlich eine derartige Freundschaft nicht und haben sich daher bemüht d ihre Träger in den Coth zu ziehen. – Ich habe gestern noch an meine Freundin in ZürichEs dürfte sich um Anna Ganter-Schilling handeln, die von 1877 bis 1880 in Zürich Philosophie studiert hatte [vgl. Matrikeledition Zürich] und mit ihrem Ehemann, dem Gymnasiallehrer Dr. Heinrich Ganter-Schilling in der Asylstraße 13 im Zürcher Vorort Hottingen wohnte [Adreßbuch der Stadt Zürich 1884, S. 92]. Über einen gemeinsamen Besuch der großen Kunstausstellung in Zürich im Sommer 1883 berichtete Olga Plümacher ausführlich nach Lenzburg: „In der Kunsthalle, die ich mit Frau Dr. Ganter besuchte, kamen mir Franklins Berichte recht zu Statten. Ich erkannte sofort alle die Objecte von denen er mir erzählt und die er als in der einen oder andern Hinsicht intressant bezeichnet hatte.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 26.7.1883 (Mü, FW B 130)] geschrieben sie möge mir das Gabriel-Max-Albumeine Sammlung von 12 Fotografien des Malers, die in Franz Hanfstaengl’s Kunstverlag (München) angeboten wurde: „Max-Album, Gabriel, 12 Blatt in Leporelloformat 14 M[ark]; - Cabinetformat mit eleganter Leinwandmappe. 14 M[ark. Folioformat mit eleganter Leinwandmappe. 30 Mark [Adolph Russell: Gesamt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels, Münster i/W. 1881, S. 614]. „Tannhäuser und Venus“ (1878). für 8 Tage leihen. Sobald ich es erhalte – ich hoffe zuversichtlich, daß sie meine Bitte gewährtNachdem ihre Freundin die Ausleihe verweigerte, erwarb Olga Plümacher eine Reproduktion des Werks und schickte es mit einem Begleitbrief an Emilie Wedekind: „Meine „mich innigliebende“ Freundin hat mir ihr G. Max-Album nicht leihen mögen; solche Sachen würden einen nur verderben – meinte sie; daher habe ich das in Frage gekommene Tannhäuser-Bild gekauft und sende es anbei dem lieben Franklin mit meinem beßten Gruß, und er könne es behalten.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 6.2.1884 (Mü, FW B 130)]. – so sende ich es Dir; es hat wundervolle Sachen dabei, die kennen zu lernen gewiß auch der lieben Mama Freude machen wird. G. Max ist eben eine ganz einzigartige Individualität unserer modernen Maler. – Als ich gestern Abend Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 18.1.1884. erhielt, wußte und kannte | ich von Rudolf Baumbach noch nichts als eben den Namen und den Titel des von Dir erwähnten Buchesnicht identifiziert; an anderer Stelle nennt Wedekind mehrere Publikationen Rudolf Baumbachs (Lieder eines Fahrenden, Spielmannslieder, Abentheuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt), die er gelesen habe [vgl. Wedekind an Anny Barck, 23.2. bis 12.3.1884]., da ich dieses wiederholt in Journalen angezeigt fand; auch hatte ich irgendwo eine Kritik flüchtig gestreift, worin die Gedicht Schreibversehen, statt: Gedichte.als geistvoll und formschön, wenn auch oft etwas derb und „verwegen“ geschildert wurden. Kaum aber hatte ich Deinen Brief gelesen, brachte die Bötin mir die Mappe den/s/ Lesecirkels für diese Woche, und siehe da, in „Nord u. Süd“ finde ich einige „neue GedichteUnter der Überschrift „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ wurden 7 Gedichte von dem Dichter in der Zeitschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) veröffentlicht. von Rud. Baumbach begleitet von einer Fußnote; daß eine der nächsten Nummern auch eine Beurtheilung und Charakteristik dieses Dichters bringen werde. Ich bin nun weit zurück in der Reihe derer, die an diesem Lesecirkel Theil haben; die betreffende Nummer von „Nord u. Süd“ ist Mai 83, mithin ist auch die Beurtheilung längst erschienen. Sollte sie aber auch noch | nicht zu Dir gelangt sein, so will ich sie Dir senden, sobald ich sie erhalte. Nord u. Süd ist aber nur eine Monats-bl Revue, daher es zum mindesten 4, vielleicht aber 8 Wochen geht bis mir dieses möglich ist. Von diesen „neuen Gedichten“ habe ich zwei für Dich abgeschrieben (vide Beiblatt) und sind beide wohl recht bezeichnend für seine Weise und für diese Weise ganz reizend. –

