[
Hinweis und Zitat in Kutscher 3,
S. 186f.:]
Dehmel, der Wedekind sein Feldbildein Foto von Richard Dehmel aus dem Feld, im Schützengraben [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. geschickt hatte*,
antwortete auf den bewundernden Brief des Dichtersvgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915. am 12.III.15:
„Ach, lieber Wedekind, Sie meinenʼs gut, aber es ist nicht viel los mit meiner ‚TatBriefzitat [vgl. Wedekind an Richard Dehmel, 6.3.1915]; gemeint ist Richard Dehmels Meldung als Kriegsfreiwilliger.‘. Die
tun ja Hunderttausende jetzt; sollten das wirklich lauter ‚Helden‘ sein? Ich
meinerseits muß mit dem ollen Odysseus sagen: Ich habe schon Hundsgemeineres
erduldetfreies Zitat aus Homers „Odyssee“ (20. Gesang): „Dulde nun aus, mein Herz! noch Härteres hast Du geduldet, / Jenes Tags, da in Wuth der ungeheure Kyklop mir / Fraß die tapferen Freundʼ“ [Johann Heinrich Voß: Homer’s Odyssee. Stereotyp-Ausgabe. Stuttgart, Tübingen 1847 (= Homer’s Werke. Bd. 2), S. 418]. Harry Graf Kessler notierte, Richard Dehmel habe ihm in einem Gespräch erläutert, diese Stelle (‚Du hast sonst schon Schlimmeres erduldet‘) bei Homer müsse mit „noch Hundsgemeineres“ übersetzt werden, „aber das wirkt bei uns viel zu grob und ganz anders als bei Homer.“ [Tb Kessler, 4.9.1901], – nicht bloß als Eckensteher„herumlungernder müßiggänger“ [DWB, Bd. 7 (Neubearbeitung), Sp. 49]. des deutschen Geistes. Die
Kriegsstrapazen sind nicht annährend so hart wie z. B. die einer
Hochgebirgstour; und das bißchen Leibes- und Lebensgefahr, das droht ja auch im
Frieden Millionen von Arbeitern in Bergwerken und anderen Betrieben, ohne daß
ein Hahn darnach kräht. Mir war es einfach widerlich, wie die Zeitungen mich
plötzlich als eine Art Tyrtäoswie der antike Elegiker Tyrtaios aus Sparta, der Verse mit politischem Inhalt verfasste, „Kampfparänesen (‚Anfeuerungen‘)“, mit homerischen „Wörtern und Wendungen durchsetzt.“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 619] ausposaunten, während an meinen viel besseren
Dichtungen beständig herumgenörgelt wird, wenn man sie nicht ganz und gar
totschweigt. Man kommt sich wahrhaftig nicht als Held vor, wenn man meistens
nichts weiter verrichten kann als Nachtwächter- und Schutzmannsdienste; und es
ist eigentlich ein übles Zeichen für den Bildungsstand unserer Heeresleitung,
daß man mich dauernd im Schützengraben liegen läßt. Denn das einzige wirklich
Schwere für einen an geistige Arbeit gewöhnten Menschen ist der fürchterliche
Stumpfsinn, in dem man rettungslos versinkt bei dieser Grabenhockereidas Hocken im Schützengraben. Richard Dehmel notierte am 22.2.1915: „Die gefahrlose Hockerei macht uns allesamt mißmutig.“ [Dehmel 1919, S. 206]. Ich
frage mich schon seit geraumer Zeit, ob es nicht von mir eine Narrheit war, die
Muskete in die Hand zu nehmen, nichts weiter als Abenteuerlust, und die wird
einem hier gründlich verekelt, wo man mehr mit dem Dreck als mit dem Feind zu
kämpfen hat. Jedenfalls könnte ich zu Hause Besseres tun für unser liebes
Vaterland, wenn man hinter diesem Begriff etwas Höheres sieht als den
gemeinsamen Futtertrog. Ein einziger gut gebauter Satz, den Sie an Ihrem
Schreibtisch ersinnen, ist für das künftige Deutschland doch wertvoller als
alle Lehmschanzen, die wir hier aufwerfen. Aber was hilftʼs, ich muß halt weiter
rackern, nach dem Sprichwort: wer A gesagt hat. Hoffentlich sagen die Herren
Diplomaten bald Z! Mit diesem frommen Wunsch Ihr Dehmel.“
*„Ganz baff über unsre ÄhnlichkeitBriefzitat [vgl. Richard Dehmel an Wedekind, 22.2.1915]. ... grausig, wieviel so’n
nackter Mund verrät.“