Zensorder für die Zensur zuständige Münchner Polizeipräsident Julius von der Heydte (Polizeidirektion München, Weinstraße 13) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil III, S. 25], wie der Hinweis auf den Landtag des Königreichs Bayern nahelegt (siehe unten).
Ew. Hochwohlgeboren!
Wollen Ew. Hochwohlgeboren gestatten, Ihnen beiliegende SchriftWedekinds Pressemitteilung „Die Zensur“ – so im handschriftlichen Entwurf und in der Druckfassung (am 23.9.1908 in der „Berliner Börsen-Zeitung“) betitelt [vgl. KSA 5/III, S. 272] – zur Buchausgabe seines Einakters „Die Zensur“ (1908) im Bruno Cassirer Verlag in Berlin [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 75, Nr. 202, 31.8.1908, S. 9195]; er schrieb sie am 28.8.1908: „Schreibe bei Steinert Waschzettel zu Zensur.“ [Tb] Sie lautet in der Druckfassung: „In seinem neuesten Einakter wagt sich Frank Wedekind an die kühne Aufgabe, die Institution der Theaterzensur, die den deutschen Dramatikern schon so manche schwere Stunde bereitet hat, leibhaftig auf die Bühne zu bringen. Man darf daher aufs höchste darauf gespannt sein, wie sich die Zensur selber, mit der Wedekind so endlose, bis heute noch nicht abgeschlossene Kämpfe durchzukämpfen hatte, zu der Frage der öffentlichen Aufführung dieses neuen Einakters stellt. Der Zensor, wie er in den Wedekindschen Szenen geschildert ist, wird dem Zensor, der vor dem Bühneneingang Wache hält, allerdings kaum Anlaß bieten, dem Werk den Weg auf die Bretter zu verlegen. Wir sehen einen Mann von vornehmster Gesinnung, umfassender Bildung und unerschütterlicher Prinzipientreue vor uns, wie ihn Wedekind wohl in dem bekannten in Berlin waltenden Theaterzensor persönlich kennen gelernt hat. Wie sich die Theaterzensur aber zu der Art und Weise stellen wird, wie sie selbst in den vorliegenden Szenen von den verschiedensten Gesichtspunkten aus effektvoll beleuchtet und in ihrer ganzen Existenzberechtigung in Frage gestellt wird, das dürfte selber zu einem durch das Schauspiel hervorgerufenen amüsanten Schauspiel werden, an dem ein künstlerisch empfindendes Publikum seine helle Freude haben kann.“ [KSA 5/II, S. 281] „Die Zensur“ (zur
Einsicht einzu gefälligen Einsicht einzusenden vorzulegen) (zu
geschätzter Beachtung vorzulegen, da ich dadurch aufrichtig (und ehrlich) einen
klärenden Faktor zu der im
Bayrischen Landtagim Landtag des Königreichs Bayern (München, Prannerstraße 20) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil III, S. 4], in dem in der öffentlichen Sitzung vom 3.8.1908 die vom Münchner Zensurbeirat am 11.5.1908 freigegebene Aufführung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“ (Premiere am 14.11.1908 im Münchner Schauspielhaus) [vgl. KSA 2, S. 922, 968-973] zwischen den Zentrum-Abgeordneten Karl von Freyberg-Eisenberg (Wahlkreis Sonthofen) und Heinrich Osel (Wahlkreis Kronach) sowie dem sozialdemokratischen Abgeordneten Adolf Müller (Wahlkreis München VIII) debattiert wurde (sie nahmen wohl irrtümlich an, das Stück sei am Münchner Hoftheater aufgeführt worden); die Presse berichtete: „Wer hätte gedacht, daß es bei der Beratung des Kultusetats noch eine [...] recht interessante Kunstdebatte geben würde? Das Baupostulat für das Hoftheater diente dem Centrum zu heftigen Angriffen [...] gegen den Polizeidirektor Freiherrn von der Heydte. Ein Standesgenosse, Freiherr v. Freyberg, leitete sie ein. [...] Abg. Frhr. v. Freyberg (Centr.) [...] bedauert, daß auch unsere Hofbühnen den weniger edlen Instinkten des Publikums zu sehr Rechnung tragen. Die Behörden [...] und insbesondere der neu gegründete Zensurbeirat hätten eine sehr laxe Auffassung [...]. Sie haben anscheinend Angst, daß ihnen Rückständigkeit und zu große Rücksichtnahme auf die Zusammensetzung des Landtages vorgeworfen werden könnten. Der Redner kritisiert nun, daß an unserer Hofbühne Wedekinds ‚Frühlings Erwachen‘ aufgeführt worden ist [...]. [...] Abg. Müller [...] erklärt, daß er nach wie vor der Meinung sei, daß Polizei, Behörden und Landtag am besten die Finger von diesen rein künstlerischen Fragen, die Abg. v. Freyberg berührt, weglassen sollen. [...] Baron v. Freyberg ist besonders der Zensurbeirat zu ‚modernistisch‘ zusammengesetzt und er wünscht, daß dem konservativen Geschmack mehr Rechnung getragen wird. [...] Das von dem Vorredner so scharf kritisierte Stück Wedekinds ist kein pornographisches Stück. [...] Daß ‚Frühlings Erwachen‘ auf der Bühne aufgeführt wird, ist kein so schlimmes Zeichen für den Niedergang der Kunst als der Umstand, daß die ‚Lustige Witwe‘ 500 Mal aufgeführt werden konnte. (Sehr richtig! Links.) Abg. Osel (Centr.) bestreitet, daß der Landtag in Fragen der Kunst nichts zu sagen habe. Wenn die Polizei mit ihren Vorschriften nicht wäre, dann würden die Schweinereien noch mehr überhand nehmen. [...] Der Zensurbeirat, bemerkt Redner weiter, ist mit Recht beanstandet worden, und daß Polizeidirektor von der Heydte von einem Extrem ins andere fällt, ist fast zu verwundern, Frhr. v. d. Heydte, der früher nach allem schnüffeln ließ, ist völlig umgefallen, und dieser Umfall ist sehr verwunderlich. Zuruf des Abg. Müller-München: Er schnüffelt immer noch! [...] Regierungskommissar v. Pracher bemerkt, auf dem Gebiete des Hoftheaters habe die Regierung keinen Einfluß, und die Zensur der Theaterstücke und die Zusammensetzung des Zensurbeirates seien Sache des Ministeriums des Innern.“ [Bayerischer Landtag. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 361, 4.8.1908, Morgenblatt, S. 2-3] Die „Augsburger Abendzeitung“ hat am 4.8.1908 ebenfalls über die Landtagsdebatte berichtet [vgl. KSA 2, S. 972f.].
bevorstehenden Erledigung der die Freigabe Unterdrückung meiner dramatischen
Arbeiten betreffenden Erörterungen beizutragen glaube.
Ew. Hochwohlgeboren
Hochachtungsvoll ergebenster
FrW.