München 7. Oktober 1911
Prinzregentenstraße 50.
Sehr verehrter Herr Landgerichtsratmöglicherweise der Landgerichtsrat Maximilian Riedl, einer der 50 Landgerichtsräte am Landgericht München I (Elisenstraße 1a) [vgl. Adreßbuch für München 1912, Teil III, S. 9], der 1906 zwei der Schreiben, welche die Zensur von Wedekinds „Tod und Teufel“ betrafen, mitunterzeichnet hat [vgl. KSA 6, S. 657, 658]; jeweils einmal mitunterschrieben hat der Landgerichtsrat Dr. Ferdinand Geist [vgl. KSA 6, S. 658], den Wedekind aber sicher mit seinem Doktortitel angesprochen hätte; ein dritter Landgerichtsrat [vgl. KSA 6, S. 657] war 1911 nicht mehr am Landgericht München I beschäftigt.!
Wollen Sie mir gestatten Ihnen in der Anlage die
Schriftstücke zu übersenden, die ich mit der
Polizeibehörde in Sachen der Zensur gewechselt habe und zwar aus dem Jahr 1910
die bedingungslosen VerboteWedekind notierte am 10.6.1910: „Büchse d. Pandora und Totentanz verboten.“ [Tb] Der Verbotsbescheid von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ auf Grundlage eines Manuskripts von 1910 ist nicht überliefert, allerdings die Gutachten der fünf von der Polizeidirektion München am 22.4.1910 angeschriebenen Mitglieder des Zensurbeirats [vgl. KSA 3/II, S. 1269-1272]; ebenso ist der Verbotsbescheid von Wedekinds „Totentanz“ nicht überliefert, auch hier aber die Gutachten der sechs von der Polizeidirektion München am 20.4.1910 angeschriebenen Mitglieder des Zensurbeirats [vgl. KSA 6, S. 683-686]; in beiden Fällen ging es um Aufführungsverbote. von B.d.P. und „Tod Totentanz Teufel[“], aus dem Jahr 1911 ein
ExemplarDas der Münchner Polizeidirektion zur Zensur vorgelegte und mit Streichungen versehene Exemplar von „Der Stein der Weisen. Eine Geisterbeschwörung“ (1909) ist nicht überliefert. Stein der Weisen mit den Originalstrichen der Zensur, in denen
die ich zum AnlasSchreibversehen, statt: Anlaß. einer Eingabe an die Polizeibehördenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Polizeidirektion München, 10.1.1911. Wedekind dürfte angesichts der Streichungen in seinem Stück „Der Stein der Weisen“ für die anstehende Aufführung im Münchner Schauspielhaus (Premiere: 4.3.1911) Einspruch erhoben haben, nicht der Direktor des Schauspielhaues Georg Stollberg, der verreist war, wie Wedekind am 9.1.1911 notierte: „zu Stollbergs die verreist sind.“ [Tb] nahm worauf mir der
beigelegte An Bescheidnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Polizeidirektion München, Dietrich Bittinger an Wedekind, 30.1.1911. Wedekind dürfte den Bescheid vorgefunden haben, als er von seiner Gastspielreise aus Wien am 31.1.1911 zurückkam und wohl daraufhin gleich den Referenten für Theaterzensur bei der Münchner Polizeidirektion Dietrich Bittinger aufsuchte (nachdem er sich frisch gemacht hatte): „Ankunft in München. Bad. Besuch bei Dr. Bittinger auf der Polizei“ [Tb]. Er notierte dann am 3.3.1911: „Probe von Stein der Weisen. Vorher lange Unterredung mit Dr. Bittinger, der die konfiszierten Stellen bis auf eine frei giebt.“ [Tb] zuteilward. Ich erlaube mir auch noch einige
Bemerkungenwahrscheinlich die Ausführungen „Über das Zensurverbot von Totentanz“ [Wedekind an Polizeidirektion München, 25.6.1911]. über „Tod und Teufel“ beizufügen, die ich spezielSchreibversehen, statt: speziell. für die
Zensurbehörde aufgesetzt und mit dem Einakter zusammen vorgelegt hatte.
Indem ich Ihnen, sehr geehrter Herr Landge|richtsrat
für Ihr hülfe/s/bereites EntgegenkommenDie nicht näher zu ermittelnden Bemühungen des Landgerichtsrats zeitigten keine die Zensurverbote von Wedekinds Stücken betreffenden Konsequenzen. nocheinmal meinen herzlichen
aufrichtigen Dank ausspreche ersuche ich Sie den Ausdruck vorzüglichster
Hochschätzung entgegennehmen zu wollen von
Ihrem ergebenen
Frank Wedekind