Du sagst du hättest Wagner‘s Tannhäuser-Text gelesen. Nun, Wagner’s Tannhäuser ist eine prachtvolle Oper, aber als Dichtung hat sie nicht viel zu bedeutendSchreibversehen, statt: bedeuten.. Die „Schwäche“ der Lösung ist aber insofern höchst interessant, als es eine sie re sie direct aus einer „Schwäche“, aus einer Unentschiedenheit des katholischen Dogmas hervorwächst. Die katholische Kirche beansprucht nämlich einerseits die unbedingte Macht zu „lösen und zu binden“, dem Sünder zu vergeben, ihn | im letzten Moment noch vonSchreibversehen, statt: vor. der Verdammniß zu retten, oder anderseits ihn vermittelst des Bannes aus dem dem Kreis der Gnade auszustoßen; zum andern aber bekennt sie sich durch verschiedene Concils-Beschlüße zur Lehre des Kirchenvaters Augustinus, der im Sinne des Paulus und des Johannes-Evangeliums eine Vorweltliche Prädestination zur Seligkeit oder zur Verdammniß (Johannes „Gottes- und Teufels-KinderBibelzitat: 1. Joh. 3,10.[“] annahm. Entsprechend der Prädestinationslehre kann auch die Kirche nicht weder die zur Hölle verdammen noch vor der Hölle retten, sondern alle ihre Gnadenmittel beziehen sich nur auf das Verhältniß des/r/ zum ewigen Leben Berufenen und dem Fegefeuer. Sie kann nur die Qual des Millionen und Millionen Jahre dauernden Aufenthaltes im Fegefeuer auf mindere Zeit reduciren, resp. verlängern. Natürlich | suchte man sich dadurch mit dem Widerspruch in’s Reine zu setzen, daß mannSchreibversehen, statt: man. die Fälle registrirte, wo anzunehmen sei, daß der Sündenträger ein prädestinirter Höllenkandidat, oder bloß ein der Gnadenmittel noch zugängliches irrendes Schaaf der Gottesherde sei. Der Papst hat nun eben gemeint der Sommeraufenthalt des Tannhäusers bei der Erzteufelin Frau Venus sei ein sicheres Zeichen daß Tannhäuser zu den Verworfenen gehöre und sein Spruch enthielt also keine persönliche Grausamkeit. Freilich in sofern kommt er bei Wagner schlecht weg, als er sich eben als irrender Mensch, und nicht als infallibel erweißt. Wagner hat den „Tannhäuser“ auf drei verschiedene Weisen zu Ende bringen lassen: der Papst sagt bekanntlich: „wie dieser StabZitat („wie dieser Stab in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“; die älteste Form ist nun, daß die Pilger | den Pilgerstab des Tannhäusers auf die Bühne bringen, nachdem ihm Knospen und Blätter entsproßen sind. Ueber dieses handfeste Wunder wurde gelächelt und nun liesSchreibversehen; statt: ließ. Wag. den Tann. einfach mit den Worten „heilige ElisabethZitat („heilige Elisabeth bitt’ für mich“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). bitt’ für mich“ sterben, und setzte voraus, daß das Publikum anders dächte als der Papst und vollkommen beruhigt über das jenseitige Schicksals des armen Tannhäusers nach Hause gehe. Aber das gefiel an kath. Orten nicht, und so wurde das Wunder wieder eingesetzt, aber der Stab kam nicht auf die Bühne, das Hauptgewicht wurde auf die Fürbitt der heiligen Elisabeth gelegt. Nun, wie gesagt für eine Oper ist’s ja ganz gut; sonst aber könnte man aus dem Tannhäuser MytosSchreibversehen, statt: Mythos. unendlich viel mehr machen und ist das Thema durchaus noch nicht von den Dichd/t/ern erschöpft. Ich empfehle Dir für die ferne Zukunft diesen Stoff; über dasSchreibversehen, statt: das. „Wie“, wie ich es mir denke, will ich Dir einmal | mündlich auseinander setzen. –

