Kennung: 93

Dresden, 3. Oktober 1900 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Lieber Frank!

Heute traf hier ein Brief von dirnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 27.7.1900. an mich ein, der mich in der Schweiz nicht mehr erreicht hat, da ich gleich, nachdem ich Dir von Lausanne aus die 400 M. gesandtHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.7.1900. Frank Wedekind hatte seinen Bruder Donald zuletzt um 500 Mark gebeten [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 19.7.1900]. An seinen Bruder Armin schrieb er kurz darauf, Donald habe ihm „natürlich von seinem Gelde soviel ich brauche zur Verfügung gestellt“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.8.1900]. hatte, nach Italien verreiste. Es war meine letzte Handlung vor 11.50 Vormittags, Abgang des Schnellzuges nach | Mailand. Ich blieb einige Tage in dieser Stadt, dann Genua, Monte Carlo, wo ich 14 Tage zubrachte, ohne Verlust, ohne GewinnIn Monte Carlo besuchte Donald Wedekind in der Regel das Spielcasino um Roulette zu spielen, wie aus der vorangegangenen Korrespondenz hervorgeht., dann Nizza, Marseille, Avignon, Lyon, Genf, Solothurn, Zürich. Eingedenk meines Engagements in WienBezug unklar. und deiner Worte, ich möge in Deutschland bleiben, reiste ich schon nach zwei Tagen wieder durch den GotthardDer Gotthardtunnel war 1882 eröffnet worden. nach | Venedig, um nach vierzehntägigem Aufenthalt nach Wien zu fahren. Wien ist eine teure Stadt und da es mit meiner Stelle und überhaupt der ganzen Zeitungsgründungsgeschichte nichts zu sein scheint, fuhr ich vor vielleicht 14 Tagen nach Dresden. Hier werde ich noch bis Ende Oktober bleiben, sollte sich bis dahin mein | Projekt, eine genügende Anzahl SchülerBereits während seines Amerika-Aufenthalts hatte Donald Wedekind versucht, als Privatlehrer Geld zu verdienen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.4.1889]. zu erhalten, verwirklichen, so würde ich mich wahrscheinlich für ganz hier niederlassen. Meine geheime Hoffnung ist, daß dem nicht so sein werde, um dorthin zurückzukehren, wo ich noch kurze Zeit, aber ohne deutsche Rüppelei und HypokrisieHeuchelei, Scheinheiligkeit. leben könnte. |

Walther Oschwald hat sich auf denselben Standpunkt gestellt wie Armin in Zürich, was natürlich das Gelingen meines PlanesDonald Wedekind suchte von seinem Schwager Walter Oschwald in Dresden oder von seinem Bruder Armin Wedekind eine regelmäßige monatliche Zahlung für mindestens ein Jahr zu erwirken, um sich beruflich zu etablieren (siehe die nachfolgende Korrespondenz). außerordentlich erschwert. Mieze verhält sich passiv und ebenso Mama. Letztere muß übrigens einen furchtbaren Groll gegen dich hegen, was der Grund dazu ist, daraus bin ich nicht klug geworden Weißt du, daß man in | Zürich Deinen „Liebestrank“ aufführen„Der Liebestrank“ hatte bereits am 28.9.1900 im Pfauentheater in Zürich Premiere und wurde „nach zwei Aufführungen abgesetzt“ [KSA 2, S. 1073]. Die Presse berichtete: „Die Direktion des Pfauentheaters hat für die dieswinterliche Spielzeit drei Werke des in München ansässigen Schriftstellers Frank Wedekind angekündigt, von denen der dreiaktige Schwank ‚Der Liebestrank‘ am Freitag abend zum ersten Male zur Aufführung gelangte.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 121, Nr. 272, 1.10.1900, Morgenblatt, Beilage, S. (1)] Das Stück war unter den „Neuheiten“ der Winterspielzeit angekündigt, die „Direktor Kionka“ eröffnet hatte: „Unter seiner Leitung hat sich das Pfauentheater überhaupt zu einem auch dem feinern litterarischen Geschmacke zusagenden Kunstinstitute entwickelt.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 121, Nr. 259, 18.9.1900, 2. Abendblatt, S. (2)] Das Publikum wusste mit dem Stück nichts anzufangen [vgl. KSA 2, S. 1083]: „Vorletzten Freitag und Samstag ging eine Novität über die Bühne – Der Liebestrank – Schwank in drei Akten von Frank Wedekind, dem Bruder von Hrn. A. Wedekind in Riesbach und der Sängerin gleichen Namens. Frank Wedekind hat sich schon durch recht eigentümliche Produkte seiner Muse bekannt gemacht. Dieser Schwank, der in Rußland spielt, wurde ganz flott dargestellt, der Besuch aber ließ zu wünschen übrig.“ [Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 2, Nr. 42, 20.10.1900, S. 334] wird, Pfauentheater, Direktion KionkaOskar Kionka war in der „Sommerspielzeit 1900“ [Neuer Theater-Almanach 1901, S. 568] Direktor des Pfauentheaters, eine Zwischenlösung, bevor das Pfauentheater vom Stadttheater (Direktion: Alfred Reucker) in Zürich gepachtet wurde [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 589]. Man hatte zum 15.6.1900 „als artistischen Leiter Hrn. Oskar Kionka gewonnen. Dieser ist ein wohlgeschulter Sänger, ein von künstlerischem Streben erfüllter Schauspieler, und befindet sich zur Zeit im Auslande zum Abschlusse der Engagements und der Erwerbung von Novitäten.“ [Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 2, Nr. 22, 2.6.1900, S. 174] Oskar Kionka gab die Direktion allerdings zum 25.11.1900 wieder ab: „Direktor Otto Winzer hat vom 25. November 1900 ab die Direktion des Pfauentheaters übernommen“ [Neuer Theater-Almanach 1901, S. XIV], was bedauert wurde: „Auch das Pfauentheater segelt wieder im alten Fahrwasser der Posse, nachdem es unter der Aera Kronka ein entschieden modern-litterarisches Programm aufgestellt, das leider an der Indifferenz des Publikums scheiterte.“ [Bühne und Welt, Jg. 3, 1. Halbjahr, Oktober 1900 – März 1901, S. 265].

Sollte ich, was sehr wahrscheinlich ist, in einigen Wochen wiedrSchreibversehen, statt: wieder. nach Italien fahren, so käme ich über München und würde dich besuchen. Ich rechne nämlich dort in Monte Carlo mit ein/ de/r Ultima Ratio(lat.) letztes Mittel, letztmöglicher Weg., schließlich eine Stelle | als Sekretair, nicht als Croupier, zu bekommen, was ich schließlich, da M. C. doch der schönste Ort der Welt ist, vorziehen würde, denn hier als Millionair zu leben.

Lieber Frank, ich sage dir adieu, bitte dich mir zu schreiben, so du Zeit und Lust hast, denn ich schätze und schätzte Deine Ratschläge immer sehr, wie du selbst | weißt, wenn ich auch eingestehe, daß doch/all/erdings im Ganzen wohl nicht viel mit mir anzufangen ist.

In Treue und Herzlichkeit bin ich dein Bruder
Donald


Dresden d. 3. Oktober 1900
3. I. Porticusstraße

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 15 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Frank Wedekind hat auf Seite 1 oben rechts mit Bleistift das Datum „3.10.00“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Dresden
    3. Oktober 1900 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Dresden
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 3.10.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (09.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

17.01.2024 14:53