Kennung: 645

München, 23. Februar 1914 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Hollaender, Felix

Inhalt

Lieber Felix!

Ich komme sehr spät dazu, Dir auf Deinen lieben Briefverschollen, aber anhand der vorliegenden Antwort auch inhaltlich teilweise zu erschließen und frühestens auf den 9.2.1914 zu datieren. zu antwortenWo Felix Hollaender die Antwort Wedekinds erreichte, ist unklar. Er hielt sich (überlieferten Briefen an andere Personen zufolge) am 17.2.1914 in Genua auf, am 8.3.1914 in Genf, kurzum, er war auf Reisen. Wedekind traf ihn persönlich erst wieder am 2.6.1914 in Berlin.. Das liegt nur daran daß ich in der Zwischenzeit weder StollbergDen Münchner Theaterdirektor Georg Stollberg hat Wedekind lange nicht gesehen. Erst am 12.3.1914 notierte er: „Lange Unterredung mit Stollberg“ [Tb]. noch ZiegelDen Direktor der Münchner Kammerspiele, Erich Ziegel, traf Wedekind zuletzt am 5.1.1914: „Unterredung mit Ziegel wegen Gastspiel“ [Tb]. noch auch SteinrückWedekind traf Albert Steinrück laut Tagebuch zuletzt am 10.1.1914. Er hat ihn den Angaben im vorliegenden Brief zufolge jedoch am 9.2.1914 zuletzt gesehen. gesehen habe und auch jetzt noch nicht tun konnte. Ich mag Dich aber nicht länger warten lassen, damit Du mich nicht falsch verstehst. Die Thatsache wird Dir begreiflich sein, da in diesem Winter noch keine Münchner Bühne irgend etwas von mir gespielt hat. Vor allem, was Du mir schreibst, ist mir sehr sympathisch und lieb. Ich hätte sicher keine Gelegenheit versäumt um für die KünstlerinEva Hollaender, Felix Hollaenders Tochter aus erster Ehe, eine junge Schauspielerin. Im Spätsommer 1913 hatte die Presse im Zusammenhang der Affäre um Felix Holländers Rücktritt von der Intendanz des Frankfurter Stadttheaters noch berichtet: „Eine Tochter Holländers, Fräulein Eva Holländer, ist Schauspielerin am Mainzer Stadttheater.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 21, Nr. 7149, 18.9.1913, S. 4] Sie spielte außerdem die Rolle des Modells Ulla in dem Spielfilm „Die Augen des Ole Brandis“ (Deutsche Bioscop, Berlin 1913. Uraufführung in Berlin: 9.1.1914). Offenbar war sie nun auf der Suche nach einem neuen Engagement, das zu vermitteln ihr Vater Wedekind in dem verschollenen Brief gebeten haben muss. zu sprechen, aber die Gelegenheit gab sich nicht von selbst und extra deswegen hinzugehen, hielt ich nicht für richtig. Du bist ganz sicher, daß ich die erste Gelegenheit | die sich bietet ausnütze. Die wichtigsten Faktoren scheinen mir Steinrück und FrankfurterAlbert Steinrück war als Schauspieler am Münchner Hoftheater einflussreich, ebenso der Theateragent Eugen Frankfurter in Nürnberg., dann auch Stollberg. Ziegel, ein so tapferer Künstler er ist steht höchst unsicher, kommt augenblicklich künstlerisch kaum in Frage und hat eben seine besten Kräfte gekündigt. Stollberg ist mir seit einem Jahr böseWedekind hatte am 22.2.1913 im Tagebuch festgehalten: „Stollbergs 60. Geburtstag.“ In diesem Zusammenhang sind die Unstimmigkeiten zu vermuten, von denen hier die Rede ist. Sie dürften bei der im Tagebuch notierten langen Unterredung am 12.3.1914 geklärt worden sein., das kann sich aber jeden Tag ändern. Steinrück und Frankfurter habe ich seit vierzehn TagenDas war, vom Datum des vorliegenden Briefs aus gerechnet, der 9.2.1914. Wedekind hatte zu diesem Zeitpunkt den Brief Hollaenders noch nicht vorliegen, dessen Schreibdatum insofern frühestens am 9.2.1914 anzusetzen ist. nicht mehr gesehen. Nun war Dein Vorschlag wohl auch nicht so gemeint, daß er sofort verwirklicht werden müßte obschon ich durchaus kein Freund von Zeitvergeuden bin. Das eine kann ich Dir fest versprechen, daß ich von Eva Hollaender sprechen werde, wo sich überhaupt eine Gelegenheit dazu bietet. Der EindruckWedekind saß mit Eva Hollaender (und deren Eltern) bei dem Souper nach der Berliner Premiere von „Franziska“ am 5.9.1913 an einem Tisch, wie Wedekind im Tagebuch festhielt. Ob er sie auch einmal auf der Bühne erlebt hat, ist unklar., den mir die Künstlerin machte ist ein in jeder Beziehung achtungsgebietender und Dein ernster, einfacher, lieber Brief liegt mir | am Herzen. Wir sind eben im Begriff zu einem kurzen GastspielWedekinds Gastspiel in Königsberg vom 25.2.1914 bis 3.3.1914. Die Reise ging von München über Berlin und von dort nachts weiter nach Königsberg, wie er für den 25.2.1914 notierte: „Abfahrt von München. […] Abends im Deutschen Theater, dann Café des Westens […] Abfahrt nach Königsberg“ [Tb]. nach Königsberg zu fahren zu Direktor Geißel, der übrigens nicht in Königsberg bleibt und über kurzem wohl auch eine Direktion in MitteldeutschlandJosef Geißel, seit der Eröffnung des Neuen Schauspielhauses in Königsberg am 8.9.1910 für vier Jahre dessen Direktor, hatte vor, nach Mannheim zu gehen, wie die Presse bald darauf publik machte. „In Mannheim soll die Gründung eines neuen Theaters bevorstehen, das […] als die erste private Bühne der Stadt geführt werden soll. Die Leitung des Theaters wird Direktor Josef Geißel vom Königsberger Neuen Schauspielhaus übernehmen.“ [Hamburgischer Correspondent, Jg. 184, Nr. 112, 3.3.1914, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. 2] Daraus wurde nichts. Er ging stattdessen 1914 für einige Jahre als Direktor an das Deutsche Stadttheater in Wilna (Vilnius). haben wird. Es ist selbstverständlich, daß ich dort von der Künstlerin sprechen werde, wie überhaupt, wo ich hinkomme. Es ist aber diesen Winter unser erster Ausflug. Außer zu den Simson-ProbenDie Proben für die Inszenierung des „Simson“ am Lessing-Theater in Berlin (Premiere: 21.1.1914) begannen am 12.1.1914. Die letzte Probe absolvierte Wedekind am 20.1.1914, einen Tag vor der Premiere, um dann am 21.1.1914 wegen seiner Kompetenzstreitigkeiten mit Victor Barnowsky von Berlin abzureisen. in Berlin bin ich diesen Winter seit September noch nirgends gewesen.

