Kennung: 4775

Wien, 2. März 1910 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Neues Wiener Journal, (Zeitung)

Inhalt

[1. Typoskript:]


Sehr geehrte RedaktionChefredakteur des „Neuen Wiener Journal“ (begründet und herausgegeben von Jakob Lippowitz) war seinerzeit Willibald Riedl (so auf der Titelseite angegeben)..

Gestatten Sie mir Ihnen mitzuteilen, daß ich das Problem weiblichen Uebermenschentumszeitgenössisch populäres Schlagwort nach Friedrich Nietzsches „Übermensch“-Begriff., das ich in meinem Drama „Erdgeist“ in Angriff genommen, mit teilweiser Benutzung dieses Stückes in einem fünfaktigen DramaDas der Neuen Wiener Bühne am 2.3.1910 von Wedekind persönlich eingereichte Typoskript „Lulu. Tragödie in fünf Aufzügen von Frank Wedekind“ ist erhalten und hat der Wiener Zensurbehörde vorgelegen, wie das Umschlagblatt dokumentiert [vgl. KSA 3/II, S. 866].Lulu“ zum Abschluss geführt und psychologisch zu vertiefen gesucht habe. Die „Neue Wiener Bühne“, der ich diese Arbeit bei meinem gegenwärtigen Aufenthalt in WienWedekind hielt sich vom 27.2.1910 bis 3.3.1910 im Zuge einer Vortragsreise in Wien auf [vgl. Tb]. einreichte, hat sie zur AufführungDie Wiener Zensurbehörde verbot am 13.7.1910 [vgl. KSA 3/II, S. 866] eine Aufführung von „Lulu“ [vgl. KSA 3/II, S. 1278f.] – das „Neue Wiener Journal“ nahm dazu Stellung: „Die Wiener Theaterzensur chikaniert seit einiger Zeit die Autoren und Direktoren mit auffallendem Eifer. Es sich eine Neigung zur Silbenstecherei, die schon nachgerade lächerlich wirkt. Der sogenannte Zensurbeirat, auf den man eine Zeit lang Hoffnungen setzte, scheint überhaupt nur noch die Aufgabe zu haben, zu den Verfügungen der Beamtenschaft Ja und Amen zu sagen. Soeben ist ein literarisches Werk: Wedekinds ‚Lulu‘, aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit der Direktion der Neuen Wiener Bühne zur Aufführung verboten worden. ‚Lulu‘ stellt sich als eine Zusammenziehung zweier älterer Stücke Wedekinds dar, des ‚Erdgeist‘ und der ‚Büchse der Pandora‘. Bekanntlich ist der ‚Erdgeist‘ bereits vor Jahren in Wien öffentlich aufgeführt worden, und es scheint, daß sich die sittliche Entrüstung der Zensoren gegen die Akte wendet, die der ‚Büchse der Pandora‘ entnommen sind. Das künstlerische Moment fällt offenbar bei der Zensurbehörde nicht in die Wagschale, denn das endgültige Verbot ist von dem sogenannten literarischen Zensurbeirat ausgegangen.“ [Wieder ein Zensurverbot. Wedekinds „Lulu“. (Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.) In: Neues Wiener Journal, Jg. 18, Nr. 6114, 30.10.1910, S. 15]. für die kommende Spielzeit angenommen
in vorzüglicher Hochachtung
Frank Wedekind.


Wien, am 2. März 1910Wedekind notierte am 2.3.1910 in Wien: „Besuch in der Neuen W. Bühne.“ [Tb] Die Neue Wiener Bühne unter der künstlerischen Leitung von Adolf Steinert und Gustav Charlé [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 672] hat das „Lulu“-Typoskript bei diesem Besuch entgegengenommen..


[2. Druck:]


Sehr geehrte Redaktion! Gestatten Sie mir Ihnen mitzuteilen, daß ich das Problem weiblichen Uebermenschentums, das ich in meinem Drama „Erdgeist“ in Angriff genommen, mit teilweiser Benutzung dieses Stückes in einem fünfaktigen Drama „Lulu“ zum Abschluß geführt und psychologisch zu vertiefen gesucht habe. Die Neue Wiener Bühne, der ich diese Arbeit bei meinem gegenwärtigen Aufenthalt in Wien einreichte, hat sie zur Aufführung für die kommende Spielzeit angenommen. In vorzüglicher Hochachtung Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 1 Seite beschrieben

Schrift:
Maschinenschrift.
Schreibwerkzeuge:
Schreibmaschine.
Schriftträger:
Papier. 14,5 x 22,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Typoskript dürfte vervielfältigt als Druckvorlage für den offenen Brief gedient haben und in Wedekinds Besitz verblieben sein.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Wien
    2. März 1910 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Neues Wiener Journal

Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Neues Wiener Journal, Jg. 18, Nr. 5877, 3.3.1910, S. 9. Der offene Brief ist ohne Titel in der Rubrik „Theater und Kunst“ abgedruckt und redaktionell mit den Worten eingeleitet: „Wir erhalten folgende Zuschrift:“ – Gleichzeitig erschien er in einer anderen Wiener Tageszeitung [vgl. Wedekind an Die Zeit, 2.3.1910].
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Historisches Museum Schloss Lenzburg

CH-5600 Lenzburg
Schweiz
Schloss Lenzburg

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
D 447
Standort:
Historisches Museum Schloss Lenzburg (Lenzburg)

Danksagung

Wir danken dem Historischen Museum Schloss Lenzburg für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Zeitung) Neues Wiener Journal, 2.3.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

27.09.2023 14:18