Kennung: 4571

München, 23. März 1910 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Verlagsbuchhändler, (Gruppe)

Inhalt

[1. Entwurfsnotizen:]


DasSchreibversehen, statt: daß. mein Literarisches Lebenswerk zu Wuchergeschäften dient.

Ich glaube ein rechtSchreibversehen, statt: Recht. zu haben mich dagegen zu wehren daß mein Lebenswerk und an irgendeinen literaturhungrigen PferdeinteressentenBruno Cassirer war außer Verleger auch Pferdezüchter, besaß einen Rennstall und betrieb Traberrennen, ein Motivfeld, das Wedekind auch in den Briefen an ihn durch den Hinweis etwa auf „Pferderennen“ [Wedekind an Bruno Cassirer, 30.1.1910] rhetorisch nutzte., der vielleicht noch mehr Geld zu verschwenden hat und noch weniger von Verlagsgeschäften versteht als mein gegenwärtiger Verleger.


Je höherab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich oben komplett gestrichen. die Strafe ausfällt zu der ich infolge meiner Beleidigung verurtheilt werde um so tiefer sinkt selbstverständlich meine geistige Produktion in ihrem Werth

Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr empfindlichen dauernden materiellen Schaden zu bewahren halte ich es für meine Pflicht öffentlich bekannt zu machen, daß mich Herr B.C. zu gleicher Zeit


[2. Briefentwurf:]


In No. 56ab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich unten komplett gestrichen. des „Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno Cassirer in Berlin die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner zwanzigjährigen geistigen Produktion öffentlich zum Verkauf aus. Auf die Anfragen die er nach dem Preise erhalten nannte Herr Cassirer verschiedenen ReflektantenBewerber, Interessenten, eventuelle Käufer. eine Summe dessen Höhe nach dem allgemeinen Urtheil in gar keinem Verhältnis zu dem wirklichen Werth des Kaufobjects steht.

Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des ausgebotenen Objects erkundigen nennt der Verlag Cassirer ein nach fachmännischem Ermessen ganz außergewöhnlich hohe Summe. |

Sollteab hier durch einen senkrechten Bleistiftstrich komplett gestrichen. diese Beleidigung nun was ich sehr wohl für möglich halte eine empfindliche Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meines persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine außerordentlich starke Entwertung meiner gesammten geistigen Produktion verbunden

Der Käufer der in diesem Augenblickzunächst gestrichen, durch Unterpunktung wieder hergestellt. jetzigen also einen abnorm hohen Preis für die materiellen Rechte an dieser Produktion bezahlt, verlöre durch eine derartige Verurtheilung also sein ganzes Geld.

Ich glaube als Autor berechtigt zu sein, meine geistige Arbeit und sowohl wie deren eventuellen Besitzer vor solchen Schicksalen zu bewahren

Anderseits Denn je höher die Strafe ausfällt zu der ich verurteilt werde, um so tiefer sinkt naturgemäß das von Herrn | Cassirerab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich unten komplett gestrichen. ausgebotene Kaufobject im Werth.

Währenddem anderseits zu eine ÜberSchreibversehen (Schreibabbruch im Wort), statt: Übernahme. meiner Werke dann keinerlei Veranlassung mehr vorläge.

Ich ersuch Daher ersuche ich alle diejenigen Herren Verlagsbuchhändler die sich für den Verlag meiner Werke Produktion interessieren in ihrem eigenen Interessen, mit Ihren angebotenSchreibversehen, statt: Angeboten. zu warten bis die von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene KlageDer Verleger Bruno Cassirer hat seinen Autor Frank Wedekind am 10.3.1910 wegen Beleidigung verklagt (siehe unten). ihre gerichtliche Erledigung gefunden hat.


[3. Typoskript:]


