Kennung: 5159

Dresden, 13. Oktober 1899 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Emilie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Von Willy hatte ich kürzlich durch einen Johannesburgernicht identifiziert. William Wedekind war im September 1889 nach Südafrika ausgewandert und lebte in Johannesburg. gute Nachrichten. Er ist Angestellter mit 500 Frs. monatlichem Gehalt. Jetzt aber fürchten wir sehr, daß der KriegDer sogenannte Zweite Burenkrieg zwischen Großbritannien und den Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Transvaal begann nach Ablauf eines Ultimatums zum britischen Truppenabzug an der Grenze zu Transvaal mit Kampfhandlungen am 12.10.1899. Die deutschsprachigen Zeitungen berichteten: „Das transvaalische Ultimatum bedeutet Krieg: daran ist nach vernünftiger menschlicher Berechnung nicht mehr zu zweifeln.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 44, Nr. 283, 12.10.1899, S. (1)]. Der Krieg endete mit einem Friedensschluss am 31.5.1902 und der Eingliederung der beiden Burenrepubliken in das britische Empire. mit seinen Schreken das Land und seine Bewohner in’s Unglück stürze, und Willy auch darunter zu leiden haben werde. Ich habe lange keine direkten Nachrichten mehr bekommen; am Ende kommt Willy mit seiner Familie wieder heim, da ja die meisten Europäer flüchten u. d. Land verlassen. Um Dir zu zeigen, daß man sich seines Glückes freuen kann und doch noch zu klagen hat spreche ich von Donald. Nachdem er nun in Zürich leidlich Fuß gefaßt hatte und, wie er mich versicherte gut verdiente (150 Fr. pr. Monat) schreibt er unsDie genannte Korrespondenz zwischen Donald Wedekind und seiner Mutter sowie seiner Schwester Erika ist nicht überliefert. plötzlich, daß er seinen Antheil am SteinbrüchliDas Haus Steinbrüchli, in dem Emilie Wedekind nach ihrem Umzug von Schloss Lenzburg wohnte, war nach dem Tod des Vaters an die Geschwister und Mutter gemeinschaftlich vererbt worden. an einen gewissen BollakDas Haus Steinbrüchli, in dem Emilie Wedekind nach ihrem Umzug von Schloss Lenzburg wohnte, war nach dem Tod des Vaters an die Geschwister und Mutter gemeinschaftlich vererbt worden. um 500 Franken verkauft habe. Er fragt Mieze an, ob sie dem | Juden 1000 Franken geben wolle, wofür dieser es ihr ablassen würde. Natürlich bedankt sich Mieze dafür und will mit solchem Schmutzkerl nichts zu thun haben. Wir sind so empört über diesen gemeinen Bubenstreich von Donald, daß wir nichts mehr mit ihm zu thun haben wollen. Ich dachte immer, das bleibe Donald für später, sodaß er doch noch einen Nothpfennig habe und hatte ihm das feste Versprechen abgenommen, es nicht zu verkaufen solange er sich noch was verdienen könne. Auch hat er mir versprochen zuerst e/E/inem von uns Mittheilung zu machen wenn er es verkaufen wolle. Wir hätten ihm ja selbstverständlich den richtigen Preis dafür bezahlt, wie ich dir s. Z.Zeitpunkt und Höhe der Auszahlung von Wedekinds Anteil am Haus Steinbrüchli durch seine Mutter sind nicht ermittelt. für Deinen Antheil bezahlte. Und nun | gibt er ihn für 500 Franken an den Juden, den wir jetzt als Miteigenthümer unter uns haben und Donald hat sein Letztes zum Fenster hinausgeworfen Nun, ich komme mit der Zeit auch wohl darüber hinweg, obgleich ich jetzt noch grimmig darunter leide, daß aus dem Jungen mit aller Gewalt ein Lump wird. Gott sei Dank habe ich Tag und Nacht meine ArbeitEmilie Wedekind zog nach der Geburt Ihrer Enkelin Eva Oschwald am 5.8.1899 nach Dresden, um die Kinderbetreuung zu übernehmen., die mich daran verhindert meinen traurigen Gedanken nachzuhängen. Das ist ein Segen für mich, sonst weiß ich, daß ich den Kummer den mir Donald macht, nicht mehr lange ertragen könnte.

Mieze meinte, ich könnte Dich vielleicht einmal auf d. Königstein besuchen. Was meinst Du dazu? Und wenn ich komme, könnte ich Dir vielleicht Etwas mitbringen? Schreibe mir darüber. Ich komme | nemlich nur dann fort, wenn Mieze einen ganzen Tag frei hat, damit sie dann bei der Kleinen bleiben kann wenn ich fort bin. Das wäre so ungefähr in 10 – 14 Tagen. Mieze läßt Dich herzlich grüßen. Sie ist ein famoses Weibchen geworden und kann vergessen u. vergeben. Walther ist seit vorgestern in BaselWalther Oschwalds Eltern Theodor und Fanny Oschwald waren 1895 von Lenzburg nach Basel (Friedensgasse 7) [vgl. Adressbuch der Stadt Basel 1899, Teil I, S. 313] gezogen. bei seinen Eltern.

Sei Du mein lieber Frank herzlichst gegrüßt und umarmt von Deiner Dich innigst liebenden
Mama.


Matis Adresse ist. E. W. in PettighofenEmilie (Mati) Wedekind hatte nach vor Abschluss ihrer Ausbildung zu Lehrerin im Kloster Baldegg die Übernahme einer Hauslehrerinnenstelle bei der Unternehmerfamilie Emil und Josefine Hamburger im oberösterreichischen Pettighofen zugesagt, die sie von Juli 1899 bis Juni 1902 innehatte, wie aus der Korrespondenz mit ihrem Bruder Armin hervorgeht [vgl. AfM Zürich, PN 169.5.78-101]. „Der Unternehmer Hamburger, bereits im Besitz mehrerer Papiermühlen bei Lenzing (Österreich), ließ in Pettighofen bei Kammer 1894/1895 eine Papierfabrik bauen, welche am 1. August 1896 ihren Betrieb aufnahm.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 195]
Post Kammer,
Ober. Oestreich.Schreibversehen, statt: Oberösterreich.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief ist unvollständig überliefert, der Briefanfang fehlt. Das Wort „Königstein“ ist mit blauem Buntstift unterstrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 13.10.1899 ist als Ankerdatum gesetzt – das früheste mögliche Schreibdatum; an diesem Tag berichteten die Zeitungen vom Beginn des Krieges zwischen Großbritannien und Transvaal in Südafrika, der im Brief erwähnt wird.

  • Schreibort

    Dresden
    13. Oktober 1899 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Dresden
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
311-312
Briefnummer:
152
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 307
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1899. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

19.03.2024 15:21