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Kennung: 1027

Autrêches, 12. März 1915 (Freitag), Briefzitat

Autor*in

  • Dehmel, Richard

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

[Hinweis und Zitat in Kutscher 3, S. 186f.:]


Dehmel, der Wedekind sein Feldbildein Foto von Richard Dehmel aus dem Feld, im Schützengraben [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. geschickt hatte*, antwortete auf den bewundernden Brief des Dichtersvgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915. am 12.III.15: „Ach, lieber Wedekind, Sie meinenʼs gut, aber es ist nicht viel los mit meiner ‚TatBriefzitat [vgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915]; gemeint ist Richard Dehmels Meldung als Kriegsfreiwilliger.‘. Die tun ja Hunderttausende jetzt; sollten das wirklich lauter ‚Helden‘ sein? Ich meinerseits muß mit dem ollen Odysseus sagen: Ich habe schon Hundsgemeineres erduldetfreies Zitat aus Homers „Odyssee“ (20. Gesang): „Dulde nun aus, mein Herz! noch Härteres hast Du geduldet, / Jenes Tags, da in Wuth der ungeheure Kyklop mir / Fraß die tapferen Freundʼ“ [Johann Heinrich Voß: Homer’s Odyssee. Stereotyp-Ausgabe. Stuttgart, Tübingen 1847 (= Homer’s Werke. Bd. 2), S. 418]. Harry Graf Kessler notierte, Richard Dehmel habe ihm in einem Gespräch erläutert, diese Stelle (‚Du hast sonst schon Schlimmeres erduldet‘) bei Homer müsse mit „noch Hundsgemeineres“ übersetzt werden, „aber das wirkt bei uns viel zu grob und ganz anders als bei Homer.“ [Tb Kessler, 4.9.1901], – nicht bloß als Eckensteher„herumlungernder müßiggänger“ [DWB, Bd. 7 (Neubearbeitung), Sp. 49]. des deutschen Geistes. Die Kriegsstrapazen sind nicht annährend so hart wie z. B. die einer Hochgebirgstour; und das bißchen Leibes- und Lebensgefahr, das droht ja auch im Frieden Millionen von Arbeitern in Bergwerken und anderen Betrieben, ohne daß ein Hahn darnach kräht. Mir war es einfach widerlich, wie die Zeitungen mich plötzlich als eine Art Tyrtäoswie der antike Elegiker Tyrtaios aus Sparta, der Verse mit politischem Inhalt verfasste, „Kampfparänesen (‚Anfeuerungen‘)“, mit homerischen „Wörtern und Wendungen durchsetzt.“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 619] ausposaunten, während an meinen viel besseren Dichtungen beständig herumgenörgelt wird, wenn man sie nicht ganz und gar totschweigt. Man kommt sich wahrhaftig nicht als Held vor, wenn man meistens nichts weiter verrichten kann als Nachtwächter- und Schutzmannsdienste; und es ist eigentlich ein übles Zeichen für den Bildungsstand unserer Heeresleitung, daß man mich dauernd im Schützengraben liegen läßt. Denn das einzige wirklich Schwere für einen an geistige Arbeit gewöhnten Menschen ist der fürchterliche Stumpfsinn, in dem man rettungslos versinkt bei dieser Grabenhockereidas Hocken im Schützengraben. Richard Dehmel notierte am 22.2.1915: „Die gefahrlose Hockerei macht uns allesamt mißmutig.“ [Dehmel 1919, S. 206]. Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, ob es nicht von mir eine Narrheit war, die Muskete in die Hand zu nehmen, nichts weiter als Abenteuerlust, und die wird einem hier gründlich verekelt, wo man mehr mit dem Dreck als mit dem Feind zu kämpfen hat. Jedenfalls könnte ich zu Hause Besseres tun für unser liebes Vaterland, wenn man hinter diesem Begriff etwas Höheres sieht als den gemeinsamen Futtertrog. Ein einziger gut gebauter Satz, den Sie an Ihrem Schreibtisch ersinnen, ist für das künftige Deutschland doch wertvoller als alle Lehmschanzen, die wir hier aufwerfen. Aber was hilftʼs, ich muß halt weiter rackern, nach dem Sprichwort: wer A gesagt hat. Hoffentlich sagen die Herren Diplomaten bald Z! Mit diesem frommen Wunsch Ihr Dehmel.“

*„Ganz baff über unsre ÄhnlichkeitBriefzitat [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. ... grausig, wieviel so’n nackter Mund verrät.“

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Schreibort Autrêches ist durch Richard Dehmels Kriegstagebuch vom 12.3.1915 belegt [vgl. Dehmel 1919, S. 227-229].