Was nun endlich noch den erkenntnißtheoretischen Idealismus als abstrakter Monismus betriftSchreibversehen, statt: betrifft; Olga Plümacher setzt hier die philosophische Diskussion aus dem letzten Brief fort und behandelt Themen aus ihrem fertiggestellten Buchmanuskript „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“.Schreibversehen, statt: betrifft., (d.h. als die Anschauung, daß die Welt der Vielheit eigentlich nur ein Schein, und in Wirklichkeit nur Ein Wesen sei, das gleichsam die Welt nur als seinen schlimmen Traum träume) so ist sein Zusammenhang mit dem Pessimismus oder Optimismus ein lockerer.

In der Philosophie der Indier ist der Illusionismus mit dem Pessimismus verbunden; aber der moderne Skepticismus des Neu-Kantianismus führt auch auf den Illusionismus hinaus, und doch vertreten die Neu-Kantianer den Optimismus.

Es kommt eben bezüglich Optimismus und Pessimismus nicht darauf an ob wie ich mir das Erfahrene denke, ob ich es „Sein“ oder „Schein“ nenne, es ist eben doch was es ist für die Empfindung, und es kommt einfach darauf an, ob ich die Summe | der Empfindung für überwiegend angenehm oder überwiegend unangenehm, leidvoll für die Empfindungssubjecte erachte. – Auch hierüber findest Du Einiges in meinem Buche. –

Doch nun will ich schließen. Bitte gib das BriefleinBrief Olga Plümachers an Minna von Greyerz vom 20.1.1884 – Antwort auf Minna von Greyerz’ Brief an Olga Plümacher vom 13.1.1884, den diese ihrem Brief an Frank Wedekind beilegte; – die Korrespondenz zwischen Olga Plümacher und Minna von Greyerz ist nicht überliefert. Deiner Cousine, der lieben Mama aber meine herzlichsten Grüße.

Mein lieber Franklin! Nun habe ich so lange mit Dir geschwazt – nun tu mir auch den Gefallen und schreibe bald mal meinem lieben, armen einsamen JungenWedekinds Freund Hermann Plümacher, der in Heilbronn eine Lehre zum Kaufmann machte. im Schwabenländle ein paar freundliche Worte, gelt Lieber? Man kann zwar ja mit ihm nicht philosophiren und – phantasiren – aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und einen sehr gesunden Verstand für alles Praktische und ist so treu und so ehrlich in seiner Freundschaft, wenn er es auch nicht in schönen Worten sagen kann.

[Am rechten Rand:]

Adieu lieber Franklin! Es freut mich, daß bei Dir wieder recht klares Wetter geworden ist, und die rosenrothen NebelWedekinds Leidenschaft für Blanche Zweifel, die er in seinen Gedichten Frau Venus nannte. sich verzogen haben.

Deine Dich liebende Tante O. Plümacher


[Beilage:]


Beiblatt.


Sonnet*) CXVI by Schakespear.

(* Die Engländer schreiben „Sonnet“ u. „Sonnets“, (plur.) die Deutschen „Sonett“ und „Sonette“; welches ist richtiger? Ich habe kein italiänisches Wörterbuch zur Hand; nach dem<Loch: de> Italiänischen aber sollte man sich richten, da die Form eine aus Italien stammende ist.


