[1. Abgesandter Brief:]
Ständige AdresseDr. phil. Carl Heine, „Privatgelehrter“, wohnte im 2. Stock der Lampestraße 3 in Leipzig [vgl. Leipziger Adreßbuch für 1898, Teil I, S. 312]. Carl Heine, der Leiter des in Leipzig neugegründeten Ibsen-Theaters, hatte Wedekind im Januar 1898 als Sekretär, Schauspieler und Regisseur engagiert (befristeter Vertrag bis Juni 1898).: Leipzig, Lampestraße 3.
p. ad. Herrn Dr. Heine.
Lieber Herr Eisenschitz,
ich danke Ihnen herzlich für Ihre Cartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück, eine Postkarte: Eisenschitz an Wedekind, 21.3.1898.. Während den letzten
zwei Jahren erhielt ich zu verschiedenen Malen Ihre AdresseDen Einträgen in „Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien“ zufolge hatte Eisenschitz in den zwei Jahren folgende Adressen: Getreidemarkt 17, Wien VI [1896, Band 2, S. 197], Opernring 13, Wien I [1897, Band 2, S. 204], Neustiftgasse 21, Wien VIII [1898, Band 2, S. 208]. von Ihnen
zugeschickt, meine Verhältnisse waren aber so unbeständiger Natur, daß ich mich
scheute darauf zu reagiren indem ich selten wußte wo ich vierzehn Tage später
sein werde. Ich sehe daß Sie wissen, daß ich mich consolidirt habe und auch ich
sende Ihnen, als liebem Collegen, meine besten Grüße. Vielleicht sehen wir uns
früher wieder als ich |
[mir je erhoffte. Es ist nicht ausgeschlossen
daß das Ibsen-TheaterNach der Uraufführung des „Erdgeist“ (Regie: Carl Heine, Wedekind spielte den Dr. Schön) am 25.2.1898 im Kristallpalast in Leipzig ging das Ibsen-Theater von März bis Juni 1898 mit dem Stück auf Tournee. noch im Laufe des Sommers in Wien gastirt. Ich bin nicht
sicher darüber, ob die Verhandlungen schon zum Abschluß gelangt sind, da ich
mich seit geraumer Weile hier in Hannover aufhalte, um unsere hiesige Kampagne
vorzubereiten. Wenn es zustande kommt, würde es wohl Anfang JuniDas Gastspiel des Ibsen-Theaters in Wien begann am 2.6.1898. sein. Gebe
Gott, daß Sie dann noch in Wien sind. Ich hätte Ihnen gerne condolirt zu dem
schweren Verlust den Sie durch den Tod MitterwurzersDer bewunderte Charakterschauspieler Friedrich Mitterwurzer starb im Alter von nur 54 Jahren am 13.2.1897 in Wien., des Trägers Ihrer
dramatischen Thätigkeit, erlitten aber ich wußte damals Ihre Adresse nicht und
außerdem ging es auch mir selber nicht ganz grün. Haben Sie vielleicht über
meine Erdgeist Aufführung in Leipzig etwas gelesen? Ich weiß noch nicht, ob ich
es als einen Erfolg betrachten kann; die weiteren Schicksale des Stückes werden
mich darüber belehren. Donald lebt
seit zwei Jahren ununterbrochen in Paris. Ich habe ihn seit unseren gemeinsamen
Erlebnissen in Berlin kaum einige Tage mehr gesehen. Ich habe ihm seit Jahren
nicht mehr geschrieben, werde es nun aber auch nicht länger aufschieben. Sobald
ich in meiner neuen Sphäre einigermaßen festen Fuß gefaßt, werde ich ihn aus
seiner Weltabgeschiedenheit herausholen. Nächster] | Tage schicke ich Ihnen eine Kritik über die
Erdgeistaufführung zu; augenblicklich habe ich keine bei der Hand. ‒ Es thut mir sehr leid,
daß ich Ihnen über meinen von mir sehr geliebten Bruder nicht mehr schreiben
kann. Jedenfalls würde er sich sehr freuen, von Ihnen zu hören. Es ist wie
gesagt lediglich meine Schuld, indem ich im Kampfe um eine entsprechende
Position die Correspondenz in den letzten Monaten vernachlässigt habe.