In No 56 des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno Cassirer in Berlin die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner 20jährigen geistigen Produktion öffentlich zum Verkauf aus. Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des ausgebotenen Objektes erkundigten, wurde von dem genannten Verlag eine nach dem Urteil von Sachverständigen aussergewöhnlich hohe Summe genannt. Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr bedeutender materieller Schädigung zu bewahren, halte ich es für meine Pflicht, öffentlich bekannt zu geben, dass mich Herr Bruno Cassirer zu gleicher Zeit wegen Beleidigung verklagt hat. Erfolgt war diese Beleidigung, weil ich meinem wirtschaftlichen Ruin gegenüber stehe und diese Tatsache, ob mit Recht oder mit Unrecht, darf hier nicht erörtert werden, der Geschäftsführung des Verlages Bruno Cassirer zur Last lege. Sollte nun diese Beleidigung, was ich sehr wohl für möglich halte, eine längere Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meinerSchreibversehen, statt: meines. persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine ausserordentlich | starke Entwertung meiner bisherigen geistigen Produktion verbunden. Der Käufer, der in diesem Augenblick die materiellen Rechte an dieser Produktion zu einem hohen Preis erwirbt, hätte also eventuell zu gewärtigen, durch meine Verurteilung sein ganzes Geld zu verlieren. Als Autor halte ich mich für berechtigt, einem solchen Unheil, das aus dem Verkauf meiner Werke zu erwachsen droht, vorzubeugen. Je höher die Strafe ausfällt, zu der ich verurteilt werde, umso tiefer sinkt naturgemäss das vom Verlag Bruno Cassirer ausgebotene Kaufobjekt im Wert. Nach erfolgter Verurteilung hingegen könnte sich vielleicht die Frage ergeben, ob Herr Bruno Cassirer überhaupt noch der Verleger, d.h. der Bewahrer der wirtschaftlichen Interessen, eines Autors sein kann, von dem ihn offenkundige tiefbegründete Feindschaft scheidet, während anderseits keine Gefahr mehr vorhanden wäre, dass die erstandenen Rechte und Büchervorräte unerwarteter Weise einen grossen Teil ihres Wertes einbüssen. Daher ersuche ich alle diejenigen Herren Verlagsbuchhändler, die sich für meine Produktion interessieren, in ihrem eigenen Interesse, mit ihrem Angebot zu warten, bis die von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene Klage ihre gerichtliche Erledigung gefunden hat.

München, im März 1910.

Frank Wedekind.


[4. Druck:]


In Nr. 56 des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno CassirerDer offene Brief steht im Zusammenhang mit dem Verlagsstreit mit Bruno Cassirer, mit dem Wedekind sich unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ [vgl. KSA 5/III, S. 126-141; Vinçon 2014, S. 227-230] auseinandersetzte. in Berlin die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner 20jährigen geistigen Produktion öffentlich zum VerkaufWedekinds Verleger Bruno Cassirer hatte folgende Annonce aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] aus. Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des ausgebotenen Objektes erkundigten, wurde von dem genannten Verlag eine nach dem Urteil von Sachverständigen außergewöhnlich hohe Summe genannt. Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr bedeutender materieller Schädigung zu bewahren, halte ich es für meine Pflicht, öffentlich bekannt zu geben, daß mich Herr Bruno Cassirer zu gleicher Zeit wegen Beleidigung verklagtWedekind notierte am 24.3.1910 in München: „Erhalte Klage von B. Cassirer vom 10 III.“ [Tb] Demnach hat der Verleger Bruno Cassirer in Berlin seinen in München wohnenden Autor Frank Wedekind am 10.3.1910 tatsächlich wegen Beleidigung verklagt, er „droht“ nicht nur „mit einer Beleidigungsklage.“ [Vinçon 2014, S. 229] Der Bruno Cassirer Verlag hatte seinen Sitz in Berlin (Derfflingerstraße 16) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil I, S. 376], zuständig war insofern das Amtsgericht Berlin-Mitte (Neue Friedrichstraße 12-17) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil II, S. 60], das Wedekind geschrieben haben dürfte [vgl. Amtsgericht Berlin-Mitte an Wedekind, 10.3.1910]. Wedekind reiste infolge der Beleidigungsklage am 30.3.1910 „nach Berlin“ [Tb] und „nimmt sich einen Rechtsbeistand, [...] Paul Jonas“ [Vinçon 2014, S. 229], den er am 31.3.1910 aufsuchte: „Unterredung mit Justizrat Jonas. Er übernimmt meinen Prozes“ [Tb]; der Konflikt wurde außergerichtlich beigelegt, es kam zu keinem Prozess. hat. Erfolgt war diese Beleidigung, weil ich meinem wirtschaftlichen Ruin gegenüberstehe und diese Tatsache, ob mit Recht oder mit Unrecht, darf hier nicht erörtert werden, der Geschäftsführung des Verlages Bruno Cassirer zur Last lege. Sollte nun diese Beleidigung, was ich sehr wohl für möglich halte, eine längere Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meines persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine außerordentlich starke Entwertung meiner bisherigen geistigen Produktion verbunden. Der Käufer, der in diesem Augenblick die materiellen Rechte an dieser Produktion zu einem hohen Preis erwirbt, hätte also eventuell zu gegenwärtigen, durch meine Verurteilung sein ganzes Geld zu verlieren. Als Autor halte ich mich für berechtigt, einem solchen Unheil, das aus dem Verkauf meiner Werke zu erwachsen droht, vorzubeugen. Je höher die Strafe ausfällt, zu der ich verurteilt werde, um so tiefer sinkt naturgemäß das vom Verlag Bruno Cassirer ausgebotene Kaufobjekt im Wert. Nach erfolgter Verurteilung hingegen könnte sich vielleicht die Frage ergeben, ob Herr Bruno Cassirer überhaupt noch der Verleger, das heißt der Bewahrer der wirtschaftlichen Interessen, eines Autors sein kann, von dem ihn offenkundige, tiefbegründete Feindschaft scheidet, während anderseits keine Gefahr mehr vorhanden wäre, daß die erstandenen Rechte und Büchervorräte unerwarteterweise einen großen Teil ihres Wertes einbüßen. Daher ersuche ich alle diejenigen Herren Verlagsbuchhändler, die sich für meine Produktion interessieren, in ihrem eigenen Interesse, mit ihrem Angebot zu warten, bis die von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene Klage ihre gerichtliche Erledigung gefunden hat.

