Berlin, 17.I.1897.
Lieber Freund,
Sie haben sich also wieder für mich geopfertWie aus Wedekinds folgendem Brief an Weinhöppel vom 20.1.1897 hervorgeht, hatte ihm Weinhöppel 30 Mark geschickt. und ich kann
Ihnen nicht anders als mit Worten danken. Ich muß Sie immer noch vertrösten auf
das große Ereignis. Gott sei Dank rückt es näher, am 15. Februar, wenn nichts
dazwischen kommt, soll die Aufführung der „Jungen Welt“Wedekind hielt sich seit Anfang Dezember 1896 in Berlin auf, wo er sich um die Aufführung eines seiner Stücke durch die Dramaturgische Gesellschaft zu Berlin bemühte. Nachdem eine Aufführung von „Der Erdgeist“ (1895) Mitte Dezember 1896 abgelehnt worden war, verhandelte Wedekind in den folgenden Wochen über die Annahme seines Lustspiels „Die junge Welt“, der 1895/96 entstandenen, überarbeiteten Fassung von „Kinder und Narren“ (1891). Nachdem Ludwig Fulda als Zweiter Vorsitzender der Gesellschaft sich bereits vor Weihnachten 1896 positiv zu dem Plan geäußert hatte, wurde die endgültige Entscheidung jedoch immer wieder hinausgeschoben. Eine schließlich Mitte Januar für den 15.2.1897 angesetzte Aufführung auf der Bühne des Neuen Theaters (Leitung: Sigmund Lautenburg) wurde Anfang Februar aus unbekannten Gründen abgesagt. Wedekinds Enttäuschung über die Zurückweisung seiner Werke und deren Begleitumstände mündeten in ein Zerwürfnis mit Otto Erich Hartleben, dem Vorsitzenden der Dramaturgischen Gesellschaft [vgl. Wedekinds Briefe an Fulda vom 21.12.1896 und an Hartleben vom 10.1.1897]. Die Uraufführung von „Die junge Welt“ erfolgte erst am 22.4.1908 am Münchner Schauspielhaus. sein. Wenn es schlecht
geht, dann raffe ich hier so viel Geld als möglich zusammen und fahre aufs
Gerathewol nach Paris, denn neue Glücksfälle abzuwarten hätte ich außer allem
anderen auch nicht mehr die Geduld.
Ich lebe hier schlimmer als ich jemals in München gelebt,
aber bitte sagen Sie niemandem was davon. Ich mache die bedenklichsten Salto
Mortali, um nicht Hungers zu crepiren, da es mir schlechterdings unmöglich ist,
etwas positives zu arbeiten. Ich schreibe Ihnen das nur, damit Sie meine
Unerschütterlichkeit gegenüber meinen Münchner VerpflichtungenNeben den finanziellen Verpflichtungen für seine Münchner Wohnung, auf die er weiter unten zu sprechen kommt, dürfte Wedekind damit auch die Verantwortung für seine schwangere Freundin Frida Strindberg gemeint haben, die ihn wenige Tage später in Berlin besuchte [vgl. seinen Brief an Weinhöppel vom 20.1.1897]. nicht
mißverstehen. An Weiblichkeit cultivire ich einige schöne Exemplare aber –
platonisch, wie es mir schlechterdings nicht anders möglich ist.
Das alles sind die Einleitungen zu dem Ereignis, von dem ich
einen Umschwung in meinem Leben erwarte. Es ist mir das vor einem bedeutenden
Ereignis immer so gegangen. Wenn nur das Omen nicht täuscht.
Sie können sich denken, wie ich mich aus dieser
Lebensführung nach Ihnen zurücksehne. Geht alles gut, dann kommen Sie mir
vielleicht bis DresdenErst im September 1897, nachdem alle Versuche, in Berlin mit einem seiner Stücke zu reüssieren, gescheitert waren, reiste Wedekind nach Dresden weiter, wo er bei seiner Schwester, der Kammersängerin Erika Wedekind wohnte. entgegen und wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe.
Das ist das, was ich mir erträume. Ich schreibe es nicht, um Ihnen den Mund
wässerig zu machen. Dann würden wir auch die Juncker wiedersehenMit der Dresdner Malerin Käthe Juncker, die er 1890 in München kennenlernte, hatte Wedekind 1892 in Paris eine leidenschaftliche Affäre gehabt. Wedekinds Pariser Tagebuch, in dem Juncker „Katja“ genannt wird, dokumentiert verschiedene Treffen zwischen Juncker, Wedekind und Weinhöppel im Frühjahr 1892 [vgl. Tb 20.4.1892, 1.5.1892, 3.5.1892, 8.5.1892].. Das wäre
nicht schlecht. Aber alles das sind vor der Hand nichts als Träume. Soviel ist
gewiß, daß, wenn ich mit dem ersten Stück hier Glück habe, die beiden nächstenNeben dem "Erdgeist" dürfte Wedekind hier an seinen 1891/92 in Paris entstandenen Schwank "Fritz Schwigerling" (späterer Titel: "Der Liebestrank") gedacht haben; das Stück wurde am 1.7.1898 durch das Ibsen-Theater in Leipzig uraufgeführt. sofort
folgen werden, denn der Boden könnte gar nicht besser vorbereitet sein.
Frau Strindberg fragt michwohl in einem nicht überlieferten Brief an Wededkind; erschlossenes Korrespondenzstück: Strindberg an Wedekind, 16.1.1897., ob ich Ihnen erlaube auf meinem
Zimmer Laut polizeilichem Meldebogen war Wedekind in München seit 23.8.1896 in der Türkenstraße 69, 2. Stock gemeldet. Bei seiner dortigen Vermieterin Anna Mühlberger hatte er schon 1889 bis 1891 (in der Akademiestraße 21) gewohnt.zu arbeiten. Das ist doch selbstverständlich. Arbeiten Sie, was und mit
wem Sie wollen. Ich hoffe meiner Wirthin nun doch in den nächsten Tagen etwas
schicken zu können, dann werde ich ihr das extra einschärfen, andernfalls haben
Sie ja selber die nöthige Autorität. IreneGemeint sein dürfte die junge österreichische Schauspielerin Irene Triesch (Irene Trietsch), die seit 1895 dem Schauspiel-Ensemble des Deutschen Theaters München angehörte. Zuvor hatte sie am Berliner Residenztheater ein Engagement [vgl. Neuer Theater-Almanach Jg. 7, 1896, S. 442 u. Jg. 6, 1895, S. 283]. hat mir hierhergeschriebennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Irene Triesch an Wedekind, 18.12.1896., das gute
Geschöpf, und ich habe ihr nicht geantwortet, es sind schon mehr als vier
Wochen her. –
Ich erscheine mir selber wie Jemand, der in Gesellschaft
etwas sucht und bei dem es ,,heißer“ und ,,heißer“ wird. Bei mir ist es jetzt
sehr heiß, und wenn ich es diesmal nicht finde, werde ich es niemals finden. Ich
bitte Sie sich daraus meine Gemüthsverfassung und alles übrige zu erklären.
Ich schicke Ihnen die herzlichsten innigsten Wünsche und die
besten Größe. Um mich her schwatzen mehrere abgeschmackte Schauspielerinnen,
ich finde die Worte nicht. Aber vor allem seien Sie meines Dankes gewiß.
Ihr treuer
Frank Wedekind.