Kennung: 467

Festung Königstein, 8. Januar 1900 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Eisenschitz, Otto

Inhalt

[1. Abgesandter Brief:]


Mein lieber alter Freund,

lang, lang ists her, seit wir uns gesehenWedekind sah Eisenschitz zuletzt vor 1½ Jahren ‒ so lange zurück lag das elftägige Gastspiel des Ibsen-Theaters in Wien (2.6.1898 bis 12.6.1898).. Es wundert mich übrigens außerordentlich, daß wir einander vor zwei Jahren nicht in Wien begegnet sind. Ich hatte freilich von früh bis gen Mitternacht Arbeit vollauf sonst würde ich Sie wol aufgestöbert haben. Es ist nicht ausgeschlossen daß ich | im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner HaftWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Festungshaft entlassen. meinen Freund Dr. Heine in HamburgDr. Carl Heine, „Director des Carl Schultze-Theater“ [Hamburger Adreß-Buch 1900, Teil III, S. 256] in Hamburg, Eichenallee 11., mit dem ich seinerzeit in WienWedekind und Carl Heine, seinerzeit noch Direktor des Ibsen-Theaters in Leipzig, waren vom 2.6.1898 bis 12.6.1898 mit einem Gastspiel des Ibsen-Theaters in Wien. war und gehe dann nach München zurück um mich in meiner so schmählich unterbrochenen Schauspielerei weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie | leben und wirken auch nur noch als Priester ThaliensAnhänger der Thalia, der Muse des Lustspiels oder des Schauspiels überhaupt ‒ ein Stückeschreiber; die bewusst antiquierte Periphrase war eher im frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich.. Ich sehne mich hier obenDie Festung Königstein, wo Wedekind wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert war, liegt oberhalb des Ortes Königstein auf einem Felsplateau des Elbsandsteingebirges. danach zurück wie sich ein Fisch auf denSchreibversehen statt „dem“. Trocknen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein BruderKorrespondenz zwischen Frank und Donald Wedekind von 1899 bis Anfang 1900 ist nicht überliefert. Wedekind hatte Eisenschitz über seinen Bruder kennengelernt, der mit Eisenschitz befreundet war. Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistik beschäftigSchreibversehen statt „beschäftigt“.. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Seine Adresse ist Maneggasse 5. Es wird indessen | wol nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens
Ihr
Frank Wedekind.


Festung Königstein

8. Januar 1900.


[2. Druck:]

Mein lieber alter Freund, lang, lang ist’s her, seit wir uns gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im Lauf des nächsten Sommers wieder nach Wien komme. Vor der Hand besuche ich nach Abschluß meiner HaftDanach steht ein Sternchen: „Haft*“, das auf eine Anmerkung verweist: „*) Wegen Majestätsbeleidigung.“ meinen Freund Dr. Heine in Hamburg, mit dem ich seinerzeit in Wien war, und gehe dann nach München zurück, um mich in meiner so schmählich unterbrochenen Schauspielerei weiter zu bilden.

Wie geht es Ihnen? Sie leben und wirken auch nur noch als Priester Thaliens. Ich sehne mich hier oben danach zurück, wie sich ein Fisch auf dem Trockenen nach dem Wasser sehnen muß.

Mein Bruder Donald lebt in Zürich ziemlich einsam, mit Journalistikbeschäftigung. Der Strom des Lebens hat ihn noch nicht in den Strudel hineingerissen. Es wird indessen wohl nicht lange dauern, dann treibt er auch wieder auf hohem Meer.

Seien Sie herzlich gegrüßt, mein lieber Herr Eisenschitz. In der Erwartung eines baldigen Wiedersehens Ihr
Frank Wedekind.

Festung Königstein, 8. Januar 1900.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Neben der Handschrift ist der Erstdruck wiedergegeben, da der Brief vom Empfänger selbst veröffentlicht wurde.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Festung Königstein
    8. Januar 1900 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Wien
    Datum unbekannt

Erstdruck

Neues Wiener Journal

Seitenangabe:
4
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Otto Eisenschitz: Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen. In: Neues Wiener Journal, Jg. 26, Nr. 8749, 12.3.1918, S. 3-4, hier S. 4. Der Erstdruck gibt den Brief gekürzt wieder.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Österreichische Nationalbibliothek

Josefsplatz 1
A-1015 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Sammlung August Miller-Aichholz.
Signatur des Dokuments:
482/15-1

Danksagung

Wir danken der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Otto Eisenschitz, 8.1.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (09.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

10.08.2023 17:31