Es freut mich sehr, daß ich Sie als Collegen begrüßenOtto Eisenschitz war neuerdings als Dramaturg am Theater in der Josefstadt in Wien tätig ‒ als solcher erstmals bezeichnet in „Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien“ von 1898 [Band 2, S. 208]. Am Theater in der Josefstadt hatte am 18.2.1898 der von ihm für die deutsche Bühne bearbeitete Schwank „Anonyme Briefe“ von Maurice Desvallières und Antony Mars Premiere gehabt, außerdem ebenfalls von ihm übersetzt und bearbeitet das Stück „Das Ende der Liebe“ des italienischen Dramatikers Roberto Bracco am 19.2.1898 am Deutschen Volktheater in Wien. darf.
Wenn wir nach Wien kommen, sind Sie sicher, daß mich mein erster Gang zu Ihnen
führt. Unsere Berliner Erlebnisse so harmlos sie waren, sind mir immer eine
sehr hübsche Erinnerung gewesen und ich wünsche nur daß wir uns baldmöglichst
zu dritt wieder ebenso zusammen finden. Mit herzlichem freundschaftlichen Gruß
Ihr Frank Wedekind.
[2. Druck:]
Lieber Herr Eisenschitz, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Karte.
Während der letzten zwei Jahre erhielt ich zu verschiedenen Malen Ihre Adresse
von Ihnen zugeschickt, meine Verhältnisse aber waren aber so unbeständiger
Natur, daß ich mich scheute, darauf zu reagieren indem ich selten wußte, wo ich
vierzehn Tage später sein werde. Ich sehe, daß Sie wissen, daß ich mich konsolidiert
habe und auch ich sende Ihnen, als liebem Kollegen, meine besten Grüße. Vielleicht
sehen wir uns früher wieder, als ich mir je erhofft. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß das Ibsen-Theater noch im Laufe des Sommers in Wien gastiert.
Ich bin nicht sicher darüber, ob die Verhandlungen schon zum Abschluß gelangt
sind, da ich mich seit geraumer Weile hier in Hannover aufhalte, um unsere
hiesige Kampagne vorzubereiten. Wenn es zustande kommt, würde es wohl Anfang
Juni sein. Gebe Gott, daß Sie da noch in Wien sind. Ich hätte Ihnen gerne kondoliert
zu dem schweren Verlust, den Sie durch den Tod Mitterwurzers, des Trägers Ihrer
dramatischen Tätigkeit, erlitten, aber ich wußte damals Ihre Adresse nicht und
außerdem ging es auch mir selber nicht ganz grün.
Haben Sie vielleicht über meine Erdgeistaufführung in
Leipzig etwas gelesen? Ich weiß noch nicht, ob ich es als einen Erfolg
betrachten kann; die weiteren Schicksale des Stückes werden mich darüber belehren.
Donald lebt seit zwei Jahren ununterbrochen in Paris. Ich habe ihn seit unseren
gemeinsamen Erlebnissen in Berlin kaum einige Tage mehr gesehen. Ich habe ihm
seit Jahren nicht mehr geschrieben, werde es nun aber auch nicht länger
aufschieben. Sobald ich in meiner neuen Sphäre einigermaßen festen Fuß gefaßt,
werde ich ihn aus seiner Weltabgeschiedenheit herausholen. Nächster Tage
schicke ich Ihnen eine Kritik zu; augenblicklich habe ich keine bei der Hand. Es
tut mir sehr leid, daß ich Ihnen über meinen von mir sehr geliebten Bruder
nicht mehr schreiben kann. Jedenfalls würde er sich sehr freuen, von Ihnen zu
hören. Es ist, wie gesagt, lediglich meine Schuld, indem ich ich [sic] Kampfe um eine entsprechende
Position die Korrespondenz in den letzten Monaten vernachlässigt habe.
Wenn wir nach Wien kommen, sind Sie sicher, daß mich mein
erster Gang zu Ihnen führt. Unsere Berliner Erlebnisse sind mir immer eine sehr
hübsche Erinnerung gewesen und ich wünsche nur, daß wir uns baldmöglichst zu Dritt
wieder ebenso zusammenfinden. Mit herzlichem freundschaftlichen Gruß Ihr
Frank Wedekind.