München, im März 1910Schreibdatum war wohl der 26.3.1910 (siehe die Datierungshinweise)..

Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Entwurfsnotizen und Briefentwurf: Kurrent. Typoskript: Maschinenschrift.
Schreibwerkzeuge:
Entwurfsnotizen und Briefentwurf: Bleistift. Typoskript: Schreibmaschine.
Schriftträger:
Entwurfsnotizen und Briefentwurf: Liniertes Papier. Notizbuchblätter. 10 x 16,5 cm. 3 Blatt, 4 Seiten beschrieben. Typoskript: Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 22,5 x 29 cm. 2 Blatt, 2 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Im Notizbuch sind unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ (jeweils am Kopf der Seite notiert) Entwurfsnotizen [Nb 62, Blatt 55r] und ein seitenrückläufig verfasster Briefentwurf [Nb 62, Blatt 53v, 53r, 52v] zu einem offenen Brief überliefert, der auf der Grundlage eines verschollenen abgesandten Briefs im „Berliner Tageblatt“ gedruckt wurde (siehe zum Erstdruck); ein Typoskript, das mit einer einleitenden Bemerkung der Münchner Verleger Reinhard Piper erhalten hat [Wedekind an Reinhard Piper, 23.3.1910], ist im Nachlass des Verlags R. Piper & Co. im Deutschen Literaturarchiv Marbach [A: Piper, Reinhard Verlag 98.5] erhalten, dem wir für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe danken.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 23.3.1910 ist als Ankerdatum gesetzt. Der Briefentwurf entstand vor dem Druck des offenen Briefs „in überarbeiteter Fassung“ [KSA 5/III, S. 129] im „Berliner Tageblatt“ vom 29.3.1910, in dem Monat („März“) und Jahr („1910“) genannt sind. Das Tagesdatum ist nach der Lage im Notizbuch – Briefentwurf und Entwurfsnotizen stehen inmitten von Entwurfsniederschriften zur Szene „III 7“ [Nb 62, 52r, 54r, 54v, 55v] des Einakters „In allen Wassern gewaschen“ [vgl. KSA 7/II, S. 687] – in Verbindung mit dem Brief an den Verleger Reinhard Piper erschlossen, dem er das Typoskript beilegte [Wedekind an Reinhard Piper, 23.3.1910].

  • Schreibort

    München
    23. März 1910 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Tageblatt

Ort der Herausgabe:
Berlin
Verlag:
Berlin: Mosse
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Ein Wedekind-Dokument. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 157, 29.3.1910, Abend-Ausgabe, S. (3). Die redaktionelle Einleitung lautet: „Frank Wedekind schickt uns mit der Bitte um Veröffentlichung den folgenden Brief, den wir, da er interessant und charakteristisch genug ist, zum Abdruck bringen, ohne uns mit seinem Inhalt irgendwie zu identifizieren:“ – Neuedition (unter dem Titel „Contra Cassirer. Ein Wedekind-Dokument“): KSA 5/II, S. 360-361.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 3501/62
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Gruppe) Verlagsbuchhändler, 23.3.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

08.11.2023 20:34