Kennung: 3958

Solothurn, 15. November 1881 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Schibler, Oskar

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Nov. 15. 81. Solothurn.


Lieber Franklin!

Dein Briefvgl. Wedekind an Oskar Schibler, 10.11.1881. hat mich sehr gefreut indem ich daraus ersah, dass du trotz deiner miserablen StellungOskar Schibler dürfte auf die schulische Situation angespielt haben. Wedekind wurde nach einem halben Jahr Privatunterricht auf Schloss Lenzburg nicht in die III., sondern in die II. Klasse des Gymnasiums eingestuft. die Elasticität deines Geistes bewahrt hast. Deine Poesiendie beiden im vorangegangenen Brief mitgeteilten Gedichte „Subjectiver Idealismus“ und „Fernhin, nach dem heil’gen Lande“ [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 10.11.1881]. sind haarig. Wirf dich einmal auf ein idealeres Gebiet du wirst selbst mehr Freude daran haben. Man merkt es gährt & schafft in d/D/ir –, du fühlst dich nicht wohl nicht in deiner SpähreSchreibversehen, statt: Sphäre..

Mein PhilisterBei Oskar Schiblers Pensionsvater dürfte es sich um Walther von Arx handeln, der 1878 (mit 29 Jahren) zum Professor für deutsche Sprache und Literatur an die Kantonsschule Solothurn berufen wurde [vgl. Hans Brunner: Die Reihe „Solothurner Klassiker“ in: Oltener Neujahrsblätter, Bd. 76, 2018, S. 62]. kennt dich beritsdialektal für: bereits. aus meinen über dich geführten Gesprächen, er ist sehr gespannt deine Bekanntschaft zu machen. | Frass & Bett erwarten dich schon lange komm desshalbSchreibversehen, statt: deshalb. quam celerrime(lat.) möglichst schnell. in meine Arme.

Vorletzten Sonntagden 6.11.1881. tagte ich mit dem Philister in einer Kneipe auf einem Dorfe, Du siehst er ist ein fideles Haus trotz Professor. Als ich ihm Deine BucolicaGemeint ist ein (heute verschollenes) blaues Heft betitelt „Bucolica“, in das Wedekind seine von Mai bis Juli 1881 auf Schloss Lenzburg entstandenen Schäferdichtungen schrieb und das ihm im Herbst 1898 während seiner Flucht in die Schweiz abhanden kommen sollte [zur Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte vgl. KSA 1/II, S. 1538-53]. Einzelne Bucolica hatte Wedekind seinen Dichterfreunden des Senatus poeticus im Frühsommer 1881 zur kritischen Würdigung zugesandt [vgl. die Korrespondenzen mit Walter Laué, Oskar Schibler und Adolph Vögtlin]. zu lesen gab sagte er: Das ist ein verfluchter Kerl er interessirt mich! Viens vite(frz.) Komm schnell.. Du kannst ja kommen unter irgend einem Vorwande du brauchst ja zu Hause nicht zuu> sagen wohin du gehst. O über die manchmal verdammt zärtliche lästige vorsorgliche Liebe der Mütter!

Wenn du hier wärest würde dich ein ganz anderer Geist anwehen | du fühltest dich wohl. Du weisst ich kann nicht viel & trotz der eigent. guten Klasse in die ich gerathen bin, bin ich doch einer der Besseren. Allerdings muss man arbeiten. Wie gehts in Aarau? nichts neues pikantes. Deine Flammenicht ermittelt.?

Was die Bucolica anbetrifft so ist dein Grund ein entschiedener Schwindel du willst sie einfach wider haben damit dein Schmerzenskind nicht verloren geht. So behalt sie ich wollte sie als Andenken an fidele Zeit anecxirenSchreibversehen, statt: anektiren (entsprechend der damals üblichen Orthographie)..

Was sagt UphuesGoswin Karl Uphues, der Deutschlehrer Frank Wedekinds (und ehemals auch Oskar Schiblers).? Was macht die Klassedie Schüler der III. Klasse des Gymnasiums (Schuljahr 1881/82), die ehemaligen Klassenkameraden Frank Wedekinds bis zu seiner Nichtversetzung im Frühjahr 1881 und Oskar Schiblers bis zu seinem Wechsel an die Kantonsschule Solothurn.? Wie stehtsSchreibversehen, statt: stehst. du zu ihr? Sieh alles interessirt mich. Was aus dem langweiligen Aarau kömmt. |

Du hast die GeschichteWedekind hatte in seinem Brief dein Freund darauf angesprochen [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 10.11.1881]. mit der Zündhölzchen Büchse falsch aufgefasst. Da ich die brennende Liebe nicht in meiner Nähe haben kann so wollte ich wenigstens einin> Symbol derselben besitzen. Sieh wie unschuldig.

Meine Poesie ist auf den Hund ich habe keine Zeit & keine Anregung. Das hiesige Vereinsleben ekelt mich an & doch tretgeh ich vielleicht in einen ein. Mann muss dies thun der Gesellschaft wegen. Meine ganze Klasse mit Ausnahme von 1 ist in der ZofiAn der Kantonsschule Solothurn bestand seit 1823 eine Sektion des schweizerischen Studentenvereins Zofingia.

Leb wohl lieber Franklin Gruss & Kuss von deinem Fr. O.


Grüss alle Grüssbaren.

RohrFriedrich Rohr war im Schuljahr 1881/82 Schüler der III. Klasse und einer der ehemaligen Klassenkameraden Oskar Schiblers und Frank Wedekinds. Auch war er Mitglied im Kantonsschülerturnverein (KTV Aarau), in dem Oskar Schibler bis zu seinem Weggang nach Solothurn Funktionsstellen (Fuxmajor, Freimütiger) innehatte. soll mir mal schreiben.


<Am linken Rand um 90 Grad gedreht:>


Schreib bald denk an die feierlichen Eid alle 14 Tage!!!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Kariertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Oskar Schibler schrieb Schweizerdeutsch mit häufig verschliffenen Endsilben, die hier aufgelöst sind.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Solothurn
    15. November 1881 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Solothurn
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 156
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Oskar Schibler an Frank Wedekind, 15.11.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

08.02.2023 11:28