Kennung: 96

Berlin, 22. April 1901 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

An meinen Bruder Frank Wedekind
in München


Es ist dir bekannt, ich habe dir selber verschiedene Briefevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.4.1900 und 3.10.1900. in diesem Sinne geschrieben, daß ich seit Langem mit/eine/ se/St/elle mit sicherem Gehalt und genau vorgeschriebener Tätigkeit suche. Das weniger, weil mich meine materielle Lage dazu zwingt, als weil ich eingesehen habe, daß ich ohne gesicherte Existenz überhaupt nicht arbeiten kann. Daß ich die Stelle so lange Zeit nicht gefunden, liegt vielleicht daran, daß ich so viele Zeit im Auslande verbracht, nie | lange genug an einem Platze in Deutschland mich aufgehalten und gesucht habe, dann aber auch an meiner gemütlichenhier „als adj. zu gemüt überhaupt […] dem gemüt angehörig, das gemüt betreffend“ [DWB, Bd. 5, Sp. 3329]. Verfassung, welche als eine Folge mein/ein/er schweren KrankheitDonald Wedekind litt an den Folgen einer Syphilis-Infektion und deren Behandlung [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 29.12.1895]. anzusehen war.

Seit vier Wochen in Berlin, habe ich mich nach Kräften bemüht, eine Beschäftigung zu finden. Die Hoffnungen, die mir von einer Seite gemacht worden und zu denen mein Vertrauen von Anfang an nicht groß war, sind geschwunden. Da traf ich gestern Herrn Dr. Paul GoldmannDer österreichische Journalist und Publizist Paul Goldmann war in Berlin als Theaterkorrespondent für die Wiener „Neue Freie Presse“ tätig. (mit dem ich während meines Hierseins schon öfter zusammengewesen) an/und/ und er/er/ bot mir freiwillig seine Empfehlung an, wenn ich gewisse Redaktionen in der Angelegenheit besuchen wol|le. Heute Morgen hatte ich mit dem ersten RedakteurPerson und Zeitung nicht ermittelt. In seinem nächsten Brief berichtet Donald Wedekind von einer bevorstehenden Anstellung beim „Berliner Lokal-Anzeiger“ [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 13.5.1901], einer der auflagestärksten Berliner Tageszeitungen. einer der größten Berliner Zeitungen eine längere Conferenz und ich kann, um nicht zu viel zu sagen, e/c/onstatiren, daß der Mann den Fall einer Anstellung wenigstens ernst in Erwägung zieht.

Da ich nun aber ohne Mittel war und eine längere Hungerperiode (von denen drei Tage hinter mir liegen, vor mir können nicht mehr viele sein, denn sonst breche ich einfach zusammen) vor mir sah, so schrieb ich an unsern gemeinsamen Schwager, Herrn Oschwald, ihn um eine Unterstützung bittend. Der Einfachheit wegen lege ich den Brief beiDer beigelegte Brief ist nicht überliefert. und formulire nun mein Anliegen dahin: |

1. Da es mein eigentlicher Wunsch ist eine feste Anstellung zu bekommen, da es aber auch bekannt ist, daß sich solche Sachen nicht von heute auf morgen machen, da diese zweite Aussicht, von der ich eben gesprochen, auch wieder zu Wasser werden kann und ich dann auf Neues warten muß, so bitte ich um die Auszahlung von 200 Mark v/f/ür die Zeit von heute bis zum 1. Juni (200 M oder 250 Franken) sei es auf einmal oder in Raten von 50 M.

2. Da ich nun anderseits allerdings die Erfahrung gemacht habe, daß man Schriftsteller, die literarisch irgendwie eigenartig hervorgetreten sind nicht so gerne in Redaktionen von Tageszeitungen aufnimmt, was also das Finden einer Anstellung bedeutend erschwert, ferner, da ich glaube, daß ich nach zweimonatlichem Suchen ohne Erfolg nicht mehr viel Zeit noch Geld zu diesem Zweck verlieren dürfte, da ich, des Weiteren, nicht et/v/erdächtig werden möchte, der Vorschlag sei | nur eine/zur/ Gauckelei, so bitte ich darum, daß mir, wenn ich bis zum 1. Juni nicht fest angestellt bin, eine Rente von je 200 M. auf 6 Monate zugesagt wird, damit ich eine größere ArbeitMöglicherweise wollte Donald Wedekind zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinem Roman „Ultra montes“ (1903) beginnen. fertige. Letzteres ist mir bis jetzt nicht gelungen 1., weil ich unter einer schweren Krankheit körperlich und gemütlich viel zu leiden hatte, zweitens weil ich darben mußte, drittens weil ich mich unrichtigerweise zu viel im Auslande aufhielt, wo mir die nötige Anregung (Nacheifer) fehlte. Ich setzte das größte Vertrauen auf den Erfolg einer unter in obiger Weise gemilderten Umständen zu leistendeSchreibversehen, statt: leistenden. Arbeit, weil mir hier in Berlin die Beweise wurden, daß das Wenige, was ich an literarischen Produkten hervorgebracht, doch nicht ganz unbemerkt vorübergegangen.

Damit, mein lie/Br/u|der, habe ich dir meine Pläne auseinandergesetzt. Ob du helfen kannst, oder/di/eselben zur Realisirung zu bringen, weiß ich nicht, denn ich kenne deine Einnahmen nicht. Um was ich dich aber bitten möchte, ist, nicht wieder aus einerm mir unerklärlichen Grunde durch die Verweigerung deiner Beistimmung mir auch die Hülfe der andern zu entziehen. Morgen schreibe ich an Armin. Ohne Gruß, aber auch ohne Groll Der Satz läuft ab hier auf Seite 7 weiter und macht ihn so ab der Konjunktion „aber“ als nachträglichen Zusatz erkennbar.für dein unfreundliches Verhalten
Donald


Berlin, den 22. April 1901
8.IV. Paulsstraße


P. S. Und ich bitte dich, überlege zwei Mal, bevor du dich entscheidest. Denn so sehr es mich auch gefreut hat und mich mit neuem Mut versah, zu konstatiren, daß man mich doch besser kennt und mehr schätzt als ich dachte, so fühle ich doch, daß dies hier in Berlin meine letzte Etappe ist, so ich nicht in die Höhe komme. –

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder, Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Frank Wedekind hat mit Bleistift das Datum auf Seite 1 oben „I 1. 22.4.1.“ und auf Seite 5 unten „22.4.1.“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    22. April 1901 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 22.4.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (09.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

15.03.2024 18:29