Kennung: 3860

Lenzburg, 18. September 1881 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar

Inhalt

Am eidgenössischen Buss- und BettagSonntag, der 18.9.1881., 1881


Edler Oskar.

Den besten Dank für deinen werthen Briefvgl. Oskar Schibler an Wedekind, 17.9.1881. und die ComplimenteOskar Schibler hatte den erste Teil von Wedekinds poetischem Geburtstagsgruß „An Oscar“ positiv rezensiert., die Du mir darin machst. Aber wie kommst du dazu, gegen den II. Theildas Gedicht „Die Bärin wohnt im tiefen Walde“, der zweite Teil von Wedekinds poetischem Geburtstagsgruß „An Oscar“. Es folgt Wedekinds Replik auf die schriftliche Kritik des Freundes an dem Gedicht. meines letzten Briefesvgl. Wedekind an Oskar Schibler, 16.9.1881. aufzutreten. Du hast ganz recht, dass das Fleisch an und für sich keinen Reiz habe, im Gegentheil: Wenn Du Deine GeliebteWedekind nennt sie an anderern Stelle „Deine von X“ [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 3.9.1881]. nur mit sinnlichen Augen betrachtest, so wirst Du gerade in dem Moment, wo die Sinnlichkeit ihren Triumph feiern sollte, sie verabscheuen, und das vorher angebetete Fleisch wird in Deinen Augen zu Aas. Aber meinst du denn wirklich, (bitte, verzeih’ meinen Schulmeisterton) zwischen Bär und Bärin herrsche kein anderes Verhältniss, als Sinnlichkeit? – | Nein, glaube mir der Bär bedarf eher einer Lebensgefährtin, einer Gesellschafterin in seiner Einsamkeit, als der Mensch in der interessanten, belebten Welt. Was nun Venusrömische Göttin der Liebe. und Apollin der griechisch römischen Mythologie Gott der Künste, der Weissagung, der sittliche Reinheit und Mäßigung, des Frühlings und des Lichts. betrifft, so bedenke, daß Apoll ein Künstler ist, dem wir es nicht verargen dürfen, wenn er an seiner Venus die Schönheiten der Natur sucht, um die Menschen in Lied und Bild damit zu entzücken. Nun kommt noch die Viehmagd und der Stallknecht, und da weisst Du nicht, welch interessante Unterhaltung vielleicht ihre menschenfreundliche (nach pessimistischen Begriffen allerdings menschenfeindliche) Handlung gewürzt hat. Also von bloss fleischlichen Genüssen ist hier durchaus nicht die Rede, da sie dem Menschen gar nicht verliehen sind, weil eben das Fleisch, sinnlich betrachtet, zu faulem Aas wird. – Verzeih mir nun noch einmal meinen Schulmeisterton, aber Du wirst mir erlauben meine Kinder und diejenigen meiner Muse zu verteildigen.

Über den MaturitätswixAm 30.9.1881 feierten die Kantonsschüler mit einem Kommers die Verabschiedung der Abiturienten der Gewerbeschule. Oskar Schibler hatte den Freund um Ideen für eine Aufführung gebeten. habe ich nachgedacht und auch mit Armin darüber gesprochen. Ein WachsfigurenkabinetSammlung von „Wachsfiguren“: „die meist lebensgroßen, plastischen Darstellungen von merkwürdigen Persönlichkeiten und Gruppen, an denen das Nackte von Wachs, die Gewandung aber wirklich, der Körper darunter ausgestopft ist.“ [Brockhaus’ Konversationslexikon 14. Auflage, Bd. 16, 1903, S. 426]. geht nicht. Zu abgedroschenBei der nächsten Sitzung des KTV am 24.9.1881 brachte Oskar Schibler die Kritik der Freunde vor. „Der Freimüthige beantragt, man solle das auf den Maturitätswix projektirte Wachsfigurenkabinet nicht ausführen, weil wir schon am letzten ein solches gegeben haben und weil einige alte Häuser ([Armin] Wedekind u Schübel.) ihm aus dem nämlichen Grunde davon abriethen. Er meint man könne dafür mit einem Freimüthigen steigen, der sich auf den ganzen Verein beziehe. Urech erwiedert darauf, daß ein bloßer Freimüthiger den Verein zuwenig auszeichne, und daß es sehr wichtig ist ob man auf der Bühne erscheine oder nicht. Er glaubt daher, daß man ein kleines dramatisches Stück aufführen müße. Es erheben sich nun mehrere Mitglieder gegen diesen Antrag, weil die Schule es ihnen nicht erlaube in dieser kurzen Zeit noch etwas zu lernen. Hasler meint, daß es immer noch Zeit genug übrig bleibe, um etwas rechtes zu lernen, wenn man seine Zeit recht abmeße. Es wird nun abgestimmt und beschloßen ein Wachsfigurenkabinet aufzuführen.“ [KTV Aarau. Archiv. Protokollbuch 1879/85, S. 96f.]. Nun dachte ich, man könne den Handschuh von Schiller aufführenDie Idee griff Oskar Schibler offenbar auf, klagte in der Vereinssitzung bezüglich der Vorbereitungen allerdings „über das Betragen zweier junger Mitglieder, welche aus nichtigen Gründen an dem dramatisirten „Handschuh Schiller’s nicht mitspielen wollen. Das Präsidium ermahnt daher Alle mit Ernst hinter die Sache zugehen, und beantragt eine Schwänzung von 2 Fr.[anken] für denjenigen, welcher bis Montags 1 Uhr den Text nicht gelernt und bis Mittwoch 1 Uhr sich kein Kostüm verschafft hat, was denn auch beschloßen wird.“ [KTV Aarau. Archiv. Protokollbuch 1879/85, S. 97]. Armin geht Dienstagden 20.9.1881. nach Aarau. Verschmähe seinen Rath nicht. Er kann dir sehr nützlich sein. Wenn irgend möglich, komme ich zum Maturitätswix. Nun Adee, auf Wiedersehn Dein alter
KaterBiername Frank Wedekinds.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Der Brief ist nur als Abschrift von der Hand Sophie Haemmerli-Martis (Franklin Wedekind [Oskar Schibler] II) überliefert. Am oberen Rand auf der ersten Seite der Briefabschrift sind Anmerkungen zur Materialität des verschollenen Briefes gemacht: „Mit roter Tinte, 2. Hälfte schwarze Tinte (französische/lateinische Schrift. großer langer Bogen)“.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der eidgenössische Buss- und Bettag wird am 3. Sonntag im September gefeiert, im Jahr 1881 war das der 18.9. Als Schreibort kann der Wohnort Wedekinds angenommen werden.

  • Schreibort

    Lenzburg
    18. September 1881 (Sonntag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Stadtarchiv Lenzburg

CH 5600 Lenzburg
Schweiz
Rathaus

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Sophie Haemmerli-Marti
Signatur des Dokuments:
III C 4b
Standort:
Stadtarchiv Lenzburg (Lenzburg)

Danksagung

Wir danken dem Stadtarchiv Lenzburg für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 18.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (20.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

04.01.2024 13:06