  • Schreibort

    Autrêches
    12. März 1915 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Autrêches
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Richard Dehmel an Frank Wedekind, 12.3.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Cordula Greinert

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.08.2024 14:59
Kennung: 1027

Autrêches, 12. März 1915 (Freitag), Briefzitat

Autor*in

  • Dehmel, Richard

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

[Hinweis und Zitat in Kutscher 3, S. 186f.:]


Dehmel, der Wedekind sein Feldbildein Foto von Richard Dehmel aus dem Feld, im Schützengraben [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. geschickt hatte*, antwortete auf den bewundernden Brief des Dichtersvgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915. am 12.III.15: „Ach, lieber Wedekind, Sie meinenʼs gut, aber es ist nicht viel los mit meiner ‚TatBriefzitat [vgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915]; gemeint ist Richard Dehmels Meldung als Kriegsfreiwilliger.‘. Die tun ja Hunderttausende jetzt; sollten das wirklich lauter ‚Helden‘ sein? Ich meinerseits muß mit dem ollen Odysseus sagen: Ich habe schon Hundsgemeineres erduldetfreies Zitat aus Homers „Odyssee“ (20. Gesang): „Dulde nun aus, mein Herz! noch Härteres hast Du geduldet, / Jenes Tags, da in Wuth der ungeheure Kyklop mir / Fraß die tapferen Freundʼ“ [Johann Heinrich Voß: Homer’s Odyssee. Stereotyp-Ausgabe. Stuttgart, Tübingen 1847 (= Homer’s Werke. Bd. 2), S. 418]. Harry Graf Kessler notierte, Richard Dehmel habe ihm in einem Gespräch erläutert, diese Stelle (‚Du hast sonst schon Schlimmeres erduldet‘) bei Homer müsse mit „noch Hundsgemeineres“ übersetzt werden, „aber das wirkt bei uns viel zu grob und ganz anders als bei Homer.“ [Tb Kessler, 4.9.1901], – nicht bloß als Eckensteher„herumlungernder müßiggänger“ [DWB, Bd. 7 (Neubearbeitung), Sp. 49]. des deutschen Geistes. Die Kriegsstrapazen sind nicht annährend so hart wie z. B. die einer Hochgebirgstour; und das bißchen Leibes- und Lebensgefahr, das droht ja auch im Frieden Millionen von Arbeitern in Bergwerken und anderen Betrieben, ohne daß ein Hahn darnach kräht. Mir war es einfach widerlich, wie die Zeitungen mich plötzlich als eine Art Tyrtäoswie der antike Elegiker Tyrtaios aus Sparta, der Verse mit politischem Inhalt verfasste, „Kampfparänesen (‚Anfeuerungen‘)“, mit homerischen „Wörtern und Wendungen durchsetzt.“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 619] ausposaunten, während an meinen viel besseren Dichtungen beständig herumgenörgelt wird, wenn man sie nicht ganz und gar totschweigt. Man kommt sich wahrhaftig nicht als Held vor, wenn man meistens nichts weiter verrichten kann als Nachtwächter- und Schutzmannsdienste; und es ist eigentlich ein übles Zeichen für den Bildungsstand unserer Heeresleitung, daß man mich dauernd im Schützengraben liegen läßt. Denn das einzige wirklich Schwere für einen an geistige Arbeit gewöhnten Menschen ist der fürchterliche Stumpfsinn, in dem man rettungslos versinkt bei dieser Grabenhockereidas Hocken im Schützengraben. Richard Dehmel notierte am 22.2.1915: „Die gefahrlose Hockerei macht uns allesamt mißmutig.“ [Dehmel 1919, S. 206]. Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, ob es nicht von mir eine Narrheit war, die Muskete in die Hand zu nehmen, nichts weiter als Abenteuerlust, und die wird einem hier gründlich verekelt, wo man mehr mit dem Dreck als mit dem Feind zu kämpfen hat. Jedenfalls könnte ich zu Hause Besseres tun für unser liebes Vaterland, wenn man hinter diesem Begriff etwas Höheres sieht als den gemeinsamen Futtertrog. Ein einziger gut gebauter Satz, den Sie an Ihrem Schreibtisch ersinnen, ist für das künftige Deutschland doch wertvoller als alle Lehmschanzen, die wir hier aufwerfen. Aber was hilftʼs, ich muß halt weiter rackern, nach dem Sprichwort: wer A gesagt hat. Hoffentlich sagen die Herren Diplomaten bald Z! Mit diesem frommen Wunsch Ihr Dehmel.“

*„Ganz baff über unsre ÄhnlichkeitBriefzitat [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. ... grausig, wieviel so’n nackter Mund verrät.“

Einzelstellenkommentare

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Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Schreibort Autrêches ist durch Richard Dehmels Kriegstagebuch vom 12.3.1915 belegt [vgl. Dehmel 1919, S. 227-229].

  • Schreibort

    Autrêches
    12. März 1915 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Autrêches
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Richard Dehmel an Frank Wedekind, 12.3.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
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Erstellt von

Cordula Greinert

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.08.2024 14:59