Let me not to the mariageSchreibversehen, statt: marriage. of true minds
                                               ≠
Admit inpediments. Love ist not love
                                                      oo
Which alters when it alteration finds,
                                                         ≠

Or bends whith the remover to remove:
                                                      oo

O no! It is an ever-fixed mark,
                                          xx
That looks on tempests, and is never shaken;
                                                              uuuu
It is the star to every wandering bark,
                                                     xx
Whose worths unknown, althoughtSchreibversehen, statt: although. his hight be taken.
                                                                         uuuu


Love’s not time’s fool, though rosy lips and cheksSchreibversehen, statt: cheeks.
                                                                      uuuu
Within his bending sikle’s compass Come;
                                                             ...
Love alters not with his brief houersSchreibversehen, statt: houres. and weeks,
                                                                  uuuu
But bears it out even to the edge of doomSchreibversehen, statt: doome..
                                                            ...
If this be error, and upon me prov’dSchreibversehen, statt: proved.,
                                                  x
I never writ, nor no man ever lov’dSchreibversehen, statt: loved..
                                        –––––x |


Aus „Neue Dichtungen“
von Rudolf Baumbach


–––––


Die beiden HausgeisterTitel des ersten Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) abgedruckt ist.


Zwei Geister hab’ ich – wer glaubt mir das?
Daheim in meiner Klause.
Der eine ist im Tintenfaß,
Im Krug der andre zu Hause,
Im Weinkrug poltert der eine laut,
Und allzeit lustig ist er;
Der Tintengeist gar finster schaut,
Ein grämlicher Magister.


Der Schwarze raunt mir Worte zu,
mitunter ziemlich kluge.
Dann hält der andre keine Ruh’
Und hebt den Deckel vom Kruge.
Sie sind im Streite für und für,
Sie können sich nicht vertragen,
Und hab ich hinter mir die Thür,
So fassen sie sich beim Kragen,


Jüngst haben sie Frieden einmal gemacht,
das war zu meinem Fluche.
Der Lustige war um Mitternacht
Beim Schwarzen zu Besuche,
Und als ich später kam nach Haus
Und saß zu schreiben nieder,
EntfloßSchreibversehen, statt: Entflossen. meinem Kiel – o Graus!
Nur lauter Schlemmer- und Schelmenlieder |


Im Jammer hab ich imSchreibversehen, statt: am. Morgenlicht
den Greuel überlesen.
Derweilen war der Tintenwicht
Im Weinkrug Gast gewesen.
Denn als ich lechzend trank das Naß,
War’s herb und gallenbitter,
Und zornig schlug ich Tintenfaß
Und Krug in tausend Splitter.


–––––


2.)

Du bist gewarnt, nun halte WachtTitel („Du bist gewarnt, nun halte Wacht.“) des fünften Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, 1883, S. 205-208) abgedruckt ist..


–––––


Zur Krone gewunden ist Dein Zopf,
Durchstochen von silbernenSchreibversehen, statt: silberner. Nadel.
Du trägst so stolz und hoch den Kopf,
Als wärst Du von altem Adel,
Und bist doch nur ein Bauernkind
Das Sense führt und Rechen. –
Der BaumSchreibversehen, statt: Den Baum, der. der sich nicht biegt im Wind,
Wird jäher Sturm zerbrechen.
Wie breit und tief ein Wasserbach,
Er läßt sich doch durchschwimmen;
Wie hoch und steil ein Giebeldach,
Es läßt sich doch erklimmen.
Du bist gewarnt, nun halte Wacht,
Willst Du nicht sanft Dich schmiegen. –im Original; in späteren Fassungen „fügen“.
Der Mann der Fensterladen macht
Der macht auch Leiterstiegen.


–––––                                                                                                                                    

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 7 Blatt, davon 13 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 2 Doppelblatt. 8 Seiten beschrieben. Seitenmaß 18 x 24 cm. 1 Blatt. 2 Seiten beschrieben. 18 x 24 cm. Beilage: Papier. Doppelblatt. 3 Seiten beschrieben. Seitenmaß 18 x 24 cm. Alles gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 10 befindet sich am rechten Seitenrand im Querformat der Schluss des Briefs. Wedekind hat die Seiten 5 (Beginn des 2. Doppelblatts) und 9 (Beginn des Einzelblatts) nummeriert („2“ und „3“). Die Doppelblätter sind am offenen Seitenrand sehr stark eingerissen – zum Teil mit Textverlust.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Stein am Rhein
    20. Januar 1884 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Stein am Rhein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 130
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Olga Plümacher an Frank Wedekind, 20.1.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

11.06.2024 17:59