All die schönen Nachrichten, die Du mir von Dir und Deiner Arbeit schreibst waren mir eine große Freude. Auf Deinen RomanZwei Romane Felix Hollaenders kommen in Frage: „Der Tänzer. Ein Roman in drei Büchern“, erschienen vom 4.4.1914 bis 7.7.1914 als Vorabdruck im „Berliner Tageblatt“ (1918 bei S. Fischer als Buchausgabe mit der Widmung: „Gina Hollaender meiner lieben Frau zu eigen“) und „Frau Ellin Röte. Ein Eheroman“, der im Sommer 1914 im Verlag S. Fischer in Berlin herauskam. bin ich sehr gespannt. Ich sehe jetzt ein, wie es Dir möglich war zwei Krisengemeint war einerseits eine berufliche Krise, da die Stellung als Theaterfunktionär dem Beruf als Schriftsteller nicht genügend Raum ließ (verschärft durch die Doppelbelastung als Dramaturg noch am Deutschen Theater in Berlin und als Intendant quasi bereits in Frankfurt am Main), andererseits eine private Krise, die außereheliche Beziehung Felix Hollaenders zu der Schauspielerin Gina Mayer in Berlin und die Auseinandersetzungen mit der Ehefrau, die ihren Mann auf Unterhalt verklagte [vgl. Eine Klage der Gattin Felix Hollaenders. In: Berliner Volks-Zeitung, Jg. 61, Nr. 526, 8.11.1913, Abend-Ausgabe, S. (2)]. zugleich durchzukämpfen um eine durch die andere zu mildern. Möge Dir aus jeder neues dauerndes Glück erblühn. |

Mit gleicher Post sende ich Dir den SimsonWedekinds Brief an Felix Hollaender vom 10.9.1913 zufolge, hatte dieser vorgehabt, das Stück am Schauspielhaus in Frankfurt am Main zu inszenieren.. Er ist als Epilog zu meiner bisherigen Arbeit gedacht, im übrigen das einfachste, was ich je geschrieben habe. Dank der Meisterleistung KayßlersFriedrich Kayßler spielte bei der Uraufführung des „Simson“ am 21.1.1914 am Lessing-Theater in Berlin (und bei den folgenden Vorstellungen) die Titelrolle. Der Schauspieler fand für die Darstellung dieser Rolle in der Theaterkritik großes Lob hab ich es nicht zu bedauern daß es so rasch zur Aufführung gelangte.

Nun leb wohl. Ich bitte Dich, überzeugt zu bleiben, daß ich der jungen Künstlerin überall gedenken werde.

Mit den besten Grüßen an Dich und Deine junge GemahlinDie Eheschließung der aus Wien stammenden, dann am Deutschen Theater in Berlin engagierten Schauspielerin Gina Hollaender (geb. Mayer), deren Beziehung zu Felix Hollaender in der Affäre um dessen Verzicht auf die Intendantur am Frankfurter Schauspielhaus publik geworden war, mit dem Schriftsteller und Theatermann stand wohl noch an. Eine von Felix Hollaender (er befand sich auf der Nordseeinsel Wangeroog, Hotel Monopol) an Gerhart Hauptmann versandte Vermählungsanzeige ist undatiert: „Meine Vermählung mit Fräulein Gina Mayer, Tochter des verstorbenen Herrn Professor J. Wilhelm Mayer und seiner Gattin Gisela, geborene de Grach, zeige ich hierdurch ergebenst an.“ [Staatsbibliothek Berlin, GH Br NL A: Hollaender, Felix, 1, 81-82, Bl.] Die Presse meldete Anfang Juli 1914: „Der Schriftsteller Felix Holländer hat sich mit Fräulein Gina Mayer […] vermählt.“ [Neue Freie Presse, Nr. 17910, 6.7.1914, Nachmittagsblatt, S. 7] von meiner Frau und mir

Dein alter

Frank Wedekind.


München 23.II.14.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    23. Februar 1914 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
B, Mappe 6
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Felix Hollaender, 23.2.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.01.2024 16:31