Kennung: 4787

München, 26. Dezember 1904 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl

Inhalt

Lieber Herr Kraus,

inliegend die beiden Änderungenim Gedichtmanuskript „Confession“, das Wedekind zwei Tage zuvor für die Veröffentlichung in der „Fackel“ [vgl. Frank Wedekind: Confession. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21-22] nach Wien geschickt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904] und anschließend in einem nicht überlieferten Telegramm Korrekturen mitgeteilt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 25.12.1904], die er in der Anlage des vorliegenden Briefs teilweise revidierte (siehe unten). Karl Kraus hat die Änderungen in einer Anmerkung zum Erstdruck des Briefes kommentiert (siehe die Hinweise zum Erstdruck). Das Gedicht hat Wedekind mehrfach umgearbeitet [vgl. KSA 1/II, S. 1760-1769; das Karl Kraus eingereichte Gedichtmanuskript war hier noch verschollen]; er teilt im vorliegenden Brief mit Anlage seinen letzten Korrekturwunsch mit. durch die das Gedicht meiner Ansicht nach nicht leidet. Auf die ganze Strophedie fünfte Strophe des Gedichts „Confession“ [KSA 1/I, S. 531], Neufassung in der Beilage mitgeteilt.: „Oder sollte Schamgefühl..“ würde ich nicht gerne verzichten.

Was die WidmungWedekind hatte für sein Gedicht „Confession“ eine Widmung für Gertrud Eysoldt vorgesehen, die zugestimmt hatte, war sich aber unsicher [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904]. betrifft, so hatte ich natürlich ähnliche BedenkenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben, auf das der vorliegende Brief eingeht; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 25.12.1904., und werde Ihnen wahrscheinlich zu großem Dank verpflichtet sein, wenn | Sie sie weglassen. Der einzige Umstand, daß es sich um eine Dame handelt machtim Erstdruck: handelt, macht. die Sache eben schon so gut wie unmöglich. Eine andere Widmung anzubringen halteim Erstdruck: anzubringen, halte. ich dann aberim Erstdruck: aber dann. nicht für thunlichim Erstdruck: tunlich.. „LuluGertrud Eysoldt in der Rolle der Lulu in der Berliner „Erdgeist“-Premiere am 17.12.1902 (und in zahlreichen weiteren Vorstellungen) war als Interpretin maßgeblich für den „Aufführungserfolg“ [KSA 3/II, S. 1203] der Tragödie.“ könnte als eine ganz überflüssige Reklame gedeutet werden.

In größter Eile mit den herzlichsten Grüßen und den aufrichtigsten Wünschen für das kommende Jahr und alle Zukunft
Ihr
Frank Wedekind. |


[Beilage:]


Wer war für ein FreudenfestKarl Kraus ist dem Korrekturwunsch nicht gefolgt und hat im dritten Vers der zweiten Strophe im Erstdruck des Gedichts „Confession“ die Formulierung „den Freudenmarkt“ (so von ihm zuvor im Gedichtmanuskript korrigiert) gesetzt, sich bei den Interpunktionszeichen aber am eingereichten Gedichtmanuskript orientiert: „Wer war für den Freudenmarkt geboren / So wie ich dafür geboren war?“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21] Im Gedichtmanuskript steht kein Komma und ein Fragezeichen (statt Komma und Punkt) sowie die ursprüngliche Formulierung Wedekinds „das Freudenhaus“ [Beilage zu: Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904], die er der Erinnerung von Karl Kraus zufolge in einem nicht überlieferten Telegramm durch „den Liebesmarkt“ [Wedekind an Karl Kraus, 25.12.1904] zu ersetzen vorschlug. Karl Kraus hat sich auch daran erinnert, in der ersten Gedichthandschrift habe die Stelle „das Freudenhaus“ [Kraus 1920, S. 109] gelautet. geboren,

So wie ich dafür geboren war.

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Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste JugendlustKarl Kraus hat die Korrektur im zweiten Vers der fünften Strophe im Erstdruck des Gedichts „Confession“ ausgeführt; er erinnerte sich, in der ersten Gedichthandschrift habe die Stelle „Jugendkraft“ [Kraus 1920, S. 109] gelautet (dieser Teil des Gedichtmanuskripts ist nicht zugänglich). verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert.

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Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. 2 Seiten beschrieben. Beilage. 16,5 x 21 cm. 1 Seite beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Karl Kraus hat mit Bleistift auf Seite 1 oben „Eilbrief 26.(?)XII.1904“ notiert, außerdem auf Seite 1 über „ähnliche“ und „Bedenken“ sowie auf Seite 2 über „handelt“ und „gedeutet“ jeweils ein Fragezeichen („?“).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 26.12.1904 ist als Ankerdatum gesetzt – nach der Datumsnotiz von Karl Kraus auf dem Brief und der Datierung im Erstdruck.

  • Schreibort

    München
    26. Dezember 1904 (Montag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
108-110
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Briefe Frank Wedekinds. In: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 108-110. Der Brief enthält im Erstdruck den Hinweis „Eilbrief aus München 26.(?)XII.1904“ sowie vor den Versen den Hinweis „Beilage“ und zwei Fußnoten. Zu „Änderungen“ ist angemerkt: „Für ‚Konfession‘.“ In der Fußnote nach dem letzten Vers der Beilage ist ausgeführt: „Das Manuskript ist nicht auffindbar. Hierin war meines Erinnerns die Fassung ‚das Freudenhaus‘; die Abschwächung, der eine telegraphische Korrektur ‚den Liebesmarkt‘ gefolgt sein muß, ist dann im Druck durch ‚den Freudenmarkt‘ ersetzt. Im folgenden dürfte es sich um eine Änderung für ‚Jugendkraft‘ gehandelt haben. Erst nach dem Druck teilte mir W. mit, daß der Anfang des Gedichts: // Freudig schwör’ ich es mit freier Stirne / Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann: / Wie viel lieber wär’ ich eine Dirne / Als an Ruhm und Glück der reichste Mann! // ursprünglich – ungleich wertvoller – gelautet hatte: // Frei bezeugt’ ich es mit jedem Schwure / Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann: / Wie viel lieber wär’ ich eine Hure – – // Sonderbarerweise hatte der zensurgebrannte Dichter gefürchtet, daß diese Fassung nicht druckbar wäre, und sie mich gar nicht erst kennen lassen. Doch selbst ein Zensor hätte die stärkere Form auch als die reinere empfunden neben dem Behelf des peinlichen Moralworts ‚Dirne‘, das eben nur in der Konvention des Fühlens und Sagens möglich ist, aber nicht in der Kunst und nicht dort, wo ein Bekenntnisschrei nichts weniger verträgt als die Umschreibung. Gern bezeugt’ ich es dagegen mit freier Stirne, daß in diesem selben Heft der Fackel ein Gedicht denselben Reim aufweist, und jenen, die den Unterschied nicht spüren, sei bedeutet, daß hier das Wort ‚Dirne‘ ein Schulbeispiel für die Möglichkeit der Anwendung ist, indem hier, wo nichts naiv ist, sondern der Nachgeschmack eines absurden Lebens, gerade der konventionelle Mißton, den es trägt, fast zitathaft in den Zustand der Halbschlafempfindung mitgenommen wird.“ – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 28-29 (Nr. 14).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139716
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 26.12.1904. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben
Zurückgestellt

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

06.09.2023 10:56